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· Interview

Die dentale Community auf Clubhouse: erste Erfahrungen

Bild: Clubhouse drop in audio chat application view on the smartphone / Marco Verch / CC CC BY 2.0

| Das 2020 veröffentlichte, audiobasierte soziale Medium Clubhouse erobert seit Anfang 2021 auch den deutschsprachigen Raum. Aus bereits existierenden Gruppen in anderen sozialen Netzwerken heraus hat auch die deutsche dentale Community Clubhouse schnell für sich entdeckt. Die ersten sogenannten Räume wurden bereits für spannende Diskussionen rund um Themen aus dem Dentalmarkt genutzt. ZP sprach mit dem Marketingexperten Dr. Sebastian Schulz, Mitglied der Geschäftsleitung bei der ieQ-health GmbH & Co. KG, aus Münster und mit Zahnarzt Daniel Petcu M.Sc. M.Sc., Inhaber der MVZ D. Petcu GmbH in Korntal bei Stuttgart, über die ersten Erfahrungen und Einschätzungen sowohl aus Praxis- als auch aus Marketingsicht. |

 

Redaktion: Herr Dr. Schulz, wie kamen Sie als Marketingexperte im Dentalmarkt mit Clubhouse in Berührung, wie kann man bei Clubhouse mitmachen und was macht man eigentlich da?

 

Schulz: Clubhouse ist eine in den USA von ehemaligen Pinterest- und Google-Mitarbeitern gegründete App, die 2020 veröffentlicht wurde. Nach Deutschland ist der Hype Anfang des Jahres herübergeschwappt und die App hat seitdem stark steigende Download-Zahlen. Das Besondere an der App ist, dass man eine Einladung (sog. Invite ) bestehender Nutzer der App braucht, um sich anmelden zu können. Dies soll (noch) eine gewisse Exklusivität vermitteln. Ohne diese Invites wären die Download- oder Nutzungszahlen wahrscheinlich noch höher. Auch läuft die App derzeit (Stand Februar 2021) nur auf Apples Betriebssystem iOS, sodass nur iPhone-Nutzer auf Clubhouse zugreifen können. So wurde ich dann auch von einem Freund aus der Agenturlandschaft zu Clubhouse eingeladen.

 

Anders als in bekannten sozialen Medien ist Clubhouse rein audiobasiert, das heißt Nutzer können sogenannte Räume eröffnen und moderieren, in denen dann eine Diskussion zu dem Thema des jeweiligen Raums stattfindet. Der Moderator oder die Moderatoren können weiteren Teilnehmern in den Räumen Sprechrechte einräumen, wenn diese die Hand heben. Denn nicht jeder kann und soll „einfach so drauflos quasseln“ können. Insgesamt findet man schon Räume zu ganz unterschiedlichen Themen aus verschiedenen Kulturkreisen und in unterschiedlichen Sprachen. Die Tonalität ist dabei üblicherweise locker, d. h. eher „du“ statt „Sie“, und man kann sich auch mit einzelnen Nutzern zu 4-Augen-Gesprächen zurückziehen.

 

Redaktion: Herr Petcu, Sie sind selbst Zahnarzt und Inhaber einer Praxis in Süddeutschland. Sie haben in Clubhouse bereits selbst Räume für Dentalthemen geöffnet und sehr rege Gesprächsrunden initiiert. Unter welchem Stichwort findet man Sie bei Clubhouse, wie viele Gesprächsrunden oder Talks halten Sie ca. jede Woche ab und wie viele Teilnehmer sind im Schnitt dabei?

 

Petcu: Pro Woche halten wir derzeit etwa ein bis zwei Gesprächsrunden ab mit etwa 40 bis 80 Teilnehmern. Uns findet man unter dem Begriff „Dentale Themenwelt“. Es ging und geht z. B. um Themen wie Personalführung, Arbeitsrecht, Praxismarketing, interne Kommunikation, faire Teamgehälter und viele weitere Themen. Neben Zahnärzten, Zahntechnikern und natürlich Teammitgliedern sind viele namhafte Experten aus dem Dentalbereich dabei und gelegentlich auch Speaker aus anderen Bereichen.

 

Redaktion: Clubhouse kostet ja viel Zeit. Was ist der Hauptbeweggrund für Sie beide, Clubhouse für Geschäftsthemen zu nutzen und Ihre (freie) Zeit dafür zu investieren?

 

Petcu: Ich sehe es vor allem als kostenfreie „Fortbildung“ für mich. Es macht Spaß, bestimmte Themen ungezwungen und locker mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen sowie anderen Expertinnen und Experten aus dem Dentalmarkt diskutieren zu können.

 

Schulz: Ich sehe es ähnlich, nur natürlich aus dem Blickwinkel der Dienstleister im Dentalmarkt: Es ist interessant, wie viele Menschen bestimmte Themen bewegen und wie viele interessante Denkanstöße sie haben. Durch die einfache Teilnahmemöglichkeit ‒ vorausgesetzt ich habe eine Einladung, die aber einfacher zu bekommen ist, als die vermeintliche Exklusivität vermuten lässt ‒ und die Breite an Praxis- bzw. Laborinhabern und Experten, die dort ganz verschiedene Themen diskutieren, bekommt man einen guten Einblick in die Themen, die den Markt derzeit beschäftigen. Das ist für uns als Marketing- und Beratungsanbieter natürlich unerlässlich. Es bleibt zudem abzuwarten, ob sich über diesen Kanal auch gut Schulungen bzw. „Vorträge“ zu unseren Kernkompetenzen für ein breites Publikum einfach zugänglich machen lassen.

 

Redaktion: Welche Vorteile des Mediums Clubhouse sehen Sie?

 

Petcu: Durch die Unkompliziertheit und die geringe Vorbereitung lassen sich wichtige Themen praktisch tagesaktuell diskutieren. Das heißt, ich erhalte als Praxisinhaber Neuigkeiten im direkten Diskurs mit den Kollegen, bekomme also direkt auch Einschätzungen und/oder Meinungen mehrerer erfahrener Kolleginnen und Kollegen zu der jeweiligen Fragestellung, die für die Bewertung des Themas für die eigene Praxis sehr wertvoll sind.

 

Schulz: Vor allem der bereits angesprochene einfache Zugang zum Medium selber und der Zugang zu vielen Menschen zu einem Thema oder einer Branche bei gleichzeitiger Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, machen das Medium für mich spannend. Zudem ist es aus meiner Sicht in vielen Funktionen einfach gehalten und überfrachtet den Nutzer nicht mit sehr vielen Funktionen, Foto- und Video-Filtern, Bearbeitungs-Tools usw., wie wir es aus anderen sozialen Medien kennen. Das wird auch die Nutzbarkeit für ältere Zielgruppen deutlich vereinfachen, es ist also meines Erachtens auch klar für eine breite Zielgruppe in puncto Alter ausgelegt.

 

Redaktion: Und welche Nachteile oder Grenzen bestehen aus Ihrer Sicht?

 

Petcu: Aus anderen Online-Seminaren oder auch Medien ist man es gewohnt, dass man Inhalte mit anderen Nutzern teilen kann. Man kann z. B. den Bildschirm teilen und etwas an einer Software erklären, eine Präsentation zeigen, Downloads anbieten usw. Das geht bei Clubhouse bisher nicht. Hier wird dann tatsächlich nur geredet. Auch von seinen Co-Moderatoren oder den Referenten sieht man nur das Profilfoto und kein (Bewegt-)Bild.

 

Schulz: Ganz klare Gefahren sehe ich zudem derzeit in der unklaren Datenschutzlage. U. a. greift die App auf das Adressbuch des eigenen Smartphones zu. Also auch auf viele Kontakte, die gar kein Clubhouse haben, geschweige denn dort partizipieren möchten. Das rief bereits viele deutsche Datenschützer und die Verbraucherzentrale auf den Plan, die die App kritisieren. Zudem berichten Fachmagazine wie chip.de , dass Gespräche teilweise aufgezeichnet werden, um im Falle von Verstößen besser handeln zu können.

 

In Bezug auf die Nutzung der App könnte man weiterhin kritisch sehen, dass nicht jeder frei sprechen kann, da die Moderatoren sozusagen Sprechrechte erteilen und damit auch die Diskussion steuern können. Dies ist aber auch in vielen anderen Online-Audio- und Video-Anwendungen der Fall, um nicht unkontrolliertes Chaos in den Räumen ausbrechen zu lassen und konstruktive Gespräche im Keim zu ersticken. Sollte jemand sein Thema nicht ausreichend vertreten sehen, steht es ihm oder ihr natürlich frei, einen eigenen Raum zu einem neuen Thema zu starten.

 

Weiterhin sehe ich eine Gefahr darin, dass der vermeintliche Expertenstatus vieler Moderatoren nur begrenzt überprüft werden kann. In Präsenzveranstaltungen wie Symposien oder auch Online-Seminaren von Verbänden oder der Industrie gibt es gerade im (zahn-)medizinischen Bereich bereits eine gute Vorselektion durch die Veranstalter und damit eine gewisse Kompetenz und Erfahrung der Referenten. Diese Vorselektion fehlt hier. Auch tummeln sich Moderatoren, die für bestimmte Branchen gutes Know-how haben, schnell auch mal in branchenfremden Räumen. Hier habe ich in einigen Räumen teilweise schon obskure und rechtlich bedenkliche Vorschläge z. B. für meinen Bereich des Praxismarketings gehört, die im Handel o. k. sein mögen, im Dentalbereich in der Form aber nicht erlaubt sind.

 

Häufig wird zudem kritisiert, dass gehörlose Menschen nicht an Clubhouse teilnehmen können, es also bisher keine Barrierefreiheit z. B. durch automatische Untertitel oder Texteingaben gibt.

 

Redaktion: Was sollte man für die Gespräche und Diskussionen aus Ihrer Erfahrung berücksichtigen?

 

Petcu: Wir haben klare Regeln für unsere Räume aufgestellt und kommunizieren diese auch am Anfang jedes Gesprächs. Dazu gehört z. B., dass man sich gegenseitig ausreden lässt, seine Beiträge möglichst kurz und knackig hält und jeder Teilnehmer nur maximal zwei Handzeichen pro Gesprächsrunde geben kann, um dann auf die „Bühne“ geholt zu werden. Dadurch waren die Diskussionen bisher sehr angenehm und es gab kaum Monologe, die eine Diskussionsrunde bewusst gesprengt hätten.

 

Schulz: Neben den bereits erwähnten unterschiedlichen Sprechrechten von Moderator und Teilnehmern empfiehlt es sich ergänzend, dass ein Moderator immer mal wieder bereits diskutierte Punkte oder Ergebnisse der Diskussion zusammenfasst. Dazu sollte man sich während der Gesprächsrunde Notizen machen. Da Teilnehmer häufig auch mal zwischen Räumen wechseln, also mal weggehen und/oder wieder (neu) dazukommen, werden sonst bereits behandelte Themen erneut angesprochen. Es gibt also die Gefahr, dass Diskussionen sich im Kreise drehen oder immer wieder im Fluss gestört werden, was wiederum dazu führen kann, dass auch andere Teilnehmer genervt den Raum verlassen. Das heißt, am Ende steht und fällt die Qualität einzelner Gesprächsrunden mit der Disziplin von Teilnehmern und Moderatoren.

 

Für besonders komplexe Themen empfehle ich zudem, bereits vor der Gesprächsrunde ein kurzes Skript mit den wichtigsten Punkten zu erstellen und nicht unvorbereitet einfach loszureden. Das ist für einen selbst als Moderator, aber auch für die Teilnehmer deutlich angenehmer. Dazu sind Stichpunkte vollkommen ausreichend, damit man nicht abliest, sondern locker, aber strukturiert seine Ideen und Argumente vorträgt. Natürlich passiert in der Folge aufgrund des bewussten Dialog-Charakters von Clubhouse sowieso noch genug spontan ‒ wahrscheinlich ist genau das die eigentliche Chance dieses neuen Mediums: Spontane Querverbindungen, zufällige und eben nicht geplante Treffen, neue Kontakte, Ansichten und Einsichten. So musste ich schon lachen, als ich gesehen habe, dass es „Ruheräume“ gibt, also in einer auf das Reden ausgelegten App eben genau das Gegenteil passiert und Menschen sogar nachts ihr Handy anlassen, um nicht alleine zu schlafen.

 

Redaktion: Und wie geht es nun weiter? Wird Clubhouse aus Ihrer Sicht ein anderes bestehendes Medium verdrängen oder vielmehr ergänzen?

 

Schulz: Der deutsche Journalist Wolfgang Riepl formulierte bereits 1913 das sogenannte Rieplsche Gesetz, das sinngemäß besagt, dass neue, höher entwickelte Medien die alten, bestehenden Medien nie ganz verdrängen werden, sondern vielmehr ergänzen und ggf. auch verändern. Bei der Vielzahl der derzeit nutzbaren und neu erscheinenden sozialen Medien bleibt insgesamt abzuwarten, wie sich diese Medien weiter ausdifferenzieren und welche Medien am Ende für was primär genutzt werden. Fakt ist, dass die meisten sozialen Medien relativ schnell auch identische Funktionen aus anderen Medien integrieren können (und dies in der Vergangenheit auch getan haben) und viele Logiken, die in sozialen Medien funktionieren und gut von den Nutzern angenommen werden, dann auch von den Medien untereinander adaptiert werden.

 

Ein weiterer Aspekt wird sicherlich sein, wie Clubhouse Geld verdient. Derzeit ist die Plattform kostenlos und werbefrei. Um aber Geld zu verdienen und die Investoren-Interessen zu befriedigen wird, wie bei anderen sozialen Medien auch, über kurz oder lang das Thema Werbung ins Spiel kommen. Auch das wird das Medium und seine Nutzung durch uns nachhaltig verändern.

 

Quelle

Quelle: Seite 2 | ID 47259434