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  • · Fachbeitrag · Gebrauchtwagenhandel

    GW-Verkauf: Offenbarungspflichten und ihre Folgen kennen und so Streitigkeiten vermeiden

    von Rechtsanwalt Dr. Paul Derabin und Dominika Pisula, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover

    | Der Kaufvertrag ist geschlossen, der Gebrauchtwagen vom Hof. Wochen oder Monate später kommt der Käufer zurück zum Kfz-Händler. Sein Vorwurf: Der Gebrauchte habe einen Mangel. Es kommt zum Streit. Leider keine Seltenheit im Gebrauchtwagenhandel. Gegenstand der Streitigkeiten ist häufig die Frage, ob der Kfz-Händler seine Offenbarungspflicht eingehalten oder verletzt hat. Doch welche Offenbarungspflichten gelten überhaupt beim Gebrauchtwagenverkauf? |

    Diese Offenbarungspflichten haben Kfz-Händler

    Die gute Nachricht vorweg: Den Kfz-Händler trifft keine generelle Offenbarungspflicht, den Käufer von sich aus umfassend über alle Umstände zu informieren, die seine Kaufentscheidung beeinflussen könnten. Sprich: Sie sind nicht dazu verpflichtet, den Käufer über jeden Mangel aufzuklären. Es ist nämlich Sache eines jeden, sich über alle Umstände zu informieren, die für dessen Vertragsentschluss bedeutsam sind. Das ist der Grundsatz.

     

    Kfz-Händler muss über wesentliche Umstände informieren

    Unter Berücksichtigung der gegensätzlichen Interessenlage und der Grundsätze von Treu und Glauben gibt es jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz. So muss der Kfz-Händler in seiner Rolle als Kfz-Händler den Käufer über wesentliche Umstände informieren, die für dessen Kaufentschluss erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind. Und zwar dann, wenn der Käufer auf die Fachkunde des Kfz-Händlers vertraut. Das ist beim Gebrauchtwagenverkauf der Fall.

     

    Unfallschäden sind zwingend zu offenbaren

    Deswegen trifft die mit überlegener Fachkenntnis ausgestatteten Kfz-Händler grundsätzlich die Pflicht, den Käufer über Unfallschäden am Gebrauchtwagen zu informieren. Das Risiko des Kaufentschlusses ist für den Käufer nämlich wesentlich schwieriger zu beurteilen, wenn er über einen Unfallschaden nicht unterrichtet wurde. Denn für ihn ist die Kenntnis über einen Unfallschaden von großer Bedeutung für die Kaufentscheidung, weil nicht sicher ist, ob Schäden am Fahrzeug verblieben sind oder künftig auftreten könnten.

     

    „Unfallschäden-Offenbarungspflicht“ gilt nicht bei Bagatellschäden

    Es gibt aber eine Ausnahme: Der Käufer muss nicht durchweg über jeden Unfallschaden unterrichtet werden. Es ist abzugrenzen, ob es sich um einen „Wagen mit Unfallschaden“ oder lediglich um einen nicht anzeigepflichtigen Bagatellschaden handelt.

     

    Das Vorliegen bloßer Bagatellschäden begründet nämlich ‒ vorbehaltlich etwaiger entgegenstehender Vereinbarungen ‒ keinen Sachmangel. Vielmehr muss der Käufer damit rechnen, dass alters- und gebrauchsbedingte Verschleißspuren bestehen. Deshalb muss er darüber auch nicht informiert werden (BGH, Urteil vom 09.09.2022, Az. VIII ZR 150/18, Abruf-Nr. 218483).

     

    Hintergrund | Ein solcher Bagatellschaden liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Unfallschaden so geringfügig ist, dass er bei vernünftiger Betrachtungsweise den Kaufentschluss nicht beeinflussen kann. Bei Pkw ist diese Grenze sehr eng zu ziehen. Darunter fallen in der Rechtsprechung lediglich ganz geringfügige, äußere (Lack-)Schäden; nicht jedoch andere (Blech-)Schäden. Das gilt selbst dann, wenn keine anderen Folgen zu verbuchen waren und der Reparaturaufwand gering war.

     

    Auf Nachfrage des Käufers muss Kfz-Händler wahrheitsgemäß antworten

    In jedem Fall ‒ sei es Unfall- oder sei es Bagatellschaden ‒ muss der Kfz-Händler auf Fragen des Käufers wahrheitsgemäß antworten. Das bedeutet für Sie: Wenn der Käufer Sie ausdrücklich nach einem Unfallschaden fragt, müssen Sie auch solche Unfälle mitteilen, die nach Ihrer Auffassung bloß zu einem nicht anzeigepflichtigen Bagatellschaden ohne weitere Folgen geführt haben. Die Begründung ist einfach: Es obliegt dem Käufer, zu entscheiden, was für ihn entscheidungserheblich ist.

     

    • Beispiel

    Der Käufer fragt, ob der Gebrauchtwagen reparierte Unfallschäden hat. Darauf antwortet der Kfz-Händler, dass lediglich ein Blechschaden vorhanden war. Dieser ist repariert worden. Tatsächlich lag jedoch ein Rahmenschaden vor, den der Kfz-Händler kannte.

     

    Lösung: Der Kfz-Händler verletzt seine Offenbarungspflicht, da die Antwort unrichtig ist und er die Wahrheit heruntergespielt hat.

     

    Offenbart der Kfz-Händler einen Unfallschaden auf die ausdrückliche Frage des Käufers hin nicht, sieht er sich dem Vorwurf der arglistigen Täuschung ausgesetzt.

     

    PRAXISTIPP | Fragt Sie ein Käufer explizit nach Unfallschäden am Gebrauchtwagen, müssen Sie vollständig aufklären. Nennen Sie die konkreten Schäden und informieren Sie den Käufer auch darüber, ob diese behoben wurden oder ob Sie vermuten, dass dies nicht der Fall ist. So sind Sie auf der sicheren Seite.

     

    Das gilt, wenn der Käufer nicht nachfragt

    Unfallschäden, die dem Kfz-Händler bekannt sind, sind auch ungefragt zu offenbaren. Tut er dies nicht, täuscht er den Käufer im Regelfall damit arglistig durch Unterlassen. Das gilt auch, wenn der Kfz-Händler an einen anderen Händler verkauft. Ausnahmen von dieser Offenbarungspflicht gibt es nur im Einzelfall. Nämlich dann, wenn der Kfz-Händler davon ausgehen darf, dass der Käufer die Mängel bei Besichtigung des Fahrzeugs bzw. bei Vertragsschluss erkannt hat oder hätte erkennen können.

     

    Wichtig | Die Offenbarung muss nur so weit reichen, wie es für die Ausgleichung des Interessenkonflikts zwischen Kfz-Händler und Käufer notwendig ist. Sie müssen also auch ungefragt nicht alles kundtun. Keine erforderlichen Angaben sind z. B. die Höhe des Kostenaufwands, das Unfallgeschehen oder die Schadenregulierung im Detail. Folglich reicht es aus, dass der Gebrauchtwagen als „Unfallwagen“ bezeichnet wird.

     

    Was gilt bei wirtschaftlichem Totalschaden?

    Die Rechtsprechung ist sich einig, dass der Kfz-Händler ‒ ohne entsprechende Nachfrage des Käufers ‒ nicht offenbaren muss, dass durch den Unfall ein „wirtschaftlicher Totalschaden“ verursacht und das Fahrzeug wieder aufgebaut wurde.

     

    Umstritten ist jedoch, ob das auch gilt, wenn der Käufer nach dem Unfall fragt. Einige Gerichte sind der Auffassung, dass die Bezeichnung als „wirtschaftlicher Totalschaden“ lediglich eine versicherungsrechtliche Kalkulationsgrundlage sei, sodass der Käufer keinen Anspruch auf Offenbarung hat. Der Kfz-Händler komme seiner Aufklärungspflicht also auch dann nach, wenn er sich wahrheitsgemäß zu Art und Ausmaß des Unfalls äußere, lediglich aber der Begriff des „wirtschaftlichen Totalschadens“ nicht falle. Teilweise wird darauf abgestellt, dass dem Käufer die Entscheidung zustehe, was für ihn entscheidungserheblich ist.

     

    Wer keine Kenntnis über Unfallfreiheit hat, hat keine Offenbarungspflicht

    Sofern der Kfz-Händler keine Kenntnis über einen Unfallschaden hat, besteht für ihn auch keine Offenbarungspflicht. Selbst den gewerblichen Kfz-Händler ‒ so die höchstrichterliche Rechtsprechung ‒ trifft keine generelle ‒ über die stets erforderliche Sichtprüfung hinausgehende ‒ Untersuchungspflicht, um sich zu vergewissern, ob Unfallschäden vorhanden sind (BGH, Urteil vom 15.04.2015, Az. VIII ZR 80/14, Abruf-Nr. 144459).

     

    Wichtig | Eine Untersuchungspflicht besteht aber lt. BGH in dem Ausnahmefall, dass sich ein Unfallschaden geradezu aufdrängt oder Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Angaben des Vorbesitzers falsch oder zumindest fragwürdig sind. Sofern der Kfz-Händler dann keine Untersuchung vornimmt und das dem Käufer nicht offenbart, verstößt er gegen seine Offenbarungspflicht.

     

    Auf Nachfrage des Käufers muss der Kfz-Händler wahrheitsgemäß antworten, dass er keine sichere Kenntnis über einen Unfallschaden des Fahrzeugs hat. Es stellt eine arglistige Täuschung dar, wenn der Händler ‒ wenngleich er einen Unfallschaden zumindest für möglich hält ‒ behauptet, der Wagen sei unfallfrei und sich dies später als falsch herausstellt (sog. „Behauptung ins Blaue hinein“).

     

    Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kfz-Händler sich bewusst unwissend hält oder sich über bekanntgewordene Beanstandungen hinwegsetzt. Um ein Fahrzeug als unfallfrei bezeichnen zu können, muss der Kfz-Händler Anhaltspunkte haben, die diese Annahme rechtfertigen würden.

     

    • Beispiel

    Der Käufer fragt, ob der Gebrauchtwagen komplett unfallfrei ist. Der Kfz-Händler beantwortet dies mit „Ja“, obwohl er den Fahrzeugzustand nicht vollständig kennt.

     

    Lösung: Der Kfz-Händler verletzt seine Offenbarungspflicht, da er die Frage ohne Kenntnis unzulässig „ins Blaue hinein“ beantwortet.

     

    Was passiert bei Verletzung der Offenbarungspflicht?

    Verletzt der Kfz-Händler seine Offenbarungspflicht, drohen zivil- und strafrechtliche Folgen und im schlimmsten Fall sogar der Entzug der Gewerbe- zulassung.

     

    Die zivilrechtlichen Folgen bei Verletzung der Offenbarungspflicht

    Bereits die Eigenschaft als Unfallwagen begründet einen Sachmangel im Sinne des Kaufrechts ‒ unabhängig davon, ob die Folgen durch Reparatur behoben wurden. Grundsätzlich kann ein Käufer nämlich erwarten, dass der Gebrauchtwagen keinen Unfallschaden hat, wenn er darüber nicht informiert wurde.

     

    Da die Eigenschaft als solche nicht behoben werden kann, hat der Kfz-Händler kein Recht zur Nacherfüllung. Der Gebrauchtwagen kann weder im Wege der Reparatur nachgebessert werden noch kann ein Ersatzfahrzeug geliefert werden. Die Vertragspflichten können nur durch Übergabe und Übereignung des konkreten Gebrauchtfahrzeuges erfüllt werden.

     

    Wichtig | Sofern der Unfallschaden nicht ausnahmsweise ganz unerheblich ist, kann der Käufer regelmäßig seine Mängelgewährleistungsrechte geltend machen. Er kann vom Kaufvertrag zurücktreten, den Kaufpreis mindern und/oder Schadenersatz verlangen. Der gewerbliche Kfz-Händler kann sich dieser Haftung gegenüber einem Verbraucher trotz Haftungsausschlusses auch dann nicht entziehen, wenn er im Vertragsformular angegeben hat, dass das Fahrzeug „laut Vorbesitzer“ unfallfrei ist.

     

    Wenn die Eigenschaft als Unfallwagen arglistig, also vorsätzlich, verschwiegen wird und der Käufer daraufhin den Kaufvertrag eingeht, kann er alternativ seine Willenserklärung anfechten. Das hat zur Konsequenz, dass der Vertrag als von Anfang an nichtig gilt. Auch dann kann der Käufer den Kaufpreis zurückverlangen.

     

    Die Verletzung der Offenbarungspflicht stellt außerdem einen vorvertraglichen Pflichtverstoß dar, der einen Schadenersatzanspruch („culpa in contrahendo“) begründen kann. Dieser kann, einen Schaden vorausgesetzt, auch geltend gemacht werden, wenn es gar nicht zum Vertragsschluss gekommen ist oder der Vertrag infolge der Anfechtung nichtig ist.

     

    Die strafrechtlichen Folgen bei Verletzung der Offenbarungspflicht

    Unter Umständen kann der Verkauf eines Unfallwagens einen Betrug darstellen und damit strafrechtlich relevant werden. Nämlich dann, wenn der Kfz-Händler vorsätzlich und in der Absicht handelt, sich selbst zu bereichern.

     

    Vorausgesetzt ist hierfür, dass neben dem Verstoß gegen eine Aufklärungs- bzw. Offenbarungspflicht zwischen den Vertragsparteien besondere Umstände vorliegen (z. B. ein besonderes Vertrauensverhältnis oder auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Verbindungen). In der Rechtsprechung wurde bisher angenommen, dass dies beim Kauf eines Gebrauchtwagens in Betracht kommt, weil der Käufer häufig im besonderen Maße auf die Fachkenntnis des Händlers angewiesen ist.

     

    Allein der Verstoß gegen eine solche Aufklärungspflicht reicht aber nicht aus, um den Tatbestand des Betrugs zu erfüllen. Dem Käufer muss ein Vermögenschaden entstanden sein. Das ist der Fall, wenn der Unfallwagen unter Berücksichtigung dieser Eigenschaft für einen höheren Preis verkauft wird, als er objektiv auf dem Markt tatsächlich erwirtschaften könnte. Wenn der Unfallwagen jedoch objektiv „sein Geld wert ist“, liegt kein Betrug vor.

     

    Die gewerberechtlichen Folgen bei Verletzung der Offenbarungspflicht

    Die Gewerbeaufsichtsbehörde kann die Ausübung des Gewerbes (ganz oder teilweise) untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Unzuverlässig ist, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft sein Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird.

     

    Während die punktuelle Missachtung von zivilrechtlichen Pflichten wie der Offenbarungspflicht keinen ausreichenden Grund für eine Gewerbeuntersagung darstellt, kann eine Untersagung drohen, wenn der Gewerbetreibende wiederholt und hartnäckig gegen seine Pflichten verstößt und/oder dabei gleichzeitig Straftaten begeht. Die ‒ zumindest mehrfache ‒ Verwirklichung des Betrugstatbestands kann daher die Annahme einer Unzuverlässigkeit begründen bzw. sogar indizieren, weil die Straftat einen direkten Bezug zum Autohandel hat.

     

    FAZIT | Bei Kenntnis über einen vorherigen Unfallschaden müssen Sie den Käufer immer ungefragt informieren. Ein nicht mitgeteilter Unfallschaden stellt stets einen Mangel dar, für den mindestens Gewährleistungsrechte geltend gemacht werden können. Die Bezeichnung als Unfallwagen ist daher zwingend erforderlich, zugleich aber auch ausreichend. Im Übrigen sind Sie dazu verpflichtet, auf direkte Nachfragen wahrheitsgemäß und vollständig zu antworten. Achten Sie besonders darauf, dass gerade bei unsicheren Sachverhalten Transparenz für den Käufer sichergestellt wird. Wenn es sich um ein wirtschaftlich totalbeschädigtes Fahrzeug handelt, muss mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung auf die jeweils örtlich geltende Rechtsprechung abgestellt werden.

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2023 | Seite 4 | ID 49690056