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17.02.2017 · IWW-Abrufnummer 191932

Landgericht Hannover: Beschluss vom 23.01.2017 – 70 Qs 6/17

Schwierigkeit der Rechtslage i.S. des § 140 Abs. 2 StPO ist gegeben, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, oder wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird. Hiervon umfasst sind auch Fälle, in denen sich Fragestellungen aufdrängen, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt.


Landgericht Hannover

70 Qs 6/17

Beschluss

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

wegen    unerlaubten Entfernens vom Unfallort

hat die 18. große Strafkammer des Landgerichts Hannover auf die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 04.01.2017 (Geschäftsnummer: 242 Cs 616/16) nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 23.01.2017 beschlossen:
  1. Auf die Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 04.01.2017 - 242 Cs 616/16 - aufgehoben und der Angeklagten Herr Rechtsanwalt Bernd Eickelberg als Pflichtverteidiger beigeordnet
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hannover erließ am 16.11.2016 einen Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gegen die Angeklagte. Hierin wird der Angeklagten vorgeworfen, am 27.07.2016 gegen 06.10 Uhr als Führerin des Personenkraftwagens Mercedes, amtliches Kennzeichen pp. in Hannover die pp. befahren zu haben und hier vor der Hausnummer pp gegen den am rechten Fahrbahnrand geparkten Pkw Audi, amtliches Kennzeichen pp. gestoßen zu sein. Anschließend soll sie in Kenntnis des Unfalls den Ort mit ihrem Fahrzeug verlassen haben, so dass die notwendigen Feststellungen vereitelt worden seien. Der Sachschaden belaufe sich auf rund 1.218,00 €. Gegen den Strafbefehl legte die Angeklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24.11.2016, eingegangen beim Amtsgericht Hannover am selben Tage, Einspruch ein.

Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 08.12.2016 beantragte die Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Eickelberg als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Rechtslage sei schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO, da ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Angaben der Angeklagten gegenüber dem Zeugen POK ppp. zu prüfen sei. Die Angeklagte habe aufgrund der vorangegangenen Ermittlungen bereits zwingend vor Beginn der Vernehmung als Beschuldigte und nicht nur als Zeugin belehrt werden müssen. Der hieraus resultierende Verstoß führe zu einem Beweisverwertungsverbot.

Durch Beschluss vom 04.01.2017 wies das Amtsgericht Hannover den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurück, da ein in Betracht kommendes Verwertungsverbot keinen Verteidiger notwendig mache und noch weitere Beweismittel zur Verfügung stünden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Angeklagten vom 09.01.2017.

Die Staatsanwaltschaft hat am 16.01.2017 beantragt, die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen des Beschlusses als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde ist nach §§ 304, 306 StPO statthaft und zulässig. Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts, bei welchem es sich tatsächlich um eine Entscheidung der Vorsitzenden nach § 141 Abs. 4 StPO handelt, ist vorliegend nicht in Frage gestellt. Zwar unterliegen gemäß § 305 StPO Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde. Nach herrschender Ansicht gilt dies jedoch nicht für die Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung (Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar StPO, 59. Auflage 2016, § 305 Rn. 5, § 141 Rn. 10a m. w. N.).

Die Beschwerde ist auch begründet. Einem Angeklagten ist nach § 140 Abs. 2 S. 1 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann. Die vorliegend in Betracht kommende Schwierigkeit der Rechtslage ist dann gegeben, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, oder wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird (KG NJW 2008, 3449; vgl. Meyer-Goßner, Kommentar StPO, 59. Auflage, § 140 Rn. 27a). Hiervon umfasst sind auch Fälle, in denen sich Fragestellungen aufdrängen, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. OLG Hamm, Blutalkohol 47, 301 f. (2010); OLG Brandenburg NJW 2009, 1287). Maßgeblich ist insoweit nicht, ob tatsächlich von einem Verwertungsverbot auszugehen ist. Ausreichend ist vielmehr, wenn die Annahme eines Verwertungsverbotes ernsthaft in Betracht kommt.

Nach Durchführung einer Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage zur Beurteilung des Schwierigkeitsgrades ist dies vorliegend der Fall. Die Schwierigkeit der Rechtslage ergibt sich dabei aus der Frage der Verwertbarkeit der am 28.07.2016 gegenüber dem Zeugen POK pp. getätigten Angaben der Angeklagten sowie die Einführung ihrer Einlassung in die Hauptverhandlung. Hierbei drängt sich die in Rechtsprechung und Schrifttum mannigfaltig diskutierte Problematik auf, ob die Verwertung der Angaben des erforderlichenfalls im Hauptverhandlungstermin zu vernehmenden Zeugen POK gegen das sich aus §§ 163 a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 SIPO ergebende Beweisverwertungsverbot verstoßen.

Zwar obliegt die Beurteilung, ob ein Verdächtiger als Beschuldigter zu belehren ist, der pflichtgemäßen Bewertung des Vernehmungsbeamten (BGHSI 51, 367 [371]). Die Grenzen des Beurteilungspielraums sind jedoch überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts nicht von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird oder auf diese Weise die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH NStZ-RR 2012, 49). So ist der Halter eines Kraftfahrzeuges beim Verdacht der Unfallflucht regelmäßig als Beschuldigter zu belehren (OLG Nürnberg StV 2015, 155). Der eingesetzte Polizeibeamte POK pp. ging am 28.07.2016 davon aus, dass die zuvor bei der Wache Polizeiinspektion Hannover-Mitte erschienene Angeklagte die Halterin des im Zusammenhang mit einer Unfallflucht zu überprüfenden Fahrzeugs sei. Ferner musste losgelöst von der Frage, ob ein möglicher Kennzeichenablesefehler vorliegt, sich spätestens dann der Verdacht dahin verstärkt haben, sie als Beschuldigte zu belehren, als sie in der ihr zugeschriebenen Eigenschaft als Zeugin schilderte, dass der Pkw ihr gehöre, sie die ständige Nutzerin des Fahrzeugs sei und auch ausschließlich sie den Pkw nutze. Selbst als sie bekundete, dass ihr Freund am Unfallort in der pp. wohne, erfolgte keine Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 StPO. Erst als sie weiter aussagte, dass sich ihr Pkw zur Unfallzeit in der pp. befunden habe und von ihr dort genutzt worden sei, belehrte der Zeuge die Angeklagte als Beschuldigte im Strafverfahren.

Die Angeklagte, die über keine juristische Vorbildung verfügt, wird die sich vorliegend mit der Einführung und Verwertung von Beweismitteln stellenden Rechtsfragen nicht beantworten können. Zur Ausrichtung der Verteidigungsstrategie ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Berufen auf ein Beweisverwertungsverbot verfahrenstaktisch sinnvoll ist, unerlässlich und nur nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu beantworten. Fernerhin können die insofern relevanten Rechtsfragen regelmäßig nur nach vollständiger Aktenkenntnis geprüft werden. Unter Zugrundelegung dieses Beurteilungsmaßstabs ist nach Gesamtwürdigung der Sach- und Rechtslage eine Pflichtverteidigung vorliegend geboten, weil die Annahme eines Beweisverwertungsverbots jedenfalls ernsthaft i n Betracht kommt.

Dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 SIPO steht auch nicht entgegen, dass weitere Beweismittel zur Verfügung stehen, da mit der Beantwortung der sich aufdrängenden Rechtsfragen eine entscheidende Weichenstellung für die einzuschlagende Verteidigungsstrategie verbunden ist.

Hinsichtlich der Person des Pflichtverteidigers war der Angeklagten der von ihr zur StelIung des Antrages beauftragte Verteidiger beizuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 SIPO, der auch auf die erfolgreiche Beschwerde Anwendung findet (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 473 Rn. 2).

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