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· Kündigungsrecht

Vorwurf antisemitischer Äußerung vor Arbeitsbeginn reicht nicht für Kündigung

Bild: IWW

| Grundsätzlich können antisemitische Äußerungen ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein ‒ aber nicht zu einer Zeit, die vor Beginn des Arbeitsverhältnis liegt. |

 

Zu diesem Ergebnis kam das Arbeitsgericht Berlin (5.9.22, 22 Ca 1647/22). Der Arbeitgeber, ein Radiosender, warf seiner Redakteurin vor, sie habe sich mehrfach israelfeindlich und antisemitisch in anderen Medien geäußert. Dies widerspreche den Grundsätzen des Radiosenders.

 

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt und verurteilte den Sender zur Weiterbeschäftigung der Redakteurin. Grundsätzlich könnten antisemitische Äußerungen ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Auch wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Arbeit für den Sender gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen.

 

Gehe es aber um Äußerungen, die zu einer Zeit vor Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Sender erfolgt seien, fehle es mangels bestehenden Vertrags zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung. Der Arbeitgeber habe keine personenbedingte Kündigung ausgesprochen und dazu auch nicht den Personalrat beteiligt. Auch bei Äußerungen während einer vorherigen Beschäftigung auf Honorarbasis könne nicht ohne Weiteres ein „Durchschlagen“ als Pflichtverletzung auf ein späteres Arbeitsverhältnis angenommen werden.

 

Zudem müsse jeweils eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Zusammenhangs von Äußerungen erfolgen. Unter Berücksichtigung u.a. der Tatsache, dass die Redakteurin sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärung von früheren Äußerungen distanziert habe und keine Abmahnung vorliege, sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar. Im Hinblick hierauf könne keine negative Prognose für ein künftig zu erwartendes Fehlverhaltens gestellt werden.

Quelle: ID 48749354