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· Steuerhinterziehung | Geld- oder Haftstrafe?

BGH kippt Kompensationsverbot bei Umsatzsteuer: Grundsatz aufgehoben!

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| Sensation im Steuerstrafrecht: Bei Verfahren wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer kann durch Gegenrechnung von Vorsteuern (z.B. aus Wareneinkäufen) der Strafrahmen reduziert werden ‒ sofern ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. Bislang galt hier ein Kompensationsverbot (Steuerhinterziehung nach § 370 AO ). 40 Jahre nach einem Grundsatzurteil kommt nun die Kehrtwende des Bundesgerichtshofs. |

 

Das Verbot der Kompensation (Abzug der Vorsteuer) im Falle der Umsatzsteuerhinterziehung galt unverändert seit 1978 ‒ entschieden vom Bundesgerichtshof (BGH) am 18.04.1978, Az. 5 StR 692/77. Mit seinem neuen Urteil hält das Gericht nun ‒ in bestimmten Fallkonstellationen ‒ an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest (BGH, Urteil vom 13.09.2018, Az. 1 StR 642/17 ‒ Abruf-Nr. 205707).

Bisherige Rechtsauffassung

Bei der Bemessung des Strafrahmens zählte allein die Höhe der nicht abgeführten Umsatzsteuer. Selbst wenn dem Straftäter Vorsteuern (z.B aus Wareneinkäufen) ohne Weiteres zugestanden hätten, waren Gerichte oft gezwungen, eine Steuerhinterziehung „im großen Ausmaß“ festzustellen, die ab einem Verkürzungsbetrag von 50.000 Euro je Tat mit Freiheitsstrafe belegt ist (BGH, Urteil vom 27.10.2015, Az. 1 StR 373/15).

 

  • Beispiel

U ist Kfz-Gebrauchtwagenhändler. Er hat weder eine Umsatzsteuervoranmeldung noch Jahreserklärung abgegeben. Sämtliche Fristen sind verstrichen. Steuerfahnder kommen ihm auf die Schliche. Die nachträgliche Aufstellung zeigt für den steuerlich relevanten Geschäftszeitraum:

Ankauf von Fahrzeugen

lt. Rechnung

300.000 Euro

57.000 Euro (Vorsteuer, 19 Prozent)

Verkauf der Fahrzeuge

lt. Belegen

350.000 Euro

66.500 Euro (Umsatzsteuer, 19 Prozent)

 

  • Die Umsatzsteuerhinterziehung (unterlassene Erklärung) liegt bei 66.500 Euro.
  • Der nicht erklärte Vorsteuerabzug auf Eingangsumsätze liegt bei 57.000 Euro.

 

Bei der Feststellung des Steuerverkürzungsbetrages durfte der Vorsteuerabzug nicht berücksichtigt werden (Rechtslage seit 40 Jahren).

 

Zwangsfolge: Steuerhinterziehung im „großen Ausmaß“ = Freiheitsstrafe (Minimum 6 Monate; höchstens 10 Jahre).

 

Das Gericht musste trotz des Steuerschadens von nur 9.500 Euro mindestens 6 Monate Freiheitsstrafe für U verhängen.

 

Neue Rechtsauffassung

Der BGH sieht das nun anders: Eine Steuerverkürzung kann gegebenenfalls durch Verrechnung der Umsatzsteuer mit der Vorsteuer entfallen. Allerdings können nur Vorsteuerbeträge angerechnet werden, die mit den verschleierten steuererhöhenden Tatsachen in einem „unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang“ stehen.

 

Praxistipp | Die Leistung muss auch tatsächlich erbracht werden. Es darf sich nicht um Scheinlieferungen handeln. Das heißt: Eine Rechnung nach §§ 14, 14 a UStG und die Abzugsvoraussetzungen nach § 15 UStG müssen vorliegen.

Der konkrete Fall

Der Angeklagte war Gebrauchtwagenhändler. Er reichte keine Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Jahreserklärungen ein. Dabei wusste er, dass er als Geschäftsführer hierzu verpflichtet ist. Erstinstanzlich wurde der Händler deshalb wegen 24 Umsatzsteuerhinterziehungen zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten verurteilt.

 

In einem Fall hatte der Steuersünder jedoch mit seiner Revision Erfolg ‒ der BGH sah ein, dass die Steuerverkürzung durch die Verrechnung mit der Vorsteuer entfallen kann.

 

Beachten Sie | Letztlich gilt für die Umsatzsteuer nun das Gleiche wie für die Ertragsteuer, bei der schon bisher im unmittelbaren Zusammenhang mit den steuerbegründenden Geschäften stehende Werbungskosten/Betriebsausgaben gegengerechnet werden können.

Steuerhinterziehung und leichfertige Steuerverkürzung

Die Unterscheidung zwischen der Steuerhinterziehung und der leichtfertigen Steuerverkürzung ist von entscheidender Bedeutung für das Steuerstrafrecht:

  • Bei der vorsätzlichen Steuerhinterziehung handelt es sich um eine Straftat, bei der ein Gericht die Strafe festsetzt.
  • Die leichtfertige Steuerverkürzung hingegen ist eine Steuerordnungswidrigkeit. Hier entscheidet das Finanzamt (die Straf- und Bußgeldstelle) über die Festsetzung einer Geldbuße, die keinen Eintrag in das Zentralregister nach sich zieht. Ein Gericht wird in diesem Verfahren nicht eingeschaltet.

 

Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

  • den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
  • die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

 

Der Versuch ist strafbar. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

 

Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.

 

Ordnungswidrig handelt, wer als Steuerpflichtiger oder bei der Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.

 

Wann Geld- und wann Haftstrafe?

Steuerhinterzieher müssen mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren rechnen. In besonders schweren Fällen werden bis zu 10 Jahren vorgesehen.

 

Bei der Bemessung der Strafe ist die Höhe der hinterzogenen Steuern maßgeblich. Die Richtschnur des BGH sieht vor:

 

Geldstrafe

< = 50.000 Euro Steuerhinterziehung

Haftstrafe (Minimum 6 Monate) wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung, ggf. Aussetzung zur Bewährung

> 50.000 Euro Steuerhinterziehung

Haftstrafe und öffentliche Hauptverhandlung

> 1 Mio. Euro Steuerhinterziehung

 

(JT)

Quelle: ID 45678544