09.04.2019 · IWW-Abrufnummer 208223
Oberlandesgericht Düsseldorf: Hinweisbeschluss vom 12.10.2018 – I-4 U 67/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
Tenor:
- Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Wuppertal vom 05.07.2018 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 09.11.2018. - Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.250 Euro festgesetzt.
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Gründe
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Die Berufung der Klägerin gegen das im Tenor bezeichnete erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Wuppertal hat keine Aussicht auf Erfolg. Da auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich vorliegen, beabsichtigt der Senat, das Rechtsmittel durch Beschluss zurückzuweisen, ohne dass es einer mündlichen Verhandlung bedarf.
I.
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Der Beklagte ist bei der Klägerin unfallversichert. Die Invaliditätsgrundsumme beträgt 50.000 Euro. Der Versicherung liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen AUB-MPM 2009 (Bl. 7 ff. GA) zugrunde. In 9.4 AUB-MPM 2009 ist vereinbart:
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„Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahre nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. Dieses Recht muss
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- von uns zusammen mit unserer Erklärung über unsere Leistungspflicht nach Ziff. 9.1,
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- von Ihnen vor Ablauf der Frist ausgeübt werden. […]“
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Der Beklagte erlitt am 11.04.2014 einen Unfall beim Fußballspielen, bei dem er am rechten Knie Verletzungen in Form einer Kreuzbandruptur und einer Außenmeniskusruptur davontrug. Er meldete Ansprüche aus der Unfallversicherung bei der Klägerin an, die unter dem 22.05.2015 ein unfallchirurgisches Gutachten der chirurgischen Gemeinschaftspraxis S. einholte (Bl. 82 ff. GA). Nach dem Gutachten bestand eine voraussichtlich dauernde Funktionsbeeinträchtigung des rechten Kniegelenks von 1/4. Aufgrund dessen rechnete die Klägerin ihre Leistungen unter dem 11.06.2015 ab, wobei sie von einem 1/4 Beinwert rechts ausging, so einen Invaliditätsgrad von 17,50 % errechnete und eine Invaliditätsleistung in Höhe von 8750 Euro an den Beklagten auszahlte. In dem Leistungsbescheid belehrte die Klägerin über die Möglichkeit einer Neubemessung und führte insbesondere aus:
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„Wenn Sie von dem Recht der Neubemessung Gebrauch machen möchten, müssen Sie uns dies spätestens bis zum Ablauf des o.g. Zeitraumes mitteilen. Vorsorglich behalten wir uns für diesen Fall die Neubemessung ebenfalls vor. Sofern Sie von diesem Recht keinen Gebrauch machen, verzichten wir im Erledigungsinteresse ebenfalls darauf. Es verbleibt dann bei unserer jetzigen Regulierungsentscheidung.“
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Der Beklagte war mit dem Leistungsbescheid nicht einverstanden und nahm die Klägerin vor dem Landgericht Wuppertal auf Zahlung weiterer 35.000 Euro mit Klageschrift vom 16.09.2015 in Anspruch (7 O 290/15, LG Wuppertal). In der Klageschrift führte der Beklagte aus, dass er „insbesondere eine Neubemessung des festgestellten Grades seiner Invalidität“ begehre (Bl. 10 BA). Er behauptete, dass seine Invalidität mit 2/4 Beinwert zu bemessen sei. Später erklärte der Beklagte, dass er sich „auch gegen das Ergebnis der Erstbemessung“ wende (Bl. 94 BA). Mit Beweisbeschluss vom 25.04.2015 holte das Landgericht ein chirurgisch-orthopädisches Sachverständigengutachten zum Invaliditätsgrad des Beklagten ein, wobei es darauf hinwies, dass es davon ausgehe, dass der Beklagte keine Neubemessung seiner Invalidität, sondern lediglich eine Korrektur der Erstbemessung erreichen wolle (Bl. 108 ff. BA). Der gerichtliche Sachverständige, Chefarzt Dr. C., kam in seinem Gutachten vom 19.09.2016 (Bl. 119 ff. BA) und bei seiner Anhörung am 13.06.2017 (Bl. 207 ff. BA) zu dem Ergebnis, dass die Invalidität des Beklagten mit einem Beinwert von 1/7 zu bemessen sei, woraufhin die Klägerin mit Schriftsatz vom 07.11.2016 die Rückzahlung eines überzahlten Betrages in Höhe von 3750,00 Euro vom Beklagten verlangte (Bl. 19 GA). Mit Urteil vom 17.08.2017 wies das Landgericht die Klage des Beklagten ab, weil er einen höheren Invaliditätsgrad als den von der Klägerin zu Grunde gelegten 1/4 Beinwert nicht bewiesen habe (Bl. 225 ff. BA).
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Noch während des Rechtsstreits holte die Klägerin unter dem 19.06.2017 ein fachärztliches Gutachten von Dr. T. ein, der aufgrund einer Untersuchung des Beklagten am 07.06.2017 zu einer voraussichtlich dauerhaften Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beins des Beklagten von 2/20 gelangte (Bl. 20 ff. GA). Mit Schreiben vom 12.07.2017 verlangte die Klägerin daraufhin die Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 5250,00 Euro vom Beklagten und teilte gleichzeitig mit, auch mit einer Rückzahlung von 2500 Euro einverstanden zu sein (Bl. 26 GA). Der Beklagte zahlte indes nicht.
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Die Klägerin hat behauptet, der Invaliditätsgrad des Beklagten betrage auf der Basis von 2/20 Beinwert lediglich 7 %, so dass der Beklagte einen Invaliditätsanspruch lediglich in Höhe von 3500 Euro habe. Das Kniegelenk des Beklagten sei, wie die Messdaten von Dr. T. zeigten, beweglicher als seinerzeit von Dr. C. festgestellt.
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Der Beklagte hat eine dauernde Funktionsbeeinträchtigung seines Kniegelenks von mindestens 1/4 entsprechend dem von der Klägerin unter dem 22.05.2015 eingeholten Gutachten behauptet. Ohnehin sei er entreichert, da er kurz nach der Auszahlung der Versicherungsleistung am 19.06.2015 einen PKW für 13.500 Euro nur wegen der Zahlung der Klägerin gekauft habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen erstinstanzlichen Vortrags und der von den Parteien vor dem Landgericht gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 05.07.2018 und die in den Entscheidungsgründen enthaltenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Der Rechtsgrund für die Leistung der Klägerin sei nicht durch ein wirksames
Nachbemessungsverlangen weggefallen, da sie kein Recht für eine Neubemessung gehabt habe. Denn der Beklagte habe seinerseits kein Neubemessungsverlangen gestellt, so dass sich die Klägerin an ihrem Vorbehalt im Regulierungsschreiben vom 11.06.2015 festhalten lassen müsse. Das Begehren des Beklagten in der Klageschrift des Vorverfahrens sei – wie auch von der dortigen Kammer zutreffend erkannt – nämlich lediglich auf eine Korrektur der Erstbemessung gerichtet gewesen. Ferner könne die Klägerin auch keine Korrektur der Erstbemessung verlangen, da sie an ihre Erstbemessung gebunden sei.
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Mit ihrer gegen das landgerichtliche Urteil gerichteten form- und fristgerechten Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen und legt zusätzlich ein Anwaltsschreiben des Beklagten vom 03.04.2017 (Bl. 139 GA) vor, in dem dieser ausführt:
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„Ihr Versicherungsnehmer […] hat Anspruch auf Neubemessung bei Ablauf des 3. Jahres. Mit Schreiben vom 21.09.2015 teilten Sie mit, dass Sie diese Neubemessung durchführen werden.
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Die meinem Mandanten nunmehr zugetragene Ablehnung einer Neubemessung ist vertragswidrig, bitte veranlassen Sie unverzüglich die Neubemessung.“
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Die Klägerin beantragt unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 05.07.2018, den Beklagten zu verurteilen, an sie
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5250,00 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag in Höhe von 3750,00 Euro seit dem 24.11.2016 und aus einem Teilbetrag in Höhe von 1500,00 Euro seit dem 10.08.2017 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Auch der Beklagte wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
II.
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Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin hat weder Umstände vorgetragen, aus denen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt, noch konkrete Anhaltspunkte bezeichnet, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung einer überhöhten Invaliditätsleistung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB gegen den Beklagten.
1.
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Über die Richtigkeit der Erstbemessung der Invalidität des Beklagten streiten die Parteien hier im Verfahren nicht.
2.
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Die Klägerin ist nicht berechtigt, den Grad der Invalidität des Beklagten im Rahmen des Neubemessungsverfahrens neu bemessen zu lassen. Zwar ist das Landgericht unzutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte seinerseits kein Neubemessungsverlangen an die Klägerin gestellt habe – solches war vielmehr zwischen den Parteien schon in der ersten Instanz unstreitig und ist nun durch Vorlage des Anwaltsschreibens vom 03.04.2017 (Bl. 139 GA) weiter dahingehend konkretisiert worden, dass nicht zweifelhaft sein kann, dass der Beklagte neben der von ihm im Verfahren 7 O 290/15, LG Wuppertal, (auch) angegriffenen Erstbemessung weiterhin die Neubemessung seiner Invalidität verlangt hat. Dennoch folgt daraus nicht, dass die Klägerin in der Folge auch ihrerseits die Neubemessung verlangen kann.
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Gemäß 9.4 AUB-MPM 2009 muss das Recht zur Neubemessung vom Versicherer zusammen mit seiner Erklärung über seine Leistungspflicht „ausgeübt“ werden (Bl. 10 GA). Dies ist hier gerade nicht geschehen: Die Klägerin hat sich ausweislich des klaren Wortlauts ihrer Erklärung vom 11.06.2015 die Neubemessung lediglich vorsorglich vorbehalten (Bl. 18R GA). Damit hat die Klägerin eine Entscheidung über ein Neubemessungsverlangen gerade nicht getroffen, sondern lediglich erklärt, eine solche Entscheidung gegebenenfalls später treffen zu wollen, für den Fall, dass der Versicherungsnehmer von seinem Recht der Neubemessung Gebrauch machen will – anders ist der „Vorbehalt“ der Neubemessung nicht zu verstehen. Denn der bloße Vorbehalt einer Neubemessung ist etwas anderes als die Ausübung des entsprechenden Rechts. Es wäre der Klägerin auch ohne weiteres möglich gewesen, eine Erklärung in der Weise abzugeben, dass sie für den Fall, dass der Beklagte von seinem Recht auf Neubemessung Gebrauch macht, auch ihrerseits ihr Recht auf Neubemessung ausübt. Gerade indem die Klägerin dies nicht in dieser Weise eindeutig erklärt hat, ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar, dass die Klägerin ihr Recht auf Neubemessung bereits jetzt mit ihrem Leistungsbescheid in bedingter Weise ausgeübt haben will.
3.
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Unerheblich ist, dass das (allein) vom Beklagten initiierte Neubemessungsverfahren zu seinen Ungunsten ausgegangen ist. Denn die Erstbemessung des Invaliditätsgrades ist für die Klägerin mangels Ausübung ihres Rechts zur Neubemessung bindend geworden. Das nachträgliche Neubemessungsverlangen des Beklagten beseitigt diese Bindungswirkung nicht. Denn es liegt auf der Hand, dass das Neubemessungsverlangen des Beklagten unter der Einschränkung einer Neubemessung zu seinen Gunsten stand. Dieses Verlangen gibt der Klägerin kein Recht zur Abänderung ihrer Erklärung vom 11.06.2015 zum Nachteil des Beklagten, weil ansonsten die Bindungswirkung der Festsetzung unterlaufen würde (OLG Frankfurt, Urteil vom 18. September 2008 – 3 U 206/06 –, Rn. 15, juris; zustimmmend zunächst noch Kloth, jurisPR-VersR 4/2009 Anm. 5, aufgegeben in Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., Teil G Rdn. 236).
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Zwar wird in der Literatur vertreten, dass der Versicherer trotz fehlender Ausübung eines eigenen Neubemessungsverlangens eine durch ein Neubemessungsverlangen des Versicherungsnehmers festgestellte Überzahlung kondizieren könne (Jacobs VersR 2010, 39, 40; ders. Unfallversicherung, Ziff.9 Rn. 113; ihm folgend: Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Aufl., § 188 VVG Rn. 2 sowie AUB 2010 Nr. 9 Rn. 11a; Bruck/Möller-Leverenz, VVG, 9. Aufl., § 188 Rn. 34 a.E.; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., 9 AUB Rn.2). Ein solches Verständnis wird dem Regelungssystem von 9.4 AUB-MPM 2009 und jedenfalls der hier von der Klägerin am 11.06.2015 abgegebenen Erklärung nicht gerecht. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird angesichts des Wortlauts der Klausel regelmäßig nicht auf die Idee verfallen, dass er sich durch sein Neubemessungsverlangen im Prozess dem Risiko einer Verböserung aussetzt, wenn der Versicherer sein eigenes Recht gerade nicht ausgeübt hat. Nach dem Wortlaut der Klauseln darf der Versicherungsnehmer nach Erstfestsetzung ohne Ausübung des Rechts auf Neubemessung vielmehr annehmen, dass er im Verhältnis zum Versicherer hinsichtlich der Erstfestsetzung eine unanfechtbare Position erlangt hat (OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 21. Dezember 2016 – 5 U 96/16 –, Rn. 29, juris, unter ausdrücklicher Aufgabe von OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 27. August 1997 – 2 U 64/96 –, juris). Ein anderes Verständnis liegt jedenfalls nach dem Hinweis der Klägerin in ihrem Leistungsbescheid vom 11.06.2015 fern. Denn die Klägerin führt darin aus, dass sie auf ihr Recht einer Nachbemessung verzichten werde, wenn der Beklagte keine Nachbemessung verlange, sich die Nachbemessung aber vorbehalte, wenn der Beklagte eine solche beanspruche. Würde die Klägerin ohnehin eine etwaige Überzahlung später eigeninitiativ mit dem Argument kondizieren können, die Invalidität sei zu hoch bemessen, wäre diese von der Klägerin angekündigte Vorgehensweise jedes Sinnes entkleidet, da die Klägerin dann ohnehin einen überschießenden Betrag zurückverlangen dürfte, ohne selber die Nachbemessung verlangt zu haben. Eines – ohnehin nach den Versicherungsbedingungen nicht möglichen – Vorbehalts des Nachbemessungsrechtes für den Fall des Nachbemessungsverlangens des Beklagten bedürfte es dann gerade nicht.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin im Leistungsbescheid vom 11.06.2015 darauf hingewiesen hat, dass sie eine etwaige Überzahlung zurückfordern könne, wenn sich bei einer Neubemessung ein geringerer Invaliditätsgrad als bisher angenommen ergebe. Abgesehen davon, dass dieser Hinweis schon nicht gesondert lediglich auf ein Nachbemessungsverlangen des Beklagten Bezug nimmt, sondern nur allgemein die Folgen des auch von ihr zu verlangenden Nachbemessungsverfahrens erläutert, kann er ein der Klägerin nach den AUB-MPM 2009 nicht zustehendes Rückforderungsrecht nicht begründen.
III.
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Vorsorglich wird auf die kostenreduzierenden Folgen einer etwa beabsichtigten Rücknahme der Berufung bis zu einer Senatsentscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen.
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Die abweichende Auffassung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Urteil vom 01. Februar 2017 – 11 U 95/12 –, Rn. 14 ff., juris, wonach dem Versicherer in Konstellationen der vorliegenden Art ein Rückforderungsanspruch zustehen könne, führt nicht dazu, dass die Revision zuzulassen wäre, weil diese Auffassung dort nicht entscheidungserheblich war, da ein Anspruch des Versicherers bereits aus tatsächlichen Gründen nicht feststellbar war.
RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1