Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

10.01.2017 · IWW-Abrufnummer 191131

Landgericht Münster: Urteil vom 04.10.2016 – 02 O 1/16


Landgericht Münster

02 O 1/16

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

1

Tatbestand:

2

Die Klägerin macht mit ihrer Klage Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte wegen eines Fahrzeugs geltend, welches vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen ist. Die Beklagte ist eine von der Volkswagen AG unabhängige Vertragshändlerin. Die Parteien schlossen mit verbindlicher Bestellung vom 29.10.2013 und Auftragsbestätigung vom 12.11.2013 einen Kaufvertrag über einen Skoda Roomster in der im Klageantrag zu Ziff. 1) bezeichneten Ausstattungsvariante zu einem Gesamtkaufpreis von 14.660,00 Euro. In dem Fahrzeug ist der Motortyp EA189 mit 1,6 Liter Hubraum verbaut. Der Motor steht in Verbindung mit einer manipulierten Abgassoftware, welche Stickoxidwerte im Prüfstandlauf in gesetzlich unzulässiger Weise optimiert. Nur aufgrund der manipulierten Software, die erkennt, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen wird oder sich auf der Straße befindet, hält der genannte Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Das Fahrzeug wird so wie im Klageantrag zu Ziff. 1) bezeichnet seit Anfang 2015 nicht mehr hergestellt. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 02.12.2015 zur Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache bis zum 17.12.2015 auf. Die Beklagte ist dem Nacherfüllungsverlangen der Klägerin bis heute nicht nachgekommen. Eine Nachrüstung des Motors ist ebenfalls bis zum heutigen Tage nicht erfolgt. Die Volkswagen AG hat bereits mit der Umrüstung der betroffenen Motoren auf eigene Kosten begonnen. Beim hier streitgegenständlichen Motor sieht der Umrüstungsplan der Volkswagen AG vor, dass neben einem Software-Update direkt vor dem Luftmassenmesser ein sog. Strömungstransformator befestigt wird. Die Umrüstung kostet für die Volkswagen AG deutlich weniger als 100,00 Euro und nimmt weniger als eine Stunde in Anspruch.

3

Die Klägerin ist der Ansicht, dass das Fahrzeug aufgrund der Betroffenheit vom VW-Abgasskandal mangelhaft i. S. d. § 434 BGB sei und ihr daher ein Anspruch auf Nacherfüllung durch die Lieferung eines neuen Fahrzeugs zustünde. Der Mangel sei auch erheblich, da neben den unmittelbaren Kosten für die Umrüstung auch der Aufwand für die Vorbereitung der technischen Umrüstung mitberücksichtigt werden müsse. Sie behauptet, dass das das Fahrzeug aufgrund der Betroffenheit vom VW-Abgasskandal maximal noch einen Wiederverkaufswert von 7.000,00 Euro habe. Hilfsweise könne sie aufgrund der Mangelhaftigkeit vom Vertrag zurücktreten, falls der Beklagten die Lieferung eines Ersatzfahrzeuges nicht möglich sein sollte.

4

Die Klägerin beantragt,

5

1)

6

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Nacherfüllung aus dem Kaufvertrag laut verbindlicher Bestellung vom 29.10.2013 i.V.m. der Auftragsbestätigung vom 12.11.2013 ein mangelfreies Fahrzeug wie folgt zu liefern:

7

5J7154 ROOMSTER 1.6 TDI ACTIVE PLUS EDITION, 66 KW

8

Z5Z5 PAZIFIK-BLAU

9

AW STONE-GRAU, ARMATUR SCHWARZ

10

4B1 SEITENSCHUTZLEISTEN

11

PKA HÖHENVERSTELLBARER FAHRERSITZ

12

PKY AUSSTATTUNGSPAKET ABLAGE PLUS

13

PWI NEBELSCHEINWERFER

14

Zug um Zug gegen Rückgabe des am 16.01.2014 mangelhaft gelieferten Fahrzeugs mit der Fahrzeug-Ident.-Nr.: xxxxxxxxxxxxxxxxx,

15

die Beklagte hilfsweise zu verurteilen, an die Klägerin 14.660,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkws mit der Fahrzeugnummer xxxxxxxxxxxxxxxxx.

16

2)

17

Festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme sowie der Nachlieferung des Ersatzfahrzeugs in Verzug befindet.

18

3)

19

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro für die außergerichtliche Rechtsverfolgung freizustellen.

20

Die Beklagte beantragt,

21

die Klage abzuweisen.

22

Sie ist der Ansicht, dass das Fahrzeug nicht mangelhaft sei, da es – unstreitig – technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt sei und über alle erforderlichen Genehmigungen verfüge. Die Klägerin könne zudem keine Nacherfüllung in Form der Neulieferung verlangen, da – unstreitig – die Volkswagen AG in Übereinstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt bereits begonnen hätte, sämtliche Fahrzeuge mit einem Motor EA 189 auf eigene Kosten nachzurüsten. Die Beklagte behauptet, dass das Fahrzeug der Klägerin bis spätestens zur 50. KW des Jahres 2016 nachgerüstet werde. Die Beklagte ist der Ansicht, dass dies einen angemessenen Zeitraum zur Nacherfüllung darstelle, da die Nachrüstung eine Gesamtkoordination und einen abgestimmten Zeitplan erfordere. Sie ist der Ansicht, dass das Nachlieferungsverlangen der Klägerin unverhältnismäßig sei und die Klägerin sich auf die ohnehin geplante Nachbesserung verweisen lassen müsse, da die Umrüstung – unstreitig – weniger als eine Stunde in Anspruch nehme und weniger als 100,00 Euro koste. Da der Klageantrag zu Ziff. 1) unbegründet sei, seien zwangsläufig auch die Klageanträge zu Ziff. 2) und 3) unbegründet.

23

Die Klägerin behauptet, dass die geplante Umrüstung zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs und zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führen werde. Eine Nachbesserung sei daher gar nicht möglich. Sie ist daher der Ansicht, dass sie sich nicht auf eine Nachbesserung verweisen lassen müsse, sondern eine Nachlieferung verlangen könne. Zudem stünde ihr der geltend gemachte Anspruch zu, da ihr ein weiteres Abwarten bis Ende 2016 – selbst wenn die geplante Umrüstung tatsächlich bis dahin erfolgen sollte, was sie bestreitet – nicht zumutbar wäre. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach ihrer Behauptung völlig unklar sei, ob denn die Nachbesserung überhaupt möglich sei.

24

Im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 00.00.0000 verwiesen.

25

Entscheidungsgründe:

26

Die zulässige Klage ist unbegründet.

27

I.

28

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs wie im Klageantrag zu Ziff. 1) genannt aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB nicht zu. Das Fahrzeug ist zwar mangelhaft. Es liegt ein Verstoß gegen § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB vor. Das Fahrzeug eignet sich zwar trotz der manipulierten Abgassoftware für die gewöhnliche Verwendung. Es weist angesichts dieser Manipulation aber kein Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf. Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeuges kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird. Insoweit resultiert die Mangelhaftigkeit nicht etwa daraus, dass die unter Laborbedingungen (Prüfstandlauf) gemessenen Werte im alltäglichen Straßenverkehr nicht eingehalten werden, sondern basiert darauf, dass der Motor die Vorgaben im Prüfstandlauf nur aufgrund der manipulierten Software einhält. (LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 11 O 341/15; Vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – 28 W 14/16). Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, da das Fahrzeug nicht mehr hergestellt wird und der Beklagten eine Nachlieferung daher unmöglich ist gemäß § 275 Abs. 1 BGB. Darüber hinaus ist der Anspruch gemäß §§ 439 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Danach kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich ist. Dies ist vorliegend anzunehmen. Denn die Nachbesserung in Form der Umrüstung kostet im Einzelfall unter 100,00 Euro während die Neulieferung bei unterstellter Möglichkeit ca. 15.000,00 Euro kosten würde. Bei dieser Beurteilung ist es sachgerecht, die Entwicklungskosten für die Umrüstung nicht mit zu berücksichtigten. Denn diese Kosten sind bei der Volkswagen AG ohnehin bereits als „Sowieso-Kosten“ angefallen. Dadurch, dass die Volkswagen AG das Fahrzeug der Klägerin umrüstet, fallen keine weiteren Kosten als die bereits genannten Kosten im Bereich unter 100,00 Euro an. Die Klägerin kann somit nicht geltend machen, dass die Nachbesserung ihres Fahrzeugs weit über 100,00 Euro kosten würde.

29

II.

30

Der Klägerin steht der hilfsweise geltend gemachte Rückabwicklungsanspruch trotz der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs (s. o.) ebenfalls nicht zu. Die Voraussetzungen gemäß §§ 437 Nr. 2, Alt. 1, 323 BGB sind nicht erfüllt. Dem Rücktritt steht schon entgegen, dass die von der Klägerin gesetzte Frist zur Mangelbeseitigung nicht angemessen war und die durch die Fristsetzung in Gang gesetzte angemessene Frist bei Abschluss des schriftlichen Verfahrens noch nicht abgelaufen war. Nach § 323 Abs. 1 BGB kann der Gläubiger vom Vertrag im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung zurücktreten, wenn er dem Schuldner zuvor eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Mangels konkreter Parteivereinbarung richtet sich die Bewertung der Angemessenheit hier nach objektiven Maßstäben. Insoweit ist zunächst die Dimension der Softwareproblematik bei diversen Dieselmotoren der VW-Fahrzeugflotte zu berücksichtigen. Bei der von der Klägerin gerügten Mangelhaftigkeit handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Vielmehr sind allein in Deutschland bekanntermaßen Millionen von Fahrzeugen betroffen. Insofern war und ist dem VW-Konzern und damit auch den VW-Vertragshändlern zuzugestehen, zunächst eine Problemlösung zu entwickeln und eine Strategie zur Umsetzung derselben zu entwerfen, insbesondere auch unter Einbeziehung der beteiligten Behörden. Ferner kann bei der Angemessenheit der Fristsetzung nicht vernachlässigt werden, dass die Fahrtauglichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs nach derzeitigem Sach- und Streitstand in keiner Weise eingeschränkt ist. Die Klägerin ist für die volle Nutzbarkeit des Pkw nicht auf die umgehende Durchführung des Softwareupdates angewiesen. Für sie ist es daher letztlich weitgehend unerheblich, wann das Update aufgespielt wird. Inwiefern die Klägerin auf die zügige Behebung des Softwareproblems angewiesen ist, ist jedenfalls weder dargelegt noch ersichtlich (LG Münster, Urt. v. 14.03.2016 – 11 O 341/15). Unter Berücksichtigung der oben genannten Umstände, insbesondere in Anbetracht der erheblichen Anzahl der betroffenen Fahrzeuge auf der einen Seite und der uneingeschränkten Nutzbarkeit dieser Fahrzeuge auf der anderen Seite, liegt ein angemessener Fristablauf derzeit noch nicht vor. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, dass eine Nachrüstung allerspätestens in der 50. KW 2016 erfolgen wird. Insoweit ist im Rahmen der Beurteilung Angemessenheit der Fristsetzung auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin sich nunmehr auf den weiteren Verlauf einstellen kann, auch wenn sie die Einhaltung der Frist bestreitet. Im Rahmen der Angemessenheit ist zugunsten der Beklagten ebenfalls zu berücksichtigen, dass sie keinen Einfluss auf die Entwicklung der Problemlösung bei der Volkswagen AG hat, so dass der Beklagten ein Verzögern der Nachbesserung nicht vorgeworfen werden kann. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Volkswagen AG schon für viele Fahrzeugmodelle vom Bundeskraftfahrtamt die Freigabe erhalten hat und bereits in erheblichem Umfang mit der Nachbesserung begonnen hat. Dass das Fahrzeug der Klägerin gerade gegen Ende der geplanten Umrüstungszeit erst an der Reihe ist, ist der Beklagten nicht vorzuwerfen. Sie hat hierauf keinen Einfluss.

31

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass eine Fristsetzung gemäß § 326 Abs. 5 BGB zur Nachbesserung entbehrlich wäre, da eine Nachbesserung aufgrund verbleibender Mängel (erhöhter Kraftstoffverbrauch und erhöhter Schadstoffausstoß) i. S. d. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich wäre. Hierfür fehlt es schon an substantiiertem Vortrag der Klägerin. Zudem ist die Wertung des § 440 BGB zu beachten. Danach bedarf es einer Fristsetzung dann nicht, wenn die zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Dies setzt jedoch voraus, dass die Klägerin der Beklagten erst einmal die Chance zur Nachbesserung durch Umrüstung des Motors gibt. Selbiges gilt für die Behauptung des verminderten Wiederverkaufswertes. Auch hier ist der Vortrag unsubstantiiert. Zudem bleibt abzuwarten, ob nach einer erfolgten Umrüstung tatsächlich ein wesentlich verminderter Wiederverkaufswert verbleibt.

32

III.

33

Da der Klageantrag zu Ziff. 1) unbegründet ist, sind auch die Klageanträge zu 2) und 3) unbegründet.

34

IV.

35

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

36

Der Streitwert wird auf 14.660,00 EUR festgesetzt.

37

Rechtsbehelfsbelehrung:

38

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

39

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

40

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.

41

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Hamm, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

42

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Hamm zu begründen.

43

Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Hamm durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

44

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

RechtsgebietBGBVorschriften§ 275 Abs. 1 BGB; § 323 Abs. 1 BGB; § 326 Abs. 5 BGB; § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB; § 437 Nr. 1, 2 BGB; § 439 Abs. 1 BGB; § 439 Abs. 3 BGB

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr