01.09.2025 · IWW-Abrufnummer 249913
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 30.06.2025 – 14 K 1478/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Der Haftungsbescheid vom 01.12.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.06.2022 wird aufgehoben.
Das Verfahren wegen Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 37 % und der Beklagte zu 63 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
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Die Klägerin, eine GmbH, begehrt die Aufhebung eines Haftungsbescheids über Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für den Zeitraum 01.05.2016 bis 31.12.2019 (Streitzeitraum) und wendet sich zudem gegen die hiermit verbundene Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (VdN) zu den Lohnsteueranmeldungen des Streitzeitraums.
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Die Klägerin war im Streitzeitraum Eigentümerin eines Mercedes Benz E-300 (nachfolgend nur „PKW“), der dem Alleingesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin, X. S. (X. S.), zur Nutzung ‒ lt. Klägerin nur für betriebliche Fahrten ‒ zur Verfügung gestellt wurde. Die PKW-Nutzung wurde durch handschriftlich geführte Fahrtenbücher dokumentiert, auf deren Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird. Das Fahrtenbuch für das Jahr 2019 war zunächst in einem DIN A4-Buch bzw. -Block mit Klebebindung geführt worden. Diese „gebundene Form“ wurde jedoch durch ein Versehen der Assistentin von X. S., die die Seiten nach Ablauf des Kalenderjahres aus dem Buch herausgerissen und in einem Ordner betreffend den PKW abgehheftet hatte, aufgehoben. Es liegen seitdem nur noch die losen Seiten des Fahrtenbuchs vor.
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Laut § 10 Abs. 3 der Satzung der Klägerin, bedürfen „[a]lle das Gesellschaftsverhältnis betreffenden Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern oder zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern […] zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform, soweit sie nicht eines Gesellschafterbeschlusses oder notarieller Beurkundung bedürfen. Das gilt auch für einen etwaigen Verzicht auf das Erfordernis der Schriftform.“
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Es existiert ein schriftlicher „Geschäftsführervertrag“ zwischen der Klägerin ‒ die damals noch unter den Namen „O. GmbH“ firmierte ‒ und X. S. vom 00.00.2014. Darin ist u.a. Folgendes geregelt:
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„…
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§ 2 Selbstkontrahieren
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Der Geschäftsführer ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.
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…
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§ 4 Vergütungen und sonstige Nebenleistungen
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Der Geschäftsführer erhält in der Aufbauphase keine monatliche Bruttovergütung.
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Das Ende der Aufbauphase bestimmt die Gesellschafterversammlung mit einem separaten
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Gesellschafterbeschluss.
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Auf Anforderung wird dem Geschäftsführer ein Mobiltelefon, ausschließlich zur betrieblichen Nutzung zur Verfügung gestellt.
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Die Gewährung weiterer Nebenleistungen bedarf der vorherigen Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung.
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…
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§ 12 Vertragsänderungen und Nebenabreden
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Änderungen, Ergänzungen und Nebenabreden bedürfen der Schriftform; dies gilt auch für die Aufhebung der Schriftform selbst.
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Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, wird hierdurch die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen nicht berührt.“
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Mit Datum vom 26.05.2016 wurde in einer „1. Ergänzung zum Geschäftsführervertrag vom 00.00.2014“ der Geschäftsführervertrag u.a. um einen Anspruch von X. S. auf monatliche Bruttovergütung i.H.v. 5.000 € ab dem 01.06.2016 (§ 4a des Vertrages) sowie einen Urlaubsanspruch (§ 4b des Vertrages) ergänzt. Wegen der Einzelheiten und des weiteren Inhalts der Vertragsergänzung wird auf diese Bezug genommen. Regelungen zur Nutzung eines PKW durch X. S. finden sich in der Vertragsergänzung (wie auch im ursprünglichen Vertrag) nicht.
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Der Beklagte (das Finanzamt ‒ FA) führte von Ende 2020 bis Ende 2021 eine Lohnsteueraußenprüfung für den Streitzeitraum bei der Klägerin durch, deren Ergebnisse im Bericht über die Lohnsteueraußenprüfung vom 26.11.2021 festgehalten sind. Die Prüferin ging ‒ auf welcher Basis, ist aus der Prüferhandakte nicht ersichtlich ‒ von einer Überlassung des PKW an X. S. auch zur Privatnutzung aus und vertrat daran anschließend die Auffassung, dass die vorgelegten Fahrtenbücher wegen erheblicher Mängel als nicht ordnungsgemäß einzustufen und daher zu verwerfen seien (s. bezüglich der vorgeworfenen Mängel insbesondere das Schreiben der Prüferin an die Prozessbevollmächtigten vom 23.04.2021 in der Prüferhandakte, auf das an dieser Stelle Bezug genommen wird). Die Prüferin berücksichtigte in der Folge einen privaten Nutzungsanteil unter Anwendung der sog. 1 %-Methode.
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Die Prüfungsfeststellungen legte das FA dem streitgegenständlichen Haftungsbescheid vom 01.12.2021 zugrunde, mit dem die Klägerin über einen Betrag i.H.v. insgesamt 8.427,34 € in Haftung genommen wurde. Zugleich hob es den VdN bezüglich der abgegebenen Lohnsteueranmeldungen auf.
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Der dagegen eingelegte Einspruch, bezüglich dessen Begründung hier auf die entsprechenden Schriftsätze im Einspruchsverfahren Bezug genommen wird, hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 02.06.2022). Das FA führte zur Begründung der ablehnenden Entscheidung zunächst aus, dass offensichtlich nicht alle Fahrten lückenlos aufgezeichnet worden seien und verwies insoweit auf eine Kilometerdifferenz zwischen der letzten Aufzeichnung für 2018 (Kilometerstand: 97.315) und der ersten Aufzeichnung für 2019 (Kilometerstand: 98.469) von 1.154 Kilometern. Darüber hinaus verwies es auf die in der Anlage 1 zur Einspruchsentscheidung beigefügten Tankbelege, für die kein Eintrag im Fahrtenbuch ersichtlich sei. Weiterhin sei für das Jahr 2019 kein geschlossenes unveränderliches Fahrtenbuch geführt worden, sondern es seien lose linierte DIN A4-Blätter, die man zuvor aus einer Bindung gelöst habe, gelocht und zusammengefügt worden. Schließlich wiesen Rechenfehler bei den Kilometerangaben darauf hin, dass die Eintragungen nicht zeitnah vorgenommen worden seien. Denn bei einer zeitnahen Ablesung von der digitalen Kilometeranzeige des Fahrzeugs seien solche Fehler im Grunde ausgeschlossen. Mit Einspruchsentscheidung vom gleichen Tag wies das FA auch den ‒ nicht näher begründeten ‒ Einspruch gegen die Aufhebung des VdN betreffend die Lohnsteueranmeldungen des Streitzeitraums zurück.
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Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin zunächst (sinngemäß) darauf hinweist, dass keine ausdrückliche Erlaubnis zur Privatnutzung des PKW durch X. S. existiere. Auch eine konkludente Nutzungserlaubnis scheide aus. Denn sie, die Klägerin, habe für jedes andere Fahrzeug, welches einem Mitarbeiter überlassen worden sei, den entsprechenden geldwerten Vorteil auf der Lohnabrechnung erfasst. Vorliegend spreche zudem gegen eine Privatnutzung durch X. S., dass diesem für Privatfahrten im Streitzeitraum diverse andere Fahrzeuge zur Verfügung gestanden hätten (auf die Aufstellungen in den Schriftsätzen vom 17.11.2022, Bl. 61. d.A., sowie vom 20.03.2025, Bl. 207 d.A., wird Bezug genommen); ein etwaiger Anscheinsbeweis der Privatnutzung sei hierdurch entkräftet. Gegen eine Privatnutzung spreche weiter, dass die Klägerin unter der Wohnadresse des Gesellschafter-Geschäftsführers, X. S., ansässig sei, sodass Fahrten zur privaten Wohnung von X. S. ausschieden. Darüber hinaus sei das Fahrzeug auch regelmäßig durch einen Fahrer bewegt worden, der X. S. zu Geschäftsterminen hin- und zurückgefahren habe, damit dieser habe weiterarbeiten können. Im Ergebnis sei somit aus Sicht der Klägerin auch ohne die Einbeziehung des Fahrtenbuchs belegt, dass keine Privatnutzung des PKW erfolgt sei. Die Führung eines Fahrtenbuchs „an sich" spreche zudem nicht für eine Überlassung zur Privatnutzung. Denn die Rechtsprechung erkenne in vergleichbaren Konstellationen, in denen der Gesellschafter-Geschäftsführer ein privates Nutzungsverbot mit der Gesellschaft vereinbart habe, das Nutzungsverbot nicht ohne weiteres an (Hinweis auf FG Münster, Urteil vom 28.04.2023 ‒ 10 K 1193/20, juris). Vor diesem Hintergrund sei bereits aus Gründen der Beweisvorsorge die Führung eines Fahrtenbuchs notwendig.
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Hinsichtlich der vom FA in der Anlage zur Einspruchsentscheidung angeführten Mängel des Fahrtenbuchs teilt die Klägerin hilfsweise mit, diese könnten aus heutiger Sicht nicht mehr abschließend aufgeklärt werden. Reiseroute und der Zweck der Einzelfahrten seien jedoch im Ergebnis stets nachvollziehbar, jedenfalls unter Zuhilfenahme ergänzender Unterlagen. Kleinere Mängel seien zudem für die Ordnungsgemäßheit eines Fahrtenbuchs insgesamt unschädlich (Hinweis auf das Urteil des FG Niedersachsen vom 16.06.2021 ‒ 9 K 276/19, Entscheidungen der Finanzgerichte ‒EFG‒ 2022, 35). Der Einwand des FA hinsichtlich der mangelnden „Buchform“ des Fahrtenbuches für 2019 sei unzutreffend, weil das Fahrtenbuch ursprünglich in Buchform vorgelegen habe, die Seiten jedoch im Rahmen der Archivierung versehentlich von einer Mitarbeiterin herausgelöst worden seien, die sich der Notwendigkeit der Buchform nicht bewusst gewesen sei. Aus Sicht der Klägerin bestehe hilfsweise die Möglichkeit, den Anteil der betrieblichen Nutzung im Wege einer Schätzung gem. § 162 AO vorzunehmen (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs ‒BFH‒ vom 24.02.2000 ‒ III R 59/98, Bundessteuerblatt Teil II ‒BStBl II‒, 2000, 273). Diese Schätzung könne bspw. unter Heranziehung der Angaben in dem (ggfs. nicht ordnungsgemäß geführten Fahrtenbuch) erfolgen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2025 hat die Klägerin ihren Antrag bzgl. der Aufhebung des VdN hinsichtlich der Lohnsteueranmeldungen zurückgenommen.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
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den Haftungsbescheid vom 01.12.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.06.2022 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es erwidert, eine hinreichende Gewähr der Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben im Fahrtenbuch sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Entsprechend der Anlage zur Einspruchsentscheidung lägen für alle Prüfungsjahre Kostenbelege (Tank- und Parkquittungen) vor, die nicht zu den Eintragungen im Fahrtenbuch passten. Bei diesen beispielhaften Belegen handele es sich auch nicht nur um kurze Tankfahrten, die hätten vernachlässigt werden können, sondern um weitere Entfernungen. So sei z.B. für den 01.07.2016 ein Tankbeleg aus Köln vorgelegt worden, obwohl für diesen Tag nur eine Fahrt zwischen Willich und Neuss eingetragen worden sei. Wegen weiterer Bespiele verweist das FA auf die Anlage zur Einspruchsentscheidung. Es handele sich nicht mehr um kleinere Mängel, sondern um solche, die die Vollständigkeit und die Ordnungsmäßigkeit der Eintragungen anzweifeln ließen. Insbesondere lägen entsprechende Mängel in allen Prüfungsjahren vor. Weitere Unsicherheiten ergäben sich aus den Eintragungen und Vermerken zu Privatfahrten. Nach den Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 20.04.2021 im Rahmen der Betriebsprüfung handele es sich bei allen Fahrten ohne Angabe dazu, ob es sich um geschäftliche oder private Fahrten handele, stets um private Fahrten. Demnach handele es sich bei den Fahrten in dem Zeitraum 14.12.-20.12.2016 durchgehend um private, obwohl mehrfach Ziele aufgesucht worden seien (insbesondere K.), die im Weiteren als geschäftlich gekennzeichnet worden seien. Gleiches gelte für den Zeitraum 05.12.-09.12.2016. Für 2019 mangele es an der gebundenen Form des Fahrtenbuchs.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Steuerakte Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ‒ die sich nach Rücknahme des Antrags betreffend die Aufhebung des VdN hinsichtlich der Lohnsteueranmeldungen zuletzt nur noch gegen den Haftungsbescheid richtete ‒ ist begründet.
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Der Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in ihren Rechten.
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1. Das FA ist zu Unrecht von einem als Arbeitslohn zu behandelnden geldwerten Vorteil von X. S. aus einer Gestattung zur privaten PKW-Nutzung ausgegangen. Eine ausdrückliche Vereinbarung über die Nutzungsüberlassung auch für private Zwecke liegt nicht vor. Eine nachhaltige „vertragswidrige“ Privatnutzung durch X. S., die ggfs. die Annahme einer konkludenten Privatnutzungserlaubnis rechtfertigen könnte, lässt sich nicht feststellen.
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a) Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.
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aa) Die (unentgeltliche oder verbilligte) Überlassung eines betrieblichen Kfz durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit in aller Regel zum Zufluss von Arbeitslohn i.S.v. § 8 i.V.m. § 19 EStG. Denn der Arbeitnehmer ist um den Betrag bereichert, den er für eine vergleichbare Nutzung aufwenden müsste und den er sich durch die Überlassung des Fahrzeugs durch den Arbeitgeber erspart (st. Rspr., vgl. BFH-Urteil vom 15.12.2022 ‒ VI R 44/20, BStBl II 2023, 442). Der Wert der Nutzung eines betrieblichen Kfz zu privaten Fahrten und für die Nutzung zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. erster Tätigkeitsstätte ist entsprechend § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG mittels der 1%-Regelung und der 0,03%-Regelung zu ermitteln (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG). Nach § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG kann dieser Wert mit dem auf die private Nutzung und die Nutzung zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. erster Tätigkeitsstätte entfallenden Teil der gesamten Kraftfahrzeugaufwendungen angesetzt werden, wenn die durch das Kfz insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten Fahrten und der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. erster Tätigkeitsstätte zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden.
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bb) Einen Anscheinsbeweis, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen diesem zur Verfügung gestellten Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen hat, gibt es nach der Rechtsprechung des für den Bereich der (auch hier streitigen) Lohnsteuer zuständigen VI. Senats des BFH nicht und zwar auch dann nicht, wenn wie vorliegend die Privatnutzungsbefugnis eines angestellten (Allein-) Gesellschafter-Geschäftsführers in Rede steht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 08.08.2013 ‒ VI R 71/12, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‒BFH/NV‒ 2014, 153, Rz. 13 und 15).
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cc) Nutzt der Gesellschafter-Geschäftsführer den Betriebs-PKW ohne entsprechende Gestattung der Gesellschaft für private Zwecke, liegt eine vGA und kein Arbeitslohn vor. Die unbefugte Privatnutzung des betrieblichen PKW hat keinen Lohncharakter. Denn ein Vorteil, den der Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers erlangt, wird nicht „für“ eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt und zählt damit nicht zum Arbeitslohn nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG. Vielmehr ist die ohne Nutzungs- oder Überlassungsvereinbarung erfolgende oder darüberhinausgehende, aber auch die einem ausdrücklichen Verbot widersprechende Nutzung durch das Gesellschaftsverhältnis zumindest mit veranlasst (BFH-Urteil vom 11.02.2010 ‒ VI R 43/09, BStBl II 2012, 266, Rz. 15).
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Allerdings ist in Fällen, in denen die „vertragswidrige“ private Nutzung des betrieblichen PKW durch den anstellungsvertraglich gebundenen Gesellschafter-Geschäftsführer „nachhaltig“ (zu diesem Erfordernis BFH, a.a.O., Rz. 16) erfolgt, regelmäßig zu prüfen ob die Nutzungsbeschränkung bzw. das Nutzungsverbot überhaupt ernstlich gemeint und nicht lediglich formal vereinbart ist, da üblicherweise der Arbeitgeber eine unbefugte Nutzung durch den Arbeitnehmer nicht duldet. Unterbindet der Arbeitgeber (Kapitalgesellschaft) in einem solchen Fall die nachhaltige Privatnutzung durch den Arbeitnehmer (Gesellschafter-Geschäftsführer) nicht, kann dies sowohl durch das Beteiligungsverhältnis als auch durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sein. Die Zuordnung bedarf dann der wertenden Betrachtung aller Gesamtumstände des Einzelfalls, bei der immer auch zu berücksichtigen ist, dass die Privatnutzung auf einer vom schriftlich Vereinbarten abweichenden, mündlich oder konkludent getroffenen Nutzungs- oder Überlassungsvereinbarung beruhen (dadurch im Ergebnis nicht mehr „vertragswidrig“ sein) und damit im Arbeitsverhältnis wurzeln kann (vgl. BFH, a.a.O. Rz. 16).
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Das FG hat in solchen Fällen zunächst zu untersuchen, ob der betriebliche PKW vom Gesellschafter nachhaltig privat genutzt worden ist, und sodann ‒ falls eine solche Nutzung festgestellt werden konnte ‒ den Vorteil aus der privaten PKW-Nutzung wertend dem Gesellschafts- oder dem Arbeitsverhältnis zuzuordnen (vgl. BFH, a.a.O. Rz. 17).
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b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist X. S. kein entsprechender Arbeitslohn zugeflossen.
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aa) Die Annahme von Arbeitslohn aufgrund einer ausdrücklichen Privatnutzungsgestattung scheidet aus. Denn in dem vorliegenden schriftlichen Geschäftsführeranstellungsvertrag (inkl. des Ergänzungsvertrags) zwischen der Klägerin und X. S. findet sich keine Vereinbarung über die Gestattung der Privatnutzung des PKW durch X. S..
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bb) Es liegt auch keine konkludent bzw. mündlich abweichend vom schriftlich Vereinbarten getroffene Nutzungsvereinbarung vor, die den Ansatz von Arbeitslohn rechtfertigen würde.
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(1) Gegen eine mündliche oder konkludente Gestattung der Privatnutzung spricht zunächst zumindest indiziell, dass sich X. S. und die Klägerin auch sonst streng an die schriftlichen Vereinbarungen im Anstellungsvertrag gehalten haben und Änderungen desselben der Schriftform bedurften. Dies zeigt sich exemplarisch an dem Umstand, dass sie sich bei der Ergänzung der X. S. zustehenden Nebenleistungen durch die 1. Ergänzungsvereinbarung vom 26.05.2016 strikt an die strengen Formvorgaben (vorheriger Gesellschafterbeschluss über die Gewährung der zusätzlichen Leistungen und Schriftform der Vertragsänderung) hielten.
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(2) Eine tatsächliche nachhaltige Privatnutzung des PKW durch X. S., die auf eine konkludente Gestattung schließen lassen könnte, kann der Senat nicht feststellen. Gegen eine solche Privatnutzung spricht vor allem und entscheidend die (unstreitige) Existenz des umfangreichen privaten „Fuhrparks“ von X. S., in dem sich mehrere Fahrzeuge befinden, die dem streitgegenständlichen PKW in Status und Gebrauchswert vergleichbar sind.
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Der Vortrag von X. S., für Privatfahrten diese Fahrzeuge genutzt zu haben, erscheint auch deswegen plausibel, weil die Klägerin unter der Wohnadresse von X. S. ansässig ist, sodass letzterer auch ohne große Umstände auf seine Privatfahrzeuge zugreifen konnte. Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte fielen nicht an.
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Keinen Beleg für oder gar ein Eingeständnis von tatsächlichen Privatfahrten sieht der Senat in dem vom FA hervorgehobenen Umstand, dass die Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 20.04.2021 im Rahmen der Betriebsprüfung mitteilten, bei allen Fahrten ohne Angabe dazu, ob diese geschäftlich oder privat veranlasst gewesen seien, habe es sich stets um private Fahrten gehandelt. Denn in der mündlichen Verhandlung auf diese Aussage angesprochen, erläuterte der Vertreter der Prozessbevollmächtigten hierzu nachvollziehbar, es habe sich um einen pragmatischen Lösungsvorschlag zur Beilegung des Streitpunktes der Versteuerung einer privaten PKW-Nutzung gehandelt, der darauf abgezielt habe, etwaige mängelbehaftete Eintragungen im Fahrtenbuch der Einfachheit halber den Privatfahrten zuzuordnen, das Fahrtenbuch jedoch insgesamt als ordnungsgemäß anzuerkennen. Diese Erklärung erscheint deshalb plausibel, weil die Beteiligten ausweislich der vorliegenden Akten im gesamten Verwaltungsverfahren lediglich über die Ordnungsgemäßheit der Fahrtenbücher stritten, jedoch nie über die vorgelagerte Frage des „Ob“ der Privatnutzungsgestattung.
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Ein Indiz für Privatfahrten dürften die vom FA in Bezug genommenen Zeilen im Fahrtenbuch ‒ konkret handelt es sich um die Fahrten im Zeitraum 05.12.-09.12.2016 und 14.12.-20.12.2016 ‒ zudem auch deshalb nicht sein, weil ‒ worauf das FA selbst hinweist ‒ es sich ausweislich der übrigen Eintragungen zu den Fahrten bei den aufgesuchten Zielen (insb. dem K.) offensichtlich um geschäftlich veranlasste Fahrten handelte. Insofern spricht einiges dafür, dass hier ‒ anders als bei den übrigen Eintragungen im Fahrtenbuch ‒ lediglich vergessen wurde, die Differenz zwischen Anfangs- und Endkilometerstand zu berechnen und diese in die entsprechende Spalte für betriebliche Fahrten im Fahrtenbuch einzutragen.
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c) Außerdem ist zu berücksichtigen, dass X. S. beherrschender Gesellschafter der Klägerin war. Nach den Grundsätzen des sog. formellen Fremdvergleichs ist eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) grundsätzlich auch und bereits dann anzunehmen, wenn die Kapitalgesellschaft eine Leistung an den beherrschenden Gesellschafter erbringt, für die es an einer klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung fehlt (vgl. z.B. Levedag in Schmidt, EStG, 44. Aufl. 2025, § 20 Rz. 45 m.w.N.).
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An einer solchen vorherigen klaren und eindeutigen Gestattung der Privatnutzung fehlt es im Streitfall offenkundig. Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass eine etwaige Privatnutzung des PKW vorrangig durch das Beteiligungsverhältnis veranlasst wäre und aus systematischen Gründen allenfalls zu einer vGA führen würde (so auch Krüger in Schmidt, EStG, § 19 Rz. 100 Stichwort „Kraftfahrzeuggestellung“ unter (5) m.w.N.; vgl. auch BMF-Schreiben vom 03.04.2012, Bundessteuerblatt Teil I ‒BStBl I‒ 2012, 478). Die steuerlichen Folgen einer vGA können vom FA nicht im Wege eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides geltend gemacht werden.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und § 136 Abs. 2 FGO.
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Soweit sie die Klage zurückgenommen hat (Antrag bzgl. der Aufhebung des VdN zu den Lohnsteueranmeldungen), hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 136 Abs. 2 FGO), im Übrigen das FA (§ 135 Abs. 1 FGO).
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3. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 115 Abs. 2 FGO) bestehen nicht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.