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28.06.2013 · IWW-Abrufnummer 140141

Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 22.03.2013 – 6 K 69/11

Die rückwirkend angeordnete Besteuerung von Erstattungszinsen
als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs.
1 Nr. 7 Satz 3 EStG verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.


Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die dem Kläger
in 2004 zugeflossenen Erstattungszinsen die Einnahmen aus Kapitalvermögen
erhöhen und damit der Einkommensteuer unterliegen.
Der Kläger war bis 31.12.1999 mit einer Unterbeteiligung
an einem Kommanditanteil an der Firma A ... (Fa) beteiligt. Bei
einer von dem Finanzamt B-1 durchgeführten Betriebsprüfung
wurden für die Jahre 1996 und 1997 höhere Gewinne
ermittelt und dem Kläger zugerechnet. Mit Einkommensteuerbescheiden
für 1996 und 1997, jeweils vom 04.11.2004, wurde die Einkommensteuer für
diese Jahre höher festgesetzt; zugleich wurden Nachzahlungszinsen
um insgesamt 4.912 € (3.120 € für 1996
und 1.792 € für 1997) höher festgesetzt
und zum 08.12.2004 fällig gestellt (Anlagen K1 und K2 zum
Schriftsatz vom 07.03.2007).
Für die Jahre 1998 bis 2002 wurde die Einkommensteuer
mit Bescheiden vom 04. und 08.11.2004 herabgesetzt; zugleich wurden
Erstattungszinsen um insgesamt 11.649 € (825 € für
1998, 1.033 € für 1999, 4.573 € für
2000, 4.005 € für 2001 und 1.213 € für
2002) höher festgesetzt.
Der Beklagte erhöhte im Einkommensteuerbescheid 2004
vom 20.06.2006 die erklärten Einnahmen aus Kapitalvermögen
um in 2004 erstattete Zinsen von 11.319 € (S. 3 des Einkommensteuerbescheides
- Anlage zur Klagschrift vom 08.02.2008) gem. § 20 Abs.
1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG). Die vom Kläger entrichteten
Nachzahlungszinsen von 4.912 €, die am 04.01.2005 bei dem
Beklagten eingegangen sind, wurden steuerlich nicht berücksichtigt.
Der Gesamtbetrag der Einkünfte wurde in Höhe von
20.485 € ermittelt, und die Einkommensteuer 2004 wurde
nach Berücksichtigung eines entsprechenden Verlustvortrags
auf 0 € festgesetzt. Mit gleichem Datum erging ein Bescheid über die
gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer
zum 31.12.2004; der verbleibende Verlustvortrag wurde um den für 2004
in Abzug gebrachten Verlust von 20.485 € niedriger berücksichtigt
und zum 31.12.2004 auf 30.852 € festgestellt.
Gegen den Einkommensteuer-Bescheid 2004 legte der Kläger
am 26.07.2006 Einspruch ein und wies darauf hin, dass die für
frühere Jahre in 2004 fällig gestellten und in
2005 gezahlten Nachzahlungszinsen nicht berücksichtigt
worden seien. Der Kläger beantragte zunächst,
die als Einkünfte aus Kapitalvermögen angesetzten
Erstattungszinsen in 2004 um die in 2005 gezahlten Nachzahlungszinsen
zu mindern.
Der Beklagte wertete diesen Rechtsbehelf als Einspruch gegen
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2004 vom 20.06.2006
und wies ihn mit Einspruchsentscheidung vom 09.01.2008 als unbegründet
zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt,
dass Erstattungszinsen als Entgelt für die - wenn auch
nicht freiwillige - Überlassung des Kapitalvermögens
gewährt würden und sie damit einen Ertrag aus
dem Steuererstattungsanspruch darstellten. Dem gegenüber
seien Nachzahlungszinsen aus Steuernachforderungen als privat veranlasste
Schuldzinsen gem. § 12 Nr. 3 EStG einkommensteuerrechtlich
unerheblich. Die für die Veranlagungszeiträume
1990 bis 1998 geltende Rechtslage (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG),
wonach diese als Sonderausgaben abgezogen werden konnten, habe sich
ab 1999 geändert.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 08.02.2008,
beim Finanzgericht eingegangen am 11.02.2008, Klage, nunmehr mit
dem Ziel der Nichtberücksichtigung der Erstattungszinsen
bei den Einkünften aus Kapitalvermögen für
2004.
Mit Beschluss vom 09.10.2008 des Finanzgerichts Hamburg wurde
das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs
zum Az. VIII R 33/07 angeordnet. Das Urteil des Bundesfinanzhofs
erging am 15.06.2010. Nach dieser Entscheidung unterliegen Zinsen
im Sinne von § 233a Abgabenordnung (AO), die das Finanzamt
an den Steuerpflichtigen zahlt, beim Empfänger nicht der
Besteuerung, soweit sie auf Steuern entfallen, die gem. § 12
Nr. 3 EStG nicht abziehbar sind.
Mit dem Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 08.12.2010 wurde § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG um den Satz 3 ergänzt, wonach Erstattungszinsen
im Sinne des § 233a AO Erträge im Sinne des Satzes
1 sind. Diese Regelung ist gem. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG
in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig
festgesetzt war.
Der Kläger führt zur Begründung seiner
Klage aus, dass der Umstand, dass Nachzahlungszinsen steuerlich
irrelevant seien, während Erstattungszinsen steuerpflichtig
seien, zu einer Disparität in dem steuerrechtlichen Verhältnis
der Vollverzinsung führe. Nach § 233a AO bestehe
eine Kongruenz zwischen den wechselseitigen Verpflichtungen von
Finanzamt und Steuerpflichtigem, die von dem Gedanken getragen würden,
dass gegenseitige Liquiditätsvorteile abgeschöpft
werden sollten. Dies gelte wechselseitig, wie schon der identische Zinssatz
in beide Richtungen zeige. Diese vom Grundsatz der Wechselseitigkeit
geprägte Regelung werde überlagert durch § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG, der einseitig nur die Erstattungszinsen zum steuerpflichtigen
Einkommen mache. Bei dem Steuerpflichtigen wirkten sich Nachzahlungs-
und Erstattungszinsen, solange und soweit sie sich aufrechenbar
gegenüber ständen, nicht aus. Er habe dadurch
keinen Liquiditätsvorteil. In dem Zeitraum, in dem sich
die Erstattung eines Veranlagungszeitraumes und die Nachzahlung
eines anderen Zeitraumes gegenüber stünden, seien
die Nachzahlungszinsen Werbungskosten hinsichtlich der Erstattungszinsen.
Andernfalls komme es zu einer Besteuerung fiktiven Einkommens, die
von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht erfasst werde; zudem stelle sich
hier die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer
solchen Regelung.
Wäre das Verfahren unmittelbar nach Verkündung
des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 15.06.2010 wiederaufgenommen
worden, hätte es vermutlich vor Erlass des Jahressteuergesetzes
2010 im Sinne des Klägers rechtskräftig abgeschlossen
werden können. Die Regelung des Jahressteuergesetzes 2010 hätte
den Kläger dann nicht mehr getroffen. Schon daraus werde
deutlich, dass mit der getroffenen Rückwirkungsregelung
rein willkürliche oder zufällige Ergebnisse erzielt
würden, die dem Prinzip der Gleichheit der Besteuerung widersprechen
würden. Der Ansicht des Finanzgerichts Münster
im Urteil vom 16.12.2010 (Az: 5 K 3626 E), die Rückwirkung
sei verfassungsgemäß, weil sie eine Rechtslage
herstelle, die gefestigter Rechtsprechung entspreche, könne nicht
gefolgt werden. Nach der geänderten Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs fehle es an einer Grundlage für die Heranziehung
dieser Zinsen zur Einkommensteuer. Diese fehlende Rechtsgrundlage
könne auch nicht rückwirkend durch ein Gesetz
geschaffen werden. Im Jahressteuergesetz 2010 liege insoweit ein
Verstoß gegen die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
und gegen das Nettoprinzip vor. Die Reaktion des Gesetzgebers auf
ein ihm missliebiges Urteil stelle einen so gravierenden Eingriff
in die Gewaltenteilung dar, dass die Regelung bereits verfassungsfeindliche
Qualität bekomme. Die Gewaltenteilung gehöre jedoch
zu dem von der Ewigkeitsklausel des Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz
(GG) umfassten Kernbereich der Grundsätze unseres Gemeinwesens.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid zum 31.12.2004 über
die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer
vom 20.06.2006 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2008
dahingehend zu ändern, dass als Verlustabzug im Jahr 2004
ein Betrag von 9.166 € (bisher von 20.485 €) berücksichtigt
wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält die Klage für unbegründet.
Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der
streitigen Einspruchsentscheidung und verweist im Übrigen
auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20.03.2007 -
Az. 14 K 2373/04. Er, der Beklagte, teile die verfassungsgemäßen
Bedenken des Klägers gegen das Jahressteuergesetz 2010
nicht und verweise ferner auf das Urteil des Finanzgerichts Münster
vom 16.12.2010 (Az. 5 K 3626/03, EFG 2011, 649).
Für den weiteren Sachverhalt wird auf den Inhalt der
Protokolle vom 14.02.2013 (Erörterungstermin) und vom 22.03.2013
(mündliche Verhandlung) verwiesen.
Dem Senat haben Einkommensteuerakten 2004 und die Rechtsbehelfsakte
zur St. Nr. .../.../... vorgelegen.
Gründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene
Feststellungsbescheid vom 20.06.2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung
vom 09.01.2008 ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung
- FGO -).
1. Zwar hat der Kläger
in seinem Schreiben vom 26.07.2006 den Einkommensteuerbescheid vom
20.06.2006 genannt, gegen den der Einspruch gerichtet war; dennoch
durfte der Beklagte diesen Einspruch als solchen gegen den Bescheid
zum 31.12.2004 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags zur Einkommensteuer auslegen, weil aus den Einwendungen
des Klägers hervorging, dass diese sich gegen den Feststellungsbescheid
gleichen Datums richteten.
Auch außerprozessuale Rechtsbehelfe sind unter Beachtung
des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven
Rechtsschutzes auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien
Erklärung fehlt. Dies gilt grundsätzlich auch
für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl.
BFH-Urteil vom 31.10.2000 VIII R 47/98, BFH/NV
2001, 589). Ein Einspruch, der sich gegen einen auf 0 € lautenden
Einkommensteuerbescheid richtet, kann entgegen seinem Wortlaut auch
als Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung
des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs.
4 EStG verstanden werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 06.07.2005
XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029 und vom 19.07.2005
XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68). Dies ist der Unübersichtlichkeit
und Komplexität der verfahrensrechtlichen Lage hinsichtlich
des Verhältnisses zwischen dem Einkommensteuerbescheid
einerseits und dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs andererseits geschuldet (vgl. BFH-Beschluss
vom 24.08.2006 XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035).
Bei den Einwendungen des Klägers zur Nichtberücksichtigung
der Nachzahlungszinsen für 2004 handelt es sich um solche,
die nur gegen den Verlustfeststellungsbescheid geltend gemacht werden
konnten. Die entsprechende Wertung des Beklagten hat deshalb dem
tatsächlichen Willen des Klägers entsprochen,
so dass die unrichtige Bezeichnung „Einspruch gegen den
Einkommensteuerbescheid” insoweit unschädlich
war.
2. Der Beklagte hat die dem Kläger
in 2004 zugeflossenen Erstattungszinsen zu Recht als Einnahmen bei
den Einkünften aus Kapitalvermögen behandelt.
Erstattungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) stellen
gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG)
in der durch Artikel 1 Nr. 16 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa) JStG
2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, S. 1768) geänderten Fassung
Erträge aus Kapitalforderungen im Sinne von § 20
Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG dar. Diese Gesetzesänderung ist
in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht
bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52a Abs. 8
Satz 2 EStG in der durch Artikel 1 Nr. 39 Buchstabe a JStG 2010
geänderten Fassung). Sie ist am Tage nach der Verkündung
des JStG 2010, also am 14.12.2010, in Kraft getreten (§ 32
Abs. 1 JStG 2010).
3. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung
und auch im Schrifttum wird die Frage, ob zugeflossene Erstattungszinsen
nach § 233a AO, als Einnahmen bei den Einkünften
aus Kapitalvermögen gemäß § 20
Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes
2010 zu berücksichtigen sind, kontrovers diskutiert. Die
zu dieser Problematik beim BFH anhängigen Revisionsverfahren
(Az: VIII R 1/11, Vorinstanz FG Münster, Urteil
vom 16.12.2010 - 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649; VIII R 36/10,
Vorinstanz Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2010 - 10
K 2720/09, EFG 2010, 723; VIII R 26/12, Vorinstanz
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.05.2012 - 3 K 1954/11,
EFG 2012 1656; VIII R 28/12, Vorinstanz FG Münster,
Urteil vom 10.05.2012 - 2 K 1947/00 E, EFG 2012, 1750;
VIII R 29/12 Vorinstanz FG Münster Urteil vom
10.05.2012 - 2 K 1950/00 E, BB 2012, 1890) sind noch offen.
Allerdings hat der BFH in zwei Beschwerdeverfahren ernstliche Zweifel
an der Erfassung von Erstattungszinsen im Sinne von § 233a
AO nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der Fassung des
Jahressteuergesetzes des Jahres 2010 bejaht (BFH-Beschluss vom 22.12.2011
- VIII B 146/11, BFH/NV 2012, 575 und vom 09.01.2012
- VIII B 95/11, BFH/NV 2012, 575) ohne eine tiefere
inhaltliche, dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Auseinandersetzung.
Gegen die Neufassung des Gesetzes werden sowohl einfach-rechtliche
als auch verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere wegen eines
möglichen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot,
erhoben (vgl. die Darstellung der kontroversen Meinungen im Urteil
des FG Rheinland-Pfalz vom 29.05.2012 - 3 K 1954/11, beim
BFH anhängig unter dem Az. VIII R 26/12).
Der Senat schließt sich der Auffassung des FG Münster
im Urteil vom 16.12.2010 (Az: 5 K 3626/03 E, EFG 2011,
649) an, wonach der Gesetzgeber lediglich die alte Gesetzeslage
wieder hergestellt hat, sodass kein Vertrauensschutz des Klägers
in eine von der Rechtsprechung und der ihr folgenden Rechtspraxis
abweichenden Rechtslage besteht. Der Senat folgt auch der Ansicht
des Schleswig-Holsteinischen FG (Beschluss vom 01.06.2011 - 2 V
35/11 -, EFG 2011, 1687) sowie des FG Rheinland-Pfalz (Urteil
vom 19.05.2012 3 K 1954/11, beim BFH anhängig
unter VIII R 26/12), wonach der im JStG 2010 neu geschaffenen
Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ein Anwendungsvorrang
vor § 12 Nr. 3 EStG eingeräumt wird. Dieser Vorrang
ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte und dem erklärten
Zweck des § 233a AO (BT-Drs 17/3579, S. 17). Danach
sollten nach dem Willen des Gesetzgebers Erstattungszinsen im Sinne
von § 233a AO bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
erfasst werden, um eine Ungleichbehandlung mit demjenigen zu vermeiden,
der seine vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a AO erhaltene
Einkommensteuerrückerstattung zinsbringend bei seiner Bank
anlegt. Diese bereits bei Schaffung des § 233a AO zum Ausdruck
gekommene Absicht sollte nach Ergehen des Urteils des BFH vom 15.06.2010
klarstellend gesetzlich geregelt werden. Dieser Zweck ist jedoch
nur bei Einräumung eines Vorrangs vor § 12 Abs.
3 EStG erreichbar. Da der Gesetzgeber der Ansicht war, die Steuerbarkeit
der Erstattungszinsen sei auch sachlich zutreffend (BT-Drs 17/3549,
S. 17), kann in der Neuregelung nur eine Ausnahmeregelung zu § 12
Nr. 3 EStG gesehen werden. Dem ausdrücklichen Willen des
Gesetzgebers kommt insoweit entscheidende Bedeutung zu (vgl. auch
Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 01.06.2011 - 2 V 35/11
-, EFG 2011, 1687). Nach all dem sind die Erstattungszinsen als
Einnahmen aus Kapitalvermögen zu erfassen.
4. Die gesetzlichen Neuregelungen von §§ 20
Abs. 1 Nr. 7 Satz 3, 52a Abs. 8 Satz 2 EStG verstoßen nicht
gegen Verfassungsrecht, insbesondere liegt kein Verstoß gegen
das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot
vor.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(vgl. BVerfG-Beschluss vom 14.05.1986 2 BvL 2/83, BB 1986,
1421 und Beschluss vom 22.03.1983 2 BvR 475/78, BVerfGE
63, 343, 353) entfaltet eine Rechtsnorm Rückwirkung, wenn
der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen
Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die
Norm rechtlich existent, d. h. gültig geworden ist. Der
zeitliche Anwendungsbereich einer Norm betrifft allein die zeitliche Zuordnung
der normativ angeordneten Rechtsfolgen im Hinblick auf den Zeitpunkt
der Verkündung der Norm. Entscheidend ist dabei, ob diese Rechtsfolgen
für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung
der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen (echte Rückwirkung)
oder ob dies erst für einen nach oder mit Verkündung
beginnenden Zeitraum geschehen soll.
Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Zulässigkeit
einer Rechtsänderung, die an Sachverhalte der Vergangenheit
anknüpft und zugleich Rechtsfolgen in die Vergangenheit
erstreckt, ist vorrangig das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20
Abs. 3 GG. Dieses zieht den Befugnissen des Gesetzgebers, den Eintritt
nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des
Gesetzes zu erstrecken, enge Grenzen. So hat das BVerfG in seiner
Entscheidung vom 14.05.1986 (a. a. O.) ausgeführt, dass
aus dem in Artikel 103 Abs. 2 GG aufgestellten Rückwirkungsverbot
für materielle Strafrechtsnormen nicht gefolgert werden
dürfe, dass Rückwirkungen im Übrigen
verfassungsrechtlich unbedenklich seien, denn die Verlässlichkeit
der Rechtsordnung sei eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen.
Allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht
- oder nicht mehr - vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen
des Einzelnen könne eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen
Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers rechtfertigen oder gar erfordern (BVerfGE 72, 200,
258).
Eine Änderung mit Rückwirkung ist darüber
hinaus auch dann zulässig, wenn das geltende Recht, das
durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde,
unklar oder verworren war. Demzufolge ist es dem Gesetzgeber unter
dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage
rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung
einer gefestigten Rechtsprechung und einer einheitlichen Rechtspraxis
entsprach (BVerfGE 81, 228, Beschluss vom 23.01.1990 1 BvL 4, 5,
6 und 7/87 und vom 15.10.2008 1 BvR 1138, 06, BFH/NV
2009, 110). Danach widerspricht es weder dem Gewaltenteilungsgrundsatz
noch dem Rechtsstaatsprinzip, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert,
die auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein muss,
deren Ergebnis er jedoch nicht für sachgerecht hält
(BVerfG Beschluss vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06 a. a. O.).
5. Bei der Gesetzesänderung des § 20
Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 und § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG im JStG
2010 handelt es sich um eine echte Rückwirkung, denn diese Änderung
ist auf alle noch offenen und damit auch - wie im Fall des Klägers
- auf bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume anwendbar. Der
Senat hält diese Rückwirkung jedoch ausnahmsweise
für zulässig, weil der Gesetzgeber dadurch lediglich
eine Gesetzeslage geschaffen hat, die vor der Rechtsprechungsänderung
des BFH im Urteil vom 15.06.2010 (a. a. O.) einer gefestigten Rechtsprechung
und Rechtspraxis entsprochen hat.
Nach dieser geänderten Rechtsprechung stellen Erstattungszinsen
nach der zu diesem Zeitpunkt gültigen Rechtslage gem. § 233a
AO keine Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne
von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar, soweit sie auf Einkommensteuererstattungen
entfielen. Aus dem Abzugsverbot für die Einkommensteuer
und die darauf entfallenden Nebenleistungen des § 12 Nr. 3
EStG ergebe sich eine gesetzgeberische Zuweisung zum nicht steuerbaren Bereich,
die auch auf die Erstattungszinsen ausstrahle (so auch FG Münster, Urteil
vom 10.05.2012, Az: 2 K 1947/00 E - juris). Mit dieser
Entscheidung gab der BFH seine bisherige ständige Rechtsprechung
auf, nach der Erstattungszinsen nach § 233a AO Einkünfte
aus Kapitalvermögen darstellten (vgl. BFH-Urteile vom 08.11.2005
VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527; vom 08.04.1986
VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557; vom 18.02.1975
VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; sowie Beschluss
vom 14.04.1992 VIII R 114/91, BFH/NV 1993, 165).
6. Die unterschiedliche Behandlung von nichtabziehbaren
Nachzahlungszinsen sowie steuerpflichtigen Erstattungszinsen verstößt
auch nicht gegen das aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
abzuleitenden Folgerichtigkeitsgebot. Erstattungs- und Nachzahlungszinsen
nach § 233a AO oder § 237 AO betreffen weder die
Rückabwicklung des nämlichen Zahlungsvorgangs
noch wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte. Demgemäß besteht
auch kein tragfähiger Grund dafür, aus dem Folgerichtigkeitsgrundsatz
ein Gebot der symmetrischen Behandlung des Inhalts abzuleiten, dass
die Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen einem Verbot der Besteuerung
von Erstattungszinsen entsprechen müsse (vgl. BFH-Beschluss
vom 15.02.2012 I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012,
697).
II.
Das Verfahren war nicht nach § 155 FGO i. V. m. § 251
Zivilprozessordnung (ZPO) zum Ruhen zu bringen oder nach § 74
FGO auszusetzen.
Eine Verfahrensruhe schied aus, weil der Kläger einem
Ruhen des Verfahrens nicht mehr zugestimmt hat.
Die Voraussetzungen des § 74 FGO lagen ebenfalls nicht
vor. Ein beim BFH anhängiger Rechtsstreit, der eine vergleichbare
Rechtslage wie im Streitfall betrifft, stellt keinen Aussetzungsgrund
nach § 74 FGO dar. Da der Senat, wie oben ausgeführt,
die hier anzuwendenden Vorschriften (§ 20 Abs. 1 Nr. 7
Satz 3 EStG i. V. m. § 52a Abs. 8 Satz 3 EStG) nicht für
verfassungswidrig hält, kam auch eine Aussetzung des Verfahrens
zum Zwecke einer Einholung einer Entscheidung des BVerfG gem. Artikel
100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung zuzulassen. Zudem sind zu der hier streitigen Rechtsfrage
zahlreiche Verfahren beim BFH, wie oben ausgeführt, anhängig.

VorschriftenGG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 3, EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3, EStG § 52 a Abs. 8 S. 2, EStG § 12 Nr. 3, AO § 233 a