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· Verhaltensbedingte Kündigung

„Das ist alles nur ... vorgetäuscht“: Wann darf wegen „Krankfeierns“ fristlos gekündigt werden?

Bild: IWW/canva

| Meldet sich eine Arbeitnehmerin bei ihrem Arbeitgeber für zwei Tage krank und nimmt dann an einer Party teil, ist von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit (AU) auszugehen. Eine fristlose Kündigung kann dann gerechtfertigt sein. Durch die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung ist der Beweiswert der AU erschüttert. |

1. Krankgemeldet und zur Ibiza-Party gegangen

Das folgt aus einer Entsscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg. Betroffen war eine Arbeitnehmerin, die als Pflegeassistentin beschäftigt war. Sie war für Samstag, den 2.7.22, und Sonntag, den 3.7.22, zum Spätdienst eingeteilt. Für die Dienste meldete sie sich krank. In dieser Nacht fand im sogenannten Schaukelkeller in Hennef die White Night Ibiza Party statt. Dort entstanden Fotos von der feiernden Arbeitnehmerin. Diese fanden sich auch in ihrem WhatsApp-Status und auf der Homepage des Partyveranstalters. Der Arbeitgeber kündigte ihr daraufhin fristlos. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage.

2. Voraussetzungen der Verdachtskündigung

Das Arbeitsgericht Siegburg wies die Klage ab. Der Arbeitgeber habe eine Verdachtskündigung ausgesprochen. Eine Verdachtskündigung könne gerechtfertigt sein, wenn

  • sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründeten,
  • die Verdachtsmomente geeignet seien, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und
  • der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe.

3. Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit

Das Arbeitsgericht ging sogar noch einen Schritt weiter. Aufgrund des gegebenen Sachverhalts und des im Termin gewonnenen persönlichen Eindrucks von der Arbeitnehmerin war die Kammer überzeugt, dass die Arbeitnehmerin zulasten des Arbeitgeber ihre Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe und nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei.

 

Dies begründe vorliegend eine Tatkündigung und nicht „nur“, wie vom Arbeitgeber ausgesprochen, eine Verdachtskündigung. Die Überzeugung der Kammer ergebe sich daraus, dass die Arbeitnehmerin auf den abgebildeten Fotos am Tage ihrer angeblich bestehenden AU bester Laune und wie ersichtlich bei bester Gesundheit an der Party teilgenommen habe, während sie sich für die Dienste am 2.7. und 3.7.22 gegenüber dem Arbeitgeber AU gemeldet habe. Bereits hieraus und aus der Tatsache, dass die AUB erst am 4.7.22 ausgestellt worden sei, sei der Beweiswert der vorgelegten AU erschüttert. Es gelte damit für die Arbeitnehmerin die volle Darlegungs- und Beweislast, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig an den Tagen erkrankt gewesen und somit berechtigterweise der Arbeit ferngeblieben sei. Dies sei ihr nicht gelungen.

 

Dass die Arbeitnehmerin die Neigung habe, die Unwahrheit zu sagen, ergebe sich schon aus ihren Einlassungen im Verfahren. So räumte sie ein, im Gespräch vom 5.7.22 mitgeteilt zu haben, wegen Grippesymptomen sich unwohl und fiebrig gefühlt zu haben. Dies habe aber ‒ wie man auf den Fotos erkennen könne ‒ nicht der Wahrheit entsprochen. Auf den Grund für die Lüge komme es nicht an, gelogen sei gelogen. Auch die weitere Einlassung der Arbeitnehmerin, sie habe sich in einer innerbetrieblichen Mobbingsituation befunden, sei unwahr. Sie sei zumindest mit einem Teil ihrer Kolleginnen, trotz der angeblich bestehenden AU aufgrund einer psychischen Zweitageserkrankung, auf der Party feiern gegangen, anstatt ihre Krankheit auszukurieren.

 

Ebenfalls sei nicht ansatzweise nachvollziehbar, wie der die AUB ausstellende Arzt zu der Annahme gelangt sein solle, dass die Arbeitnehmerin lediglich an 2 Tagen, nämlich genau denen, an denen sie an der Party teilnehmen wollte, aufgrund einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig erkrankt sein soll, während sie am Folgetag, dem 4.7.22 tatsächlich wieder arbeitsfähig gewesen sei. Derartige kurzfristige psychische Erkrankungen gebe es nicht.

 

Auch die Einlassung der Arbeitnehmerin im Kammertermin, wonach sie sich noch hätte viel länger krankschreiben lassen können, vermöge die Überzeugung der erkennenden Kammer nicht einmal im Ansatz zu erschüttern. Diese Einlassung verstehe die Kammer nämlich so, dass sie in der Lage gewesen sei, sich ohne eine tatsächliche Erkrankung auch länger krankschreiben zu lassen.

 

Die Interessenabwägung ergebe, dass das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Fortführungsinteresse der Arbeitnehmerin bei Weitem überwiege. Zugunsten der Arbeitnehmerin könne insoweit lediglich berücksichtigt werden, dass sie bis zu dem Vorfall noch nicht abgemahnt worden sei. Bei dem planvollen Vorgehen der Arbeitnehmerin, welches gekoppelt mit dem Versuch der unberechtigten Erlangung von Entgeltfortzahlung verbunden sei, überwiege das sofortige Beendigungsinteresse des Arbeitgebers.

4. Weitere Entscheidungen zum Themen

Nachstehend einige wichtige Entscheidungen zum Thema:

 

Rechtsprechungsübersicht / Wichtige Entscheidungen zum Beweiswert der AUB

BAG 8.9.21, 5 AZR 149/21, Abruf-Nr. 224708

Beweiswert von AUB

Wenn ein ArbN kündigt und am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird, könne das den Beweiswert der AUB erschüttern, wenn die bescheinigte AU passgenau die Dauer der Kündigungsfrist erfasse. Dies bedeutet, dass bei besonderen Umständen der stets betonte hohe Beweiswert der AUB nicht mehr automatisch zur Entgeltfortzahlungspflicht des ArbG führt. In dem vor dem BAG geführten Fall, hatte die ArbN die von ihr behauptete AU im Streitzeitraum zunächst mit einer AUB nachgewiesen. Gelingt dem ArbG die Erschütterung, muss der ArbN substanziiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann z. B. durch Vernehmung des Arztes nach Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen. Im Prozess ist die ArbN ihrer Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Die Klage wurde abgewiesen.

Arbeitsgericht Siegburg 17.3.22, 5 Ca 1849/21,

Abruf-Nr. 229718

Es kommt bei der AUB nicht auf eine Gefälligkeitsbescheinigung oder eine erschlichene Bescheinigung an

Lässt sich ein gesunder Azubi krankschreiben, um eine Prüfung zu vermeiden, verletzt er schwerwiegend seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Dies kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Kein Azubi könne davon ausgehen, dass ein Ausbilder es hinnehme, falsche AUB vorgelegt zu bekommen.

 

 

Quelle |

Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 1.12.22, 5 Ca 1200/22, Abruf-Nr. 234876

Quelle: ID 49531011