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  • · Fachbeitrag · Mehrwertsteuer/Totalschaden

    Der WBW und die Mehrwertsteuer beim Totalschaden

    | Diverse Leserfragen zeigen uns: Rund um Totalschäden gibt es immer wieder Ärger um die Frage der Erstattung der Mehrwertsteuer. Das wundert nicht, denn gibt es in der Tat eine Vielzahl von Konstellationen. Der folgende Beitrag stellt die verschiedenen Fallgruppen vor und sagt, was in punkto Mehrwertsteuer gilt, wenn der Geschädigte nach einem Totalschaden ein Ersatzfahrzeug anschafft. |

    Die verschiedenen Konstellationen

    Bei der Frage nach der Erstattung der Mehrwertsteuer spielen folgende Gegebenheiten eine Rolle:

     

    • Zum einen kann der Geschädigte als Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt sein oder als Privater eben nicht.
    • Zum anderen sind die beschädigten und die ersatzweise gekauften Fahrzeuge ganz unterschiedlich umsatzsteuerlich einzustufen: Steuerneutralität, Regel- oder Differenzbesteuerung.
    • Letztlich ist es ja auch keine ausgemachte Sache, dass Unternehmer immer junge und damit als regelbesteuert einzustufende Fahrzeuge haben oder ersatzweise kaufen.

    Die Fallgruppen bei Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs

    Der folgende Beitrag stellt die Fallgruppen dar, die es gibt, wenn der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug beschafft.

     

    Geschädigter ist nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt

    In diese Gruppe gehören alle Privaten und die wenigen Unternehmer, die nicht der Mehrwertsteuer unterliegen (zum Beispiel Ärzte oder Versicherungsvertreter).

     

    Zunächst muss der Schadengutachter ermitteln, wie ein Fahrzeug wie das beschädigte am Markt als Gebrauchtfahrzeug überwiegend angeboten wird. Dabei orientiert er sich an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, mit der das Fahrzeug diesbezüglich auf dem Gebrauchtwagenmarkt gehandelt wird (BGH, Urteil vom 9.5.2006, Az. VI ZR 225/05; Abruf-Nr. 061792).

     

    Lautet das Ergebnis „regelbesteuert“, kann der Versicherer im ersten Schritt die volle Regelmehrwertsteuer aus dem Wiederbeschaffungswert (WBW) herausrechnen. Lautet das Ergebnis „differenzbesteuert“, kann der Versicherer die im Kaufpreis enthaltene Mehrwertsteuer schätzen und abziehen. Dabei hat der BGH die Schätzung einer Handelsspanne von 15 Prozent akzeptiert (BGH, Urteil vom 9.5.2006, Az. VI ZR 225/05; Abruf-Nr. 061792). Die Mehrwertsteuer darauf entspricht dann etwa 2,5 Prozent vom Endpreis.

     

    Wichtig | Wird so ein Fahrzeug überwiegend am Privatmarkt angeboten, stellt sich die Frage nach dem Mehrwertsteuerabzug gar nicht.

     

    Für die Varianten regelbesteuert oder differenzbesteuert kommt es im zweiten Schritt darauf an, ob der Geschädigte eine Ersatzbeschaffung nachweist. Tut er das und gibt er mindestens so viel aus, wie der Brutto-WBW des beschädigten Fahrzeugs beträgt, rechnet er die Ersatzbeschaffung durch Vorlage einer Rechnung konkret ab.

     

    Der BGH hat auf der Grundlage der Gesetzesbegründung entschieden, dass dem Geschädigten dann kein Mehrwertsteueranteil abgezogen werden darf. Denn § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB gilt eben nur für die fiktive Abrechnung. Es kommt dann im Ergebnis gar nicht darauf an, ob er ein Fahrzeug mit ausgewiesener Mehrwertsteuer kauft oder nicht (BGH, Urteil vom 1.3.2005, Az. VI ZR 91/04; Abruf-Nr. 051974).

     

    Problematisch ist es allerdings, wenn der Geschädigte ein Fahrzeug kauft, dessen Brutto- oder Neutralkaufpreis unterhalb des WBW des beschädigten Fahrzeugs liegt. Nun muss er sich entscheiden, ob er konkret oder fiktiv abrechnen möchte. Was richtig ist, hängt vom Zahlengefüge ab.

     

    • Ist der WBW netto höher als der Brutto- oder Neutralkaufpreis des gekauften Fahrzeugs, ist die fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis richtig. Denn auf der Grundlage von Kaufvertrag und/oder Rechnung gäbe es ja nur den darin ausgewiesenen Betrag.

     

    • Ist der Kaufpreis jedoch höher als der WBW, werden Kaufvertrag und/oder Rechnung vorgelegt. Nun wird konkret abgerechnet.

     

    Geschädigter ist zum Vorsteuerabzug berechtigt

    Ist der Geschädigte zum Vorsteuerabzug berechtigt, hängt die Mehrwertsteuer-Erstattung nicht zuletzt von der Frage ab, wie alt das beschädigte Fahrzeug ist:

     

    • Fährt der geschädigte Kunde ein junges Fahrzeug, das in die Kategorie „als Gebrauchtwagen typischerweise regelbesteuert angeboten“ fällt, stellen sich die Probleme nicht. Der WBW ist nur netto zu erstatten. Denn wenn sich der Geschädigte so ein Fahrzeug wiederbeschafft, bekommt er die in der Rechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer vom Fiskus erstattet. Die Mehrwertsteuer ist also unter Schadengesichtspunkten neutral.
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    • Nicht jeder Unternehmer fährt ein junges Fahrzeug. So kommt es immer wieder vor, dass der Kunde zwar zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, beim Unfall aber ein Fahrzeug beschädigt wurde, das so alt ist, dass es nicht mehr zum typischen Gebrauchtwagenbestand des Fahrzeughandels gehört. So ist der WBW als steuerneutral einzustufen oder als typischerweise differenzbesteuert.

     

    Wichtig | Hat der Schadengutachter den WBW zu Recht als steuerneutral eingestuft, weil solche Fahrzeuge typischerweise nur noch am Privatmarkt gehandelt werden, muss der WBW auch dann als steuerneutral behandelt werden, wenn der Geschädigte ein zum Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer ist (LG Ulm, Urteil vom 19.6.2013, Az. 1 S 28/13; Abruf-Nr. 132190). Genau so hat das LG Kaiserslautern (Urteil vom 14.6.2013, Az. 3 O 837/12; Abruf-Nr. 132466) entschieden. Beide Urteile sind richtig.

     

    Schadenrecht ist eben kein Bilanzrecht

    Oft hört man in diesem Zusammenhang, das Fahrzeug stehe ja auch „netto in den Büchern“. Doch darauf kommt es nicht an.

     

    • Erstens ist das gar nicht sicher, denn es kann ja vormals auch ohne Mehrwertsteuerausweis erworben worden sein.
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    • Und zweitens lautet die Frage nur, wie man ein solches Fahrzeug ersatzbeschaffen kann. Und wenn der Selbstständige, der ein altes Fahrzeug fährt, so ein Fahrzeug nicht mit Mehrwertsteuerausweis kaufen kann, kann er sich auch keine Mehrwertsteuer vom Fiskus erstatten lassen.

     

    Keine Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen

    Das Argument des Versicherers, der Geschädigte müsse nur lange genug suchen, dann werde er auch ein solches Fahrzeug mit ausgewiesener Mehrwertsteuer finden, zieht nicht. Der BGH hat nämlich entschieden: Der geschädigte Selbstständige muss sich nicht auf die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen machen, wenn Fahrzeuge wie sein beschädigtes überwiegend nicht regelbesteuert angeboten werden (BGH, Urteil vom 25.11.2008, Az. VI ZR 245/07; Abruf-Nr. 090140).

     

    Weil schon keine Mehrwertsteuer aus dem WBW herausgerechnet werden darf, kommt es auf die Frage der beim Ersatzkauf aufgewendeten Mehrwertsteuer gar nicht an.

     

    Wenn das Fahrzeug in die Schublade „typischerweise differenzbesteuert“ fällt, mag der Versicherer den Steueranteil per Schätzung (siehe oben) aus dem WBW mit 2,5 Prozent herausrechnen. Danach kann der Geschädigte die konkrete Abrechnung wählen, wenn er bei einem nicht oder differenzbesteuerten Ersatzkauf mindestens so viel oder mehr für die Ersatzbeschaffung aufwendet, wie der steuerneutrale oder differenzbesteuerte WBW betrug.

     

    Kauft er ein regelbesteuertes Fahrzeug, für das er die Mehrwertsteuer vom Fiskus erstattet bekommt, kann er auch konkret abrechnen, wenn der Nettopreis über dem neutralen oder differenzbesteuerten WBW liegt.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „MwSt bei Ersatzkauf auch aus Überführungskosten“, UE 6/2014, Seite 1
    • Textbaustein 371: Mehrwertsteuer aus Überführungskosten
    Quelle: Ausgabe 11 / 2014 | Seite 7 | ID 43028334