23.09.2016 · IWW-Abrufnummer 188878
Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 23.08.2016 – 7 Sa 245/16
Ausgleichszahlungen, die das Betriebsratsmitglied gem. § 37 Abs. 3 S.3 BetrVG wegen erforderlicher Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ohne Möglichkeit des Freizeitausgleichs erhalten hat, sind bei der Berechnung des Urlaubsentgelts und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zu berücksichtigen (Anschluss an BAG, Urteil v. 11.01.1995, 7 AZR 534/94; a.A. LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 5 Sa 143/10).
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 26.01.2016 - 2 Ca 2492/15 - abgeändert und die Widerklage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Einbeziehung von Ausgleichszahlungen wegen Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit in die Berechnung des Urlaubsentgelts und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle.
Die 1972 geborene Klägerin ist seit dem 27.06.1997 bei der Beklagten als Zeitungszustellerin tätig. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein "Zustellvertrag" vom 23.03.1998 zugrunde, in welchem u.a. unter einer Ziffer 19 eine Ausschlussklausel enthalten ist, die eine Frist zur schriftlichen Geltendmachung von 14 Tagen vorsieht (Bl. 8, 9 d.A.). Sie erbringt ihre Arbeitsleistung in den frühen Morgenstunden; sie hat die von ihr auszutragenden Zeitungen bei den Kunden bis 6.00 Uhr zuzustellen. Die Klägerin ist Mitglied des bei der Beklagten gewählten Betriebsrates. Insoweit ist zwischen den Parteien nicht im Streit, dass die Klägerin Betriebsratstätigkeit während der Stunden am frühen Morgen, also während ihrer Arbeitstätigkeit, nicht erbringen kann, sodass sämtliche Betriebsratstätigkeit außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit anfällt.
Die Beklagte beschäftigte ursprünglich ca. 1.200 Mitarbeiter, aktuell deutlich weniger und erbringt Zustelldienste u.a. für die Zeitung X im Ostwestfälischen Raum.
Die Beklagte leistete an die Klägerin wegen der außerhalb der Arbeitszeit anfallenden Betriebsratsarbeit, die nach den Erklärungen beider Parteien im Termin zur Verhandlung vor der Berufungskammer grundsätzlich nicht in Freizeit ausgeglichen werden kann, Ausgleichszahlungen. Die Berechtigung dieser Ausgleichszahlungen sowie deren Höhe und die zugrunde liegenden Zeiträume sowie die einzelnen Zeiten sind zwischen den Parteien nicht im Streit.
In Zeiten des Urlaubs und der Erkrankung der Klägerin von August 2012 bis Juli 2015 bezog die Beklagte bei der Berechnung sowohl des Urlaubsentgeltes wie auch der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle diese Ausgleichszahlungen nicht mit ein.
Die Klägerin errechnete hinsichtlich des Urlaubsentgeltes einen Differenzbetrag für den vorgenannten Zeitraum in Höhe von 2.539,60 € brutto, der sich unter Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ergab.
Die Zahlung dieses Betrages hat die Klägerin ursprünglich mit der vorliegenden, am 22.10.2015 beim Arbeitsgericht Bielefeld eingegangenen Klage verfolgt. Während der Rechtshängigkeit stellte die Beklagte eine Berechnung für den vorgenannten Zeitraum an, die nicht nur die Differenz bei der Zahlung des Urlaubsentgelts, sondern auch eine weitere Differenz für Zeiträume der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle beinhaltete. Insoweit errechnete sie einen Betrag in Höhe von 4.246,49 g€ brutto, den sie am 06.11.2015 an die Klägerin leistete. Diesen Betrag als Summe der Differenzen bei der Berechnung von Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle stellten die Parteien noch während des ersten Rechtszuges unstreitig (Schriftsatz der Klägerin v. 05.01.2016, S. 5 (Bl. 107 d.A.) und Protokollerklärung im Kammertermin v. 26.01.2016, Bl. 138 d.A.). Keine zwei Wochen später, am 19.11.2015, wandte sich die Beklagte, vertreten durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten, an die die Klägerin vertretende Gewerkschaft ver.di und teilte mit, dass die Beklagte u.a. an die Klägerin eine Nachzahlung in Höhe von 4.246,49 € geleistet habe, die hinsichtlich der Klägerin zum Gegenstand einer Widerklage, mit der die Rückzahlung der Beträge gefordert werde, gemacht werde. Wegen der Einzelheiten des Schreibens vom 19.11.2015 wird auf Bl. 189, 190 d.A. Bezug genommen. Die angekündigte Widerklage war bereits einen Tag zuvor, am 18.11.2015, vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Bielefeld eingegangen und wurde dem Vertreter der Klägerin am 23.11.2015 zugestellt. Zu Protokoll des Kammertermins vor dem Arbeitsgericht Bielefeld vom 26.01.2016 erklärten die Parteien sodann den Rechtsstreit betr. die ursprüngliche Klageforderung übereinstimmend für erledigt (Bl. 138 d.A.).
Zur Begründung ihrer Widerklage hat die Beklagte vorgetragen:
Spätestens seit den gesetzlichen Änderungen im Recht der Entgeltfortzahlung und im Urlaubsrecht in den Jahren 1996 und 1998 seien Ausgleichszahlungen für Betriebsratsmitglieder, die wegen Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ohne Möglichkeit des Freizeitausgleichs gezahlt würden, nicht mehr in die Berechnung der Urlaubsvergütung wie auch der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle einzubeziehen. Die Vergütung dieser Leistungen an Betriebsräte folge auf der gesetzlichen Grundlage des § 37 Abs. 3 Satz 2 BetrVG "wie Mehrarbeit". Demzufolge dürfte sie wegen der Pflicht zur Nichtberücksichtigung von Überstunden bei der Urlaubsvergütung wie auch bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nicht eingerechnet werden. Die Beklagte beziehe sich ausdrücklich auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen vom 17.12.2010, 5 Sa 143/10, veröffentlicht u.a. bei [...].
Die Beklagte hat beantragt,
Die Klägerin hat beantragt,
Sie hat vorgetragen:
Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Thüringen in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung könne nicht gefolgt werden. Nach wie vor sei davon auszugehen, dass mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit der Entscheidung vom 11.01.1995, 7 AZR 543/94, von einer Einbeziehung der Ausgleichszahlungen für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ohne Freizeitausgleich auszugehen sei. Diese Auffassung werde auch überwiegend in der Literatur so vertreten. Fest stehe jedenfalls, dass die gesetzlichen Änderungen der Jahre 1996 und 1998 im Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle bzw. im Urlaubsrecht eine Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Behandlung von Ausgleichszahlungen an Betriebsräte nicht bewirkt habe.
Durch Urteil vom 26.01.2016, dem Vertreter der Klägerin zugestellt am 05.02.2016, hat das Arbeitsgericht Bielefeld der Widerklage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die vom Landesarbeitsgericht Thüringen dargestellte Auffassung zutreffend sei. Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf Bl. 140 bis 146 d.A. Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden, beim Landesarbeitsgericht am 01.03.2016 eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.05.2016 mit Schriftsatz vom 06.05.2016, vorab per Telefax am selben Tage beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründeten Berufung.
Die Klägerin trägt vor:
Sie verbleibe dabei, dass die Ausgleichszahlungen wie beschrieben bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle sowie des Urlaubsentgelts für die Klägerin als Betriebsratsmitglied einzubeziehen seien. Das Landesarbeitsgericht Thüringen habe verkannt, dass die Besonderheit der Bestimmung des § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG es mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit der Entscheidung vom 11.01.1995 rechtfertige, auch bei der Urlaubsvergütung und der Entgeltfortzahlung die Ausgleichszahlungen zu berücksichtigen. Es handele sich eben nicht um "Überstunden" oder "Überstundenvergütung", sondern um einen gesetzlich angeordneten Ausgleich für einen aus tatsächlichen Gründen nicht möglichen Freizeitausgleich. Es erschließe sich der Klägerin daher nicht, inwieweit die gesetzlichen Änderungen im Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle oder im Urlaubsrecht in den Jahren 1996 und 1998 irgendeinen Einfluss auf die Berechnung der Urlaubsvergütung wie auch der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für Betriebsratsmitglieder haben könnte.
Schließlich habe das Arbeitsgericht nicht zwischen den Bereichen der Urlaubsvergütung und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle differenziert.
Darüber hinaus handele es sich um einen Fall der Zahlung in Kenntnis einer Nichtschuld, als die Beklagte am 06.11.2015 die streitgegenständliche Leistung an die Klägerin erbracht habe. Die Klägerin habe schließlich mit der Klage lediglich eine Differenz bei der Urlaubsberechnung geltend gemacht, woraufhin dann überraschenderweise die Zahlung der Beklagten auch für Differenzen aus der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle erfolgt sei. Dies habe die Klägerin nur so verstehen können, dass die Beklagte das arbeitsgerichtliche Verfahren habe abkürzen und ein negatives Urteil vermeiden wollen. Soweit die Beklagte darauf hinweise, ihr sei kurzfristig nach der erbrachten Zahlung erst die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Thüringen bekannt geworden, müsse die Klägerin darauf hinweisen, dass dieses Urteil bereits aus dem Jahre 2010 stamme und die Beklagte anwaltlich vertreten sei. Im Übrigen handele es sich um eine sogenannte "aufgedrängte Bereicherung".
Schließlich sei die Forderung der Beklagten verfallen. Die arbeitsvertraglich vereinbarte Verfallklausel von 14 Tagen in Ziffer 19 des "Zustellvertrages" vom 23.03.1998 sei zwar für die Klägerin rechtsunwirksam, da sie einer Inhaltskontrolle nicht standhalte. Die Beklagte als Verwenderin dieser Klausel könne sich hierauf allerdings nicht berufen und sei demzufolge an diese Verfallklausel gebunden. Das Schreiben der Beklagten vom 19.11.2015 sei keine schriftliche Geltendmachung, da es für die Klägerin die Rückforderung lediglich ankündige, indem die Beklagte mitteile, sie werde es zum Gegenstand einer Widerklage machen. Da letztere erst am 23.11.2015 zugestellt worden ist, habe die Beklagte die Verfallfrist missachtet.
Außerdem habe die Beklagte die Berechnung der Nachzahlung nicht komplett dargestellt, für September 2015 fehle die Durchschnittsberechnung und für einen Krankheitstag im Juli 2015 sei ein falscher Wert angenommen worden.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung als zutreffend und weist darauf hin, dass die Autoren, die nach wie vor von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit dem 11.01.1995 ausgingen, keine Begründung für ihre Rechtsauffassung liefern würden. Insofern sei die angegriffene Entscheidung, die dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen folge, nicht zu beanstanden.
Bei der Zahlung der Beklagten am 06.11.2015 habe es sich weder um eine aufgedrängte Bereicherung, noch um eine Zahlung in Kenntnis einer Nichtschuld im Sinne des § 814 BGB gehandelt. Die rechtlichen Voraussetzungen hierfür lägen ersichtlich nicht vor.
Unabhängig von allen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist habe die Beklagte jedenfalls ihre Ansprüche mit Schreiben vom 19.11.2015 schriftlich geltend gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin als Rechtsmittel gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG. Die Klägerin hat die Berufung form- und fristgerecht gemäß den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 ff. ZPO eingelegt und begründet.
II. Die Berufung der Klägerin ist begründet, da die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung von 4.246,49 € brutto gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB hat. Die Beklagte hat diese Zahlung nicht ohne Rechtsgrund an die Klägeringeleistet.
1. Rechtsgrund für die Zahlung der Beklagten vom 06.11.2015 war, soweit dasUrlaubsentgelt betroffen ist, § 611 BGB i.V.m. §§ 1, 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG.
a) Die grundlegenden Voraussetzungen des Anspruchs auf Urlaubsentgelt (Bestehen des Urlaubsanspruchs, Inanspruchnahme des Urlaubs, Anzahl der genommenen Urlaubstage) sind zwischen den Parteien nicht im Streit.
b) Die von der Beklagten geleisteten Ausgleichszahlungen für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit ohne Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG (im Folgenden: Ausgleichszahlungen) waren bei der Ermittlung des Urlaubsentgelts im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zu berücksichtigen.
aa) Vorauszuschicken ist zunächst, dass es sich bei den Ausgleichszahlungen um Arbeitsverdienst im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG handelt. Die Berufungskammer verkennt nicht, dass Arbeitsverdienst im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich die von der Beklagten erbrachte Gegenleistung für die Arbeitsleistung imArbeitsverhältnis im Sinne des § 611 BGB ist (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 16. Aufl. - ErfK/Gallner, § 11 BUrlG Rdnr. 6 m.w.N. zur Rechtsprechung), wohingegen die Durchführung erforderlicher Betriebsratstätigkeit jedenfalls in diesem Sinne keine Arbeitsleistung darstellt. Dem trägt indessen § 37 Abs. 2 BetrVG Rechnung, indem die Vorschrift eine Freistellung von der Arbeitsleistung ohne Minderung des Arbeitsentgelts festschreibt. Darf aber das Arbeitsentgelt durch erforderliche Betriebsratstätigkeit nicht gemindert werden, handelt es sich beim gezahlten Entgelt grundsätzlich um "Arbeitsverdienst" im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG (BAG, Urteil vom 11.01.1995, 7 AZR 543/94 Rdnr. 23).
bb) Diese Erwägungen gelten auch für Ausgleichszahlungen nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG, da sie ihren Ursprung stets in der Durchführung erforderlicher Betriebsratstätigkeit haben; die vom Gesetzgeber beschriebene Vergütungspflicht "wie Mehrarbeit" bedingt dementsprechend die rechtliche Klassifizierung als Arbeitsverdienst (BAG aaO. Rdnr. 26 und 27).
cc) Die Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen ist auch nach der Neufassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG durch das ArbRBeschFG vom 25.09.1996 geboten, wodurch der Zusatz "mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes" in die Bestimmung eingeführt wurde (Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrechtskommentar - HWK 7. Aufl./Schinz, § 11 BUrlG Rndr. 33; Schaub,Arbeitsrechtshandbuch 16. Aufl./Linck, § 104. Urlaub Rdnr. 107; ErfK/Gallner aaO., § 11 BUrlG Rdnr. 8; Küttner/Personalbuch 23. Aufl. 2016/Röller Urlaubsentgelt Rdnr. 13; a.A. LAG Thüringen, Urteil vom 16.12.2010, 5 Sa 143/10 [...]).
(1) Die Ausgleichszahlung ist nämlich im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kein zusätzlich für Überstunden gezahlter Arbeitsverdienst (ErfK/Gallner aaO.), da das Betriebsratsmitglied bei der Durchführung von Betriebsratsarbeit schon begrifflich keine Überstunden leistet, was der Gesetzgeber mit der Formulierung in § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG "wie Mehrarbeit" zum Ausdruck bringt (zur arbeitszeitrechtlichen Einordnung erforderlicher Betriebsratsarbeit vgl. LAG Hamm, Urteil vom 20.02.2015, 13 Sa 1386/14 [...]).
(2) Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zur Ausklammerung des zusätzlichen Überstundenverdienstes in § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, durch gezielte Mehrarbeit im Referenzzeitraum zu verhindern, dass sich der Urlaubsverdienst erhöht (HWK/Schinz aaO.). Denn die Klägerin als Betriebsratsmitglied kann auf Zahlungsansprüche aus § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG keinen Einfluss nehmen, da solche Ausgleichszahlungen von Gesetzes wegen nur vorgesehen sind, wenn betriebsbedingte, d.h. vom Arbeitgeber zu vertretende Gründe eine Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit erzwungen haben und darüber hinaus ein Freizeitausgleich aus betrieblichen Gründen objektiv unmöglich ist. Die Rechtsfolge der Ausgleichszahlung kann daher vom Betriebsratsmitglied nicht einseitig herbeigeführt werden (HWK/Schinz aaO). Genau auf diese Gründe hatte der 7. Senat in der Entscheidung vom 11.01.1995 aaO. bereits abgestellt (dort Rdnr. 25 -[...]), weshalb die ergänzende Neuregelung in § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zu einer Änderung der Rechtslage geführt hat. Dafür spricht auch schließlich, dass die gesetzliche Änderung durch das ArbRBeschFG vom 25.09.1996, wie auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 11.01.1995 aaO. bekannt war, als der Gesetzgeber im Jahre 2001 die grundlegende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes verabschiedet hat (BetrVG-Reformgesetz vom 23.07.2001, BGBl I. S. 1852). Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes nicht zum Anlass genommen, eine explizite Regelung zum Verhältnis der Berechnung des Urlaubsentgelts in § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zu Ausgleichszahlungen nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG zu treffen.
(3) Schließlich musste die Berufungskammer auch bedenken, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art. 7 RL 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ein Abstellen auf einen "Grundlohn" für die Berechnung des Urlaubsentgelts nicht mit Unionsrecht vereinbar wäre (EuGH vom 22.05.2014, Rs. C-539/12 (Lock); Düwell in: Boecken u.a., Gesamtes Arbeitsrecht Band II, § 11 BUrlG Rdnr. 17; HWK/Schinz aaO., § 11 BUrlG Rdnr. 32 a). Angesichts oben stehender Ausführungen bedurfte es allerdings keiner abschließenden Entscheidung der Kammer dazu, ob allein ein unionsrechtliches Verständnis von § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG die Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen erzwingt.
Nach alledem verbleibt es dabei, dass die von der Beklagten erbrachten Ausgleichszahlungen nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG in die Berechnung des Urlaubsentgelts einfließen müssen.
2. Rechtsgrundlage für die Zahlung der Beklagten vom 06.11.2015 war, soweit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle betroffen ist, § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 EFZG.
a) Die grundlegenden Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle (Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, Erfüllung der Anzeige- und Nachweispflichten, Umfang der Arbeitsunfähigkeitstage) sind zwischen den Parteien nicht im Streit.
b) Zur weiteren Begründung nimmt die Berufungskammer auf die Ausführungen zur Berechnung des Urlaubsentgelts Bezug, mit Ausnahme des Abschnitts 1.b) cc) (3)).
aa) Wenn auch § 4 Abs. 1 EFZG hinsichtlich des sogenannten Geldfaktors von Arbeitsentgelt und § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG von Arbeitsverdienst spricht, so sind beide Begriffe von gleicher Bedeutung, beschreiben nämlich die Gegenleistung für die imArbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung (ErfK aaO./Reinhardt, § 4 EFZG Rdnr. 11).
bb) Zutreffend hat auch das Bundesarbeitsgericht zu § 4 EFZG in der Fassung des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 festgehalten (Urteil vom 26.02.2002, 5 AZR 5/01), dass bei der Feststellung der ausfallenden individuellen Arbeitszeit gemäß § 4 Abs. 1 EFZG in Abgrenzung zur Ausklammerung des gemäß § 4 Abs. 1 a Satz 1 EFZG "zusätzlich für Überstunden" gezahlten Arbeitsentgelts auf ein Referenzprinzip abzustellen ist, das ebenso in § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG als Grundlage der Berechnung des Urlaubsentgelts beschrieben wird. Auch insoweit ergeben sich daher in der rechtlichen Bewertung der Berücksichtigung von Ausgleichszahlungen keine Abweichungen zu den obigen Feststellungen im Bereich des Urlaubsentgelts.
cc) Schließlich ist der Begriff der Überstunde in beiden gesetzlichen Regelungen identisch (vgl. auch Schmitt, EFZG 7. Aufl., § 4 Rdnr. 31), weshalb auch hierzu auf die Ausführungen oben zu 1. b. aa) (1) und bb) Bezug genommen wird.
Daher verbleibt es dabei, dass die von der Beklagten erbrachten Ausgleichszahlungen nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG in die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einfließen müssen.
3. Weitere Anspruchsgrundlagen für das Begehren der Beklagten sind nicht ersichtlich.
4. Nach alledem kam es auf die von der Klägerin im Berufungsverfahren aufgeworfenen Fragen zur Bestimmung des § 814 BGB - Kenntnis in Zahlung einer Nichtschuld -, der sogenannten aufgedrängten Bereicherung wie auch eines Verfalls der Forderung der Beklagten aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarung in Zf. 19 des Zustellvertrages v. 23.03.1998 nicht an.
Ebenso musste die Berufungskammer dem Einwand der Klägerin im Berufungsverfahren zu vermeintlichen Unstimmigkeiten bei der Berechnung der Widerklageforderung nicht nachgehen. Abgesehen davon dürfte die Erklärung der Klägerin zum Unstreitigstellen der Forderungshöhe im Schriftsatz vom 05.01.2016 Seite 5 (Bl. 107 d.A.) und schließlich zu Protokoll des Kammertermins vom 26.01.2016 (Bl. 138 d.A.) ein gerichtliches Geständnis im Sinne des § 280 ZPO darstellen, da es sich bei der Berechnung der Forderung nicht um Rechtsfragen, sondern um Tatsachen handelt, die einem Geständnis zugänglich sind. An dieses Geständnis ist die Berufungskammer ohnehin gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 535 ZPO gebunden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, wonach der Beklagten als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sind.
Die Berufungskammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.