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  • 05.09.2013 · IWW-Abrufnummer 132950

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 18.07.2013 – 13 K 4515/10 F

    1) Eine erst nach Erlass des Steuerbescheides ausgestellte Zuwendungsbestätigung i.S.v. § 10b EStG ist kein nachträglich bekannt
    gewordenes Beweismittel i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
    2) Die nachträgliche Erteilung einer Zuwendungsbestätigung i.S.v. § 10b EStG ist gemäß § 175 Abs. 2 Satz 2 AO kein rückwirkendes
    Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
    3) § 175 Abs. 2 Satz 2 AO ist europarechts- und verfassungskonform.


    Im Namen des Volkes
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat der 13. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht
    … ehrenamtliche Richterin … ehrenamtliche Richterin … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 18.07.2013 für Recht erkannt:
    Tatbestand:
    Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Bescheid über die Feststellung des Großspendenvortrags auf den 31.12.2004 nachträglich
    zu ändern ist.
    Die Klägerin wurde zusammen mit ihrem Ehemann, Herrn Q. H., zur Einkommensteuer veranlagt. Ihr Ehemann verstarb am 15.09.2004
    und wurde von seinen Kindern D. H., T. H1. und E. F. beerbt. Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2004 Einnahmen aus Gewerbebetrieb,
    aus selbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte.
    In ihrer im Januar 2006 für sich und ihren Ehemann abgegebenen Einkommensteuererklärung erklärte die Klägerin u.a. Zuwendungen
    an Stiftungen in Höhe von insgesamt … EUR und Zuwendungen für kirchliche, religiöse und gemeinnützige Zwecke in Höhe von …
    EUR. Der Beklagte führte die Einkommensteuerveranlagung für 2004 durch und berücksichtigte Zuwendungen nach § 10b des Einkommensteuergesetzes
    – EStG – in Höhe von zunächst … EUR und später von … EUR. Zudem erließ er am 28.02.2006 einen Bescheid über die gesonderte
    Feststellung des verbleibenden Großspendenvortrags für die Einkommensteuer auf den 31.12.2004 gegenüber der Klägerin und den
    Erben nach Herrn Q. H., mit dem er den verbleibenden Großspendenvortrag auf … EUR feststellte. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
    Der Beklagte berücksichtigte den festgestellten Spendenvortrag sodann bei der Einkommensteuerveranlagung der Erben nach Herrn
    Q. H. für das Jahr 2005 im Verhältnis von je einem Drittel.
    Mit Schreiben vom 18.09.2008 beantragte die Klägerin, auch im Namen der Erben nach Herrn Q. H., den Einkommensteuerbescheid
    2004 und den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Großspendenabzugs auf den 31.12.2004 zu ändern. Hierzu legte
    sie sechs am 27.08.2008 ausgestellte Zuwendungsbestätigungen vor, aus denen sich Spenden des Herrn Q. H. in Höhe von insgesamt
    … EUR aus dem Zeitraum vom 25.02.2004 bis 15.07.2004 an die B. GmbH in E1. ergaben. In den Bescheinigungen war erläutert,
    die B. GmbH sei vom Finanzamt E1. gemäß Freistellungsbescheid vom 06.04.2005 als gemeinnützig anerkannt. Wegen der Einzelheiten
    wird auf die Zuwendungsbestätigungen verwiesen.
    Die B. GmbH war im Handelsregister des Amtsgerichts M. unter der Nr. … eingetragen. Nach den Handelsregistereintragungen wurde
    sie
    2005 aufgelöst und
    2006 beendet sowie im Handelsregister gelöscht. Als Liquidatorin war zuletzt Frau J1. R. I., E1., eingetragen.
    Mit Bescheid vom 05.03.2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab und begründete dies damit, mangels Änderungsvorschrift sei eine
    Änderung des Feststellungsbescheids nicht möglich. Zudem wies er darauf hin, dass eine Berücksichtigung des nicht verbrauchten
    Betrags der Großspende nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes – BFH – (Urteil vom 21. 10. 2008 X R 44/05) bei den Erben
    nicht möglich sei.
    Dagegen legten die Klägerin und die Erben nach Herrn Q. H. am 01.04.2009 Einspruch ein, der sich sowohl auf die Einkommensteuerveranlagung
    als auch auf die Feststellung des verbleibenden Großspendenabzugs bezog. Zur Begründung trugen sie vor, eine Änderung der
    Bescheide sei sowohl gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung – AO – als auch gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich.
    Ein grobes Verschulden liege nicht vor, da die Erben die Zuwendungsbestätigungen erst nachträglich erhalten hätten und bei
    Einreichung der Steuererklärung hiervon keine Kenntnis hätten haben können. Der Spendenvortrag sei auch, zumindest für eine
    Übergangszeit bis zum 18.08.2008, vererblich.
    Mit Einspruchsentscheidung vom 08.11.2010 wies der Beklagte den Einspruch nur in Bezug auf den Feststellungsbescheid gegenüber
    der Klägerin und den Erben nach Herrn Q. H. als unbegründet zurück.
    Daraufhin hat nur die Klägerin am 09.12.2010 Klage erhoben.
    Nachdem sie mit Schriftsatz vom 14.02.2011 zunächst eine Berücksichtigung der vollständigen Spenden in Höhe von … EUR begehrt
    hatte, hat sie ihr Klagebegehren im Erörterungstermin vom 19.02.2013 reduziert und begehrt nun eine Änderung des Feststellungsbescheids
    in der Weise, dass lediglich der hälftige, auf sie allein entfallende Spendenvortrag in Höhe von … EUR zusätzlich anzuerkennen
    sei.
    Zur Begründung ihrer Klage trägt sie vor: Obwohl die Spenden von ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann gezahlt worden seien,
    sei wegen der Zusammenveranlagung die Hälfte der Spenden von vornherein ihr persönlich zuzurechnen (BFH-Urteil vom 20. 2.
    1991 X R 191/87, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1991, 690), so dass es auf die Frage einer Vererblichkeit des Spendenabzugs
    nicht ankomme. Nur die Berücksichtigung dieser Hälfte der Spenden werde klageweise geltend gemacht.
    Eine Änderung des bestandskräftigen Bescheids vom 28.02.2006 sei verfahrensrechtlich zulässig. Jedenfalls sei eine Änderung
    gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich. Das entscheidende nachträglich bekannt gewordene Ereignis sei die Zahlung der Spende,
    nicht die Erstellung der Bescheinigung. Die Zahlung sei schon vor Erlass des Feststellungsbescheids erfolgt und nachträglich
    bekannt geworden infolge der Ausstellung der Zuwendungsbestätigungen. Bei den Zuwendungsbestätigungen handle es sich zudem
    nicht um ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal gem. § 10b EStG, sondern um ein Beweismittel, was sich aus § 175 Abs.
    2 Satz 2 AO ergebe (so Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rz. 49a). Insofern seien Beweismittel nachträglich bekannt geworden.
    Daneben komme nach dem BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des
    BFH – BFH/NV – 2012, 370) auch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zur Anwendung. Die einschränkende Vorschrift des § 175 Abs. 2
    Satz 2 AO, wonach die nachträgliche Ausstellung einer Bescheinigung nicht als rückwirkendes Ereignis anzuwenden sei, sei verfassungswidrig
    und europarechtswidrig. Letzteres ergebe sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes – EuGH – vom 30. 6. 2011 C-262/09
    – Meilicke II (ABl EU 2011, Nr. C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467, unter Rz. 59). Die Vorschrift verstoße gegen den europarechtlichen
    Effektivitätsgrundsatz und dürfe daher nicht angewendet werden.
    Ein Spendenabzug sei auch nicht wegen einer evtl. Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigungen ausgeschlossen. Der Klägerin sei
    nicht bekannt, dass die B. GmbH im Zeitpunkt der Ausstellung der Zuwendungsbestätigungen nicht mehr vom Finanzamt E1. als
    gemeinnützig anerkannt gewesen sei. Diesbezüglich komme ihr der Vertrauensschutz gem. § 10b Abs. 4 EStG zugute. Den Beklagten
    treffe die Beweislast zu der Frage, ob die Klägerin eine etwaige Kenntnis gehabt habe.
    Die Klägerin beantragt sinngemäß,
    den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 05.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
    vom 08.11.2010 den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Großspendenvortrags für die Einkommensteuer
    auf den 31.12.2004 vom 28.02.2006 zu ändern und zu ihren Gunsten die Abzugsfähigkeit weiterer Spenden in Höhe von … EUR festzustellen.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen,
    hilfsweise,
    die Revision zuzulassen.
    Zwar könnten nach seiner Auffassung Verluste, die im Zeitpunkt des Todes eines Ehegatten noch nicht ausgeglichen sind, im
    Rahmen der Zusammenveranlagung gem. §§ 26, 26b EStG mit positiven Einkünften des überlebenden Ehegatten verrechnet werden.
    Die Verrechnung beschränke sich hierbei auf die auf den überlebenden Ehegatten entfallenden nicht ausgeglichenen Verluste.
    Im Streitfall sei jedoch eine Änderung des Feststellungsbescheids verfahrensrechtlich nicht möglich. Die Voraussetzungen des
    § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO seien nicht erfüllt, da die Zuwendungsbestätigungen nicht nachträglich bekannt, sondern nachträglich
    ausgestellt worden seien. Da es sich gem. § 50 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung – EStDV – um eine materiell-rechtliche
    Voraussetzung für den Spendenabzug handle, liege ein nachträgliches Bekanntwerden nur dann vor, wenn die Bescheinigung schon
    bei der ersten Veranlagung vorgelegen habe und lediglich nicht bekannt gewesen sei. Dies sei im Streitfall aber nicht der
    Fall. Auf die weitere Frage, ob die Klägerin ein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO treffe, komme es daher nicht
    an.
    Es liege aber auch kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Denn gem. § 175 Abs. 2 Satz 2 AO könne
    die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Zuwendungsbestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis angesehen werden. Diese
    Vorschrift sei gem. Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO ab dem 28.10.2004 anzuwenden und finde daher auf die am 27.08.2008 ausgestellten
    Bescheinigungen Anwendung. Entgegen der Auffassung der Klägerin stehe auch nicht das EuGH-Urteil vom 30. 6. 2011 C-262/09
    – Meilicke II (ABl EU 2011, Nr C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467) entgegen. Denn dieses Urteil beziehe sich auf das letztmals für
    den Veranlagungszeitraum 2001 geltende Anrechnungsverfahren. Im vorliegenden Streitfall sei bei Abgabe der Steuererklärung
    für das Streitjahr 2004 hingegen die zum 28.10.2004 in Kraft getretene Fassung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bereits bekannt
    und von der Klägerin uneingeschränkt zu beachten gewesen. Zudem sei das Urteil des EuGH auch deshalb im Streitfall nicht zu
    beachten, weil europarechtliche Grundfreiheiten in der Regel auf rein interne Sachverhalte eines Mitgliedsstaates nicht anwendbar
    seien.
    Darüber hinaus würden auch die vorgelegten Zuwendungsbestätigungen einen Spendenabzug gem. § 10b EStG nicht zulassen. Das
    B. sei schon bald nach dem Tod des Herrn Q. H. geschlossen, die B. GmbH aufgelöst und im Handelsregister gelöscht worden.
    Im Jahr 2008 habe die GmbH daher keine Zuwendungsbestätigungen mehr ausstellen können. Eine Zuwendungsbestätigung könne jedoch
    nicht anerkannt werden, wenn der Empfänger der Spende im Zeitpunkt der Ausstellung der Bestätigung nicht zur Ausstellung berechtigt
    gewesen sei (BFH-Urteil vom 19. 7. 2011 X R 32/10, BFH/NV 2012, 179). Anders als in den Zuwendungsbestätigungen erläutert,
    datiere außerdem der letzte an die B. GmbH gerichtete Körperschaftsteuerbescheid vom 20.04.2006 und enthalte keine Aussage
    zu einer Steuerbefreiung der Gesellschaft.
    Da der Klägerin diese Sachverhalte bekannt gewesen seien, könne sie sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es werde „angeregt”,
    zu dieser Frage die Ausstellerin der Zuwendungsbestätigung, Frau J1. I., als Zeugin zu vernehmen.
    Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
    Entscheidungsgründe:
    Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
    – FGO –).
    Die Klage ist unbegründet.
    Der Ablehnungsbescheid vom 05.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.11.2010 ist rechtmäßig und verletzt die
    Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 FGO). Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Bescheid über die gesonderte Feststellung
    des verbleibenden Großspendenvortrags für die Einkommensteuer auf den 31.12.2004 vom 28.02.2006 zu ändern.
    Der Feststellungsbescheid vom 28.02.2006 ist bestandskräftig geworden und kann nicht mehr geändert werden.
    I.
    Eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist nicht zulässig.
    Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt
    werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen
    oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
    I. Die Zahlungen des verstorbenen Herrn Q. H. aus dem Zeitraum vom 25.02.2004 bis 15.07.2004 in Höhe von insgesamt … EUR können
    nicht als nachträglich bekannt gewordene Tatsache angesehen werden, die zu einer niedrigeren Steuer bzw. einem höheren Verlustvortrag
    führen würden.
    Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel sind solche, die zu dem Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen
    Bescheids bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren (BFH-Urteile vom 5. 12. 2002 IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588; vom 9. 11.
    2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 Rz. 25). Diese Tatsachen oder Beweismittel müssen
    zu einer niedrigeren Steuer führen, also rechtserheblich sein. Das ist der Fall, wenn die Finanzbehörde bei rechtzeitiger
    Kenntnis einer ihr unbekannt gebliebenen Tatsache schon bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung zu einem höheren oder niedrigeren
    steuerlichen Ergebnis gelangt wäre (BFH-Beschluss vom 23. 11. 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180; BFH-Urteil
    vom 27. 1. 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet danach aus, wenn
    die Unkenntnis der später bekannt gewordenen Tatsache oder des Beweismittels für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich
    (rechtserheblich) gewesen ist. Wie die Finanzbehörde bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt
    im ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung
    des BFH ausgelegt wurde, und der die Finanzbehörden bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen
    Bescheiderlasses gegolten haben (BFH-Urteile vom 22. 4. 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951; vom 27. 1. 2011
    III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543).
    Bei den Zahlungen des Herrn Q. H. handelte es sich zwar um nachträglich bekannt gewordene Tatsachen. Die Zahlungen waren im
    Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheids vom 28.02.2006 bereits vorhanden. Sie sind erst nach Vorlage der Zuwendungsbestätigungen
    vom 27.08.2008 bekannt geworden.
    Jedoch führte allein die Zahlung nicht zu einer niedrigeren Steuer. Denn selbst wenn der Finanzverwaltung die Zahlungen bereits
    bei Erlass des ursprünglichen Bescheids bekannt gewesen wären, hätte sie sie nicht als Sonderausgaben gem. § 10b EStG i.V.m.
    § 50 EStDV anerkannt. Nach § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung können Zuwendungen (Spenden und
    Mitgliedsbeiträge) zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke i.S.d. §§ 52 bis 54 AO in bestimmten Grenzen als Sonderausgaben
    abgezogen werden. Gem. § 50 Abs. 1 EStDV in der im Streitzeitraum gültigen Fassung dürfen Zuwendungen i.S.d.
    § 10b EStG nur abgezogen werden, wenn sie durch eine Zuwendungsbestätigung nachgewiesen werden, die der Empfänger nach amtlich
    vorgeschriebenem Vordruck ausgestellt hat. Da im Zeitpunkt der ersten Veranlagung zur Einkommensteuer die Zuwendungsbestätigungen
    jedoch noch nicht vorlagen, hätte allein die Zahlung nicht genügt, um Sonderausgaben in Höhe der Zahlungen anzuerkennen. Vielmehr
    hätte es der weiteren materiell-rechtlichen Voraussetzung, des Vorliegens der Zuwendungsbestätigungen bedurft.
    2. Die am 27.08.2008 ausgestellten Zuwendungsbestätigungen können nicht als nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel i.S.d.
    § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO angesehen werden.
    Denn es handelte sich nicht um ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel. Die Zuwendungsbestätigungen waren im Zeitpunkt
    des Erlasses des ursprünglichen Bescheids am 28.02.2006 noch nicht vorhanden, sondern sind erst nachträglich erstellt worden.
    Bei einer erst nachträglich erstellten Bescheinigung kommt eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht (BFH-Urteil
    vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370).
    II.
    Eine Änderung des Feststellungsbescheids vom 28.02.2006 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ebenfalls nicht zulässig.
    Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche
    Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
    1. Die Zuwendungsbestätigungen können bei isolierter Betrachtung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO grundsätzlich als rückwirkendes
    Ereignis angesehen werden.
    a) Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders
    gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten
    Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (BFH-Beschluss vom 19. 7. 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897;
    BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370). Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende
    steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern
    oder vollständig entfallen, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen (BFH-Urteile vom 27. 1. 2011 III R 90/07,
    BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543; vom 4. 5. 2006 VI R 17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830). Die Vorlage einer Bescheinigung
    oder Bestätigung kann demnach ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sein, wenn sie ein materiell-rechtliches
    Tatbestandsmerkmal bildet (BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370).
    Nach diesen Grundsätzen kann die Vorlage der Zuwendungsbestätigungen grundsätzlich als rückwirkendes Ereignis gem. § 175 Abs.
    1 Satz 1 Nr. 2 AO angesehen werden, da sie gem. § 50 Abs. 1 EStDV eine materiell-rechtliche Voraussetzung zur Berücksichtigung
    der Zuwendungen als Sonderausgaben darstellen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. 9. 2005 XI B 50/05, BFH/NV 2006, 236).
    b) Anders als die Klägerin meint, sind die Zuwendungsbestätigungen nicht aus dem Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz 1
    Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) ausgeschlossen und statt dessen als Beweismittel i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen,
    weil sich dies aus dem mit Gesetz vom 09.12.2004 (BGBl I S. 3310) eingeführten § 175 Abs. 2 Satz 2 AO ergebe. Gem. § 175 Abs.
    2 Satz 2 AO gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis.
    Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die Erteilung der Bescheinigung hierdurch jedoch lediglich aus dem Anwendungsbereich
    des § 175 AO ausgeschlossen, nicht jedoch zusätzlich dem Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugewiesen (BFH-Beschluss
    vom 26. 9. 2005 XI B 50/05, BFH/NV 2006, 236; FG Münster, Urteil vom 11. 9. 2007 14 K 5023/06 E, Entscheidungen der Finanzgerichte
    – EFG – 2007, 1926). Zu dem Anwendungsbereich der letztgenannten Vorschrift enthält § 175 Abs. 2 Satz 2 AO vielmehr keine
    Aussage und eröffnet somit nicht deren Anwendungsbereich für nachträglich erteilte Bescheinigungen (Loose in Tipke/Kruse,
    AO/FGO, § 175 Rz. 49a).
    c) Die Zuwendungsbestätigungen hatten für die Klägerin auch eine steuerliche Wirkung für die Vergangenheit i.S.d. § 175 Abs.
    1 Satz 1 Nr. 2 AO. Der Klägerin kommt der Gutglaubensschutz gemäß § 10b Abs. 4 EStG zugute.
    Nach dieser Vorschrift darf der Steuerpflichtige auf die Richtigkeit der Bestätigung über Spenden und Mitgliedsbeiträge vertrauen,
    es sei denn, dass er die Bestätigung durch unlautere Mittel oder falsche Angaben erwirkt hat oder dass ihm die Unrichtigkeit
    der Bestätigung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Im Streitfall hat der – insofern feststellungsbelastete
    – Beklagte jedoch lediglich vorgetragen, die Klägerin habe gewusst, dass die B. GmbH aufgelöst und im Handelsregister gelöscht
    sowie dass das B. geschlossen worden sei. Er hat jedoch nicht vorgetragen, aus welchen Umständen er schließt, dass der Klägerin
    eine Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigungen bekannt gewesen sei. Er hat auch nicht substantiiert dargelegt, die Klägerin
    habe gewusst, dass die B. GmbH keine Zuwendungsbestätigungen mehr ausstellen dürfte, z.B. weil sie nicht nur aufgelöst und
    auch nicht in Nachtragsliquidation befindlich, sondern bereits vollbeendet war. Auch der Senat kann nicht erkennen, dass die
    Klägerin eine Kenntnis über eine Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigungen hatte bzw. dass ihr eine solche Unrichtigkeit grob
    fahrlässig unbekannt geblieben wäre. Vor diesem Hintergrund musste der Senat dem von dem Beklagten „angeregten” Zeugenbeweis
    nicht nachgehen.
    2. Dessen ungeachtet wirken die Zuwendungsbestätigungen jedoch aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO
    nicht als rückwirkendes Ereignis.
    Nach dieser Vorschrift gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes
    Ereignis.
    a) Bei Zuwendungsbestätigungen i.S.d. § 10b EStG i.V.m. § 50 EStDV handelt es sich um Bescheinigungen i.S.d. § 175 Abs. 2
    Satz 2 AO (BFH-Beschluss vom 26. 9. 2005 XI B 50/05, BFH/NV 2006, 236).
    b) Im Streitfall ist diese durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (EURLUmsG) vom 09.12.2004 (BGBl I S. 3310) eingeführte
    Fassung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO auch zeitlich anwendbar. Denn gem. Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO ist diese Fassung erstmals anzuwenden,
    wenn die Bescheinigung oder Bestätigung nach dem 28.10.2004 vorgelegt oder erteilt wird. Dies ist im Streitfall der Fall.
    c) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht wegen eines Verstoßes gegen Europarecht unanwendbar.
    Die Vorschrift muss vielmehr bei der Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beachtet werden.
    Aus dem Urteil des EuGH vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II (ABl EU 2011, Nr C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467) ergibt sich –
    zumindest für den Streitfall – keine Unanwendbarkeit des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO.
    aa) Gegenstand des Rechtsstreits vor dem EuGH war u.a. die Frage, ob und in welcher Weise unter der Geltung des körperschaftsteuerlichen
    Anrechnungsverfahrens materiell- und verfahrensrechtlich eine Bescheinigung über tatsächlich entrichtete ausländische Körperschaftsteuer
    beigebracht werden konnte, um eine Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer auf die deutsche Körperschaftsteuer zu erlangen.
    Der EuGH hatte hierbei auch zu entscheiden, ob der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz und das Prinzip des „effet utile”
    der Regelung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO entgegenstand, wonach rückwirkend die Vorlage einer Körperschaftsteuerbescheinigung
    nach dem 28.10.2004 (Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO) nicht mehr als rückwirkendes Ereignis anzuerkennen war und daher die Berücksichtigung
    der Bescheinigung verfahrensrechtlich unmöglich gemacht wurde, ohne dass eine Übergangsfrist zur Geltendmachung der Anrechnung
    ausländischer Körperschaftsteuer eingeräumt worden war (vgl. auch FG Köln, Vorlagebeschluss vom 14. 5. 2009 2 K 2241/02, EFG
    2009, 1491).
    Der EuGH hat in dem Urteil vom 30. 6. 2011 (unter Rz. 59) entschieden, der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz und das
    Prinzip des „effet utile” stehe der nationalen Regelung – wie sie sich aus § 175 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. Art. 97 § 9 Abs.
    3 EGAO ergebe – entgegen, da es diese Regelung rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist verwehre, eine steuerliche
    Auswirkung dadurch zu erlangen, dass eine hinreichende Bescheinigung vorgelegt werden könne, anhand derer die Steuerbehörden
    des Mitgliedstaats eindeutig und genau überprüfen können, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Steuervorteils
    vorliegen. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts zu bestimmen, welche Frist für die Vorlage dieser Bescheinigung oder dieser
    Belege angemessen sei (EuGH-Urteil vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II, ABl EU 2011, Nr. C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467, Rz.
    59 a.E.).
    Der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz besagt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass ein Mitgliedstaat mangels
    einer einschlägigen Unionsregelung zwar die Verfahrensmodalitäten für die dem Unionsrecht erwachsenden Rechte selbstständig
    innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung bestimmen dürfe, dass andererseits die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung
    verliehenen Rechte aber nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden dürfe (EuGH-Urteile vom 7. 1. 2004
    C-201/02 – Wells, Slg. 2004, I-723, Rz. 67; vom 19. 9. 2006 C-392/04 und C-422/04 – i-21 Germany und Arcor, Slg. 2006, I-8559,
    Rz. 57). Mit dem Effektivitätsgrundsatz sei es aber vereinbar, wenn angemessene Ausschlussfristen festgesetzt würden für die
    Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit; solche Fristen seien nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die
    Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (EuGH-Urteil vom 17. 11.
    1998 C-228/96 – Aprile, Slg. 1998, I-7141, Rz. 19). Bei einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Erstattungsmodalitäten gebiete
    es der Effektivitätsgrundsatz daher, dass die neue Regelung eine Übergangsregelung enthalte, die dem Einzelnen eine Frist
    einräume, die ausreiche, um nach Erlass der Regelung die Erstattungsansprüche geltend zu machen, die er unter der alten Regelung
    hätte geltend machen können (EuGH-Urteile vom 11. 7. 2002 C-62/00 – Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Rz. 38; vom 24. 9.
    2002 C-255/00 – Grundig Italiana, Slg. 2002, I-8003, Rz. 37).
    bb) Das beschriebene Urteil des EuGH vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II ist im Schrifttum unterschiedlich gedeutet worden.
    (1) Das Urteil ist so kommentiert worden, § 175 Abs. 2 Satz 2 AO sei insoweit europarechtswidrig und nicht anzuwenden, als
    eine Übergangsregelung fehle und keine eigenständige Festsetzungsfrist in Lauf gesetzt werde (Rehm/Nagler, GmbHR 2011, 881,
    883). Die erforderliche Übergangsfrist beginne möglicherweise erst ab Ergehen der EuGH-Entscheidung und könne bis zum 31.12.2011
    andauern (Rehm/Nagler, GmbHR 2011, 881, 883). Diese Kommentierung könnte so verstanden werden, der Steuerpflichtige habe stets
    bis zu diesem Tag Zeit, die erforderlichen Nachweise zu besorgen, vorzulegen und das rückwirkende Ereignis auszulösen (Rehm/Nagler,
    GmbHR 2011, 881, 883). Dann wäre im Streitfall § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht anwendbar, weil die Zuwendungsbestätigungen noch
    vor dem 31.12.2011 vorgelegt worden sind.
    (2) Andere Autoren heben heraus, dass allein die rückwirkende Anwendung durch das EURLUmsG vom 09.12.2004 mit Wirkung ab dem
    28.10.2004 europarechtlich nicht haltbar sei und es nur im Rückwirkungsfall einer Übergangsfrist bedürfe (Loose in Tip-ke/Kruse,
    AO/FGO, § 175 AO Rz. 49 a.E.; Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67p; Gosch, BFH/PR 2011, 338, 340). Soweit keine Rückwirkung
    vorliege, verbleibe es im Übrigen bei der Wirksamkeit und Anwendbarkeit des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO, so dass die Regelung in
    ihrem Kern unangetastet bleibe (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rz. 49 a.E.; Gosch, BFH/PR 2011, 338, 340). Der europarechtliche
    Effektivitätsgrundsatz erfordere es dementsprechend nicht, dass verfahrensrechtliche Rechte bzw. Ansprüche eingeräumt würden,
    für welche die gesetzliche Ausschlussfrist im Zeitpunkt des Ergehens der EuGH-Entscheidung schon verstrichen gewesen sei (Frotscher
    in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67o). Vielmehr treffe in solchen Fällen den Steuerpflichtigen die Obliegenheit, das Verwaltungsverfahren
    offen zu halten; unterlasse er dies, sei er auch bei einer späteren günstigen EuGH-Entscheidung an die Bestandskraft des Bescheids
    gebunden (Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67o). Soweit § 175 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO daher keine
    echte Rückwirkung entfalte, also nicht in bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume eingreife, liege ein Verstoß gegen
    den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz nicht vor (Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67n).
    Unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung wäre § 175 Abs. 2 Satz 2 AO im Streitfall anzuwenden, da das Streitjahr 2004
    am Stichtag 28.10.2004 (dem Datum der Dritten Lesung des EURLUmsG im Deutschen Bundestag) noch nicht abgeschlossen war und
    die gesetzliche Neuregelung daher nicht im Sinne einer echten Rückwirkung in einen abgeschlossenen Veranlagungszeitraum eingriff.
    Vielmehr waren sowohl bei Ablauf des Veranlagungszeitraums 2004 als auch bei Einreichung der Steuererklärung der Klägerin
    im Januar 2006 die Wirkungen des neuen § 175 Abs. 2 Satz 2 AO sowie die Bedeutung einer möglicherweise erst später eingereichten
    Zuwendungsbestätigung bekannt. Unter Beachtung der genannten Rechtsauffassung wäre es der Klägerin zuzumuten gewesen, das
    Verwaltungsverfahren offen zu halten, bis die fraglichen Zuwendungsbestätigungen vorgelegt werden konnten; dies hat sie jedoch
    unterlassen.
    (3) Soweit ersichtlich liegt zu der Frage der Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II auf
    § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bislang keine finanzgerichtliche Rechtsprechung vor.
    cc) Der Senat schließt sich der zweiten Rechtsauffassung an.
    Er versteht die EuGH-Entscheidung vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II in der Weise, dass der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz
    einer nationalen Regelung nur dann entgegensteht, wenn diese rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist verwehrt,
    dass europarechtlich geschützte Rechte auch verfahrensrechtlich durchgesetzt werden können. Im Streitfall ist dies jedoch
    nicht der Fall. Denn im Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärung der Klägerin im Januar 2006 war bereits bekannt, dass
    die nachträgliche Erstellung und Einreichung von Bescheinigungen im Falle der Bestandskraft eines Steuerbescheids gemäß §
    175 Abs. 2 Satz 2 AO Einschränkungen unterliegt. Die Klägerin war also nicht – wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall – rechtsschutzlos
    gestellt, weil ihr rückwirkend die Möglichkeit der Vorlage von Bescheinigungen genommen worden wäre.
    Nach Auffassung des Senats bleibt das EuGH-Urteil vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meili-cke II auch deshalb ohne Auswirkung auf
    den Streitfall, weil der Streitfall einen innerstaatlichen Sachverhalt betrifft. Der EuGH hat die Rechtsfolge einer teilweisen
    Europarechtswidrigkeit des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO jedoch an den Verstoß des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes geknüpft.
    Dieser ist nur dann verletzt, wenn der Durchsetzung von Unionsrecht – in dem vom EuGH entschiedenen Fall der Anrechnung ausländischer
    Körperschaftsteuer – inländische Vorschriften entgegenstehen. Im Fall der Klägerin sind jedoch keine unionsrechtlichen Vorschriften
    betroffen, welche durch § 175 Abs. 2 Satz 2 AO in ihrer Durchsetzbarkeit beeinträchtigt würden; vielmehr handelt es sich um
    einen innerstaatlichen Sachverhalt.
    d) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 175 Abs. 2 Satz 2 AO auch nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht
    ist nicht erkennbar und von der Klägerin auch nicht näher dargelegt worden.
    III.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
    Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, da die Auswirkungen des EuGHUrteils vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke
    II (ABl EU 2011, Nr C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467) auf die Anwendung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bislang nicht durch den BFH
    geklärt sind.

    VorschriftenEStDV § 50, AO § 173 Abs 1 Nr 2, AO § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 2, AO § 175 Abs 2 Satz 2, EStG § 10b