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18.09.2013 · IWW-Abrufnummer 132978

Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 06.02.2013 – 9 U 239/12

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Köln

9 U 239/12

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Es besteht für die Beklagte Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe:

I.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Die Berufung kann nach § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Das Landgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht stattgegeben. Der hiergegen gerichtete Berufungsangriff der Beklagten – der sich auf den Einwand der Nachvertraglichkeit hinsichtlich der klägerischen Interessenwahrnehmung gegenüber den Universitäten G, N, M, E, T und G2 beschränkt – greift nicht durch. Der Versicherungsfall ist auch insoweit vor dem Ablauf des Versicherungszeitraums (19.10.2011) eingetreten.

Nach Ziffer 7.1.3 Satz 1 der zwischen den Parteien vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung N2 für Nichtselbständige (ARB-N2 2009) besteht Anspruch auf Rechtsschutz – von den Fällen des Schadensersatz- bzw. Beratungsrechtsschutzes abgesehen – „von dem Zeitpunkt an, in dem Sie einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen haben oder begangen haben sollen oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll“.

Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ist ein derart definierter Rechtsschutzfall anzunehmen, wenn das Vorbringen des Versicherungsnehmers (erstens) einen objektiven Tatsachenkern – im Gegensatz zu einem bloßen Werturteil – enthält, mit dem er (zweitens) den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verbindet und worauf er dann (drittens) seine Interessenverfolgung stützt. Der vorgetragene Tatsachenkern muss dabei die Beurteilung erlauben, ob der damit beschriebene Vorgang den zwischen den Parteien ausgebrochenen Konflikt jedenfalls mit ausgelöst hat, also geeignet gewesen ist, den Keim für eine (zukünftige) rechtliche Auseinandersetzung zu legen. Weiterer qualifizierender Voraussetzungen bedarf es insofern nicht; ein adäquater Ursachenzusammenhang reicht mithin aus. Bei dem damit verbundenen Vorwurf ist allein auf die vom Versicherungsnehmer für den Verstoß gegebene Begründung abzustellen (vgl. BGHZ 178, 346 m. w. N.; st. Rspr.).

Danach ist hier der Rechtsschutzfall bereits eingetreten, als die Zulassungszahlen für das vom Kläger angestrebte Studium der Humanmedizin für das Wintersemester 2011/2012 durch Verordnung oder Satzung festgelegt wurden (ebenfalls an diesen Zeitpunkt anknüpfend: OLG Celle, VersR 2007, 1218; OLG Frankfurt, VersR 2010, 381); dies ist offensichtlich im Jahr 2011 vor Beginn des Wintersemesters, mithin innerhalb des versicherten Zeitraums, geschehen. Der Kläger hat sein auf Zuweisung eines außerkapazitären Studienplatzes gerichtetes Vorgehen gegen die Universitäten gerade auf den Vorwurf unzureichender Kapazitätsausschöpfung aufgrund fehlerhafter Kapazitätsberechnungen gestützt. Damit hat er einen objektiven Tatsachenkern vorgetragen, auf dessen Grundlage eine Verletzung seines verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Zulassung zum Hochschulstudium (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG i. V. m. dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip; vgl. BVerfGE 33, 303) möglich erscheint. Der Kläger hat sich hierbei nicht auf die schlichte Behauptung freier Kapazitäten beschränkt, sondern ist gezielt gegen solche Hochschulen vorgegangen, bei denen angesichts eines Vergleichs mit den Zulassungszahlen vergangener Studienjahre und unter Berücksichtigung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit bestand (vgl. OLG Celle, aaO.).

Auf den Vorwurf der fehlerhaften Kapazitätsberechnung und der sich hieraus ergebenden Verletzung seines Zulassungsanspruchs hat der Kläger sodann die gegen die Universitäten gerichteten Verfahren, für die er vorliegend Deckung begehrt, auch gestützt. Der behauptete Verstoß trug den Keim einer zukünftigen rechtlichen Auseinandersetzung bereits in sich, so dass die späteren Rechtsstreitigkeiten hierdurch gewissermaßen „vorprogrammiert“ waren. Die Hochschulen sind grundsätzlich an die durch Rechtsnorm festgesetzten Zulassungszahlen gebunden und dürfen sich deshalb nicht von sich aus über sie hinwegsetzen (OVG Lüneburg, NVwZ 1983, 106; OVG Münster, NVwZ-RR 2010, 437).

Der Anknüpfung des Rechtsschutzfalls an die jeweilige Festsetzung der Zulassungszahlen steht nicht entgegen, dass diese im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung dem Kläger möglicherweise nicht bekannt war oder von ihm jedenfalls nicht als Keim einer zukünftigen rechtlichen Auseinandersetzung wahrgenommen wurde. Für die Annahme eines den Rechtsschutzfall auslösenden Verstoßes genügt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang, der den Keim eines solchen Rechtskonflikts in sich trägt. Es wird – anders als bei den Regelungen zum Schadenersatz- und Beratungs-Rechtsschutz – nicht an ein äußerlich wahrnehmbares, sinnfälliges Ereignis angeknüpft, das sich vom Tagesgeschehen abhebt. Unschädlich ist demgemäß auch, wenn das den Verstoß ausmachende gesetz- oder vertragswidrige Verhalten nicht zugleich oder nicht ohne Weiteres nach außen dringt. Die Annahme eines tatsächlichen, objektiv festzumachenden Vorganges, durch den ein Rechtskonflikt mit Aufwendungen von Rechtskosten bereits angelegt ist, hindert das nicht (vgl. BGH, NJW-RR 2006, 37).

Weiterer qualifizierender Voraussetzungen bedarf es für die Annahme eines Rechtsschutzfalles nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht. Insbesondere ist entgegen der von den Parteien vertretenen Auffassung in Fällen der vorliegenden Art auch nicht zu fordern, dass der Studienanfänger durch Antragstellung bei der Hochschule eine individuelle Rechtsbeziehung zu dieser begründet hat. Ziff. 7.1.3 Satz 1 ARB-N2 2009 lässt aus der für die Auslegung maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers keine Anhaltspunkte für eine derartige Einschränkung seines Rechtsschutzanspruchs erkennen. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Bürger im Verwaltungsrecht grundsätzlich erst gegen einen konkreten Verwaltungsakt Rechtsschutz suchen könne, ist dies für die Auslegung versicherungsvertraglicher Klauseln ohne Belang. Ob der Versicherungsnehmer nach verwaltungsrechtlichen und –prozessualen Grundsätzen sein Zulassungsbegehren verfolgen kann, ohne zuvor einen entsprechenden Antrag bei der Hochschule zu stellen, mag allenfalls im Zusammenhang mit den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Interessenwahrnehmung (die das Landgericht vorliegend zutreffend bejaht hat) eine Rolle spielen. Soweit das Erfordernis einer konkreten Rechtsbeziehung in der Rechtsprechung darauf gestützt wird (vgl. OLG Düsseldorf VersR 2010, 663), dass der Begriff des Versicherungsfalls den Bezug auf einen Einzelfall voraussetze, muss dieser nicht zwingend auf einem Antragsverhältnis beruhen. Der Einzelfallbezug wird in Fällen der hier betrachteten Art bereits durch die vom jeweiligen Versicherungsnehmer geltend gemachte Verletzung seines individuellen Rechts auf Hochschulzulassung begründet.

Soweit die Beklagte meint, der im Sinne der Ziff. 7.1.3 Satz 1 ARB-N2 2009 maßgebliche Verstoß sei erst darin zu sehen, dass die Hochschulen die Zulassungsanträge des Klägers in nachvertraglicher Zeit ablehnend oder gar nicht beschieden hätten, ist dieser Auffassung nach alledem nicht zu folgen.

II.

Die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss (§ 522 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 4 ZPO) liegen ebenfalls vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Senats, gegen die die Revision zuzulassen wäre. Auch eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

III.

Auf die bei förmlicher Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO dem Rechtsmittelführer verloren gehende Möglichkeit Kosten sparender Rücknahme gemäß Nr. 1222 Kostenverzeichnis zum GKG wird vorsorglich hingewiesen.