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09.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192371

Oberlandesgericht Bamberg: Beschluss vom 06.02.2017 – 3 Ss OWi 156/17

Gründet die tatrichterliche Überzeugung von der Identität des Betroffenen zum Tatzeitpunkt auf einer Lichtbildidentifizierung ist von einer wirksamen Verweisung nach § 267 I 3 StPO (i.V.m. § 71 I OWiG) auf ein bei den Akten befindliches Lichtbild regelmäßig schon dann auszugehen, wenn in den Urteilsgründen auf die genaue Aktenfundstelle des Lichtbilds hingewiesen wird (Anschluss an BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/16 = StraFo 2016, 155 = NStZ-RR 2016, 178 = BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 5; Fortführung von OLG Bamberg, Beschl. v. 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16 [bei juris]).


Oberlandesgericht Bamberg

Beschluss vom 6.2.2017

3 Ss OWi 156/17

Zum Sachverhalt:

Das AG hat den Betr. wegen einer am 31.03.2016 auf einer BAB als Führer eines Pkw begangenen fahrlässigen Überschreitung außerorts zulässi­gen Höchstgeschwindigkeit um 58 km/h (§ 24 I StVG i.V.m. §§ 41 II, 49 III Nr. 4 StVO) zu einer Geldbuße von 240 Euro ver­ur­teil und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 IIa StVG verhängt. Seine hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde bliebt erfolglos.

Aus den Gründen:

Die gem. § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und mit am 07.12.2016 per Telefax-Schreiben innerhalb der Monatsfrist begründete Rechtsbe­schwerde er­weist sich als unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben.

1. Soweit die Rechtsbeschwerde „höchst vorsorglich“ Verfahrensrecht beanstandet, ist mangels Ausführung eine den Begründungsanforderungen der §§ 79 III 1 OWiG i.V.m. 344 II 2 StPO genügende Verfahrensrüge nicht erhoben.

2. Auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde und der die Aufhebung des Urteils beantragenden GenStA keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf. Die Feststellungen des AG tragen sowohl den Schuldspruch in objektiver und subjektiver Hinsicht als auch die daran an­knüpfende Rechtsfolgenbemessung. Insbesondere erweisen sich die Urteilsfeststellungen auch hinsichtlich der Überzeugungsbildung des Tatrichters von der Fahrereigenschaft des Betr. zur Tatzeit nicht als lückenhaft i.S.d. §§ 71 I OWiG i.V.m. § 267 I StPO.

a) Gründet die Überzeugung des Tatrichters von der Identität des Betr. zum Tatzeitpunkt auf einer Lichtbildidentifizierung der Person des Betr., muss auf ein „bei den Akten“ (vgl. hierzu LR/Stuckenberg StPO 26. Aufl. § 267 Rn. 20) befindliches und nicht selbst oder als Kopie in das Urteil unmittelbar aufgenommenes (hierzu schon BayObLG, Beschl. v. 04.04.1996 – 2 ObOWi 223/96 = BayObLGSt 1996, 34 = NStZ-RR 1996, 211 = MDR 1996, 843 = NZV 1996, 330 = StraFo 1996, 171 = VRS 91, 367 [1996] = VerkMitt 1996, Nr. 126 = JR 1997, 38; ferner OLG Jena, Beschl. v. 24.03.2006 – 1 Ss 57/06 = VRS 110 [2006], 424 = ZfS 2006, 475 und OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.12.2006 – 5 Ss [OWi] 199/06 = VerkMitt 2007, Nr. 20 = VRS 112 [2007], 43; vgl. auch Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 71 ‚ Rn. 47b; KK-OWiG/Senge 4. Aufl. § 71 Rn. 118; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 267 Rn. 10; KK/Kuckein StPO 7. Aufl. § 267 Rn. 6 a.E.; LR/Stuckenberg § 267 Rn. 14; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Güntge StPO 2. Aufl. § 267 Rn. 10; Burhoff [Hrsg.]/Gübner, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., Rn. 2712) Messfoto bzw. ‚Frontfoto’ oder ‚Radarfoto‘, soll es zum Bestandteil der Urteilsurkunde werden, deutlich und zweifelsfrei nach § 267 I 3 StPO i.V.m. § 71 I OWiG Bezug genommen werden, um so über die Dokumentation und Beschreibung der Art und Weise der Beweiserhebung hinaus unmissverständlich auch den Willen zur Verweisung bei Abfassung der Urteilsgründe zum Ausdruck zu bringen. Fehlt eine ent­sprechende Bezugnahme, bedarf es deshalb einer ausführlichen – hier nicht erfolgten – Beschreibung des Lichtbildes nach Inhalt und Qualität in den Urteilsgründen (st.Rspr., vgl. neben BGH, Beschl. vom 19.12.1995 - 4 StR 170/95 = BGHSt 41, 376/382 = DAR 1996, 98 = NJW 1996, 1420 = NZV 1996, 413 = MDR 1996, 512 = BGHR StPO § 267 I 3 Verweisung 2 = StV 1996, 413 = VM 1996, 89 und BayObLG a.a.O. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08 = NZV 2008, 211 = VRS 114, 285 [2008]; 21.04.2008 – 2 Ss OWi 499/08 = NZV 2008, 469; 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10 = DAR 2010, 390 = StV 2011, 717 = zfs 2010, 469 = SVR 2011, 344; 22.02.2012 – 2 Ss OWi 143/12 = DAR 2012, 215 = NZV 2012, 250 und 02.04.2015 – 2 Ss OWi 251/15 [bei juris]; vgl. zuletzt auch OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2016 – 4 RBs 74/16 und 08.03.2016 – 4 RBs 37/16 [jeweils bei juris]; OLG Brandenburg, Beschl. v. 02.02.2016 – 53 Ss-OWi 664/15 = DAR 2016, 282; KG, Beschl. v. 15.12.2015 – 121 Ss 216/15 = OLGSt StPO § 267 Nr. 29 = NJ 2016, 393 und 17.10.2014 – 3 Ws [B] 550/14 = VRS 127 [2015], 295; OLG Koblenz, Beschl. v. 10.06.2015 – 1 Ss 188/13 = StraFo 2015, 286; OLG Brandenburg, Beschl. v. 02.02.2016 – 53 Ss-OWi 664/15 = DAR 2016, 282; OLG Hamm, Beschl. v. 08.03.2016 – 4 RBs 37/16 = DAR 2016, 399 sowie OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.08.2016 – 2 Ss OWi 562/16 [bei juris]; vgl. auch Göhler/Seitz § 71‚ Rn. 47a f.; KK-OWiG/Senge § 71 Rn. 116 f.; Meyer-Goßner/Schmitt § 267 Rn. 8 ff.; KK/Kuckein § 267 Rn. 6; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Güntge § 267 Rn. 8 ff.; LR/Stuckenberg § 267 Rn. 14 ff.; Burhoff/Gübner Rn. 2704 ff., insbes. Rn. 2712 ff., jeweils m.w.N.; zur Unzulässigkeit der Verweisung auf ein elektronisches Speichermedium [Bezugnahme auf bei den Akten befindlicher CD-ROM gespeicherte ‚bewegte‘ Videoaufzeichnung bzw. Bilddatei als solche] BGH, Urt. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11 = BGHSt 57, 53 = NJW 2012, 244 f. = NStZ 2012, 228 f. = NZV 2012, 143 = StV 2012, 272 = BGHR StPO § 267 I 3 Verweisung 4; KK-OWiG/Senge § 71 Rn. 116 a.E.; Burhoff/Gübner Rn. 2735 f.).

b) Hier hat das AG seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betr. „aufgrund der in Augenschein genommenen Lichtbilder auf Bl. 18 d.A. in Abgleich mit dem in der Hauptverhandlung erschienen Betroffenen“ gewonnen. Damit hat es in noch zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch ausdrückliche und genaue Nennung der Fundstellen in den Akten deutlich und zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solchen hinaus auf die am genannten Ort befindlichen Messfotos gemäß § 267 I 3 StPO i.V.m. § 71 I OWiG Bezug zu nehmen und diese so zum Bestandteil der Gründe seines Urteils zu machen. Aufgrund der prozessordnungsgemäßen Bezugnahme kann der Senat deshalb die fraglichen Abbildungen aus eigener Anschauung würdigen und selbst beurteilen, ob sie als Grundlage einer Identifizierung tauglich sind. Da die in Bezug genommenen Lichtbilder zur Identifizierung des Betr. auch nach der Wertung des Senats als uneingeschränkt geeignet anzusehen sind, bedurfte es weiterer Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers, insbesondere einer Auflistung der charakteristischen Merkmale oder Darlegungen zum Maß der Merkmalsübereinstimmungen, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betr. stützt, nicht mehr.

aa) Ob das Tatgericht seinen Willen, zur Erleichterung der Abfassung der Urteilsgründe auf bei den Akten befindliche Abbildungen gemäß § 267 I 3 StPO i.V.m. § 71 I OWiG Bezug zu nehmen, um sie zum Bestandteil seiner Urteilsgründe zu machen, hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, kann im Einzelfall nur unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit beurteilt werden. Die Einhaltung einer besonderen Form, die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts, die Verwendung einer verdeutlichenden Floskel oder die ausdrückliche Zitierung der Bestimmung des § 267 I 3 StPO schreibt weder das Gesetz vor (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.12.2006 – 5 Ss [OWi] 199/06 = VM 2007, Nr. 20 = VRS 112 [2007], 43), noch lässt sich diese Notwendigkeit aus übergeordneten Erwägungen, etwa aus dem Gesetzeszweck, herleiten. Entscheidend sind letztlich immer die für das Prinzip, dass die Urteilsgründe aus sich selbst heraus verständlich sein müssen, auch sonst zu wahrenden Gebote der Eindeutigkeit und der Bestimmtheit (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/16 = StraFo 2016, 155 = NStZ-RR 2016, 178 = BGHR StPO § 267 I 3 Verweisung 5; OLG Bamberg, Beschl. v. 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16 [bei juris], m.w.N.).

bb) Nach diesem Maßstab dürfen die keinem Selbstzweck dienenden Anforderungen an die Abfassung der tatrichterlichen Urteilsgründe, die nicht dazu dienen, den Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise (womöglich lückenlos) zu dokumentieren, sondern lediglich das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die rechtliche Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglichen sollen (st.Rspr.; vgl. neben BGH, Beschl. v. 04.09.1997 - 1 StR 487/97 = NStZ 1998, 51 u.a. BGH, Beschl. v. 11.04.2012 – 3 StR 108/12 = StV 2012, 706 = NStZ-RR 2012, 212; vgl. auch OLG Bamberg, Beschl. v. 01.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15 = StraFo 2016, 116 m.w.N.; KK-OWiG/Senge § 71 Rn. 107), nicht grundlos überspannt werden. Hierauf liefe es jedoch gerade im auf verwaltungsrechtliche Pflichtenmahnung angelegten verkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren als Massenverfahren hinaus, eine den Anforderungen des § 267 I 3 StPO genügende Bezugnahme auf bei den Akten befindliche Abbildungen unter Ausblendung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe unterschiedslos und pauschal mit der Begründung in Frage zu stellen, dass für deren Wirksamkeit die Angabe der Fundstellen in den Akten regelmäßig nicht als ausreichend anzusehen sei, wenn an seinem auch nach außen erkennbaren eindeutigen Willen, die Abbildungen durch Bezugnahme zum Gegenstand der Urteilsgründe zu machen, keine Zweifel bestehen. Bereits nach allgemeiner Anschauung enthält die unter den gegebenen Umständen verfasste – wenn auch knappe – Angabe der Fundstelle in den Akten die über die bloße Berichterstattung über den in der Hauptverhandlung als Teil der dortigen Beweisaufnahme genommenen Augenschein hinaus die unmissverständliche Aufforderung an den Leser, sich bei Gelegenheit durch unmittelbare Betrachtung des Augenscheinobjekts einen eigenen Eindruck zu verschaffen (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – 3 StR 425/16 = StraFo 2016, 155 = NStZ-RR 2016, 178 = BGHR StPO § 267 I Satz 3 Verweisung 5; OLG Bamberg a.a.O.).

Der Verständniszusammenhang der Urteilsgründe wird hierdurch nicht tangiert, da mit der vom AG gewählten Formulierung klar das Wiedererkennen des Betr. zum Ausdruck gebracht wird. Dass das AG auf eine deskriptive Beschreibung einzelner ‚wiedererkannter‘ Merkmale des Physiognomie des Betr. verzichtet oder den Grad der Übereinstimmung mit den auf dem Messfoto erkennbaren Merkmalen nicht eingehender dargelegt hat, ist unschädlich. Dem Postulat einer „inhaltlichen Erörterung“ ist schon dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Betr. durch den Vergleich des Betr. mit dem Messfoto zum Ausdruck gebracht hat. Mehr bedarf es nicht, zumal die Überprüfung, ob der Betr. mit dem abgebildeten Fahrzeugführer tatsächlich identisch ist, dem Rechtsbeschwerdegericht ohnehin nicht zusteht und ihm auch gar nicht möglich wäre. Die Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist vielmehr auf die durch die wirksame Bezugnahme und den hierdurch statthaften ‚Blick in die Akten‘ ermöglichte Überprüfung der generellen Ergiebigkeit der in Bezug genommenen Lichtbilder beschränkt (OLG Bamberg a.a.O.; BGH, Beschl. v. 19.12.1995 - 4 StR 170/95 = BGHSt 41, 376/382 = DAR 1996, 98 = NJW 1996, 1420 = NZV 1996, 413 = MDR 1996, 512 = BGHR StPO § 267 I Satz 3 Verweisung 2 = StV 1996, 413 = VerkMitt 1996, 89). [...]

(Mitgeteilt von Richter am OLG Dr. G. Gieg, Bamberg)

RechtsgebieteStPO, OWiG, StVG, StVOVorschriftenStPO § 267 I 3; OWiG § 71 I; StVG § 25 I 1 [1. Alt.]; StVO §§ 18 V 2 Nr. 1b, V 2 Nr. 1c, 41 I, 49 III Nr. 4

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