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  • · Fachbeitrag · Arbeitsrecht

    Mindestmaß an Kündigungsschutz gilt auch in „kleinbetrieblichen“ Zahnarztpraxen

    von Rechtsanwalt Benedikt Büchling, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

    | Wird gegen einen Arbeitnehmer eine Änderungskündigung ausgesprochen, so muss ihm die Möglichkeit offenstehen, dies gerichtlich überprüfen zu lassen - auch in Betrieben mit weniger als 10 Arbeitnehmern, in denen das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht gilt. Zu diesem Ergebnis kam das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen in einem Urteil vom 10. Oktober 2015 (Az. 16 Sa 278/15, Abruf-Nr. 146311 ). Im konkreten Fall verurteilte das Gericht eine Zahnarztpraxis dazu, eine zahnmedizinische Fachangestellte (ZFA) weiterhin zu unveränderten Bedingungen zu beschäftigen. |

    Der Fall: Änderungskündigung bei einer 57-jährigen ZFA

    Die beklagte Zahnarztpraxis, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), kündigte einer ZFA und bot ihr gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter geänderten Bedingungen an. Vor dieser „Änderungskündigung“ verdiente die ZFA bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden brutto 2.420 Euro. Die Änderungskündigung enthielt ein Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf Basis einer 29-Stundenwoche bei einem entsprechend angepassten Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.799,49 Euro.

     

    Die ZFA war zum Kündigungszeitpunkt 57 Jahre alt und seit ca. 40 Jahren Arbeitnehmerin der Praxis. Außer ihr sind dort acht wesentlich jüngere Mitarbeiterinnen beschäftigt, alle weniger als 10 Jahre. Die ZFA erkrankte 2013 an einem Leiden, aufgrund dessen sie nicht längere Zeit ausschließlich im Sitzen arbeiten kann. Infolgedessen wurde sie - als einzige aller Mitarbeiterinnen - nicht mehr am Empfang, sondern ausschließlich zur Assistenz bei der Behandlung eingesetzt.

     

    Die ZFA klagte gegen die Änderungskündigung. Sie monierte eine Benachteiligung aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustands. Die Änderung der Arbeitsbedingungen verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Diskriminierungsverbot und sei zudem sittenwidrig.

    LAG-Urteil: Änderungskündigung war unzulässig

    In erster Instanz scheiterte die ZFA. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts hatte sie keine Umstände vorgetragen, die eine Treu- oder Sittenwidrigkeit des Änderungsangebots begründen konnten. Ihre Berufung begründete die ZFA dann im Wesentlichen damit, dass die GbR keinen einleuchtenden Grund für die Änderungskündigung vorgetragen habe. Sie sei die älteste Arbeitnehmerin und weise die längste Betriebszugehörigkeit aus. Sie habe genügend Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Grundes (Rasse, Alter, Behinderung etc.) vermuten ließen. Zudem habe das Arbeitsgericht § 22 AGG verkannt, wonach die Beweislast auf die andere Partei - hier also die GbR - übergeht, wenn im Streitfall die eine Partei - hier die ZFA - Indizien benennen kann, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Diese Indizien habe sie geliefert.

     

    Das LAG folgte dieser Argumentation der ZFA und entschied zu ihren Gunsten. Bei einer Änderungskündigung im Kleinbetrieb seien die allgemeinen Grundsätze über den Kündigungsschutz außerhalb des KSchG anzuwenden. Dabei gehe es vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, z. B. vor Diskriminierungen im Sinne von § 1 AGG. Schließlich dürfe auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben. Der Vorwurf willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsschutzrechts scheide dagegen aus, wenn dafür ein einleuchtender Grund vorliege.

     

    Ein solcher einleuchtender Grund habe hier aber nicht vorgelegen. Die Darlegungslast von Sachverhalten, aus denen sich die Treuwidrigkeit nach § 242 BGB ergibt, liege zwar zunächst beim Arbeitnehmer. Dabei reiche es jedoch aus, wenn dieser Gründe benennen könne, die die Treuwidrigkeit der Kündigung indizieren. Der Arbeitgeber müsse sich dann konkret dazu äußern. Tue er dies nicht, so sei den Gründen des Arbeitnehmers zu folgen. Genau solch ein Fall habe hier vorgelegen: Die GbR hätte die Argumente der ZFA entkräften müssen. Diesen Nachweis sei sie aber - insbesondere im Hinblick auf die langjährige Dauer des Arbeitsverhältnisses - schuldig geblieben.

     

    PRAXISHINWEIS | Erst kürzlich entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 23. Juli 2015 (Az. 6 AZR 457/14), dass ein Hinweis auf eine Pensionierungsberechtigung in einem Kündigungsschreiben gemäß § 22 AGG vermuten lasse, dass das Alter der Mitarbeiterin jedenfalls auch ein Motiv für die Kündigung war. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt eine Benachteiligung wegen des Lebensalters vor, wenn ein Arbeitnehmer wegen der Möglichkeit des Bezugs einer Rente wegen Alters weniger günstig behandelt wird als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

     

    Vorgehen bei Änderungskündigung im Kleinbetrieb

    Das BAG-Urteil wie auch die vorliegende LAG-Entscheidung zeigen, dass Zahnärzte auch bei (Änderungs-)Kündigungen im „Kleinbetrieb“ ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme walten lassen müssen und nicht willkürlich kündigen dürfen. Zur Wirksamkeit der Kündigung reicht es aber im Regelfall aus, wenn mit ihr ein rechtlich gebilligter Zweck verfolgt wird.

     

    PRAXISHINWEIS | Entgegen einer verbreiteten Praxis sollte die Kündigung im Kleinbetrieb nicht schriftlich begründet oder „erklärt“ werden; die meist gut gemeinte Rechtfertigung wendet sich oft zulasten des Arbeitgebers. Es gilt daher: Weniger ist mehr!

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2016 | Seite 15 | ID 43847073