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10.10.2017 · IWW-Abrufnummer 196977

Oberlandesgericht Saarbrücken: Urteil vom 15.02.2017 – 5 U 12/15


Oberlandesgericht Saarbrücken

Urt. v. 15.02.2017

Az.: 5 U 12/15

In dem Rechtsstreit
der C. F.
- Klägerin, Widerbeklagte und Berufungsklägerin -
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.
gegen
H. Krankenversicherungen AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden
- Beklagte, Widerklägerin und Berufungsbeklagte -
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.

wegen Krankentagegeld

hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts
unter Mitwirkung der Richterinnen am Oberlandesgericht Dr. Müller und Dr. Eckstein-Puhl und des Richters am Oberlandesgericht Reichel
aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25. Januar 2017
für Recht erkannt:

Tenor:
  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29.1.2015 - Az: 14 O 327/12 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
  3. Das Urteil und das mit der Berufung angegriffene Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29.1.2015 - 14 O 327/12 - sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
  5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.880 € festgesetzt.
Gründe

I.

Die Klägerin verlangt als Rechtsnachfolgerin ihres am 12.12.2013 während des Rechtsstreits verstorbenen Ehemannes, des Versicherungsnehmers, die Fortzahlung von Krankentagegeld über den 9.2.2012 hinaus bis einschließlich zum 8.12.2012.

Der Versicherungsnehmer unterhielt bei der Beklagten eine Krankenversicherung mit Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif T. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT 2009) nebst Tarifbedingungen (TB/KT 2009) zugrunde (Bl. 41 ff. d.A.).

Von Beruf war der Versicherungsnehmer selbstständiger Türen- und Fenstermonteur. Angestellte hatte er nicht. Seine Tätigkeit umfasste die Montage, die Wartung und den Service von Automatiktüren. In der Zeit von April 2012 bis Juli 2012 war der Versicherungsnehmer nach seinen eigenen Angaben beim "Fahrbaren Mittagstisch" beschäftigt.

Im Herbst des Jahres 2009 wurde bei dem Versicherungsnehmer eine Krebserkrankung des Darms diagnostiziert, die eine Operation und die Durchführung von Chemotherapien - vor und nach der Operation - erforderlich machte. Im April 2011 wurde ein Rezidiv diagnostiziert, was weitere Operationen - unter anderem eine Resektion der Blase und eine operative Konstruktion einer Ersatzblase - und Chemotherapien nach sich zog.

Auf den Antrag des Versicherungsnehmers vom 29.9.2009 erbrachte die Beklagte Krankentagegeldzahlungen ab dem angegebenen Beginn der Arbeitsunfähigkeit, dem 1.9.2009, bis zum 9.2.2012.

Am 10.11.2011 fand eine von der Beklagten veranlasste Nachuntersuchung des Versicherungsnehmers durch den Internisten Dr. C. statt. In seinem Gutachten vom 16.11.2011 (Bl. 56 d. A.) gelangte dieser auf der Grundlage einer Tätigkeitsbeschreibung des Versicherungsnehmers zu dem Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer - bei "Z.n. Mehrfachlaparotomie infolge eines metastasierenden Rektumkarzinomes mit nachfolgender Anlage eines Descendostomas sowie Ileumconduits nach Blasenresektion, da Tumorinflitration der Blasenwand" und "Polyneuropathie toxischer Genese im Anschluss an rezidivierende Chemotherapie" - auch nicht stundenweise in seinem Beruf tätig sein könne und eine Besserung seines Zustandes in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei (Bl. 60 d.A.). Auf dieser Grundlage bejahte er eine Berufsunfähigkeit ab dem Untersuchungstag, dem 10.11.2011.

Mit Schreiben vom 30.11.2011 (Bl. 65 d.A.) teilte die Beklagte dem Versicherungsnehmer mit, dass ausweislich des ärztlichen Befundes des Dr. C. seit dem 10.11.2011 Berufsunfähigkeit eingetreten sei, so dass die Zahlung von Krankentagegeld - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - nur bis längstens zum 9.2.2012 in Betracht komme und bot dem Versicherungsnehmer die Fortführung des Versicherungsvertrages in Form einer Anwartschaftsversicherung an.

Der Versicherungsnehmer unterhielt eine weitere Krankentagegeldversicherung bei einem anderen Versicherer, der wegen Eintritts von Berufsunfähigkeit eine Beendigung seiner Leistungspflicht ab dem 15.2.2011 angenommen hatte. In jenem Rechtsstreit macht die Klägerin zweitinstanzlich (5 U 46/13 des OLG Saarbrücken, 14 O 187/11 des Landgerichts Saarbrücken) Ansprüche auf Fortzahlung von Krankentagegeld von Februar bis Oktober 2011 geltend.

Die Klägerin hat den von der Beklagten angenommenen Eintritt von Berufsunfähigkeit in Abrede gestellt. Sie hat unter Vorlage entsprechender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen behauptet, der Versicherungsnehmer sei nach dem 9.2.2012 weiterhin wie folgt arbeitsunfähig gewesen: vom 10.2. bis 9.4.2012 (60 Tage), vom 4.7. bis 9.7.2012 (6 Tage), vom 16.7. bis 11.8.2012 (27 Tage), vom 13.8. bis 4.11.2012 (84 Tage) und vom 5.11. bis 8.12.2012 (34 Tage). Die Klägerin hat sich außerdem auf die Unwirksamkeit der Regelung in § 15b) MB/KT 2009 berufen, die dazu führe, dass lediglich Leistungsfreiheit bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit, nicht aber die Beendigung des Krankentagegeldtarifs angenommen werden könne. Ferner hat sie der Verwertung des Gutachtens aus dem Parallelprozess 14 O 187/11 widersprochen, welches sich mit einer Erwerbsunfähigkeit seit Februar 2011 befasse, während im vorliegenden Rechtsstreit der Zeitraum ab November 2011 in Streit stehe. Dessen ungeachtet widersprächen sich die beiden Gutachten, weil der Gutachter in dem Parallelprozess eine vollständige Arbeitsunfähigkeit von Februar bis November 2011 offenbar verneint habe.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 16.880 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 8.960 € seit dem 8.9.2012, aus weiteren 720 € seit dem 9.10.2012 und aus weiteren 7.200 € ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die nicht anzurechnenden Gebührenanteile der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG nebst den dazugehörigen Auslagen gemäß Teil 7 VV RVG in Höhe von insgesamt 399,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 9.10.2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit am 13.1.2015 - innerhalb der Spruchfrist - eingegangenem Schriftsatz (Bl. 188 d.A.) hat die Beklagte widerklagend beantragt,
den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte einen Betrag von 28.800 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Ansprüche der Klägerin in Abrede gestellt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei spätestens ab April 2011 Berufsunfähigkeit eingetreten und habe zuvor zumindest Teilarbeitsfähigkeit vorgelegen, weswegen die Klägerin vielmehr umgekehrt die mit der Widerklage geltend gemachte Rückzahlung zu Unrecht geleisteter Krankentagegeldzahlungen schulde. Für den Zeitraum der Beschäftigung des Versicherungsnehmers bei dem "Fahrbaren Mittagstisch" von April bis Juli 2012 hat die Beklagte sich hilfsweise ebenfalls auf das Fehlen von Arbeitsunfähigkeit berufen.

Darüber hinaus hat die Beklagte gerügt, dass der Versicherungsnehmer eine bereits bestehende Krankentagegeldversicherung bei Antragstellung nicht angegeben habe, und außerdem von Falschangaben zum Einkommen auszugehen sei.

Mit am 29.1.2015 verkündetem Urteil (Bl. 198 d.A.) hat das Landgericht die Klage - nach Beweiserhebung durch Einholung eines fachärztlich-internistischen Gutachtens des auch in dem Parallelverfahren 14 O 187/11 beauftragten Sachverständigen Dr. K. (Bl. 121, 166 d.A.) - abgewiesen, weil infolge des im April 2011 diagnostizierten Rezidivs Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Die Widerklage der Beklagten hat das Landgericht bereits für unzulässig gehalten.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt. Sie rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts, das die augenscheinliche Widersprüchlichkeit der gutachterlichen Einschätzungen des in beiden Prozessen beauftragten Sachverständigen verkannt habe.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 29.1.2015 - 14 O 327/12 -

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 16.880 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 8.960 € seit dem 8.9.2012, aus weiteren 720 € seit dem 9.10.2012 und aus weiteren 7.200 € ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die nicht anzurechnenden Gebührenanteile der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG nebst den dazugehörigen Auslagen gemäß Teil 7 VV RVG in Höhe von insgesamt 399,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 9.10.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. K. eingeholt (Bl. 265 d.A.) und hat den Sachverständigen persönlich angehört (Bl. 312 d.A.).

II.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klägerin kann nicht über den 9.2.2012 hinaus bis einschließlich 8.12.2012 Zahlung von Krankentagegeld verlangen. Zugunsten der Beklagten ist davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer ab dem 10.11.2011 berufsunfähig gewesen ist. Das führt dazu, dass die Beklagte ihre Leistungen spätestens zum 10.2.2012 einstellen durfte.

1.

Gemäß § 15 Abs. 1b) MB/KT 2009 endet das Versicherungsverhältnis mit Eintritt der Berufsunfähigkeit, wobei Berufsunfähigkeit vorliegt, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist. Besteht jedoch zu diesem Zeitpunkt in einem bereits eingetretenen Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit, so endet das Versicherungsverhältnis nicht vor dem Zeitpunkt, bis zu dem der Versicherer seine im Tarif aufgeführten Leistungen für diese Arbeitsunfähigkeit zu erbringen hat, spätestens aber drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit.

a)

Soweit die Bedingungen eine den § 15 Abs. 1b) MB/KT 2009 ergänzende Bestimmung enthalten, die dem Versicherungsnehmer für den Fall des Eintritts der Berufsunfähigkeit die Möglichkeit eröffnet, das Versicherungsvertragsverhältnis im Rahmen einer Anwartschaftsversicherung fortzusetzen (Bl. 51 d.A.), begegnet die Klausel im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.1.1992 - IV ZR 59/91 - (VersR 1992, 477) insoweit keinen Bedenken (vgl. Senat, Urt. v. 8.9.2004 - 5 U 90/03 - RuS 2005, 515; OLG Brandenburg, RuS 2014, 513; OLG Celle, VersR 2008, 526; OLG Koblenz, VersR 2000, 1008; Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 45 Rdn. 23).

Dessen ungeachtet bestünde eine unbillige Benachteiligung des Versicherungsnehmers ohne die ergänzende Bestimmung nicht in der Versagung des Versicherungsschutzes, sondern in der Auflösung des Versicherungsverhältnisses mit der Folge, dass der Versicherungsnehmer bei Wiedererlangen der Versicherungsfähigkeit nicht ohne Risikoprüfung Versicherungsschutz erlangen kann (vgl. Voit in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 15 MB/KT, Rdn. 1, 22). Bei nachträglichem Eintritt von Berufsunfähigkeit folgte die Leistungsfreiheit des Versicherers in einem solchen Fall aus einer ergänzenden Auslegung des Versicherungsvertrages (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Oldenburg, VersR 2013, 1164).

b)

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war zum behaupteten Zeitpunkt, dem 10.11.2011, vom Eintritt der Berufsunfähigkeit auszugehen.

aa)

Nach der Definition der Berufsunfähigkeit in § 15 Abs. 1b) MK/KT 94 geht es dabei um einen Zustand (Erwerbsunfähigkeit), dessen Fortbestand aus sachkundiger Sicht für nicht absehbare Zeit prognostiziert wird, der jedoch typischerweise nicht auch als endgültig oder unveränderlich beurteilt werden kann. Denn es lässt sich eine ins Gewicht fallende Besserung zu irgendeinem späteren Zeitpunkt nicht selten weder zuverlässig voraussagen noch ausschließen. Die erforderliche Prognose kann nur auf den jeweiligen Einzelfall bezogen gestellt werden; sie ist abhängig von individuellen Umständen, wie etwa dem Alter des Versicherten, der Art und Schwere seiner Erkrankung und den Anforderungen der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit. Ein bestimmter Zeitraum, für den die Prognose zu stellen ist, im Sinne einer festen zeitlichen Grenze für die Beurteilung einer Erwerbsunfähigkeit "auf nicht absehbare Zeit" lässt sich dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Versicherungsbedingungen nicht entnehmen (BGH, Urt. v. 30.06.2010 - IV ZR 163/09 - VersR 2010, 1171). Die Prognose ist für den Zeitpunkt zu stellen, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet; für die sachverständige Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit sind die "medizinischen Befunde" - d.h. alle ärztlichen Berichte und sonstigen Untersuchungsergebnisse - heranzuziehen und auszuwerten, die der darlegungs- und beweisbelastete Versicherer für die maßgeblichen Zeitpunkte vorlegen kann. Dabei ist es gleich, wann und zu welchem Zweck die medizinischen Befunde erhoben wurden und wann sie dem Versicherer bekannt geworden sind; auch müssen sie keine - ausdrückliche oder wenigstens stillschweigende - ärztliche Feststellung der Berufsunfähigkeit enthalten (BGH, Urt. v. 30.06.2010 - IV ZR 163/09 - VersR 2010, 1171; Urt. v. 20.6.2012 - IV ZR 141/11 - VersR 2012, 981). Die Prognose der Berufsunfähigkeit kann mithin auch rückschauend für den Zeitpunkt gestellt werden, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet. Allerdings muss dies aus der Sicht ex ante geschehen, das heißt ohne Berücksichtigung des weiteren Verlaufs nach diesem Zeitpunkt. Bei einem nachträglich erstellten Gutachten muss folglich der Verlauf zwischen dem Zeitpunkt, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, und dem Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen außer Betracht bleiben (vgl. BGH, Urt. v. 20.6.2012 - IV ZR 141/11 - VersR 2012, 981).

Eine Erwerbsunfähigkeit auf nicht absehbare Dauer besteht dann, wenn nach aller Erfahrung trotz Einsatzes aller medizinischen Mittel mit der Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit überhaupt nicht zu rechnen ist oder sich jedenfalls aufgrund der relativ geringen Heilungschancen nicht absehen lässt, ob der Versicherte jemals wieder erwerbsfähig sein wird (Senat, Urt. v. 29.6.2011 - 5 U 297/09-76 - VersR 2012, 845 [OLG Saarbrücken 29.06.2011 - 5 U 297/09 - 76]; Voit in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 15 MB/KT Rdn. 24; Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 45 Rdn. 41; OLG Zweibrücken, VersR 1991, 292).

bb)

Bei der Bemessung des Grades der Berufsunfähigkeit ist zu differenzieren: Kann die versicherte Person eine bestimmte, zu ihrem Beruf zählende und ihn prägende Tätigkeit überhaupt nicht mehr ausüben - z.B. keine schweren Lasten tragen - so ist sie vollständig berufsunfähig auch dann, wenn diese Anforderungen im beruflichen Alltag zeitlich nur einen geringen Umfang haben oder gar nicht täglich anfallen, wohl aber notwendigerweise mit ihm verbunden sind (vgl. BGH Urt. v. 26.2.2003 - IV ZR 238/01 - VersR 2003, 631; Senat, Urt. v. 13.1.2010 - 5 U 339/06 - VersR 2010, 799 [OLG Saarbrücken 13.01.2010 - 5 U 339/06-49]; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 172 Rdn. 35). Setzt sich die berufliche Tätigkeit aus unterschiedlichen Teiltätigkeiten zusammen, die der Versicherungsnehmer in unterschiedlichem quantitativen Umfang grundsätzlich noch wahrnehmen kann, kommt es - wenn die Versicherungsbedingungen, wie hier, eine 50 %-Grenze statuieren - darauf an, ob die verbleibende Leistungsfähigkeit noch einen wenigstens halbschichtigen Einsatz erlaubt. Kann ein Versicherungsnehmer mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen noch gewisse oder gar die früheren Arbeitsergebnisse erzielen, muss er dafür aber einen größeren zeitlichen Einsatz zeigen, so muss bei der Bewertung des Grades der Berufsunfähigkeit danach gefragt werden, welche Arbeitsergebnisse der Versicherungsnehmer bei einem zeitlich mehr als halbschichtigen (also obligationsmäßigen) Einsatz noch erzielen könnte. Wäre nurmehr die Hälfte oder weniger seines Verdienstes erreichbar, so ist er berufsunfähig (vgl. Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 172 Rdn. 35-38).

cc)

Die bisher ausgeübte Tätigkeit umfasste die Montage von Automatiktüren sowie die Erbringung von Wartungs- und Servicearbeiten an Automatiktüren. Dabei war der Versicherungsnehmer zu 70 % seiner Arbeitszeit allein tätig, im Übrigen mit Hilfspersonen. Ein Viertel seiner Arbeitszeit entfiel auf die Montage von Schiebe- und Drehtüren, wobei das Gewicht des Flügels einer Schiebetür etwa 25 kg beträgt und das Anheben der Tür um bis zu 20 cm erforderlich war. Drei Viertel der Arbeitszeit entfiel auf Wartungs- und Servicearbeiten an Schiebe- und Drehtüren - zu je 50 % - als körperlich leichte Arbeiten, wobei der Versicherungsnehmer auch mit der Wartung von Türen beauftragt war, die er nicht selbst montiert hatte. Dabei wurden die Platinen der Türen mit einem Laptop überprüft, falls notwendig wurden unter Öffnung der Verkleidung Schrauben nachgezogen. Die Wartungsarbeiten an den Schiebetüren setzte - anders als diejenigen an den Drehtüren - den Einsatz einer Leiter voraus, wobei der Versicherungsnehmer allerdings nur zwei Stufen besteigen musste.

An der Ausübung dieser Tätigkeit war der Versicherungsnehmer bei der gebotenen differenzierenden Betrachtung nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. K. ab dem 10.11.2011 in bedingungsgemäßem Umfang gehindert.

(1)

Zu der Montage von Schiebe- und Drehtüren war der - zu 70 % ohne Hilfspersonen tätige - Versicherungsnehmer bereits seit der Anlage eines Stomas im Dezember 2009 und eines Ileumkonduits am 7.6.2011 außerstande. Aufgrund der plausiblen erstinstanzlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. hatte dies nämlich zur Folge, dass nur noch von einer maximalen Belastung der Bauchwand von 10 kg ausgegangen werden konnte. Das schloss das für die Montage erforderliche Anheben von Gewichten bis zu 25 kg aus. Da die Montage allerdings lediglich ein Viertel der Tätigkeiten ausmachte und - wegen der montageunabhängigen Erteilung von Wartungsaufträgen - auch nicht als prägende Tätigkeit angesehen werden konnte, führte allein das noch nicht zur Annahme von Berufsunfähigkeit.

(2)

Hinsichtlich der Wartungsaufträge - je zur Hälfte bezogen auf Dreh- bzw. Schiebetüren - ist zu unterscheiden:

Soweit für die Wartung von Schiebetüren - also in der Hälfte der Fälle - das Besteigen von Leitern im Umfang von zwei Stufen erforderlich gewesen ist, hat der Sachverständige Dr. K. in Übereinstimmung mit dem von der Beklagten beauftragten Gutachter Dr. C. eine "Polyneuropathie toxischer Genese im Anschluss an rezidivierende Chemotherapie" festgestellt, die zu einer Gangunsicherheit - infolge von Gefühlsstörungen in den Füßen (Bl. 57 d.A.) - führt und das Besteigen von Leitern unmöglich macht (Bl. 132, 166 d.A.).

Damit war der Eintritt einer insgesamt dann mehr als 50%igen Berufsunfähigkeit - auf nicht absehbare Dauer - verbunden.

Dem steht nicht entgegen, dass der Versicherungsnehmer in der Zeit von April bis Juli 2012 - im Rahmen einer Tätigkeit für den "Fahrbaren Mittagstisch" - tatsächlich wieder erwerbstätig gewesen ist. Die hieraus zu schließende tatsächliche Besserung des Gesundheitszustands hat schon deshalb unberücksichtigt zu bleiben, weil die Einbeziehung des weiteren Krankheitsverlaufs dem Wesen einer ex ante zum Zeitpunkt der behaupteten Berufsunfähigkeit zu stellenden Prognose widerspräche (vgl. BGH, Urt. v. 20.6.2012 - IV ZR 141/11 - VersR 2012, 981; Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 45 Rdn. 43).

Der Annahme einer gesundheitsbedingten Einschränkung auf nicht absehbare Dauer steht auch nicht entgegen, dass sich selbst schwere Formen einer arzneimittelinduzierten, toxischen Polyneuropathie nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. K. im Verlauf von 12 bis 24 Monaten spontan bessern können. Der Sachverständige hat eine solche günstige Prognose im Streitfall aber lediglich bei anhaltender Rezidivfreiheit angenommen und für diesen Fall durchaus eine Chance der Rekonvaleszenz und der Wiedererlangung der Berufsfähigkeit gesehen.

Nach dem Auftreten eines Rezidivs mit Metastasierung im April 2011 waren indessen weitere Chemotherapien erforderlich geworden. Aufgrund der damit eingetretenen palliativen Situation war ferner mit weiteren Rezidiven zu rechnen, verbunden mit der Indikation für weitere palliative Chemotherapien, welche die vorhandene Polyneuropathie nach der nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen zu verschlimmern drohten. In dieser Situation war nicht mehr absehbar, dass eine Verbesserung der Polyneuropathie eintreten könnte.

(3)

Es kann daher offen bleiben, ob die Annahme von Berufsunfähigkeit mit Blick auf die von dem Sachverständigen erwähnte allgemeine Einschränkung der physischen Leistungsfähigkeit auch unter dem Gesichtspunkt eines Raubbaus an der Gesundheit gerechtfertigt wäre, weil jede Tätigkeit nur noch auf Kosten der Restgesundheit des Versicherungsnehmers möglich gewesen wäre (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 11.7.2012 - IV ZR 5/11 - VersR 2012, 1547; Senat, Urt. v. 20.1.2016 - 5 U 286/11 - VersR 2016, 1103 [OLG Saarbrücken 20.01.2016 - 5 U 286/11-38]; OLG Köln, VersR 2010, 104; OLG Düsseldorf, VersR 1999, 354; Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 45 Rdn. 39).

dd)

Der Vorwurf der Klägerin, der sowohl im vorliegenden als auch in dem Parallelverfahren beauftragte Sachverständige Dr. K. habe in beiden Verfahren einander im Ergebnis widersprechende Einschätzungen getroffen, ist schon deshalb nicht begründet, weil die Prognose für jeweils unterschiedliche Zeiträume - einmal ab Februar 2011 und einmal ab November 2011 - zu treffen war und deshalb nicht zwangsläufig identisch ausfallen musste. Der Sachverständige hat im vorliegenden Rechtsstreit vielmehr nachvollziehbar begründet, aus welchen Gründen ab dem Auftreten eines Rezidivs im April 2011 mit einer Besserung der die Berufsfähigkeit einschränkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr zu rechnen war.

2.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Geschäftswert für das Berufungsverfahren beträgt 16.880 €.

Die Revision ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

RechtsgebietMB/KT 2009VorschriftenMB/KT 2009 § 15 Abs. 1b