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EuGH-Urteil: Rufbereitschaft kann komplett Arbeitszeit sein ‒ der Einzelfall entscheidet

Bild: © Doc Rabe Media - stock.adobe.com

| Der berufliche Bereitschaftsdienst kann bei erheblichen Einschränkungen der Freizeit komplett als Arbeitszeit gewertet werden. So lautet die Essenz aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ( EuGH, Urteil vom 09.03.2021, Az. C-580/19 ). Allerdings: Klarheit brachte das Urteil nicht wirklich. Denn der EuGH verweist auf die nationalen Gerichte, die jeweils im Einzelfall klären müssen, wann Bereitschaftsdienste „Arbeitszeit“ sind. Das heißt: Bis hierzulande richtungweisende Urteile für ganze Branchen gesprochen sind, ist es noch ein langer Weg. |

 

Offenbacher Feuerwehrmann hatte auf volle Vergütung geklagt

Dem Urteil lag die Klage eines Feuerwehrmanns aus Offenbach zugrunde. Er wollte durchsetzen, seine regelmäßigen Rufbereitschaftszeiten auch voll bezahlt zu bekommen. Als Einsatzleiter leistete er Bereitschaftsdienste. Während dieser Zeiten war er nicht verpflichtet, sich an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten, musste aber erreichbar und in der Lage sein, im Alarmfall innerhalb von 20 Minuten in seiner Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen zu erreichen. Seiner Auffassung nach ist er dadurch erheblich eingeschränkt. Das sei Arbeitszeit.

 

EuGH: Einschränkungen müssen freie Zeit „ganz erheblich beeinträchtigen“

Das EuGH entschied: Arbeitszeit ist, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen seine freie Zeit „objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen“. Bereitschaftszeit sei automatisch Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz, der nicht seine Wohnung ist, bleiben und sich dort seinem Arbeitgeber zur Verfügung halten muss. Entscheidend sei auch, in welcher Reaktionszeit er am Einsatzort sein muss.

 

Nationale Gerichte müssen die Einzelfälle prüfen

Diese Einschätzung des EuGH nutzt dem Offenbacher Feuerwehrmann aber zunächst nur wenig, denn der Fall selbst wurde an das Verwaltungsgericht Darmstadt zurückverwiesen. Der EuGH betont in seinem Urteil, dass im Einzelfall die nationalen Gerichte prüfen müssen, ob es sich um Arbeitszeit handelt. Dabei müsse die Frist berücksichtigt werden, innerhalb derer der Arbeitnehmer am Einsatzort zu sein hat. Neben weiteren Verpflichtungen wie dem Tragen von Einsatzkleidung müssten auch Erleichterungen wie ein Dienstfahrzeug in die Entscheidung einfließen. Auch müssten die Gerichte abschätzen, wie oft während der Rufbereitschaft tatsächlich Einsätze stattfinden. Dabei seien auch Einschränkungen durch nationale Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder durch den Arbeitgeber zu berücksichtigen.

 

Viele Branchen betroffen

Das Grundsatzurteil der Luxemburger Richter ist nicht nur für die Feuerwehr von Bedeutung, sondern auch für alle Branchen, für die die Arbeitszeitrichtlinie der EU und das deutsche Arbeitszeitgesetz gelten. Dazu zählen z. B. die Polizei, die Pflege und die Sozialwirtschaft.

 

FAZIT | Das Urteil wird durchaus kritisch kommentiert. Es lasse viel Spielraum und schaffe keine Klarheit für die Beschäftigten, welche Bereitschaftszeiten konkret als Arbeitszeit und welche als Ruhezeit gelten. Vielmehr lege der EuGH diese Entscheidung weitgehend in die Hände der nationalen Gerichte. Auch sage es nichts dazu, wie eine Bereitschaftszeit bezahlt werden muss.

 

 

 

 

(Ke)

 

Quellen

Quelle: ID 47269785