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· Fachbeitrag · Gebäudeversicherung

So ist die strenge Wiederherstellungsklausel in der Wohngebäudeversicherung auszulegen

von RiOLG a. D. und RA Dr. Dirk Halbach, Köln

| Die strenge Wiederherstellungsklausel in der Wohngebäudeversicherung zielt auch darauf, das subjektive Risiko des Versicherers zu begrenzen. Der Versicherer soll davor geschützt werden, dass der Versicherungsnehmer (VN) in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Versicherungsfalls Vorteile zu verschaffen. So entschied der BGH. |

Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert

Der VN unterhält eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Bedingungen für die Wohngebäudeversicherung (VGB) (VGB 2010) zugrunde. Dort heißt es u. a.:

 

  • § 28 VGB
  • (7) Sie erwerben den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil), nur, soweit und sobald Sie innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sicherstellen, dass Sie die Entschädigung verwenden werden, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen.
 

Versicherer leistet gekürzten Zeitwertanteil

Das versicherte Haus wurde durch einen Brand zerstört. Ein Obmanngutachten ergab, dass die Wohnfläche des Hauses mit 171,29 qm die im Versicherungsvertrag angegebene Wohnfläche von 116 qm überstieg. Daher kürzte der Versicherer den vom Sachverständigen ermittelten Zeitwertschaden von 198.610,16 Euro nach § 28 Abs. 2 VGB 2010 entsprechend dem Flächenunterschied auf 134.501,59 Euro und zahlte diesen Betrag an den VN aus.

 

Der VN begann innerhalb von drei Jahren nach dem Brand auf seinem Grundstück mit dem Neubau eines Wohnhauses. Dieses weist infolge einer vergrößerten Wohnfläche und einer angebauten Garage eine um circa 37 Prozent größere Grundrissfläche auf als das abgebrannte Haus. Die Baugenehmigung ist erteilt, der Bauvertrag nach VOB mit einem Bauunternehmen abgeschlossen.

 

VN verlangt Neuwertspitze - Versicherer lehnt das ab

Der VN meint, die Voraussetzungen für die Entschädigung des Neuwertanteils zu erfüllen. Er legt den Neuwert von 268.408,98 Euro aus dem Obmanngutachten zugrunde. Sodann errechnet er mittels der vom Versicherer ermittelten Kürzungsquote (268.408,98 x 116 qm ./. 171,29 qm) eine Neuwertentschädigung von 181.770,33 Euro. Hiervon zieht er die geleisteten 134.501,59 Euro ab und erhebt Klage über 47.268,74 Euro.

 

Der Versicherer meint, der VN habe die Sicherstellungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 7 VGB 2010 nicht erfüllt. Das neu errichtete Gebäude weiche wegen der Grundflächenvergrößerung um 37 Prozent in Art und Größe wesentlich vom früheren Gebäude ab. Deshalb sei es nicht von gleicher Art und Zweckbestimmung im Sinne von § 28 Abs. 7 VGB 2010.

 

Das OLG Naumburg hatte in der Berufung der Klage stattgegeben. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und an das OLG zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 20.04.2016, Az. IV ZR 415/14, Abruf-Nr. 186733).

Klausel zielt auch auf Begrenzung des subjektiven Risikos

§ 28 Abs. 7 VGB 2010 enthält eine strenge Wiederherstellungsklausel. Sie orientiert sich an dem für den durchschnittlichen VN erkennbaren Zweck der Neuwertversicherung.

 

Zweck der Neuwertversicherung

Die Neuwertversicherung soll

  • den Schaden ausgleichen, der dem VN dadurch entsteht, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden muss, wenn er das zerstörte Gebäude wiederherstellt;
  • grundsätzlich nicht auch solche Aufwendungen abdecken, die durch wesentliche Verbesserungen des neuen Gebäudes verursacht wurden.

 

Zweck der Wiederherstellungsklausel ist deshalb, die Bereicherung durch die Neuwertentschädigung auf den Teil zu beschränken, der das Bedürfnis für die Neuwertversicherung begründet, also auf die ungeplanten, dem VN erst durch den Versicherungsfall aufgezwungenen Ausgaben.

 

Subjektive Komponente Risikobegrenzung

Für den VN ersichtlich will die Bestimmung aber auch das subjektive Risiko des Versicherers begrenzen. Er soll davor geschützt werden, dass der VN in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Versicherungsfalls Vermögensvorteile zu verschaffen.

 

Wollte man dem VN den Zugriff auf die Neuwertentschädigung für das abgebrannte Haus ungeachtet der Art und Zweckbestimmung des neu errichteten Gebäudes zur freien Verwendung gestatten, könnte der VN versucht sein, zur Teilfinanzierung eines Neubaus den Versicherungsfall vorsätzlich herbeizuführen.

 

Wichtig | Der BGH moniert, dass sich das OLG bisher den Blick dafür verstellt hat, dass es anhand der gesamten baulichen Gegebenheiten auch feststellen muss, ob das im Bau befindliche neue Gebäude des VN von gleicher Art und Zweckbestimmung ist wie das durch den Brand zerstörte Haus. Allein die Erwägung des OLG, mit der geforderten Neuwertentschädigung sei keine Bereicherung des VN verbunden, mache eine Prüfung der Voraussetzungen der Klausel nicht entbehrlich. Das OLG ist daher wieder am Zug.

Strenge Wiederherstellungsklauseln in der Praxis

Die strengen Wiederherstellungsklauseln in der Wohngebäudeversicherung lassen einen Anspruch zunächst nur auf einen Teil entstehen. Den Restanspruch auf die Neuwertspitze oder Neuwertentschädigung erwirbt der VN erst, wenn die Wiederherstellung innerhalb der Frist durchgeführt wurde oder sichergestellt ist.

 

Wiederherstellung - auf die Größe und den Zweck kommt es an

 

  • Keine Wiederherstellung liegt vor

 

Sicherstellung der Verwendung

Die Sicherstellung erfordert eine Prognose in dem Sinne, dass bei vorausschauender Betrachtung hinreichend sicher angenommen werden kann, dass die Entschädigung bestimmungsgemäß verwendet wird.

 

Der Wille zur Wiederherstellung muss ernsthaft zum Ausdruck kommen, und eine bestimmungsgemäße Verwendung der Entschädigung muss erwartet werden können. Das ist z. B. anzunehmen nach verbindlichem Abschluss eines Bauvertrags oder eines Fertighauskaufvertrags mit einem leistungsfähigen Unternehmer (BGH, Urteil vom 18.02.2004, Az. IV ZR 94/03, Abruf-Nr. 040747). Ein Rückgängigmachen muss fernliegen (OLG Hamm, Urteil vom 06.05.1983, Az. 20 U 364/82, Abruf-Nr. 187167).

 

Aufwand

Der BGH hat nun klargestellt, dass nach Sinn und Zweck der gleitenden Neuwertversicherung die Neuwertspanne auch verlangt werden kann, wenn die tatsächlichen Aufwendungen niedriger sind als der Neuwert (BGH, Urteil vom 20.07.2011, Az. IV ZR 148/10, Abruf Nr. 112875).

 

Dem ist zuzustimmen. Denn allein Eigenleistungen, die die Baukosten reduzieren, rechtfertigen es nicht, die Neuwertentschädigung zu versagen, weil der Zweck der strengen Wiederherstellungsklausel, präventiv Missbrauch zu verhindern und die Versicherungsleistung an den Sachwert zu binden, bereits erreicht ist.

Quelle: Ausgabe 11 / 2016 | Seite 17 | ID 44167961