Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Gutachtenkosten

    Was ist vom Argument „Unmittelbare oder mittelbare Abhängigkeit des Gutachters“ zu halten?

    | Im Kampf um die Erstattung der Gutachterkosten geht ein Versicherer zum wiederholten Male sehr weit. Ein Schreiben, das bereits im Jahr 2007 vom LG Regensburg wettbewerbsrechtlich untersagt wurde, ist offenbar, wie man an den Zitaten von Urteilen sieht, die samt und sonders 15 Jahre alt und älter sind, aus der Mottenkiste geholt worden. Dazu erreicht UE die Frage eines Schadengutachters. |

     

    Frage: Ein mich betreffendes Schreiben eines Versicherers an den regulierenden Anwalt zur verweigerten Erstattung der Gutachterkosten hat folgenden Wortlaut, wobei es dem Versicherer offenbar nicht gefällt, dass ich von der Werkstatt, die hier auch eine Rolle spielt, oft empfohlen werde:

     

    „Die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen können dann als Gutachten gewertet werden, wenn die gutachterliche Aussage verkehrsfähig wie eine Urkunde ist. Nach uns vorliegenden Urteilen ist dies nur dann der Fall, wenn der Sachverständige weder unmittelbar noch mittelbar in wirtschaftlichen oder rechtlichen Beziehungen zu Reparaturwerkstätten steht bzw. in Geschäftszweigen tätig ist, die in engem Zusammenhang mit schadenersatzrechtlich relevanten Regulierungspositionen stehen und die gutachterlichen Feststellungen Auswirkungen hierauf haben könnten.

     

    Anderenfalls, so die Urteile, kann von einem Abhängigkeitsverhältnis oder von einer möglichen Interessenkollision ausgegangen werden. Zum Beispiel wäre unter Umständen eine objektive Nachprüfung oder Kontrolle der Reparatur und der Reparaturkosten durch den Sachverständigen nicht gewährleistet.

     

    Nach uns bislang vorliegenden Erkenntnissen liegen diese Voraussetzungen bei dem Gutachtenersteller nicht vor, sodass eine Erstattung des geforderten Sachverständigenhonorars nicht möglich ist.“

     

    Antwort: Einige der zitierten Urteile konnten wir finden. Und wenn der Fall so gestaltet ist, wie es in den Urteilsfällen war, kann das Schreiben des Versicherers richtig sein. Im Allgemeinen aber liegt es wohl neben der Sache. Es sind zwei Fallgruppen differenziert zu betrachten ‒ die Fallgruppe des „werkstatteigenen Sachverständigen“ und die der häufigen Empfehlung.

    Die Fallgruppe des „werkstatteigenen Sachverständigen“

    In der Fallgruppe des „werkstatteigenen Sachverständigen“ geht es um die Konstellation, dass der Werkstattinhaber oder ein dort angestellter Mitarbeiter vorübergehend „die Werkstattkappe abnimmt“ und stattdessen „die Gutachterkappe aufsetzt“ und ein Schadengutachten erstellt, das aber diesen Namen nicht verdient. Anschließend wird das Fahrzeug in genau der Werkstatt repariert.

     

    Der Geschädigte kann dann leicht erkennen, dass es sich bei dem Elaborat nicht um ein neutrales Gutachten handelt. Das ist also ein Fall des sogenannten Auswahlverschuldens, der Versicherer muss die Gutachterkosten nicht erstatten (LG Freiburg, Urteil vom 20.06.2013, Az. 3 S 64/12, Abruf-Nr. 230779).

     

    Schadengutachter mit Werkstatt darf entweder begutachten oder reparieren

    Nichts spricht dagegen, dass ein Schadengutachter auch eine Werkstatt betreibt. Bei den Sachverständigen aus nahezu allen Handwerksgewerken ist das eher die Regel als die Ausnahme. Ein enger Praxisbezug schadet sicher nicht. Doch muss ein solcher Gutachter die Aufgabenfelder streng trennen: Entweder begutachten oder reparieren, aber niemals beides.

     

    Das LG Regenburg sagt dazu: „Die bloße Tätigkeit als Handwerkstreibender, eingetragen in der Handwerksrolle kann dem nicht entgegenstehen. Nach der Satzung der Handwerkskammer ist es Bestellungsvoraussetzung für den öffentlich beeidigten Sachverständigen, dass er nicht nur Inhaber eines Betriebs ist, sondern auch besondere Sachkunde durch notwendige praktische Erfahrung nachweist (vergleiche § 2 der Bestellungsvoraussetzungen iVm. § 91 Absatz 1 Nr. 8 und Absatz 4 der HO). Damit soll gewährleistet werden, dass nicht Theoretiker Gutachten erstellen, sondern Praktiker, die die Problematik von Kfz-Schäden vor Ort und von Grund auf erlernt haben.“ (LG Regensburg, Urteil vom 02.08.2007, Az. 1 HK O 445/07, Abruf-Nr. 230780).

     

    LG Regensburg bejahte unlautere Wettbewerbshandlung des Versicherers

    Das LG Regensburg hat dem Versicherer in dem Urteil die Verwendung des wie oben wortgleichen Schreibens wettbewerbsrechtlich untersagt. In dem Fall war ein Schadengutachter betroffen, der selbst eine Werkstatt betrieb, aber die Gutachtentätigkeit auf der Grundlage einer Bestellung durch die Handwerkskammer von den Arbeiten in seiner Werkstatt trennte.

     

    Der Versicherer konnte keinen einzigen Fall benennen, bei dem eine unzulässige Vermischung stattgefunden hatte. Vor diesem Hintergrund sah das Gericht in dem Schreiben eine Herabsetzung eines Mitbewerbers nach § 4 Ziff. 7 und eine gezielte Behinderung desselben nach § 4 Ziff. 10 UWG.

    Die Fallgruppe der häufigen Empfehlung

    Im Fall des UE-Lesers geht es aber nicht um die Verknüpfung von Gutachtertätigkeit und Fahrzeugreparatur in der Person oder der Firma des Gutachters, sondern um die regelmäßige Empfehlung des Gutachters durch eine Werkstatt.

     

    Zweifelsfrei ist ein Gutachter nicht frei davon, seine Empfehler bei guter Stimmung halten zu wollen. Das wollen die Schadengutachter, die regelmäßig von Versicherern empfohlen oder beauftragt werden, auch. Das ist ein völlig normales Geschäftsgebaren.

     

    Umgekehrt ist es genauso normal, dass man als Empfehler die Geschäftsfreunde bevorzugt ins Gespräch gibt, mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat. Da stellt sich die Frage, was denn „gute Erfahrungen“ sind.

     

    Schadengutachter hat Beurteilungsspielraum

    Der Schadengutachter hat stets einen Beurteilungsspielraum. Das ist in der Rechtsprechung unumstritten. Z. B. hat das LG Coburg, Berufungskammer, dazu gesagt: Bewertungen hätten es an sich, dass sie unterschiedlich ausfallen können. Dem Sachverständigen sei ein gewisser Spielraum zuzugestehen. Maßgeblich sei allein, ob sie auf der Grundlage zutreffender Tatsachen und Methoden vorgenommen würden. Unterschiedliche Einschätzungen von Sachverständigen seien häufig und begründeten per se keine Pflichtverletzung (LG Coburg, Urteil vom 28.05.2021, Az. 33 C 49/21, Abruf-Nr. 222779).

     

    So wird der häufig vom Versicherer ins Spiel gebrachte Schadengutachter den Beurteilungsspielraum eher „so“, der von der Werkstatt ins Spiel gebrachte Schadengutachter aber eher „so“ nutzen. Wenn das gar derselbe Experte ist, dann wird das „so“ oder aber „so“ situationsabhängig gelebt. Wenn die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten sind, wird man weder dem einen noch dem anderen die Seriosität absprechen können.

     

    Das ist jedenfalls weder ein Abhängigkeitsverhältnis noch eine Interessenkollision im Sinne der Ausführungen des Schreibens, die zu einem Auswahlverschulden des Geschädigten bei der Beauftragung des Schadengutachters führen könnte.

     

    Dass der Geschädigte gern einer Empfehlung folgt, liegt vor allem daran, dass er statistisch höchstens alle zehn Jahre ein Schadenereignis hat, bei dem er die Expertise eines Schadengutachters braucht. Er hat eben nicht den Überblick, welche Anbieter für seinen Bedarf am Markt sind.

     

    Es ist lebensfremd, aus „Empfehlung“ gleich auch „Abhängigkeit“ machen zu wollen. Das gilt natürlich umso mehr, je mehr verschiedene Werkstätten, Abschleppunternehmer, Autovermieter oder Rechtsanwälte den Schadengutachter empfehlen. Hinge der Gutachter quasi am Tropf eines einzigen Empfehlers, könnte man in der Tat eher an das Stichwort der Abhängigkeit denken.

     

    „Unfallhelferring-Vorwurf“ der Versicherer längst vom BGH entkräftet

    Am Ende hilft auch eine ältere Entscheidung des BGH ‒ bezogen auf die Empfehlung eines Rechtsanwalts durch einen Autovermieter und damit ohne weiteres der hier in Rede stehenden Frage vergleichbar.

     

    Der BGH hat entschieden: „Es verstößt weder gegen die §§ 1, 2 BRAO noch ist es sittenwidrig, wenn ein Rechtsanwalt das Mandat eines Unfallgeschädigten übernimmt, dem er von einer Autovermietung empfohlen wurde. Eine abweichende Beurteilung bedarf der Feststellung weiterer Anhaltspunkte, aus denen sich ergibt, dass der Rechtsanwalt in gewolltem Zusammenwirken mit der Autovermietung tatsächlich auf deren Veranlassung und in deren Interesse, nicht auf Veranlassung und im Interesse des Mandanten tätig werden sollte.“ (BGH, Beschluss vom 20.06.2006, Az. VI ZB 75/05, Abruf-Nr. 062568).

     

    FAZIT | Die regelmäßige Empfehlung des Gutachters durch eine Werkstatt ist nicht per se anrüchig. Da muss der Versicherer schon konkrete Anhaltspunkte liefern.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2022 | Seite 9 | ID 48535786