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· Fachbeitrag · Elternunterhalt

So berechnet der BGH den Unterhaltsbedarf von Eltern im Fall ihrer Heimunterbringung

von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Brandenburg

| Bei Eltern, die krank, gebrechlich oder sogar bettlägerig sind, führt dies in vielen Fällen dazu, dass sie in einem Senioren- oder Pflegeheim untergebracht werden müssen. Eine solche Heimunterbringung bestimmt den Unterhaltsbedarf der Eltern. Eine aktuelle Entscheidung des BGH gibt Anlass zu hinterfragen, ob diese Aussage so einfach umsetzbar ist, wie sie klingt. |

1. Notwendigkeit einer stationären Heimpflege

Unproblematisch ist die Heimunterbringung, wenn der Elternteil pflegebedürftig geworden ist (gleich welcher Pflegestufe). Die Pflegegeldkasse überprüft den Pflegebedarf. Sie stellt in einem formalisierten Verfahren den bestehenden tatsächlichen Pflegebedarf fest (§ 15 SGB XI).

 

Es kann aber - vor allem im Rahmen von Unterhaltsstreitigkeiten - die Frage auftauchen, ob tatsächlich eine Heimunterbringung notwendig ist. Denn: Solange ein Elternteil in der Lage ist, sich und den eigenen Haushalt (ggfs. auch unter Hinzuziehung von Hilfskräften und einer Inanspruchnahme von sächlichen Hilfeleistungen) noch selbstständig zu versorgen, ist ein Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim nicht notwendig und damit unterhaltsrechtlich nicht anzuerkennen.

 

Auch für eine vom Elternteil aus persönlichen Gründen gewünschte präventive Heimunterbringung muss das unterhaltspflichtige Kind nicht aufkommen. Schließlich kann in Ausnahmefällen das Problem auftauchen, ob das auf Unterhalt in Anspruch genommene Kind den bedürftigen Elternteil gemäß § 1612 Abs. 1 S. 2 BGB aus besonderen Gründen darauf verweisen kann, anstelle einer Geldrente (kostengünstigeren) Naturalunterhalt entgegenzunehmen. Diese Situation könnte z.B. eintreten, wenn das Kind Wohnraum für den Elternteil zur Verfügung stellt und für sachgerechte Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen (durch Dritte oder das unterhaltspflichtige Kind selbst) sorgt.

 

PRAXISHINWEIS | Es muss also im Ausgangspunkt aller Überlegungen zum geschuldeten Elternunterhalt stets geprüft werden, ob die erfolgte oder beabsichtigte Heimunterbringung tatsächlich notwendig ist.

 

In Deutschland kümmern sich - im Rahmen intakter Familienverhältnisse - viele Menschen zu Hause um ihre pflegebedürftigen Angehörigen. Ob das Kind die Leistung von Unterhalt (ganz oder teilweise) in Natur durch Wohnraumstellung und Pflege auch gegen den Willen des betroffenen Elternteils verlangen kann, erscheint fraglich. Hier bedarf es im Einzelfall einer umfangreichen Abwägung der beiderseitigen Interessen.

 

Die Rechtsprechung des BGH zum Unterhaltsbedarf knüpft - sowohl in dem aktuellen Fall als auch in früheren Entscheidungen - an die Situation an, dass die Notwendigkeit einer tatsächlich erfolgten Heimunterbringung dem Grunde nach zwischen den Beteiligten gerade nicht im Streit steht.

2. Der Fall des BGH

Im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt wurde der pflegebedürftige Vater V der Tochter T im Jahr 2011 mit Hilfe des Sozialamts und einer Schwester der T in einem Seniorenzentrum untergebracht. Dort wurde V bis zu seinem Tod Ende 2014 in stationärer Heimpflege betreut. Der Sozialhilfeträger übernahm die durch eigene Einkünfte nicht gedeckten Heimkosten. Er nimmt die T aus übergegangenem Recht auf Elternunterhalt in Anspruch. Die verheiratete T erzielte im Unterhaltszeitraum ein monatliches Erwerbseinkommen von knapp 1.500 EUR. Ihr Ehemann war aufgrund der besonderen Altersgrenze für Berufssoldaten bereits im Jahr 2004 mit Vollendung seines 54. Lebensjahres in den Ruhestand versetzt worden. Er verfügte im Unterhaltszeitraum über monatliche Ruhestandsbezüge von knapp 2.900 EUR und betrieb eine zusätzliche Altersvorsorge. Die Beteiligten streiten über die Höhe des Unterhaltsbedarfs des V und die Leistungsfähigkeit der T. Der BGH formuliert hierzu u.a. den folgenden Leitsatz:

 

Der Unterhaltsbedarf des Elternteils bestimmt sich grundsätzlich durch seine Unterbringung in einem Heim und deckt sich regelmäßig mit den dort anfallenden Kosten (BGH 7.10.15, XII ZB 26/15, Abruf-Nr. 180519).

 

So einleuchtend diese Aussage auf den ersten Blick ist, so zahlreich sind doch bei näherem Hinsehen die damit verbundenen rechtlichen Probleme.

3. Bedarf des unterhaltsberechtigten Elternteils

Der unterhaltsrechtliche Bedarf von Eltern bestimmt sich gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der eigenen Lebensstellung (angemessener Unterhalt). Er bemisst sich also in erster Linie nach den eigenen aktuellen Einkommens-und Vermögensverhältnissen des betreffenden Elternteils.

 

PRAXISHINWEIS | Ein höherer Standard, der sich an einer früheren besseren oder sogar gehobenen Lebensstellung des Elternteils orientiert, ist nicht angemessen i.S. von § 1610 Abs. 1 BGB. Er kann insbesondere nicht aus seiner Lebensstellung im aktiven Berufsleben abgeleitet werden. Auch nach einem langen arbeitsreichen Leben gibt es keine Lebensstandardgarantie für Eltern.

 

Der angemessene Lebensbedarf des Elternteils richtet sich allein nach seiner aktuellen Lebenssituation. Dementsprechend ist es für seinen Unterhaltsbedarf ohne Bedeutung, wenn das unterhaltspflichtige Kind selbst in besseren oder sogar gehobenen Verhältnissen lebt.

 

Im Fall der (notwendigen) Unterbringung in einem Pflegeheim wird der Unterhaltsbedarf durch die Heim- und Pflegekosten bestimmt. Er entspricht den dort anfallenden, nicht durch eigene Einkünfte des unterhaltsberechtigten Elternteils gedeckten Kosten. Hinzu kommt ein angemessener Barbetrag für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 27b Abs. 2 SGB XII). An diese Rechtsprechung knüpft der BGH auch in dem aktuellen Fall an.

 

Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt sich sein angemessener Lebensstandard auf das Existenzminimum. Aus dieser unteren Angemessenheitsgrenze folgt zugleich, dass sich sein Lebensstandard im Sinne von § 1610 Abs. 1 BGB auf eine ihm zumutbare einfache und kostengünstige Heimunterbringung beschränkt.

4. Angemessenheit der Heimunterbringung

Das unterhaltspflichtige Kind kann nicht nur die Notwendigkeit, sondern - unter Verweis auf kostengünstigere Heime - auch die Angemessenheit der Unterbringung infrage stellen, und damit die Angemessenheit des geltend gemachten Elternunterhalts (§ 1610 Abs. 1 BGB).

 

a) Heimkosten als Anknüpfungspunkt

Der BGH hat in seiner aktuellen Entscheidung klargestellt, dass der sozialhilfebedürftige und unterhaltsberechtigte Elternteil sich nicht darauf beschränken muss, die Kosten seiner Heimunterbringung zum einzigen Auswahlkriterium zu erheben. Andernfalls müsste er seinen künftigen Lebensmittelpunkt allein an den Heimkosten ausrichten.

 

  • Von Eltern bzw. Sozialhilfeträgern können keine kleinlichen Vergleiche bezogen auf die betragsmäßig geringsten Heimkosten gefordert werden. Der sozialhilfebedürftige Elternteil kann zwischen mehreren im unteren Preissegment und in zumutbarer örtlicher Entfernung (etwa im Umkreis von 10 km) zu seinem bisherigen sozialen Umfeld liegenden Heimen wählen. Ihm steht also insoweit ein Entscheidungsspielraum zu. Auf der anderen Seite kann eine fehlerhafte Heimauswahl negative Folgen für den Anspruch auf Elternunterhalt nach sich ziehen.

 

  • Mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde wird man selbst für einen schwer demenzkranken und nicht mehr kommunikationsfähigen Elternteil von vornherein nicht verlangen können, dass er sich im Ausland, z.B. in einem besonders kostengünstigen polnischen oder rumänischen Pflegeheim, unterbringen lassen muss.

 

  • Unzumutbar dürfte auch eine Umsiedlung in ein vom früheren Lebensmittelpunkt weit entferntes, aber sehr preiswertes Pflegeheim sein (z.B. in einer strukturschwachen Region in der Nähe der polnischen Grenze).

 

Abgesehen von solchen Extremfällen ist die Frage, ob eine Heimunterbringung angemessen ist, nur im Einzelfall zu beurteilen. Das gilt auch für die Frage, ob von dem unterhaltsberechtigten Elternteil der Einzug in ein Mehrbettzimmer, anstelle in ein Einzelzimmer, verlangt werden kann.

 

Wie das untere Preissegment der Heimkosten zu bestimmen ist, kann ebenfalls nur im Einzelfall anhand der konkreten Umstände entschieden werden. Die Kosten der Pflegeheime weichen in Deutschland regional stark voneinander ab. Ein fester unterer Preisrahmen kann daher nicht allgemeingültig für das ganze Bundesgebiet festgelegt werden.

 

Ferner muss bei einem Kostenvergleich auf den richtigen Vergleichsmaßstab geachtet werden. Das gilt z.B. für sog. Investitionskosten, die von Pflegeheimen gegenüber ihren Heimbewohnern geltend gemacht werden können. Diese Kosten fallen von Heim zu Heim häufig unterschiedlich hoch aus. Auf der anderen Seite werden sie in einigen Bundesländern vom Sozialamt (zumindest anteilig) in Form eines Pflegewohngelds übernommen. Pflegewohngeld ist aber im Rahmen der Unterhaltspflicht der Kinder nicht subsidiär. Ihm kommt bedarfsdeckende Wirkung zu. Diese Umstände müssen im Rahmen einer richtigen Vergleichsberechnung berücksichtigt werden.

 

PRAXISHINWEIS | Durch Internetrecherche lassen sich kostengünstige Pflegeheime finden. Eine geeignete Pflegeanbietersuche (etwa nach Postleitzahlen oder Ortsnamen) über Kosten und Leistungen von Pflegeeinrichtungen ist z.B. über die Datenbank der Knappschaft unter www.der-pflegekompass.de möglich.

 

b) Weitere Anknüpfungskriterien

Überschreiten die Heimkosten das untere Preissegment, muss das unterhaltspflichtige Kind u.U. auch diese höheren Heimkosten tragen. Das kann der Fall sein, wenn dem Elternteil das vom Kind ausgewählte preisgünstigere Heim nicht zumutbar ist. Dies ist z.B. denkbar, wenn im Zeitpunkt der notwendigen Heimunterbringung keine preisgünstigeren Heimplätze verfügbar waren oder wenn Eltern ihre Heimunterbringung zunächst noch selbst finanzieren konnten und erst später - etwa aufgrund der Einordnung in eine höhere Pflegestufe - dazu nicht mehr in der Lage sind. Hier kann sich allerdings die Frage eines zumutbaren Heimwechsels stellen.

 

Hat das Kind ursprünglich selbst die Auswahl des Pflegeheims beeinflusst, kann es wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens nicht einwenden, es stehe eine kostengünstigere Unterbringung zur Verfügung.

5. Auswirkungen für die Darlegungs- und Beweislast

Für die Darlegungs- und Beweislast im Zusammenhang mit der Heimunterbringung eines Elternteils hat der BGH ein Stufenverhältnis entwickelt:

 

  • Der unterhaltsberechtigte Elternteil trägt die Darlegungs- und Beweislast für seinen angemessenen Bedarf gemäß § 1610 Abs. 1 BGB. Im Fall einer Heimunterbringung genügt dafür bereits die Darlegung der ungedeckten Heimkosten. Es muss kein Vortrag zu den Kriterien der Heimauswahl gehalten werden. Allerdings dürfen keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die anfallenden Heimkosten nicht der angemessenen Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten entsprechen.

 

  • Will der Unterhaltspflichtige nun die Angemessenheit der Heimunterbringung in Abrede stellen, muss er sie substanziiert bestreiten.
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  • PRAXISHINWEIS | Hierfür muss er konkrete Heime und die dafür anfallenden (geringeren) Kosten genau benennen.

     
  • Nach einem solchen substanziierten Bestreiten geht die Darlegungs- und Beweislast für die angemessene Heimunterbringung zurück auf den unterhaltsberechtigten Elternteil und im Fall des sozialhilferechtlichen Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger.

 

  • PRAXISHINWEIS | Der unterhaltsberechtigte Elternteil kann sich z.B. darauf berufen, dass die Heimauswahl den unteren Preisrahmen in Wirklichkeit nicht überschreitet. Ferner kann er geltend machen, dass das unterhaltspflichtige Kind aus besonderen Gründen die erfolgte Heimauswahl außerhalb des unteren Preissegments ausnahmsweise hinzunehmen hat.

     

6. Leistungsfähigkeit

Im Fall des BGH stand zwischen den Beteiligten auch der Abzug von zusätzlichen Altersvorsorgeaufwendungen vom Einkommen des Ehemanns der T im Streit. Insoweit hält der BGH eine differenzierende Betrachtung für geboten. Vorliegend hat nicht die T selbst sondern ihr Ehemann eine zusätzliche Altersvorsorge betrieben. Der Ehemann schuldet aber gegenüber V keinen Elternunterhalt; er ist nur gegenüber T zum Familienunterhalt verpflichtet. Soweit er in Form einer zusätzlichen Altersversorgung (zeitlich begrenzt bis zum Erreichen der allgemeinen Regelaltersgrenze) Vermögensbildung betreibt und damit sein unterhaltsrelevantes Einkommen zulasten seiner Leistungsfähigkeit im Rahmen des Familienunterhalts verringert, ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Entscheidend ist, ob nach dem Lebensstandard der Eheleute vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus die zusätzliche Altersvorsorge angemessen erscheint. Mit Blick auf die monatlichen Nettobezüge des Ehemannes von knapp 2.900 EUR und die eigenen Erwerbseinkünfte der T hat der BGH die zusätzlichen Vorsorgeaufwendungen des Ehemannes in Höhe von monatlich 178 EUR als angemessen akzeptiert.

 

Im Ergebnis des aktuellen Falls hat der BGH der Rechtsbeschwerde des Sozialhilfeträgers stattgegeben und die Sache an das OLG Koblenz zurückverwiesen. Das OLG soll die Prüfung nachholen, ob das Seniorenzentrum, in dem V von 2011 bis 2014 gelebt hat, dem unteren Preisrahmen zuzuordnen ist. Ferner sollen im Hinblick auf die unterhaltsrechtlich anzuerkennenden Abzüge für die zusätzliche Altersvorsorge ihres Ehemannes neue Berechnungen der Leistungsfähigkeit der T vorgenommen werden.

 

Weiterführender Hinweis

  • Zur Frage der konkreten Berechnungsmethode des BGH für die Ermittlung der Leistungsfähigkeit des verheirateten Kindes mit eigenem Einkommen, SR 14, 192 zu BGH 23.7.14, XII ZB 489/13.
Quelle: Ausgabe 01 / 2016 | Seite 4 | ID 43773642