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11.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193164

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 19.10.2016 – 11 Sa 114/16

1. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen ( BAG, Urteil vom 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06 - m. w. N.).

2. Bei einer Verdachtskündigung muss der Verdacht dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft ( BAG, Urteil vom 12.02.2015 - 6 AZR 845/13 - m. w. N.). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus ( BAG, Urteil vom 24.05.2012 - 2 AZR 206/11 -m. w. N.).

3. Der Sachgrund der Vertretung ( § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG ) ist vorgeschoben, wenn der zu vertretende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit dem Vertreter verbindlich erklärt hat, er werde die Arbeit nicht wieder aufnehmen. Ansonsten darf und muss der Arbeitgeber mit dessen Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnen ( BAG, Urteil vom 29.04.2015 - 7 AZR 310/13 - m. w. N.).


Tenor:

Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.11.2015 - 12 Ca 2313/15 - werden jeweils kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages sowie die Rechtmäßigkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses.



Der am 1959 geborene Kläger, ledig, war aufgrund des Arbeitsvertrages vom 22.10.2013 befristet vom 01.11.2013 bis zu 31.12.2014 bei der Beklagten, die ein Warenhaus betreibt, beschäftigt. Unter dem 11.12.2014 vereinbarten die Parteien schriftlich eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.05.2015 und gaben Krankheitsvertretung als Sachgrund an (Bl. 4 d. A.). Wegen der Einzelheiten der Tätigkeit des Klägers, die auch den täglichen Schließdienst umfasste, wird auf das Zeugnis vom 03.02.2015 verwiesen (Bl. 23 d. A.).



Den Schließdienst verrichtete der Kläger nach dem 4-Augenprinzip mit Herrn R , einem Fremdmitarbeiter der Firma P . Der Lebensmittelbereich wird durch Kameras überwacht, die von einem Kameraraum aus gesteuert werden. Durch eine Leibesvisitation am 29.01.2015 wurde festgestellt, dass Herr R nach Dienstschluss beim Verlassen der Geschäftsräume ohne Bezahlung ein Paket Sülze aus dem Warenbestand der Beklagten an sich genommen hatte. Auf Vorhalt hat er gestanden, dass er auch in den drei vorangegangenen Wochen Diebstähle zu Lasten der Beklagten begangen habe. Nachdem der Kläger in einer Anhörung am 30.01.2015 zunächst entgegen den Feststellungen der Beklagten das Betreten des Kameraraums am 29.01.2015 bestritten hatte, und sein Entlastungsvorbingen, er habe nachschauen wollen, ob die Monitore noch eingeschaltet seien, aus Sicht der Beklagten nicht überzeugend wirkte, hat der Kläger nach Androhung einer außerordentlichen Kündigung seitens der Beklagten einen Aufhebungsvertrag zum 31.01.2015 unterzeichnet (Bl. 5. d. A.). Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.03.2015 hat der Kläger den Aufhebungsvertrag vom 30.01.2015 wegen rechtswidriger Drohung mit einer Kündigung angefochten und mit der am 25.03.2015 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Mit der am 29.05.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung wendet er sich gegen die Wirksamkeit der Befristung seines Arbeitsverhältnisses.



Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.11.2015 (Bl. 113 ff. d. A.) u. a. erkannt, dass der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe eine außerordentliche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen, da sie ihren Verdacht der Beteiligung des Klägers an den Straftaten des Herrn R auf einer unzureichend aufgeklärten Sachlage und unzulässiger Verwertung von Videomaterial gestützt habe. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses sei hingegen wirksam, da die Beklagte nicht davon habe ausgehen dürfen, dass der vom Kläger vertretene Mitarbeiter S wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren werde. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.



Nach erfolgter Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 23.03.2016, dem Kläger am 31.03.2016 zugestellt, hat der Kläger gegen das ihm am 23.12.2015 zugestellte Urteil am 04.04.2016 Berufung eingelegt, diese begründet und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Nach Zustellung der Berufungsbegründung am 18.04.2016 hat die Beklagte unter dem 25.04.2016 Anschlussberufung eingelegt.



Der Kläger behauptet, der Zeuge S habe vor der streitbefangenen Befristung definitiv gegenüber der Beklagten erklärt, dass er seine Arbeit als Haustechniker nicht mehr aufnehmen werde. Die Beklagte habe gewusst, dass der Zeuge seinen Kampf gegen die Alkoholerkrankung aufgegeben habe. Sie habe auch Kenntnis von dessen schlechter körperlichen Konstitution, bedingt durch ein Körpergewicht von 160 Kg, gehabt. Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts zur Unwirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung. Die Beklagte habe nicht sämtliche Aufklärungsmöglichkeiten ausgenutzt. Die etwaige Anwesenheit des Klägers im Monitorraum erkläre sich aus den Kontrollbefugnissen des Klägers. Belastendes Material hätten die Videoaufzeichnungen nicht enthalten.



Der Kläger beantragt,

1. dem Kläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in vorherigen Stand zu gewähren; 2. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 17.11.2015 festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristung vom 11.12.2014 zu 31.01.2015 beendet wurde, sondern als unbefristetes Arbeitsverhältnis fortbesteht; 3. die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.



Die Beklagte beantragt,

1. die Berufung des Klägers zurückzuweisen; 2. im Wege der Anschlussberufung das Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 12 Ca 2313/15 - vom 17.11.2015, zugestellt am 28.12.2015, abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom 30.01.2015 nicht aufgelöst worden ist.



Die Beklagte bestreitet eine verbindliche Erklärung des vertretenen Mitarbeiters S über seinen angeblich fehlenden Rückkehrwillen vor Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrags. Sie habe Herrn F , Vorgesetzter des Fremdmitarbeiters R intensiv zu den ermittelten Vorgängen vom 29.01.2015 befragt. Herr F habe festgestellt, dass Kameras in der Lebensmittel-Abteilung verstellt gewesen seien, so dass gewisse Bereiche nicht mehr einsehbar gewesen seien. Die Kamera-Anlage sei bei Dienstschluss komplett heruntergefahren, dann wieder hochgefahren und die Kameraeinstellungen verstellt worden. Der Kläger habe in seiner Anhörung eingeräumt, dass ihm ein Betreten des Kameraraums nicht gestattet gewesen sei und er nachvollziehen könne, dass die Beklagte kein Vertrauen ihm gegenüber mehr habe. Eine Befragung des Herrn R hätte keinen weiteren Erkenntnisgewinn gebracht. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte als verständiger Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Erwägung ziehen dürfen.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren vom 01.04.2016, 25.04.2016, 29.06.2016 und 30.09.2016 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen S . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19.10.2016 verwiesen.



Entscheidungsgründe



I. Die nach § 64 Abs. 2 b) statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Der Zulässigkeit der Berufung steht eine Versäumung der Berufungseinlegungs- und der Berufungsbegründungsfrist nach § 66 Abs. 1 ArbGG nicht entgegen, da dem Kläger gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Der Kläger war wegen Mittellosigkeit und somit ohne sein Verschulden gehindert, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung einzuhalten. Er hat aber innerhalb der einmonatigen Notfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG am 20.01.2016 Prozesskostenhilfe beantragt, die ihm mit Beschluss vom 23.03.2016 bewilligt worden ist. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 31.03.2016 zugestellt. Der am 04.04.2016 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag wahrte die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Frist begann mit dem Tag, an dem das der Einlegung des Rechtsmittels entgegenstehende Hindernis behoben war (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das Hindernis der Mittellosigkeit entfiel mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe an den Kläger (vgl. hierzu: BAG, Beschl. v. 05.06.2014 - 6 AZN 267/14 - m. w. N.). Die Wiedereinsetzungsfrist endete folglich mit Ablauf des 14.04.2016 (§ 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Die Begründung der Berufung ging am 04.04.2016 und damit innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO ein. Auch die Anschlussberufung der Beklagten ist nach den §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 524 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Abs.3 ZPO zulässig.



II. Die Anschlussberufung der Beklagten erweist sich als unbegründet, denn das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch den Auflösungsvertrag vom 30.01.2015 zum 31.01.2015 beendet worden ist. Der Aufhebungsvertrag ist gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig, denn der Kläger hat ihn innerhalb der Frist des § 124 Abs. 1 BGB wirksam nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Die Androhung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis mittels einer außerordentlichen Kündigung beenden zu wollen, wenn der Kläger nicht den Aufhebungsvertrag abschließt, stellt eine widerrechtliche Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB dar.



1. Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Die Widerrechtlichkeit der Kündigungsandrohung kann sich regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen, ist die Drohung widerrechtlich. Es ist nicht erforderlich, dass sich die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (BAG, Urt. v. 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06 - m. w. N.).



2. Bereits der Verdacht einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Verfehlung kann einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bilden. Eine auf einen solchen Verdacht gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG, Urt. v. 12.02.2015 - 6 AZR 845/13 - m. w. N.). Der Verdacht muss dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (BAG, Urt. v. 12.02.2015- 6 AZR 845/13 - m. w. N.). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG, Urt. v. 24.05.2012 - 2 AZR 206/11 - m. w. N.).



3. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze ist festzustellen, dass die Beklagte keinen Sachverhalt vorgetragen hat, der die Annahme rechtfertigt, die unter dem 30.01.2015 angedrohte außerordentliche Kündigung werde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Prüfung standhalten. Aufgrund unzureichender Sachaufklärung lagen der Beklagten keine zureichenden Tatsachen vor, die zumindest einen dringenden Tatverdacht gegen den Kläger bezüglich der Beteiligung an den von dem Fremdmitarbeiter R begangenen Vermögensdelikte hätten begründen können. Zwar hat die Beklagte den Kläger zu den Vorgängen am 29.01.2015 angehört und der Kläger hat wahrheitswidrig zu Beginn der Anhörung das Betreten des Überwachungsraums bestritten, jedoch hätte der Beklagten unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls klar sein müssen, dass nur ein Anfangsverdacht begründet war, der erheblich von der Verdachtsschwelle eines dringenden Tatverdachts entfernt lag.



Die Beklagte hat nicht dargetan, welche konkreten Kameramanipulationen am 29.01.2015 vorgenommen worden sind, so dass ein Bezug zwischen der angeblichen Manipulation in Anwesenheit des Klägers und der Entwendung der Sülze nicht hinreichend erkennbar ist. Es bleibt offen, wann welche Änderung in der Ausrichtung welcher Kamera vorgenommen worden ist. Der Fremdmitarbeiter R hat keine Kameramanipulation, erst Recht keine in Gegenwart des Klägers, eingeräumt. Die Beklagte hat nicht einmal den naheliegenden Versuch unternommen, Herrn R persönlich zur Mittäterschaft oder Mitwisserschaft des Klägers zu befragen. Es ist auch in der zeitlichen Abfolge nicht plausibel, wenn die Beklagte dem Kläger mehrfaches unbefugtes Betreten des Kameraraums zwecks Hochfahrens der Kamera vorhält, obwohl nach eigenen erstinstanzlichen Angaben Herr F um 20.00 Uhr den Kameraraum verlassen habe, das Herunterfahren der Kamera etwa eine halbe Stunde dauere, aber Herr R bereits um 20.30 Uhr gestellt worden sei. Die Überführung des Herrn R wäre damit schon zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem erst die vorbereitende Manipulationshandlung durch Hochfahren der Kamera zwecks späterer Neuausrichtung hätte eingeleitet werden können. Dass und für welchen Zeitraum der Prozess des Herunterfahrens unterbrochen war, hat die Beklagte nicht dargetan. Die behauptete Kameramanipulation macht aber nur Sinn, wenn der Prozess des Herunterfahrens unterbrochen, die Kamera neu ausgerichtet wurde und somit der Hergang des Diebstahls im Dunkeln bleibt. Zu welchem konkreten Zeitpunkt der Kläger den Kameraraum betreten haben soll, ist dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen. Die Beklagte trägt auch nicht vor, der Kläger wäre jeweils nur gemeinsam mit dem Täter über die gesamte Zeitspanne des jeweiligen Zeitraums im Überwachungsraum anwesend gewesen. Zwar ist nicht zu verkennen, dass das anfängliche Leugnen des Klägers hinsichtlich des Betretens des Überwachungsraums durchaus verdachtserhärtend wirkt, jedoch ist auch hier in Rechnung zu stellen, dass dieses ebenso als Schutzbehauptung hätte erfolgen können, weil der Kläger - laut Beklagtenvortrag - wusste, dass er diesen Raum nicht betreten darf und nach Darlegung der Beklagten zuvor zweimal aus dem Raum verwiesen wurde.



III. Auch der Berufung des Klägers blieb der Erfolg versagt. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.05.2015 aufgrund der Befristungsabrede 11.12.2014 ist rechtmäßig, wie das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung festgestellt hat. Die Befristung ist durch den Sachgrund der (unmittelbaren) Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung der Sachgrundbefristung (§ 242 BGB) bestehen nicht. Die Grenzschwelle des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ist nicht überschritten. Die Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrags war darüber hinaus zur Deckung eines zeitlich begrenzten Beschäftigungsbedarfs (Vertretung des erkrankten Mitarbeiters S ) erforderlich.



1. Entsteht der Vertretungsbedarf z.B. durch Krankheit kann der Arbeitgeber regelmäßig damit rechnen, dass der Vertretene seine arbeitsvertraglichen Pflichten künftig wieder erfüllen wir. Muss der Arbeitgeber aber aufgrund vorliegender Informationen erhebliche Zweifel daran haben, dass der zu vertretende Arbeitnehmer überhaupt wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird, kann dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben ist, was zur Unwirksamkeit der Befristung führt. Dies setzt aber in der Regel voraus, dass der zu vertretende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit dem Vertreter verbindlich erklärt hat, er werde die Arbeit nicht wieder aufnehmen. Ansonsten darf und muss der Arbeitgeber mit dessen Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnen (BAG, Urt. v. 29.04.2015 - 7 AZR 310/13 - m. w. N.).



2. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass der Zeuge S keine verbindliche Erklärung gegenüber der Beklagten über seinen mangelnden Rückkehrwillen abgegeben hat.



Der Zeuge S hat ausdrücklich bekundet, dass er mit der zuständigen Personal- und Organisationsleiterin U -N , frühere Frau U , weder über seine Wiederkehr gesprochen noch sich dahingehend geäußert habe, er werde nicht mehr zurückkommen. Er hat auch eine plausible Erklärung für sein Verhalten abgegeben. Aus seiner Sicht bestand die Gefahr, dass die beantragte Erwerbsunfähigkeitsrente nicht bewilligt worden wäre. Durch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wollte er vermeiden, dass er sich als Arbeitsloser auf dem Arbeitsmarkt hätte bewerben müssen. Auch wenn er gegenüber seinen "guten" Arbeitskollegen, einschließlich des Klägers, seine Absicht geäußert hatte, "das mit der EU-Rente durchziehen" zu wollen, hat er doch bewusst darauf verzichtet, Erklärungen über seine mangelnde Rückkehr gegenüber der Beklagten abzugeben, die zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten führen können. Zudem hat der Zeuge S bekundet, dass der Beklagten zwar klar gewesen sei, dass er als Elektriker nicht mehr eingesetzt werden könne, aber ein Einsatz in einer anderen Filiale oder in der Hauptverwaltung in Teilzeit an einem anderen Arbeitsplatz möglich gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund konnte die Beklagte sowohl mangels einschlägiger Erklärung des Klägers als auch der Ungewissheit künftigen anderweitigen Einsatzes aufgrund der ihr bekannten Informationen nicht verbindlich davon ausgehen, der Zeuge S werde nicht mehr ins Arbeitsverhältnis zurückkehren.



IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



V. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Vorschriften§ 66 Abs. 1 ArbGG, § 233 ZPO, § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 234 Abs. 2 ZPO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO, §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 524 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Abs.3 ZPO, § 142 Abs. 1 BGB, § 124 Abs. 1 BGB, § 123 Abs. 1 BGB, § 242 BGB, § 626 Abs. 1 BGB, § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG, § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG

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