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20.06.2013 · IWW-Abrufnummer 140146

Finanzgericht Thüringen: Urteil vom 26.10.2011 – 4 K 836/08

1. Zivilprozesskosten erwachsen Kläger wie Beklagtem unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen
zwangsläufig und sind als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und der Steuerpflichtige sich nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen
hat, sondern diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider – auch des Kostenrisikos – eingegangen ist (Anschluss
an BFH v. 12.5.2011, VI R 42/10).
2. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der geschiedene Vater auf erhöhten Kindesunterhalt verklagt wurde, in dem Verfahren
unter anderem die schwierige tatsächliche Frage zu klären war, in welchem Umfang dem Vater unterhaltrechtlich relevantes Einkommen
im streitigen Zeitraum zur Verfügung gestanden hat, es zur Klärung dieser Frage letztlich eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachtens
bedufte und der Erfolg der Rechtsverteidigung des Vaters ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg war.


Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
hat der IV. Senat des Thüringer Finanzgerichts … aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 26. Oktober 2011 für Recht
erkannt:
1. Der Einkommensteuerbescheid 2005 vom April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom August 2008 wird dahingehend
geändert, dass die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen von 5.119 Euro abzüglich der zumutbaren Eigenbelastung
zu berücksichtigen sind. Dem Beklagten wird aufgeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen,
ferner dem Kläger das Ergebnis der Berechnung unverzüglich mitzuteilen und den Bescheid mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft
dieses Urteils bekanntzugeben.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten des Klägers vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand
Umstritten ist, ob Prozesskosten wegen einer Klage auf Zahlung von Kindesunterhalt als außergewöhnliche Belastung nach § 33
des Einkommensteuergesetzes (EStG) abzugsfähig sind.
Der Kläger ist geschieden und erzielt als Zahnarzt Einkünfte aus selbstständiger Arbeit.
Aus der Ehe des Klägers gingen die Kinder Ariane (geb. Juni 1990) und Anne (volljährig) hervor. Die Tochter Ariane lebt bei
der dama ligen Ehefrau des Klägers. Die Höhe des vom Kläger zu zahlenden Kindesunterhalts war streitig. Im Mai 2000 haben
die Kinder des Klägers beim Amtsgericht L. in Gestalt einer Stufenklage Auskunft über das Einkommen des Klägers begehrt und
einen unbezifferten Leistungsbetrag wegen Kindesunterhalt gestellt. Das Amtsgericht hat unter anderem Beweis erhoben, durch
die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Einkommen des Klägers. Auf das Gutachten wird verwiesen. Mit Endurteil
vom Dezember 2004 verurteilte das Amtsgericht den Kläger, unter anderem an die Tochter Ariane monatlich Kindesunterhalt von
435 Euro zu zahlen. Im Übrigen wies es die Klage der Tochter Ariane ab. Der Rechtsstreit mit der Tochter Anne wurde übereinstimmend
für erledigt erklärt. Von den Gerichtskosten, mit Ausnahme der Kosten der Beweiserhebung, hatte die Tochter Anne 1/16, der
Kläger 15/16 und zusätzlich die Kosten der Beweisaufnahme zu tragen. Die Tochter Anne hatte ihre außergerichtlichen Auslagen
selbst zu tragen. Ferner hatte der Kläger die außergerichtlichen Auslagen der Tochter Ariane zu tragen. Wegen der weiteren
Einzelheiten, insbesondere des genauen Sachverhaltes, wird auf das Urteil des Amtsgerichts verwiesen.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2005 machte der Kläger folgende durch den Unterhaltsprozess entstandenen Kosten als
außergewöhnliche Belastung geltend:

Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. August 2005491,61 Euro
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. August 200576,10 Euro
Landesjustizkasse vom 27. Juli 20053.404,82 Euro
Landesjustizkasse vom 27. Juli 20051.146,54 Euro
insgesamt5.119,00 Euro.
Wegen der Einzelheiten wird auf die in der Steuerakte vorliegenden Nachweise verwiesen. Der Beklagte erkannte unter anderem
die geltend gemachten Prozesskosten im Einkommensteuerbescheid 2005 vom April 2004 nicht an, da diese nicht zwangsläufig im
Sinne von § 33 EStG erwachsen seien.
Den Einspruch dagegen wies der Beklagte mit Teileinspruchsentscheidung vom August 2008 als unbegründet zurück. Zur Begründung
führte er im Wesentlichen aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Vermutung gegen die
Zwangsläufigkeit spreche. Nach § 33 Abs. 2 EStG sei Zwangsläufigkeit nur gegeben, wenn auf die Entschließung des Steuerpflichtigen
in der Weise Gründe von außen einwirkten, dass er ihnen nicht ausweichen könne. Zwar könne sich der Steuerpflichtige nach
einem verlorenen Zivilprozess – unabhängig davon, ob er als Kläger oder Beklagter an ihm beteiligt sei – der eigentlichen
Zahlungsverpflichtung aus rechtlichen Gründen nicht entziehen. Allein darauf komme es jedoch nicht an. Der Grundsatz, dass
Kosten eines Zivilprozesses keine außergewöhnlichen Belastungen seien, sei allerdings keine starre Regel. Die Vielzahl der
prozessualen Gestaltungen erfordere vielmehr eine Berücksichtigung des jeweiligen Streitgegenstandes und der Ursache des Streits.
Weiche der Steuerpflichtige einem Rechtsstreit, obwohl dessen Ausgang ungewiss sei, nicht aus und vermeide er dadurch nicht
die Belastung mit Prozesskosten im Falle eines Unterliegens, sondern beharre er stattdessen auf seinem vermeintlichen Recht
und lasse es auf eine Auseinandersetzung vor Gericht ankommen, beruhten daraus entstehende Kosten auf dieser Entscheidung,
das Prozesskostenrisiko um der bei einem Obsiegen erlangten Vorteile willen bewusst auf sich zu nehmen. Die Prozesskosten
entstünden nicht auf einer Zwangslage und er könne sie vermeiden. Das gelte auch dann, wenn der Steuerpflichtige sich für
den Prozess an sich hinreichende Erfolgsaussichten ausrechnen könne. Mutwilligkeit der Prozesskosten schließe die Zwangsläufigkeit
aus. Dass eine Prozessführung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, führe nicht umgekehrt zur Zwangsläufigkeit. Berühre
ein Rechtsstreit allerdings einen für den Steuerpflichtigen existentiell wichtigen Bereich, könne der Steuerpflichtige unter
Umständen in eine Zwangslage geraten, in der für ihn die Verfolgung seiner rechtlichen Interessen trotz unsicherer Erfolgsaussichten
existentiell erforderlich sei und sich folglich die Frage stelle, ob die Übernahme der Prozesskosten als zwangsläufig im Sinne
von § 33 EStG anzusehen seien. Ein solcher Ausnahmefall könne aber nur dann unter engen Voraussetzungen in Betracht gezogen
werden, wenn der Steuerpflichtige, ohne sich auf den Rechtsstreit trotz unsicheren Ausgangs einzulassen, Gefahr liefe, seine
Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.
Solche Umstände lägen jedoch im Streitfall nicht vor. Die Behauptung, dass die Forderungen der Kindesmutter überzogen gewesen
seien, sei nicht ausreichend. Es habe insbesondere nicht die Gefahr bestanden, dass der Kläger seine lebensnotwendigen Bedürfnisse
im üblichen Rahmen nicht me hr habe befriedigen können. Zwar erkenne der Bundesfinanzhof (BFH) Kosten der Ehescheidung als
außergewöhnliche Belastung an. Im Streitfall handele es sich jedoch um eine Scheidungsfolgesachen. Darüber könne ohne Beteiligung
des Familiengerichts entschieden werden.
Mit der Klage dagegen macht der Kläger über sein Vorbringen im Vorverfahren hinaus im Wesentlichen geltend, dass zu Unrecht
die tatsächlich angefallenen Prozesskosten nicht berücksichtigt worden seien. Denn die Aufwendungen seien zwangsläufig im
Sinne von § 33 EStG.
Es sei zu berücksichtigen, dass er in das gerichtliche Verfahren hineingedrängt worden sei. Zunächst sei er auf Auskunft zur
Bestimmung des Kindesunterhaltes in Anspruch genommen worden. Nach der Auskunftserteilung hätten sich die Parteien zunächst
auf eine Zahlung des Kindesunterhalts für die Kinder Anne und Ariane von monatlich 1.139 DM geeinigt. Dies sei von ihm zunächst
auch gezahlt worden. Nachdem seine damalige Ehefrau jedoch einen Anwaltswechsel vorgenommen habe, sei plötzlich monatlich
eine Unterhaltszahlung für beide Kinder in Höhe von 1.510 DM verlangt worden. Als er darauf nicht eingegangen sei, sei am
xx. Juni 2000 die Stufenklage (abgetrennt vom Scheidungsverfahren) auf Kindesunterhalt erhoben worden. Während dieses Verfahrens
habe es immer wieder Vergleichsbemühungen gegeben. So sei im Dezember 2000 ein außergerichtlicher vorläufiger Vergleich geschlossen
worden. Danach habe er aufgrund seines zwischenzeitlich erhöhten Einkommens ab dem 1. Januar 2000 einen monatlichen Unterhalt
von 1.700 DM zahlen sollen. Am xx. Dezember 2002 sei er dann aufgefordert worden, einen monatlichen Unterhalt von 948 Euro
(= 1.854 DM) zu zahlen. Dies sei geschehen, obwohl die Parteien mit notarieller Scheidungsfolgevereinbarung vom Oktober 2002
die Grundregeln des Kindesunterhaltes fixiert hätten. Während des gesamten Zeitraums habe er die ausdrücklich zugestandenen
Beträge bzw. die vergleichsweise vereinbarten Beträge gezahlt.
Weiter trägt der Kläger vor, dass mit Schreiben vom April 2003 die Gegenseite dann die ursprüngliche Kindesunterhaltsklage
wieder aufgerufen habe. Dies sei jedoch nur noch wegen der minderjährigen Tochter Ariane erfolgt. Mit der inzwischen volljährigen
Tochter Anne habe er sich auf einen Betrag geeinigt.
Das Amtsgericht L. habe ein Gutachten eingeholt, das 128 Seiten umfasst habe. Dieses sei dann Grundlage der Entscheidung des
Gerichts gewesen. Auch nach Vorlage des Gutachtens sei er wiederum bemüht gewesen, die Kosten zu minimieren und ein Teilanerkenntnis
abzugeben.
Aus dem gesamten Vorgang ergebe sich deshalb, dass die in Rede stehenden Kosten als zwangsläufig anzusehen seien. Er sei buchstäblich
mit gerichtlichen Schritten überzogen worden. Auch wäre ein Eingehen auf die Forderungen für ihn existenziell bedrohlich geworden.
Er verweist auf seine Einkommensverhältnisse im Jahr 2005 (Gesamtbetrag der Einkünfte von 85.554 Euro). Ferner habe er mit
seiner damaligen Ehefrau die Zahnarztpraxis betrieben und nach der Trennung seien bei ihm Schulden in Höhe von ca. 1,8 Mio.
DM verblieben. Durch die Vermietung der Wohnung habe er die Bankverbindlichkeiten nicht decken können. Jährlich habe er zusätzlich
40.000 DM aufbringen müssen. Eine weitere Zwischenfinanzierung mit neuen Kreditbedingungen sei bei seiner Schuldenlast nicht
möglich gewesen. Seine Situation wäre durch den Verkauf der ebenfalls belasteten Wohnungen nicht besser geworden. Bei der
Frage des Unterhaltes habe sein Realeinkommen bei ca. 2.500 Euro gelegen, sodass er der Gegenseite nicht habe nachkommen können.
Wäre er den Forderungen nachgekommen, hätte dies die Privatinsolvenz zur Folge gehabt. Dies belege im Übrigen auch das Gutachten
des Steuerberaters vom Juni 2004. Es könne daher nicht allein an seine Einkünfte im Steuerbescheid angeknüpft werden. Denn
diese hätten ihm real nicht zur Verfügung gestanden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über Einkommensteuer 2005 vom April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom August 2008 dahingehend zu
ändern, dass die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen von 5.119 Euro abzüglich der zumutbaren Eigenbelastung bei
der Einkommenbesteuerung angesetzt werden.
Der Beklage beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und macht darüber hinausgehend im Wesentlichen geltend, dass nach der Rechtsprechung
des BFH (III R 36/03 und III R 27/04) Scheidungsfolgesachen, wozu auch die Regelung des Kindesunterhalt gehöre, nicht als
außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb der Kläger bei einem Gesamtbetrag
der Einkünfte von 85.554 Euro nicht in der Lage gewesen sein soll, einen monatlichen Unterhalt von 948 Euro zu leisten und
seine lebensnotwendigen Bedürfnisse befriedigen zu können. Auch wenn er keine weiteren Bedingungen für seine Kredite hätte
aushandeln können, hätte er jedenfalls seine Wohnungen veräußern können. Die Kosten für den Rechtsstreit wegen des Kindesunterhalts
seien daher nicht zwangsläufig entstanden.
Das Gericht hat die Akten des Amtsgerichts L, Aktenzeichen xxx, beigezogen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung;
auf sie und auf die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Zu Unrecht hat der Beklagte die vom
Kläger geltend gemachten Prozesskosten nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird
auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).
Bei den Kosten eines Zivilprozesses spricht nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des BFH, worauf der Beklagte zutreffend
hinweist, eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (BFH-Urteile vom 9. Mai 1996 III R 224/94, Bundessteuerblatt – BStBl –
Teil II 1996, 596, mit weiteren Nachweisen; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R
24/03, BStBl II 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2009, 553).
Derartige Kosten wurden danach nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch
adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig erwachsen ist. Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen
bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile vom 18. März 2004 III R 24/03, a.a. O.; und vom 27. August 2008 III R 50/06, a. a. O.).
Es sei in der Regel der freien Entscheidung der (Vertrags) Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines
zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzten (vgl. BFH-Urteile 9. Mai 1996 III R 224/94, a. a. O.; vom
28. März 2004 III R 24/03, a. a. O.; und vom 27. August 2008 III R 50/06, a. a. O.). Lasse sich der Steuerpflichtige trotz
ungewissen Ausgangs auf einen Prozess ein, liege die Ursache für die Prozesskosten in seiner Entscheidung, das Prozesskostenrisiko
in der Hoffnung auf ein für ihn günstiges Ergebnis in Kauf zu nehmen; es entspräche nicht Sinn und Zweck des § 33 EStG, ihm
die Kostenlast zu erleichtern, wenn sich das im eigenen Interesse bewusst in Kauf genomme ne Risiko realisiert habe (BFH-Urteile
4. Dezember 2004 III R 24/03, a. a. O.; und vom 27. August 2008 III R 50/06 a. a. O.). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte
die Rechtsprechung Zivilprozesskosten bisher nur an, wenn der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich
menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren
und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer
Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile vom 9. Mai 1996 III R 224/94, a. a. O.; und vom
27. August 2008 III R 50/06 a. a. O).
An dieser Rechtsauffassung hält der BFH in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFH/NV 2011, 1426) nicht mehr
fest. Denn die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko „freiwillig”, verkenne, dass streitige Ansprüche
wegen des staatlichen Gewaltmonopols, das der Verwirklichung des inneren Friedens diene (Josef Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat,
in: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rz 76; Roman Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit,
in: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 72 Rz 38; Bardo Fassbender, Wissen als Grundlage staatlichen Handelns,
in: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 76 Rz 26), regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren
seien. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) allgemein niedergelegt ist und
für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (Helmuth Schulze-Fielitz,
in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Art. 19 IV Rz 35). Es ist ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit,
die eigenmächtiggewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien werden zur gewaltfreien
Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten der Staatsbürger (Roman Herzog, a.a.O., § 72 Rz 26) vielmehr auf
den Weg vor die Gerichte verwiesen (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1980 1 PBvU 1/79, amtliche Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts – BVerfGE – 54, 277 <292>; vom 13. März 1990 2 BvR 94 u.a./88, BVerfGE 81, 347 <356>).
Zivilprozesskosten erwachsen Kläger wie Beklagtem deshalb unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen
Gründen zwangsläufig (BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, a. a. O.; vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG
Rz 117; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz C 57).
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung ist für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit
des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen.
Denn der Steuerpflichtige muss, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten.
Dieser Unausweichlichkeit steht nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende
Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung) belastet ist. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger
Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, wird der Lebenswirklichkeit nicht
gerecht. Vorherzusagen wie ein Gericht entscheiden wird, ist „riskant” (Tipke, Steuer und Wirtschaft 2008, 377 <380>).
Denn nur selten findet sich der zu entscheidende Sachverhalt so deutlich im Gesetz wieder, dass der Richter seine Entscheidung
mit arithmetischer Gewissheit aus dem Gesetzestext ablesen kann. Nicht zuletzt deshalb bietet die Rechtsordnung ihren Bürgern
ein sorgfältig ausgebautes und mehrstufiges Gerichtssystem an (BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, a. a. O).
Als außergewöhnliche Belastungen sind Zivilprozesskosten jedoch nur zu berücksichtigen, we nn sich der Steuerpflichtige nicht
mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Er muss diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für
und Wider – auch des Kostenrisikos – eingegangen sein (vgl. Stöcker in Lademann, EStG, § 33 EStG Rz 495). Demgemäß sind Zivilprozesskosten
des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht
eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, a. a.
O.; Kanzler, a.a.O.; Arndt, a.a.O.).
Schließlich steht dem Abzug von Zivilprozesskosten nach § 33 EStG auch nicht Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Die steuerliche
Entlastung derartiger Aufwendungen dient nicht dazu, dem Steuerpflichtigen die „Kostenlast zu erleichtern, wenn sich das im
eigenen Interesse bewusst in Kauf genommene Risiko zu seinem Nachteil realisiert hat”, sondern sucht der verminderten subjektiven
Leistungsfähigkeit des Betroffenen Rechnung zu tragen (Kanzler, a.a.O., § 33 EStG Rz 9; Arndt, a.a.O., § 33 Rz A 8). Demgemäß
sind Aufwendungen außergewöhnlich, we nn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des
Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten
sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen (z. B. BFH-Urteile vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, Sammlung
der Entscheidungen des BFH – BFHE – 231, 158, und vom 15. April 2010 VI R 51/09, BStBl II 2010, 794, mit weiteren Nachweisen).
Zu den üblichen Kosten der Lebensführung, zu denen sozialhilferechtlicher Regelbedarf nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (BGBl I 2011, 453) und der Versorgungsbedarf für den Krankheits- und
Pflegefall zählen (vgl. den für das Streitjahr maßgebenden Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und
Kindern für das Jahr 2005 <Fünfter Existenzminimumbericht>, BTDrucks 15/2462), gehören Zivilprozesskosten jedoch nicht
(vgl. BFH. Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, a. a. O.).
Der Senat schließt sich der geänderten Rechtsprechung des BFH an. Unter Berücksichtigung dieser neuen Rechtsprechung des BFH
sind die hier geltend gemachten Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Sie waren zwangsläufig
im Sinne von § 33 EStG. Im Rahmen der zu treffenden summarischen Prüfung bot nach Auffassung des Senats die Rechtsverteidigung
des Klägers eine hinreichende Aussicht auf Erfolg und war nicht mutwillig. Der Erfolg der Rechtsverteidigung des Klägers war
ebenso wahrscheinlich wie ein Misserfolg. In dem Verfahren war unter anderem die schwierige tatsächliche Frage zu klären,
in welchem Umfang dem Kläger unterhaltrechtlich relevantes Einkommen im Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2002
zur Verfügung gestanden hat. Zur Klärung dieser Frage bedurfte es letztlich eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachtens.
Die Rechtsverteidigung des Klägers erscheint daher nicht als mutwillig geführt. Die geltend gemachten Prozesskosten stellen
daher außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 EStG dar.
Der Kläger hat ausweislich der in der Einkommensteuerakte vorliegenden Nachweise im Veranlagungszeitraum 2005 die hier streitigen
Prozesskosten von 5.119 Euro getragen. Diese sind im Streitjahr nach § 11 EStG unter Berücksichtigung der zumutbaren Eigenbelastung
nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG anzusetzen (§ 2 Abs. 4 EStG). Dem Beklagten wird aufgegeben, die entsprechende Steuer zu berechnen
100 Abs. 2 Satz 2 FGO), das Ergebnis dem Kläger mitzuteilen und den Bescheid mit geänderten Inhalt nach Rechtskraft des
Urteils bekannt zugeben (§ 100 As. 2 Satz 3 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) sieht der Senat keinen
Grund.

VorschriftenEStG § 33 Abs. 1, EStG § 33 Abs. 2