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20.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113366

Finanzgericht Düsseldorf: Beschluss vom 05.09.2011 – 1 V 2325/11 A(E)

Es erscheint ernstlich zweifelhaft, ob Erstattungszinsen nach § 233a AO im Veranlagungszeitraum 2008 aufgrund der rückwirkenden und gegenüber § 12 Nr. 3 EStG vorrangigen Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i. d. F. des JStG 2010 als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst werden dürfen.


Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Eilverfahrens darüber, ob die Erfassung von Erstattungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) im Veranlagungszeitraum 2008 in Höhe von 3.870 EUR als Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes (JStG) 2010 vom 8. Dezember 2010 rechtmäßig ist.
Aus dem Vortrag der Beteiligten und der (vom Antragsgegner nur unvollständig überlassenen) Einkommensteuerakte ist ersichtlich, dass die Antragsteller verheiratet sind, zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, im Streitjahr 2008 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielten und die Einkünfte der Antragstellerin aus Gewerbebetrieb 0,00 EUR betragen.
Am 18.5.2011 erließ der Antragsgegner einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2008. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Der Antragssteller berücksichtigte jeweils 1.935 EUR (insgesamt 3.870,00 EUR) als Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Nach Abzug des Werbungskosten-Pauschbetrags und des Sparer-Freibetrages (jeweils 51 EUR bzw. 750 EUR) verblieben als Einkünfte aus Kapitalvermögen jeweils 1.134 EUR (insgesamt 2.268 EUR).
Die bisher festgesetzte Einkommensteuer wurde um 718 EUR erhöht. In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es:
„Die Änderung erfolgt, da Sie im Jahr 2008 vereinnahmte Erstattungszinsen nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen angegeben haben.
Diese wurden nunmehr wie folgt berücksichtigt:
aus 2004: Bescheid vom 23.07.08: - 1.515,00 EUR
aus 2003: Bescheid vom 23.07.08: - 1.785,00 EUR
aus 2002: Bescheid vom 23.07.08: - 1.992,00 EUR
aus 2001: Bescheid vom 23.07.08: + 630,00 EUR (Nachzahlungszinsen werden nicht
verrechnet) aus 2000: Bescheid vom 23.07.08: + 191,00 EUR (Nachzahlungszinsen werden nicht
verrechnet) weiter aus 2000 + 184,00 EUR (Rückzahlung von Erstattungszinsen
= neg. Einnahmen)
aus 1999: Bescheid vom 23.07.08: + 22.708,00 EUR (Nachzahlungszinsen werden
nicht verrechnet)
weiter aus 1999 + 1.238,00 EUR (Rückzahlung von
Erstattungszinsen = neg.
Einnahmen)
Summe 3.870 EUR
Erstattungszinsen gehören zu den steuerpflichtigen Kapitalerträgen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Mit Urteil vom 15.06.2010, VIII R 33/07 hat der BFH die Erstattungszinsen i.S.v. § 233a AO entgegen seiner bisherigen langjährigen Rechtsprechung dem nicht steuerbaren Bereich § 12 Nr. 3 EStG zugeordnet.
Der Gesetzgeber hat auf dieses Urteil im Rahmen des JStG 2010 reagiert und eine gesetzliche Klarstellung und Festschreibung der früheren Rechtsprechung vorgenommen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG).
Diese Klarstellung gilt rückwirkend in allen noch offenen Fällen (§ 52a Abs. 8 EStG). Das FG Münster hat mit Urteil vom 16.12.2010 (Az. 5 K 3626/03 E) entschieden, dass die rückwirkend angeordnete Besteuerung der Zinsen verfassungsgemäß sei.
Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 15.07.2009.”
Gegen den Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten Aussetzung der Vollziehung.
Über den Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden, da dieser kraft Gesetzes wegen eines noch anhängigen BFH-Verfahrens (VIII R 36/10) ruht (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 7.6.2011 ab. Die Rechtslage sei nach Inkrafttreten des JStG 2010 am 14.12.2010 nicht mehr unklar.
Nunmehr beantragen die Antragsteller Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht. Sie tragen vor:
Es könne von keiner klaren Rechtslage gesprochen werden. Das JStG stelle als Nichtanwendungsgesetz zur neuesten BFH-Rechtsprechung die Steuerpflicht von Erstattungszinsen wieder her. Die Literatur habe das Urteil des BFH begrüßt und auf den besonderen Systemzusammenhang hingewiesen. Dieser werde im Streitfall noch einmal besonders deutlich, da im Veranlagungszeitraum 2008 den besteuerten Erstattungszinsen von 3.870,00 EUR Nachzahlungszinsen in Höhe von 23.529,00 EUR gegenüber stünden, die nicht zum Abzug und auch nicht zur Verrechnung zugelassen würden. Diese steuerliche Auswirkung habe sich vorliegend durch die Beurteilung nur eines Sachverhaltes (fehlende Gewinnerzielungsabsicht) ergeben.
Der Vertrauensschutz der Bürger werde verletzt, wenn das BMF bzw. der Gesetzgeber bewusst positive Entscheidungen des BFH nicht zu Gunsten der Bürger umsetze. Sowohl durch das FG Münster (Urteil vom 16.12.2010) als auch das Schleswig-Holsteinische FG (Beschluss vom 1.6.2011) werde bestätigt, dass die Gesetzesänderung eine echte Rückwirkung darstelle, die nach Auffassung der beiden FG ausnahmsweise zulässig sei. Diese Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung der Gesetzesänderung sei jedoch fraglich. Zudem werde in den Entscheidungen unberücksichtigt gelassen, dass nach dem BFH-Urteil vom 15.06.2010 die Vorschrift des § 12 Nr. 3 EStG Vorrang vor § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG habe. Es beständen deshalb in der Literatur erhebliche Zweifel, ob die Ergänzung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG um Satz 3 zur künftigen Steuerpflicht von Erstattungszinsen ausreiche (Hinweis auf Panzer/Gebert DStR 2011, Seite 741).
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom 18.05.2011 bis zum Ablauf eines Monats nach Ergehen einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung in voller Höhe auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er trägt vor: Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei aufgrund einer Anweisung der OFD Rheinland vom 12.01.2011 abgelehnt worden. Die Rechtslage sei durch § 52 a Abs. 8 EStG eindeutig geregelt. Die Nachzahlungszinsen seien für die Einkommensteuer irrelevant. Dies habe auch der BFH in seinem Urteil vom 15.06.2010 bestätigt. Im Übrigen werde auf die Erläuterungen im angefochtenen Bescheid und im Ablehnungsschreiben vom 7.6.2011 verwiesen.
Gründe
Der Antrag ist begründet.
Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen.
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 5.4.2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BFH/NV 2011, 1082; vom 10.2.1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Dabei braucht der Erfolg nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg (vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz. 89, mit weiteren Nachweisen).
Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts können sich auch aus einer behaupteten Verfassungswidrigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm ergeben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15.12.2000 IX B 128/99, BFHE 194, 157, BStBl II 2001, 411 m.w.N.). Denn der Bürger hat einen grundrechtlich verbürgten Anspruch darauf, nur auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Abgaben herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung entsprechen (vgl. BVerfG vom 3. Dezember 1958 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3, und vom 10. März 1998 1 BvR 178/97, BVerfGE 97, 332). An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen, als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (BFH-Beschluss vom 10.2.1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454).
Bei Anwendung dieser Grundsätze bestehen nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides, soweit der Antragsgegner die im Veranlagungszeitraum 2008 zugeflossenen Erstattungszinsen nach § 233 a AO in Höhe von 3.870 EUR als Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG (in der durch Art. 1 Nr. 16 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) JStG 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, S. 1768) geänderten Fassung) bei der Einkommensteuerfestsetzung erfasst und die Einkommensteuer um 718 EUR höher festgesetzt hat.
Es sprechen insoweit gewichtige Gründe sowohl für als auch gegen die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides und die Verfassungsmäßigkeit der diesem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Normen, wobei die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe zwar nicht überwiegen, aber auch nicht durch die für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe ausgeräumt werden.
Dafür, dass die Erfassung der Erstattungszinsen als Kapitaleinkünfte rechtmäßig sein könnte, spricht vorliegend, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des mit dem JStG 2010 neu eingefügten Satz 3 in § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG hier erfüllt sein dürften. Denn die Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO in Höhe von 3.870 EUR, die den Antragstellern im Veranlagungszeitraum 2008 auch unstreitig tatsächlich zugeflossen sind, sind nach dieser Vorschrift Erträge aus Kapitalforderungen im Sinne des Satzes 1 des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, die wiederum zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören.
Dafür, dass der Antragsgegner diesen neu eingefügten Satz 3 des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu Recht auf den Streitfall angewendet haben könnte, obwohl die Gesetzesänderung erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums 2008 am Tag nach der Verkündung des JStG, also am 14.12.2010 in Kraft getreten ist, könnte § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG sprechen. Nach dieser Vorschrift ist die Gesetzesänderung in der durch Art. 1 Nr. 39 Buchst. a) JStG geänderten Fassung in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Diese Voraussetzungen dürften hier dann vorliegen, wenn man den Begriff „bestandskräftig” als „materiell bestandskräftig” und nicht im Sinne einer formellen Unanfechtbarkeit versteht. Im Streitfall war die Einkommensteuer 2008 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO und damit noch nicht materiell bestandskräftig festgesetzt worden.
Auch die Gesetzesbegründung (vgl. BT Drucks. 17/3549, Seite 17 und Seite 23) spricht für die Rechtsauffassung des Antragsgegners, dass die Erstattungszinsen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu erfassen sind und die erst im Jahr 2010 geschaffene Rechtsnorm im Streitfall angewendet werden darf. Denn nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollten Erstattungszinsen nach § 233a AO entsprechend den allgemeinen Grundsätzen bei den Einkünften erfasst werden. Außerdem sei die rückwirkende Anwendung der Gesetzesänderung auf zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume durch § 52 a Abs. 8 S. 2 EStG rechtmäßig, da kein Vertrauen der Steuerpflichtigen in bestehende Regelungen verletzt werde.
Gegen die Rechtmäßigkeit der Erhöhung der Einkommensteuer 2008 um 718,00 EUR wegen der Erstattungszinsen sprechen allerdings die Ausführung des BFH in dem Urteil vom 15.6.2010 (VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503).
Der VIII. Senat hat in seinem Urteil zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er im Grundsatz an der bisherigen Rechtsprechung festhalte, dass Erstattungszinsen beim Empfänger der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterliegen könnten. Allerdings sei für Erstattungszinsen auf Steuern, die in § 12 Nr. 3 EStG genannt werden (u.a. Steuern vom Einkommen und sonstige Personensteuern) - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - die Regelung des § 12 Nr. 3 EStG vorrangig in der Weise zu beachten, dass solche Erstattungszinsen - ebenso wie die entsprechenden Steuererstattungen - dem Steuerpflichtigen nicht nach § 8 Abs. 1 EStG „im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG” zufließen würden.
Insoweit dürften nach Auffassung des BFH - so wie der erkennende Senat die Entscheidung des BFH versteht - Erstattungszinsen nach § 233a AO für die in § 12 Nr. 3 EStG genannten Steuerarten - insbesondere der Einkommensteuer - der nichtsteuerbaren Sphäre zuzuordnen sein (anders wohl: Erstattungszinsen nach § 233a AO für Gewerbesteuer; vgl. aber § 4 Abs. 5 b EStG).
Da § 12 Abs. 3 EStG durch das JSTG 2010 nicht geändert worden ist, wird teilweise in der Literatur die Ansicht vertreten, dass die Änderung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG im Jahr 2010 durch die Einfügung des Satzes 3 keine Auswirkung habe, weil der BFH gar nicht bezweifelt habe, dass Erstattungszinsen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erfüllen würden. Der Gesetzgeber habe die mangelnde Steuerbarkeit der Erstattungszinsen durch die Gesetzesänderung nicht beseitigt. Aufgrund der materiellen Reichweite von § 12 Nr. 3 EStG, der die entsprechenden Erstattungszinsen dem nichtsteuerbaren Bereich zuweise, erscheine der Versuch des Gesetzgebers, die Besteuerung von Erstattungszinsen durch eine Klarstellung auf der Ebene der Steuerpflicht von Einkünften sicherzustellen, als zu kurz gesprungen (vgl. Panzer/Gebert DStR 2011, 741).
Zwar wird auch die Ansicht vertreten, dass § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG auf Grund seines Wortlautes, seiner Entstehungsgeschichte und seines Zweckes als gegenüber § 12 Nr. 3 EStG zwingend vorrangige Spezialregelung anzusehen sei (vgl. Zimmermann in EFG 2011, 266 m.w.N.). Eine abschließende Entscheidung über die Rechtslage ist im summarischen Aussetzungsverfahren jedoch nicht möglich.
Darüber hinaus kann nach summarischer Prüfung nicht ausgeschlossen werden, dass die gesetzlichen Neuregelungen in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 und § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG - bei Anwendung auf einen Sachverhalt wie im Streitfall - gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des GG) folgende Rückwirkungsverbot verstoßen.
Eine Rechtsnorm entfaltet eine - grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässige - „echte” Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung - hier Dezember 2010 - für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen”). Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7.7.2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl II 2011, 76,BGBl I 2010, 1296).
Nach diesen Grundsätzen stellt die Anwendung der erst im Dezember des Jahres 2010 rechtlich existenten Norm (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG) auf einen zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen Veranlagungszeitraum - hier 2008 - eine solche echte Rückwirkung dar.
Zwar wird in der Rechtsprechung teilweise die Ansicht vertreten, dass diese Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sei, weil der Gesetzgeber lediglich eine Gesetzeslage geschaffen habe, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und Rechtspraxis entsprochen habe (vgl. FG-Münster Urteil vom 16.12.2010 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649; Schleswig-Holsteinisches FG Beschluss vom 1.6.2011 2 V 35/11, juris).
Es erscheint aber nach dem oben Gesagten zweifelhaft, ob durch die Einführung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG tatsächlich der Rechtszustand vor dem Urteil des BFH vom 15.06.2010 (VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503) wieder hergestellt wurde. Es spricht vielmehr auch Einiges dafür, dass im Streitfall den Antragstellern eine Rechtsposition (nicht nach § 12 Nr. 3 EStG steuerbare Erstattungszinsen im Veranlagungszeitraum 2008), die sie objektiv bereits mit Ablauf des Kalenderjahres 2008 hatten, durch ein Gesetz in 2010 nicht rückwirkend entzogen werden darf, auch wenn dies von der Rechtsprechung zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt worden war (vgl. hierzu auch Zimmermann in EFG 2011, 651).
Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vom Antragsgegner angewendeten Normen und die Zweifel, ob durch diese Normen - wären sie verfassungsgemäß - der Rechtsprechung des BFH zu der Bedeutung des § 12 Nr. 3 EStG tatsächlich die Grundlage entzogen wurde, kann im Aussetzungsverfahren nicht abschließend geklärt werden. Dies rechtfertigt die begehrte Aussetzung der Vollziehung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

VorschriftenAO § 233a, EStG § 12 Abs. 3, EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3, EStG § 52a Abs. 8, GG Art. 20 Abs. 3