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08.09.2010 · IWW-Abrufnummer 102826

Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 17.06.2010 – 4 K 154/07

1. Erhält der Versicherungsvertreter vom Versicherungsunternehmen die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Lebensversicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags, so hat er für die Verpflichtung zu künftiger Vertragsbetreuung eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden.



2. Soweit der Versicherungsvertreter außer den Abschlussprovisionen gesonderte und laufende Provisionen für die Pflege des Bestandes an Versicherungsverträgen erhält, ist er im Hinblick auf die Nachbetreuung nicht zur Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes berechtigt.



3. Die im Agenturvertrag mit dem Versicherer ansonsten nicht näher präzisierte, bei Nichtbeachtung auch nicht mit Sanktionen verknüpfte Pflicht, „sich für die Betreuung und Erhaltung des Bestandes einzusetzen”, stellt keinen Teil der Gegenleistung für die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche auf Abschlussprovision dar, sondern eine nicht zur Rückstellungsbildung berechtigende Obliegenheit des Versicherungsvertreters im eigenen Interesse, wenn es an einer darüber hinausgehenden ausreichenden, für eine Rückstellungsbildung erforderlichen Verpflichtung des Vertreters gegenüber einem Dritten fehlt und ein entsprechender Rechtsbindungswille nach den gesamten Umständes des Einzelfalls nicht feststellbar ist.



4. Mehrere Jahre nach dem Streitjahr im Rahmen eines anderen, mit dem klagenden Versicherungsunternehmen nicht vergleichbaren Versicherungsunternehmen geführte, zudem oft unklare Aufzeichnungen zum Nachbetreuungsaufwand in diesem späteren Jahr sind zum Nachweis der Voraussetzungen für die Rückstellungsbildung im Streitjahr nicht geeignet.


Sächsisches FG v. 17.06.2010

4 K 154/07
Tatbestand
Die Klägerin vermittelt im Rahmen ihrer Tätigkeit u. a. Lebensversicherungsverträge. Sie begehrt im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung 2004 und des Gewerbesteuermessbetrages 2004 die Berücksichtigung einer Rückstellung in Höhe von 175.000 EUR für die Betreuung der abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge.

Die Klägerin – eine im Streitjahr aus den Gesellschaftern S. und H. bestehende GbR – betreibt als Bezirkstellenleiterin eine Versicherungsagentur der S.versicherung. Sie ermittelt ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Nach dem „Vertreter – Vertrag” vom 17.03.1994 (dort Ziffer 3) mit der S. versicherung bestand die Aufgabe der Klägerin insbesondere in der Vermittlung neuer Versicherungen. Daneben sollte die Klägerin sich auch „für die Betreuung und Erhaltung des Bestandes einsetzen”. Zur „Abgeltung aller Tätigkeiten (Ziffer 3)” erhielt die Klägerin „Provisionen nach den jeweils gültigen Provisionsbestimmungen”. Auf den „Vertreter – Vertrag” vom 17.03.1994 (Blatt 13 ff. der Gerichtsakte), die „Allgemeinen Provisionsbestimmungen für die Vermittlung von Lebens-, Schaden- und Krankenversicherungen” (gültig ab 01.01.2004, Blatt 60 ff. der Gerichtsakte), die Provisionstabelle (Blatt 65 der Gerichtsakte) und die „Vergütungsregelung für Produkte der Vertriebsoffensive Lebensversicherung …” (Blatt 69 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.

Am 11.04.2006 reichte die Klägerin ihre Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung und ihre Gewerbesteuererklärung für den Besteuerungszeitraum 2004 ein und machte im Jahresabschluss zum 31.12.2004 eine Rückstellung für die „Bestandsbetreuung LV-Verträge” in Höhe von 175.000 EUR gewinnmindernd geltend (Bilanzakte, Trennblatt 2004, Blatt 8). Mit Schreiben vom 23.05.2006 (Feststellungsakte, Trennblatt 2004, Blatt 5) kündigte der Beklagte gegenüber der Klägerinvertreterin an, dass beabsichtigt sei, diese Rückstellung nicht anzuerkennen. Mit den Bescheiden vom 13.07.2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2004 und den Gewerbesteuermessbetrag 2004 (Rechtsbehelfsakte, Trennblatt „Ausdruck …Bescheide”, Blatt 1 ff.) blieb die vorgenannte Rückstellung unberücksichtigt. Hiergegen legte die Klägerinvertreterin Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren führte die Klägerinvertreterin im Schreiben vom 08.08.2006 (Blatt 25 f. der Rechtsbehelfsakte) aus, dass per 31.12.2004 insgesamt 7.000 Lebensversicherungsverträge von den vier Vollzeitkräften der Klägerin betreut worden seien und dass sich bei einer notwendigen Betreuungszeit von 2 Stunden je Vertrag und einem Kostenansatz von 12,44 EUR/Stunde insgesamt ein Betreuungsaufwand von rd. 175.000 EUR ergebe. Auf die Ermittlung der „Rückstellung Bestandsbetreuung” (Blatt 26 der Rechtsbehelfsakte), ausweislich der der Betreuungsaufwand je nach Art des Lebensversicherungsvertrages differierte – „hoher jährlich wiederkehrender Aufwand bei LV-Verträgen mit Dynamik (diff. Aufstellung der Verträge liegt nicht vor)” – wird Bezug genommen. Mit der Entscheidung vom 19.12.2006 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.

Ausweislich des Jahresabschlusses 2004 (Bilanzakten, Trennblatt 2004, Blatt 5) betrugen die Löhne und Gehälter 87.302 EUR. Im Jahresabschluss 2006 (Bilanzakten, Trennblatt 2004, Blatt 26) – die Klägerin wurde zum 01.01.2007 durch Ausscheiden der Gesellschafterin H. beendet – wurden Löhne und Gehälter in Höhe von 156.558 EUR ausgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 10.06.2010 (Blatt 80 der Gerichtsakte) reichte die Klägerinvertreterin eine Bescheinigung der S.versicherung vom 09.06.2010 ein, ausweislich der die Klägerin im Lebensversicherungsbereich Provisionen von insgesamt 141.275 EUR erwirtschaftete, es sich hierbei ausschließlich um Abschlussprovisionen gehandelt habe und zum 31.12.2004 die Klägerin 9.285 Lebensversicherungen (davon 1.159 dynamische Lebensversicherungen) im Bestand zu betreuen gehabt habe.

Die Klägerin trägt vor, dass entsprechend den vertraglich vereinbarten allgemeinen Provisionsbestimmungen für die Vermittlung von Lebens-, Schaden- und Krankenversicherungen der Provisionsanspruch mit Ausfertigung des Versicherungsscheines entstehe. Da die Provisionszahlungen einmalig bei Vertragsabschluss sowohl für die Vertragsvermittlung als auch für die anschließende Bestandsbetreuung erfolgten, liege zum Bilanzstichtag ein Erfüllungsrückstand vor. Deshalb sei dem Grunde nach eine Rückstellung für die nachfolgende Bestandspflege zu passivieren. Diese Passivierungspflicht habe der BFH mit Urteil vom 28.07.2004 XI R 63/03 bestätigt. Dementsprechend sei bei Erstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2004 von der Klägerin eine Rückstellung für Bestandspflege in Höhe von 175.000 EUR passiviert worden.

Die Höhe der Rückstellung sei durch „sachgerechte Schätzung” ermittelt worden. Separate Aufzeichnungen über die tatsächlich angefallenen Nachbetreuungsleistungen seien für das Streitjahr mangels eines Erfordernisses nicht geführt worden. Die Berechnung der Rückstellung sei auf Anfrage im Rahmen der Veranlagung an den Beklagten weitergeleitet worden. Bezüglich der Höhe der Rückstellung seien keine weiteren Unterlagen vom Finanzamt angefordert worden. Die Anerkennung der Rückstellung sei von der Finanzbehörde generell unter Verweis auf das zwischenzeitlich ergangene BMF-Schreiben vom 28.11.2006 versagt worden. Für Versicherungsvertreter stelle nach der Begründung des Finanzamtes der Nachbetreuungsaufwand keine wirtschaftlich wesentliche Belastung dar, so dass eine Rückstellungsbildung nicht gerechtfertigt sei.

Zwischenzeitlich seien die Mitarbeiter der Klägerin für Nachweiszwecke zur zeitnahen und separaten Aufzeichnung der Nachbetreuungsleistungen verpflichtet worden. Aus den bisher (für 2007) vorliegenden Zeitaufzeichnungen sei zu entnehmen, dass im Zusammenhang mit der Erhaltung und Pflege des Versicherungsbestandes eine Vielzahl von Tätigkeiten erbracht werde und der hierfür erforderliche Zeitaufwand nicht unbeachtlich sei. Auf die „Übersicht über Nachbetreuungsleistungen ab 01.01.2007” der Mitarbeiter der Klägerin für den Zeitraum 02.01.2007 bis 07.02.2007 (Blatt 24 der Gerichtsakte) und März 2007 (Blatt 34 der Gerichtsakte) werde Bezug genommen. Ausgehend von diesen Zeitaufzeichnungen ergebe sich, dass die im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2004 passivierte Rückstellung für Bestandspflege der Höhe nach durchaus begründet sei. Dies lasse sich aus der „Nachkalkulation” der passivierten Rückstellung für Bestandspflege (Blatt 25 der Gerichtsakte) entnehmen. Die Ansicht der Finanzverwaltung, dass die fälligen Versicherungsbeiträge regelmäßig per Lastschrift vom Versicherungsunternehmen eingezogen würden und weitere Betreuungsleistungen nur in Ausnahmefällen zu erwarten seien, widerspräche den Tatsachen. Der Nachbetreuungsaufwand stelle vorliegend „eine wesentliche wirtschaftliche Belastung dar”. Die sich ergebenden Nachbetreuungsaufwendungen in Höhe von 175.000 EUR entsprächen 58 % der zum 31.12.2004 ausgewiesenen Bilanzsumme von 301.531,75 EUR.

Die bisherige Gesellschafterin H. sei gemäß vorliegender Gewerbe-Abmeldung zum 31.12.2006 aus der Klägerin – der GbR S. und H. – ausgetreten. Die bislang von der Klägerin betreuten Kunden seien seither von Herrn S. betreut worden. Herr S. habe die Geschäftstätigkeit unverändert am gleichen Standort (Büro im Gebäude der Sparkasse in L.) und mit den gleichen Mitarbeitern fortgesetzt. Nach dem Austritt von Frau H. habe sich Herr S. mit einem neuen Geschäftspartner, Herrn S., zu einer neuen GbR zusammengeschlossen. Auch Herr S. sei in der Vergangenheit bereits als selbständiger Vertreter für die S.versicherung tätig gewesen. Nach dem Zusammenschluss habe Herr S. seine Geschäftstätigkeit ebenfalls unverändert fortgeführt (= Büro im Gebäude der Sparkasse, Straße; die Mitarbeiter von Herrn S. seien weiterhin dort tätig). Die Büros und die dort beschäftigten Mitarbeiter betreuten die Versicherungsverträge, die sie in der Vergangenheit geschlossen und seither betreut hätten. Zu einer Vermischung der Tätigkeitsbereiche sei es nach Gründung der neuen GbR S. / S. nicht gekommen. Die im Rahmen des Klageverfahrens erfassten Nachbetreuungszeiten beträfen ausschließlich den Zeitaufwand der Mitarbeiter von Herrn S. zur Betreuung des Bestandes der ehemaligen GbR S. /H..

Bei der in den Zeitaufschreibungen aufgeführten Tätigkeit „Zulagenantrag ausgefüllt” würden die im „Zulagenantrag (Riester)” vorgedruckten Daten vorsorglich nochmals abgeglichen und ggf. korrigiert, da fehlerhafte Daten eventuell zu einem Verlust der Zulage führen könnten. Zeitaufwendungen für die Anbahnung neuer Verträge seien in der Zeitaufschreibung nicht erfasst. Dass es sich um Leistungen im Rahmen der Bestandspflege handele, sei eindeutig ersichtlich, da in den vorliegenden Aufstellungen grundsätzlich die Vertragsnummern der bestehenden Versicherungsverträge angegeben seien. Würde es sich um „akquisitorische Maßnahmen” handeln, gäbe es noch keine entsprechenden Vertragsnummern.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung 2004 sowie den Gewerbesteuermessbescheid 2004, jeweils vom 13.07.2006 und in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.12.2006, dahingehend zu ändern, dass die im Jahresabschluss zum 31.12.2004 passivierte Rückstellung in Höhe von 175.000 EUR für die Betreuung der abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge bei der Ermittlung des Gewinns und Gewerbeertrags berücksichtigt wird;

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt Klageabweisung.

Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf seine Einspruchsentscheidung entgegen getreten. Er ist der Ansicht, dass Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB und § 5 Abs. 1 EStG zu bilden seien, wenn das Bestehen oder künftige Entstehen einer betrieblichen Verbindlichkeit dem Grunde und / oder der Höhe nach nachgewiesen sei und die Inanspruchnahme wahrscheinlich sei. Es müsse für den Verpflichteten eine aus wirtschaftlicher Sicht wesentliche Belastung vorliegen. Es sei dabei im Falle der Versicherungsvertreter nicht auf das einzelne Vertragsverhältnis, sondern auf die Bedeutung der Verpflichtung für das gesamte Unternehmen abzustellen.

Die Nachbetreuung für laufende Lebensversicherungsverträge stelle für den Versicherungsvertreter keine wirtschaftlich wesentlich belastende Verpflichtung dar. Insbesondere würden die fälligen Versicherungsbeiträge regelmäßig per Lastschrift vom Versicherungsunternehmen eingezogen, so dass weitere Betreuungsleistungen im Zusammenhang mit den abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen nur in Ausnahmefällen zu erwarten seien.

Soweit die Klägerin Zeitaufschreibungen ihrer Mitarbeiter ab dem 01.01.2007 zum Nachweis der Betreuungsleistungen dem Gericht vorgelegt habe, könnten diese Zeitaufschreibungen nicht nachvollzogen werden. Die Klägerin habe ihr Gewerbe zum 31.12.2006 abgemeldet. Zum 01.01.2007 habe ein Gesellschafter der Klägerin – Herr S. – mit einem fremden Dritten erneute eine GbR gegründet, deren Zweck die Vermittlung von Versicherungsleistungen sei. Eine Identität zwischen Klägerin und der neuen GbR bestünde nicht. Daher könne keine Stellung dazu bezogen werden, ob die Anzahl der Lebensversicherungsverträge, die Anzahl der Mitarbeiter u. ä. vergleichbar mit den Kennzahlen der Klägerin im Jahr 2004 sei. Aus den im Finanzamt vorliegenden Daten sei ersichtlich, dass 2004 durchschnittlich 7 Arbeitskräfte und 2006 durchschnittlich 9 Arbeitskräfte beschäftigt worden seien. Weiterhin sei die Summe der Lohnsteuer 2004 zu 2006 von 4.411 EUR auf 7.452 EUR gestiegen. Dies lasse auf höhere Lohnaufwendungen infolge gestiegenen Arbeitsanfalls schließen. Es könne deshalb nicht beurteilt werden, ob die vorgelegten Zeitaufschreibungen aus dem Jahre 2007 Rückschlüsse auf das Jahr 2004 zuließen.

Des weiteren erschienen die Zeitaufwendungen teilweise überhöht bzw. seien nicht nachvollziehbar. Dies betreffe die Angabe „Zulagenantrag ausgefüllt”. Auch seien Zeitaufschreibungen für Leistungen erfolgt, die nicht als Nachbetreuungsleistungen anzusehen seien, so z. B. ein Anbieterwechsel bei der Riesterrente oder „Anschlussvertrag / Vertragserhaltung / Ablauf oder Vorsorgeanalyse bestehender Vorsorge”. All diese Tätigkeiten stünden nicht im Zusammenhang mit dem bereits abgeschlossenen Vertrag, sondern zielten darauf hin, ein neues Produkt anzubieten und einen weiteren Vertragsabschluss zu erreichen. Dies gelte insbesondere bei der Vorsorgeanalyse und dem Abschluss eines Anschlussvertrages.

Bei 9 Mitarbeitern und einem mitarbeitenden Gesellschafter ergebe sich anhand der für 2007 vorgelegten Zeitaufschreibungen (Blatt 34 der Gerichtsakte) ein Zeitaufwand von 2 Stunden 20 Minuten je Mitarbeiter. Bei einer zugrunde gelegten Monatsarbeitszeit von 160 Stunden je Mitarbeiter stelle dies einen Zeitanteil von 1,46 % dar. Dies führe nicht zu einer wirtschaftlich wesentlich belastenden Verpflichtung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt (Blatt 12 und Blatt 31 der Gerichtsakte).

Im übrigen wird auf den Inhalt der Akten – insbesondere die Verhandlungsniederschrift vom 17.06.2010 – Bezug genommen.



Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid zur gesonderten und einheitlichen Feststellung 2004 sowie der Gewerbesteuermessbescheid 2004 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 FGO).

Die von der Klägerin in ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2004 gebildete und gewinnmindernd geltend gemachte Bestandspflegerückstellung i.H.v. 175.000 EUR ist weder dem Grunde noch der Höhe nach steuerlich anzuerkennen. Die Bildung von Rückstellungen ist gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB in Verbindung mit § 5 Abs. 1 EStG nur dann möglich, wenn und soweit aus den am Bilanzstichtag objektiv vorliegenden und am Bilanzerstellungstag subjektiv erkennbaren Verhältnissen ernsthaft damit gerechnet werden muss, dass eine Verbindlichkeit besteht oder entstehen wird und der Kaufmann hieraus in Anspruch genommen wird.

Der Agenturvertrag vom 17.03.1994 zwischen der Klägerin und der S. versicherung ist ein gegenseitig verpflichtender Vertrag nach §§ 320 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), §§ 84 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB). Die wechselseitigen Ansprüche des Handelsvertreters und des Unternehmers, dem er Geschäfte zu vermitteln hat, sind steuerrechtlich nach den Grundsätzen zur Bilanzierung schwebender Geschäfte zu beurteilen. Auch wenn Ansprüche und Verbindlichkeiten bereits am Bilanzstichtag rechtlich entstanden waren, werden sie bei solchen Geschäften nicht bilanziert, solange und soweit sie einander ausgleichend gegenüberstehen. Zum Ausweis derartiger Ansprüche und Verbindlichkeiten kommt es erst, wenn das Gleichgewicht in den Vertragsbeziehungen infolge schuldrechtlicher Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände gestört ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 1983 I R 150/77, BStBl II 1984, 299; vom 28. Juli 2004, XI R 63/03, BStBl II 2006, 866).

a) Die Klägerin hat ein störendes Ungleichgewicht in der Gesamtheit der vertraglichen Leistungen zwischen ihr und der S. versicherung nicht nachgewiesen: Die Klägerin befand sich zum 31.12.2004 nicht im Erfüllungsrückstand, denn ein solcher liegt nur dann vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte. Der Bundesfinanzhof knüpft den Begriff des Erfüllungsrückstandes herkömmlicherweise eng an den schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung. Darüber hinaus hat er aber auch eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung genügen lassen, allerdings vorausgesetzt, dass mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten wird (vgl. BFH-Urteile vom 09.12.2009 X R 41/07, StBW 2010, 241 und vom 28.07 2004, XI R 63/03, BStBl II 2006, 866 m.w.N.).

Die von der Klägerin am 31.12.2004 noch zu erfüllende Verhaltensanforderung, neben der Vermittlung neuer Lebensversicherungsverträge „sich für die Betreuung und Erhaltung des Bestandes einzusetzen” (= § 3 Absatz 2 Satz 2 des Agenturvertrages vom 17.03.1994, Blatt 14 der Gerichtsakte), stellt keinen Teil der Gegenleistung für die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche auf Abschlussprovision dar, sondern eine Obliegenheit der Klägerin im eigenen Interesse. Es fehlt an einer darüber hinausgehenden ausreichenden Verpflichtung der Klägerin gegenüber einem Dritten, die für eine Rückstellungsbildung erforderlich ist. Ein entsprechender Rechtsbindungswille ist vorliegend nicht feststellbar. Es fehlt insbesondere im konkreten Streitfall und der vorliegenden vertraglichen Regelungen auch an einer ausreichenden Präzisierung, welche betreuenden Maßnahmen die Klägerin im einzelnen wann und in welchem Umfange vorzunehmen hatte. Es handelt sich mithin bei der Regelung des § 3 Absatz 2 Satz 2 des Agenturvertrages um eine bloße Verhaltensregel, die der interessengerechten beiderseitigen Vertragsabwicklung dienen sollte. Eine konkrete Sanktion sieht der Agenturvertrag hingegen bei Nichtbeachtung dieser Verhaltensanforderung – zumindest für den vorliegend allein streitbehafteten Bereich der Lebensversicherungen – nicht vor. Dies gilt jedenfalls für den Bereich der nicht dynamischen Lebensversicherungsverträge, für die die Klägerin nach ihren eigenen Angaben in der im Einspruchsverfahren eingereichten Ermittlung „Rückstellung Bestandsbetreuung” (Blatt 26 der Rechtsbehelfsakte) einen erheblich niedrigeren Betreuungsaufwand hatte als bei den dynamischen Lebensversicherungsverträgen, was offensichtlich auch zur unterschiedlichen Behandlung im Rahmen der „Allgemeinen Provisionsbestimmungen” – dort Ziffer 2.1.2 (Blatt 60 der Gerichtsakte) führte. Hinsichtlich der von der Klägerin vermittelten dynamischen Lebensversicherungsverträge erhält die Klägerin ausweislich der vorgelegten „Allgemeinen Provisionsbestimmungen…” lt. deren Ziffer 2.1.2 jährlich zusätzlich zur Abschlussprovision einen gesonderten Provisionsanspruch aus den „Summenerhöhungen” und den „Beitragserhöhungen”, wenn sie von der S. versicherung mit der Bestandspflege beauftragt war. Da die Klägerin den Betreuungsaufwand für die gesamte Restlaufzeit der jeweiligen Verträge in die Rückstellung einstellen wollte, hätte sie diesem zu erwartenden Aufwand die zu erwartenden Erlöse aus Ziffer 2.1.2 der „Allgemeinen Provisionsbestimmungen…” gegenüberzustellen gehabt (vgl. zum Ganzen auch Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 12.02.2009 , Az. 1 K 24/08 mit weiteren Nachweisen). Nach der von der Klägerin im Einspruchsverfahren vorgelegten Ermittlung zur „Rückstellung Bestandsbetreuung” (Blatt 26 der Rechtsbehelfsakte) entfiel gerade auf die „LV-Verträge mit Dynamik” ein „hoher jährlich wiederkehrender Aufwand”, wobei eine differenzierende Aufstellung zwischen dynamischen und nicht dynamischen Lebensversicherungsverträgen nicht vorhanden sei. Die Ziffer 2.1.2 der „Allgemeinen Provisionsbestimmungen…” spricht dafür, dass die Bestandspflege der dynamischen Lebensversicherungsverträge durch die Provision aus den Summenerhöhungen und Beitragserhöhungen abgegolten wird. Nur so lässt sich die Verknüpfung des dort genannten Provisionsanspruches mit der Beauftragung zur Bestandspflege verstehen. Die Klägerin hat damit nicht dargetan, dass sie von ihrem Vertragspartner, der S. versicherung, in der Vergangenheit Vertragsleistungen erhalten hat, für die sie als Gegenleistung weitere Leistungen in Folgejahren zu erbringen hat.

b) Selbst wenn entgegen der Ansicht des Gerichtes eine vertragliche Pflicht zur Betreuung des Bestandes an nicht dynamisierten Lebensversicherungsverträgen vorgelegen hätte, würde eine Rückstellungsbildung ausscheiden: Die Klägerin hat für das Streitjahr 2004 keine Aufzeichnungen geführt, aus denen sich nachvollziehen ließe, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung in Höhe von 175.000 EUR für die Betreuung der abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge erfüllt sind. Eine Rückübertragung der Aufzeichnungen aus dem Jahre 2007 scheidet aus, da auch nach der mündlichen Verhandlung unklar geblieben ist, ob in beiden Jahren vergleichbare Verhältnisse vorlagen. Die Klägerin hat durch ihren Gesellschafter Herrn S. in der Verhandlung vorgetragen, dass der Bestand an Lebensversicherungen sich jährlich um ca. 700 bis 900 (ausgehend von 9.285 Lebensversicherungsverträgen zum 31.12.2004) erhöht hat. Aus 2007 wurden lediglich Zeitaufschreibungen für ca. 2 Monate vorgelegt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass dem Streitjahr 2004 und 2007 unterschiedliche Gegebenheiten zugrunde lagen: Ausweislich des Jahresabschlusses 2004 (Bilanzakten, Trennblatt 2004, Blatt 5) betrugen die Löhne und Gehälter 87.302 EUR. Im Jahresabschluss 2006 (Bilanzakten, Trennblatt 2004, Blatt 26) – die Klägerin wurde zum 01.01.2007 durch Ausscheiden der Gesellschafterin H. beendet – wurden Löhne und Gehälter in Höhe von 156.558 EUR ausgewiesen. Ob die Steigerung der Lohn- und Gehaltsaufwendungen insbesondere darauf zurückzuführen ist, dass die Anforderungen an eine qualitative Beratung der Versicherungskunden sich in diesem Zeitraum erhöht hat, wie der Gesellschafter der Klägerin dies in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, oder ob dies auf sonstige Veränderungen zwischen 2004 und den Folgejahren zurückzuführen ist, ist unklar geblieben. Es fehlt außerdem in den Aufzeichnungen der Klägerin an jeglicher Differenzierung zwischen dynamischen (und damit nach Ziffer 2.1.2 der Allgemeinen Provisionsbestimmungen gesondert vergüteten) und nicht dynamischen Lebensversicherungsverträgen.

Ferner sind die Angaben in den Zeitaufschreibungen aus 2007 oftmals so unklar, dass eine Zuordnung der Tätigkeit zur Bestandspflege nicht möglich ist (z. B. „Vertragsänderung” am 04.01.2007: grundsätzlich wird für Vertragsänderungen ausweislich der Provisionstabelle, Blatt 65 der Gerichtsakte, auch eine Provision gezahlt). Die von der Klägerin in ihren Zeitaufschreibungen (Blatt 24 und Blatt 34 der Gerichtsakte) dargelegten Tätigkeiten wie „Vertragsänderung … Vertragserhaltung …Neuantrag Lebensversicherung… Kündigungsrücknahme” lassen nicht mit der gebotenen Sicherheit den Schluss zu, dass Tätigkeiten im Rahmen der Bestandspflege zugrunde liegen. Vielmehr sind diese Tätigkeiten auch auf Neuabschlüsse ausgerichtet und stehen somit im Zusammenhang mit künftigen Erträgen aus Abschlussprovisionen. Eine eindeutige Trennbarkeit von Werbemaßnahmen, die auf die Erlangung neuer Vertragsabschlüsse gerichtet sind und für die keine Rückstellung gebildet werden dürfte, war auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht möglich. Vor diesem Hintergrund war es dem Gericht bei einer Gesamtwürdigung der einzelnen Aspekte des vorliegenden Einzelfalles weiterhin nicht möglich, auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nachzuvollziehen, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für die Bestandsbetreuung von Lebensversicherungsverträgen im Streitjahr 2004 von der Klägerin erfüllt wurden. Der Klage war daher der Erfolg zu versagen.

2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind. Die Entscheidung beruht auf einer Einzelfallwürdigung des vorliegenden konkreten Streitfalls und der zugrunde liegenden Vertragsbestimmungen.

RechtsgebieteEStG, HGBVorschriftenEStG § 4 Abs. 1 EStG § 5 Abs. 1 HGB § 249 Abs. 1 S. 1