· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
FG Nürnberg versagt Zwischenhändler bei bloßer Mitwirkung im Reihengeschäft Vorsteuerabzug
von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht Konstantin Weber, Weber I Recht & Steuern Kanzlei, Karlsruhe/Ettlingen
| Zwischenhändler gebrauchter Personenkraftwagen müssen bei Geltendmachung ihrer Vorsteuerabzüge auf deren strenge Voraussetzungen im besonderen Maße achten. Ein Urteil des FG Nürnberg zeigt, welche rechtlichen Risiken bei Geltendmachung der Vorsteuerabzüge entstehen bzw. unter welchen Umständen eine rechtlich falsche Anwendung des geltenden Gesetzes zur Versagung der Vorsteuerabzüge führt, wenn ein Zwischenhändler in der Lieferkette eingeschaltet wird. ASR hat die Details für Sie. |
Der Zwischenhändler-Fall vor dem FG Nürnberg
Einzelunternehmer E (Kläger) handelte mit gebrauchten Kraftfahrzeugen im Inland. Daneben war E alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der S GmbH (S), die ihren Geschäftssitz unter der gleichen Anschrift wie das Einzelunternehmen hatte und ebenfalls mit Kraftfahrzeugen handelte, allerdings grenzüberschreitend. E mietete die Geschäftsräume von einem Dritten an und räumte der S vertraglich die Mitbenutzung dieser Räume und der Büroeinrichtung ein, insbesondere der Telekommunikationsanlagen.
Das Geschäftsmodell der S bestand darin, als Zwischenhändler im Kraftfahrzeughandel aufzutreten. Dazu erwarb die S gebrauchte Kraftfahrzeuge von der inländischen A GmbH (A) und veräußerte sie an die P GmbH (P), Österreich, weiter. Dabei kaufte die S die Fahrzeuge zu den zuvor vereinbarten Preisen zuzüglich Umsatzsteuer von der A und verkaufte sie unter Aufschlag ihrer ebenfalls zuvor vereinbarten Provision steuerfrei an die P weiter und erstellte Buch- und Belegnachweise für innergemeinschaftliche Lieferung (sog. „Nettofakturierung“). Zwischen der A und der S wurde netto zzgl. Umsatzsteuer (brutto) abgerechnet. Zwischen der S und der P wurde jeweils ohne Steuerausweis und mit dem Hinweis, dass eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, abgerechnet.
E ging davon aus, dass er Organträger der S sei und er deswegen der S die in den Rechnungen der A ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen könne, für die Verkäufe an die P aber keine Umsatzsteuer schulde. Diese rechtliche Einordnung war das Ergebnis einer Umsatzsteuersonderprüfung des Finanzamts, das sich in den Umsatzsteuererklärungen des E widerspiegelte. Das Finanzamt stimmte den Umsatzsteuererklärungen des E zu.
Aufgrund einer Fahndungsprüfung bei der A und der S vertrat die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts dann aber die Auffassung, dass aufgrund des Geschäftsmodells die S keine Verfügungsmacht über die Fahrzeuge erlangt habe. Das Finanzamt folgte dieser Auffassung und änderte daraufhin die Umsatzsteuerbescheide zulasten des E. Es kam zum Streit mit E.
FG Nürnberg: kein Vorsteuerabzug beim Zwischenhändler
Nach Ansicht des FG Nürnberg kann E die in den Rechnungen der S ausgewiesene Vorsteuer nicht abziehen, weil er oder die S keine Lieferungen der A bezogen, sondern lediglich sonstige Leistungen an die A oder die P ausführten (FG Nürnberg, Urteil vom 18.03.2025, Az. 2 K 1120/21, Abruf-Nr. 249049).
Das setzt Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne voraus
Lieferungen eines Unternehmers sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (sog. Verschaffung der Verfügungsmacht). Als Lieferung von Gegenständen gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Lieferung ist demnach jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer. Ein Zwischenhändler kann die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, dem nachfolgenden Erwerber nur übertragen, wenn er sie zuvor vom vorhergehenden Verkäufer erhalten hat (EuGH, Urteil vom 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, Rz. 31, Abruf-Nr. 110178).
Bloße Mitwirkung an Lieferkette ohne Verfügungsmacht genügt nicht
Nach diesen Maßstäben sind nach Ansicht des FG die Abreden zwischen der A, der S und der P dahingehend zu würdigen, dass die Verfügungsmacht über die gehandelten Fahrzeuge von der A unmittelbar auf die P überging und die S weder Verfügungsmacht erlangte noch verschaffte. S führte keine Lieferung aus, sondern erbrachte lediglich eine sonstige Leistung, indem sie bei einer ‒ fehlgeschlagenen ‒ Gestaltung mitwirkte. E hielt die „Nettofakturierung“ als die ‒ im Endeffekt fehlgeschlagene ‒ Gestaltung für eine grundsätzlich tragfähige Steuergestaltung. Die „Nettofakturierung“ ähnelt der „Zwischenfinanzierung“, bei der aufgrund einer Gesamtschau umsatzsteuerrechtlich von einer sonstigen Leistung und nicht von einer Lieferung auszugehen ist.
- Aufgrund der Abfolge der Anbahnung und des Abschlusses der Verträge konnte S rechtlich zu keinem Zeitpunkt über Substanz, Wert und Ertrag der Fahrzeuge verfügen. Denn aufgrund der vor Einschaltung der S unmittelbar zwischen der A und der P getroffenen Vereinbarungen hatte die S bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Möglichkeit, den Kaufpreis zu beeinflussen und damit von Substanz, Wert und Ertrag zu profitieren. Der Kaufpreisaufschlag bei der Weiterveräußerung richtete sich nach dem ohne Beteiligung der S verhandelten Ankaufspreis. Zudem verkaufte die A an die S nur wegen der zuvor mit der P getroffenen Vereinbarungen und um der P den Erwerb von der S zu ermöglichen.
- Dies entsprach auch der Interessenlage der Beteiligten: A wollte Substanz, Wert und Ertrag der Fahrzeuge der P übertragen, P diese von der A erwerben. Die S wurde nur eingeschaltet, um die A von dem Aufwand für die ordnungsgemäße Dokumentation der innergemeinschaftlichen Lieferung zu entlasten, mithin als Dienstleisterin für die A.
Keine umsatzsteuerliche Organschaft
Was die umsatzsteuerliche Organschaft angeht: Das FG hat diese verneint. Eine Organschaft setzt voraus, dass eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Die wirtschaftliche Eingliederung der S in das Einzelunternehmen des E wird nicht allein durch gemeinsame Büronutzung oder eine Geschäftsführerstellung begründet. Es hätte darüber hinaus einer funktionalen wirtschaftlichen Verflechtung bedurft, so das FG.
Bedeutung des Urteils für die Praxis
Aus dem Urteil des FG Nürnberg folgt für die Praxis:
- Ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG setzt voraus, dass eine Lieferung an den Steuerpflichtigen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne vorliegt. Dies erfordert die Übertragung der Verfügungsmacht über einen Gegenstand. Die bloße Mitwirkung an einer Lieferkette ohne eigene Verfügungsbefugnis genügt nicht.
- Ein Fahrzeughändler, der ausschließlich vermittelnd zwischen Verkäufer und Erwerber auftritt und weder die Verfügungsmacht über die Fahrzeuge erlangt noch übertragen kann, tätigt keine Lieferung, sondern erbringt lediglich eine sonstige Leistung.
- Der Vorsteuerabzug scheitert, wenn keine tatsächliche Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne vorliegt.
- Der Leistungsempfänger muss nachweisen, dass er eine Lieferung erhalten hat, und trägt insoweit die objektive Feststellungslast.
- Ein Vertrauen in die frühere abweichende Würdigung der Finanzverwaltung begründet ohne verbindliche Zusage keinen Vertrauensschutz.
PRAXISTIPP | Für Sie als Zwischenhändler bzw. Zwischenerwerber bedeutet das Urteil:
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