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· Reform Berufskrankheitenrecht

Berufskrankheiten: Richter kritisiert hohe Ablehnungsquote ‒ Härtefallklausel nicht geplant

Bild: © New Africa - stock.adobe.com

|f Der Vorsitzende Richter des zweiten Senats am Bundessozialgericht (BSG), Prof. Wolfgang Spellbrink, kritisiert die hohe Ablehnungsquote bei Berufskrankheiten. Im Interview mit „Report Mainz“ sagte er, „das Berufskrankheiten-Recht in der gegenwärtigen Ausprägung führt in der Praxis in vielen Fällen zu Frustration.“ Jährlich werden 80.000 Anträge auf Anerkennung einer Berufskrankheit bei der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt, in 6 Prozent der Fälle wird eine Verletztenrente bewilligt. |

BSG-Richter befürwortet Härtefallklausel

Prof. Spellbrink fordert in „Report Mainz“ eine Härtefallklausel für das Berufskrankheiten-Recht. „Eine Härtefallklausel kann im Einzelfall dazu führen, dass Fälle, wo es auf der Hand liegt, dass die Arbeit diese Krankheit hervorgerufen hat, dass man dann entschädigen kann, auch wenn keine Listen-Berufskrankheit vorliegt.r“

 

Nach geltendem Recht gilt eine Krankheit nur dann als Berufskrankheit, wenn sie auf der sogenannten Berufskrankheiten-Liste steht. 80 Krankheiten stehen auf dieser Liste.

 

Beachten Sie | Die Liste der Berufskrankheiten kann von der Bundesregierung erweitert oder auch gekürzt werden. Bei der Bundesanstalat für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird diese Liste stets aktuell gehalten ‒ hier gehts zur Übersicht.

 

Damit eine Berufskrankheit neu auf die Liste aufgenommen werden kann, muss sie hohe wissenschaftliche Anforderungen erfüllen. „Eine Formulierung einer Berufskrankheit wird nur vorgenommen, wenn ein hohes Maß an wissenschaftlicher Erkenntnis vorliegt“, so Richter Spellbrink.

 

Ein Blick in die Statistik

Zwei Verbände liefern die Statistiken, wieviele Anträge auf Anerkennung einer Berufskrankheit gestellt werden und wieviele am Ende anerkannt werden. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) ist der Verband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist seit dem Jahr 2013 Teil der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG).

 

Im Jahr 2017 hat die Bundestagsfraktion Die Linke eine Anfrage zur Statistik von Berufskrankheiten gestellt. Aus der Antwort der Bundesregierung (Drucksache 18/13543) geht Folgendes hervor.

 

Allein die DGUV weist danach für den Zeitraum von 2002 bis 2016 eine Kostensteigerung um 325 Mio. Euro von 1,25 Mrd. Euro auf 1,58 Mrd. Euro aus.

 

  • DGUV-Statistik Entwicklung der Berufskrankheiten (BK)
Jahr
BK-Verdachtsanzeigen
BK-Verdacht bestätigt
BK anerkannt

Anzahl

Anzahl

Anzahl

2005

59.919

25.022

15.920

2010

70.277

31.219

15.461

2015

76.991

37.149

16.802

 

 

Die Steigerungen wurden im Wesentlichen

  • durch die Erweiterungen der Berufskrankheitenliste sowie
  • durch Änderungen in der Erfassung von Hautarztberichten verursacht.

 

Die Zahlen zeigen, dass immer mehr Arbeitnehmer den Verdacht einer Berufskrankheit anzeigen. Gleichzeitig bleibt die Zahl der Anerkennung relativ konstant.

 

Betrachtet man nun die Statistik, wie erfolgreich Arbeitnehmer vor Sozialgerichten klagen, so wird deutlich, dass die Zahl der erledigten Sozialgerichtsverfahren (1. Instanz) abnimmt, während der Anteil der Erfolge für die Versichterten oder Hinterbliebenen leicht steigt.

 

  • DGUV-Statistik Sozialgerichtsverfahren (1. Instanz)
Jahr
Erledigte SG-Verfahren aufgrund von Erkrankungen
erledigte SG-Verfahren mit Erfolg für Versicherten/Hinterbliebene

Anzahl

Prozent

2005

5.995

9,2%

2010

4.662

12,0%

2015

4.178

13,1%

 

Nach Recherchen der Bundesregierung wurden 2016 in 2. Instanz 841 Landessozialgerichtsverfahren abgeschlossen, mit einer Erfolgsquote von 10,7 Prozent für den Versicherten bzw. seine Hinterbliebenen.

 

Im Zeitraum von 2002 is 2017 wurden diese 15 neue Erkrankungen in die Liste aufgenommen.

 

  • 15 Berufskrankheiten seit 2002 neu in der Liste

Blutkrebs durch Benzol

Kehlkopfkrebs durch Schwefelsäure

Leukämie durch 1,3-Butadien

Blasenkrebs durch PAK

Druckschädigung der Nerven

Kniegelenkarthrose

Carpaltunnelsyndrom

Hypothenar-Hammer-Syndrom

Fokale Dystonie bei Berufsmusikern

Erweiterung auf Eierstockkrebs durch Asbest

Lungenkrebs durch Quarzstaub

Lungenkrebs durch PAK

Erweiterung auf Kehlkopfkrebs durch PAK

Lungenkrebs durch Asbest und PAK

Lungenfibrose durch Schweißrauche

Weißer Hautkrebs durch natürliches UV-Licht

 

 

Dennoch: Für die Gewerkschaft IG-Metall ist die Liste natürlich viel zu klein. Vorstand Hans Jürgen Urban findet sie deswegen auch ungerecht. „Diese Liste lebt noch in einer anderen Zeit. Sie ist noch nicht in der digitalen Arbeitswelt angekommen.“ Viele arbeitsbedingte Erkrankungen hätten „wahrscheinlich nie die Chance auf die Liste zu kommen.“ Eine Härtefallregelung sei eine „gute, notwendige und überfällige Regel“ um Einzelfallgerechtigkeit zu erlangen.

Zunächst keine Härtefallregel vorgesehen

Das Bundesarbeitsministerium arbeitet an einem Referentenentwurf zum Berufskrankheiten-Recht. Darin ist eine Härtefallregelung nicht vorgesehen. Staatssekretär Rolf Schmachtenberg erklärt dazu gegenüber Report Mainz: „Eine solche Härtefallklausel wird vermutlich wieder neue Streitigkeiten auslösen.“ Deshalb wolle man diesen Weg nicht weiterverfolgen.

 

„Wenn diese Reform einen Sinn machen will, dann muss sie dazu führen, dass es im Ergebnis zu einer höheren Anerkennungsquote kommt,“ so Bundesrichter Prof. Spellbrink.

 

(JT mit Material von ots / SWR - Das Erste)

Quelle: ID 46090764