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13.09.2016 · IWW-Abrufnummer 188609

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 02.09.2016 – 5 Ta 101/16

1. Der punktuelle Kündigungsschutzantrag betreffend eine Folgekündigung mit späterem Beendigungszeitpunkt ist als ein für den Fall des Erfolgs des Bestandschutzbegehrens betreffend die früher wirkende Kündigung gestellter uneigentlicher Hilfsantrag zu verstehen.

2. Der uneigentliche Hilfsantrag wirkt sich nur streitwerterhöhend aus, wenn über ihn eine Entscheidung ergeht oder er in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird.

3. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführten Beendigungstatbestände sachlich mitgeregelt worden sind (Abgrenzung zum Verhältnis Kündigungsschutz- und eventualkumulierter allgemeiner Weiterbeschäftigungsantrag).


Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten
1.
- Klägerin/Beteiligte -
2.
- Beschwerdeführer -
3.
- Beklagte/Beteiligte -
4.
- Beteiligter -
5.
- Beteiligter -
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 5. Kammer - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Augenschein ohne mündliche Verhandlung am 02.09.2016
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 12.05.2016 - 8 Ca 172/15 - dahingehend abgeändert, dass der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert von 4.800,00 EUR auf 6.400,00 EUR heraufgesetzt wird.



Gründe



I.



Die Beschwerde betrifft die Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts gemäß § 63 Abs. 2 GKG.



Im Ausgangsverfahren wandte sich die gegen eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von 1.600,00 EUR bei der Beklagten beschäftigte Klägerin gegen die ordentlichen Arbeitgeberkündigungen vom 29.09.2015 zum 31.10.2015 (Antrag zu 1) und vom 30.10.2015 zum 30.11.2015 (Antrag zu 4), begehrte die allgemeine Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses (Antrag zu 2) sowie hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Bestandsschutzanträgen die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzrechtstreits (Antrag zu 3).



Der Rechtsstreit endete durch Vergleich vom 03.12.2015 (im Folgenden: "Vergleich" <Bl. 27 f. der Akte>). Darin ist unter anderem geregelt:



Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert auf 4.800,00 EUR (= 3 durchschnittliche Bruttomonatsvergütungen der Klägerin für den Kündigungsschutzantrag zu 1) festgesetzt. Eine streitwertrechtliche Berücksichtigung der Anträge zu 3 und zu 4 hat es abgelehnt, weil diese im Verhältnis zum Antrag zu 1 eventualkumuliert seien und die Parteien darüber im Vergleich keine Regelung getroffen hätten.



Mit der Beschwerde begehren die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Erhöhung des Streitwerts um eine Bruttomonatsvergütung der Klägerin auf 6.400,00 EUR für den Antrag zu 4. Dieser Antrag sei Gegenstand der Vergleichsverhandlungen gewesen und habe sich auch auf die Höhe der vereinbarten Abfindung ausgewirkt.



Das Arbeitsgericht hat der begehrten Anhebung nicht entsprochen und die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.



II.



Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist statthaft (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) und auch im Übrigen zulässig und begründet. Das Arbeitsgericht hat den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert für den Antrag zu 1 zutreffend auf 4.800,00 EUR festgesetzt und richtigerweise eine Zusammenrechnung mit den Anträgen zu 2 und zu 3 unterlassen. Den Antrag zu 4 hätte es jedoch im Umfang einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung der Klägerin zum Antrag zu 1 hinzurechnen müssen, da die Parteien diesen im Vergleich mit geregelt haben.



1. Die gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG erfolgte Bewertung der punktuellen Bestandsschutzanträge zu 1 und zu 4 mit jeweils einer Quartalsvergütung der Klägerin in Höhe von 4.800,00 EUR ist zutreffend und entspricht der ständigen Rechtsprechung der für Streitwertbeschwerden zuständigen erkennenden Kammer (27.11.2014 - 5 Ta 168/14 - [...]), denn die Klägerin macht mit jedem punktuellen Kündigungsschutzantrag den unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend.



2. Ob der allgemeine Feststellungsantrag zu 2 mit einem Monatsverdienst oder ebenfalls im Lichte des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG zu bewerten ist, kann dahinstehen, denn er wirkt sich im Hinblick auf die bereits mit dem Höchstwert gem. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG veranschlagten Kündigungsschutzanträge zu 1 und zu 4 im Ergebnis nicht streitwerterhöhend aus, weil durch ihn wirtschaftlich kein weiterer Wert in den Rechtsstreit eingeführt worden ist (erkennende Kammer 27.11.2014 - 5 Ta 168/14 - [...]).



3. Der auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Bestandsschutzrechtsstreits gerichtete uneigentliche Hilfsantrag zu 3 erhöht den Streitwert nicht, weil nicht erkennbar ist, dass die Parteien auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der mit der ersten Kündigung gesetzten Frist hierüber im Vergleich eine Regelung getroffen haben (erkennende Kammer 30.12.2015 - 5 Ta 71/15 - [...]).



4. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts wirkt sich der Kündigungsschutzantrag zu 4 im Umfang einer Bruttomonatsvergütung der Klägerin streitwerterhöhend aus, weil davon auszugehen ist, dass die Parteien diesen vergleichsweise mit geregelt haben.



a) Der punktuelle Kündigungsschutzantrag betreffend eine Folgekündigung mit späterem Beendigungszeitpunkt ist als ein für den Fall des Erfolgs des Bestandschutzbegehrens betreffend die früher wirkende Kündigung gestellter uneigentlicher Hilfsantrag zu verstehen (so ausdrücklich BAG 21.11.2013 - 2 AZR 474/12 - [...] Rn 20 zum Verhältnis von Bestandsschutzanträgen betreffend eine auflösende Bedingung und eine nachfolgende Kündigung).



aa) Diese Erwägungen gelten auch bei aufeinander folgenden Kündigungen mit veränderten Beendigungszeitpunkten. Denn es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb ein kostenbewusster Kläger eine gegebenenfalls mangels Rechtsschutzinteresse unzulässige Klage bezüglich der später wirkenden Folgekündigung auch für den Fall des gar nicht mehr bestehenden, sondern durch die frühere Kündigung aufgelösten Arbeitsverhältnisses stellen sollte.



bb) Für die Einhaltung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG ist ein uneigentlicher Hilfsantrag ausreichend. Dieser begründet eine auflösend bedingte Rechtshängigkeit in der Form, dass eine Sachentscheidung nur für den Fall des Erfolges des Hauptantrags begehrt wird (allgemeine Auffassung, vergl. BAG 21.11.2013 - 2 AZR 474/12 - [...] Rn 20 sowie Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 260 Rn 4a mwN.).



b) Der uneigentliche Hilfsantrag wirkt sich nur streitwerterhöhend aus, wenn über ihn eine Entscheidung ergeht (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG) oder ein entsprechender Vergleich geschlossen wird (§ 45 Abs. 4 GKG iVm. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG <allgemeine Auffassung, vergleiche erkennende Kammer 30.12.2015 - 5 Ta 71/15 - [...] Rn. 19 - in Übereinstimmung mit I.18 der Empfehlungen der Streitwertkommission im Streitwertkatalog in der überarbeiteten Fassung vom 05.04.2016 [im Folgenden: "Streitwertkatalog 2016"]>). Der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gilt insoweit gemäß § 32 Abs. 1 RVG auch für die Rechtsanwaltsgebühren, da die für die Gerichtsgebühren maßgebenden Gegenstände und die Gegenstände der anwaltlichen Tätigkeit nicht auseinanderfallen (ausführlich dazu erkennende Kammer 14.02.2011 - 5 Ta 214/10 - [...] Rn. 12-17 - in Übereinstimmung mit BAG 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 - [...] Rn. 3 aE).



c) Der Kündigungsschutzantrag zu 4 ist werterhöhend zu berücksichtigen, weil die Parteien ihn im Vergleich mit geregelt haben.



aa) Das Arbeitsgericht hat seine gegenteilige Auffassung damit begründet, die Parteien hätten sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Folge der ersten Kündigung geeinigt, weshalb es in Anlehnung an die Ausführungen der erkennenden Kammer im Beschluss vom 30.12.2015 (- 5 Ta 71/15 - aaO) zur Nichtberücksichtigung des eventualkumulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrags bei einer vereinbarten Auflösung des Arbeitsverhältnisses wie erstmals gekündigt einer Regelung bezüglich der zweiten Kündigung gar nicht bedurft hätte.



bb) Diese Argumentation übersieht einen gravierenden Unterschied zwischen der Konstellation: Kündigungsschutz- und allgemeiner Weiterbeschäftigungsantrag einerseits und derjenigen bei mehreren Bestandsschutzanträgen andererseits.



(1) Während bei einem Nebeneinander von Kündigungsschutz- und allgemeinem Weiterbeschäftigungsantrag letzterer im Rahmen der Vergleichsgespräche allenfalls in den seltensten Ausnahmefällen überhaupt nur erwähnt wird, sind die gegebenenfalls mehreren Beendigungsakte regelmäßig Gegenstand der Vergleichsverhandlungen und wirken sich auch "entscheidungserheblich" aus - sei es bei der Vereinbarung der konkreten Leistungen oder eines späteren Beendigungszeitpunkts. Den/Die nachfolgenden Beendigungsakt/e nur deshalb nicht werterhöhend zu berücksichtigen, weil die Parteien sich - so jedenfalls der häufigste Fall - auf eine Beendigung zum ersten Termin geeinigt haben, bedeutete eine verkürzte Schlussfolgerung vom "Worauf" auf das "Worüber" der Einigung und würde nicht hinreichend berücksichtigen, dass in das "Gesamtpaket" der vergleichsweisen Beendigung typischerweise sämtliche Beendigungsakte als wertbildende Faktoren eingeflossen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG mit geregelt worden sind.



(2) Darin liegt auch der maßgebliche Unterschied zur Verfahrenserledigung durch Urteil. Während im Falle einer streitigen Entscheidung eine Folgekündigung nur im Falle des Obsiegens des Klägers bezüglich der vorherigen anfällt, stehen im Vergleichsfall regelmäßig sämtliche Beendigungsakte als "Paket" auf dem Prüfstand. Oder anders ausgedrückt: Der "Gesamtpreis" des Vergleichs über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beinhaltet im Regelfall nicht nur den Beendigungsakt, auf dessen Beendigungszeitpunkt man sich geeinigt hat, sondern sämtliche in das Verfahren eingeführte Auflösungstatbestände. Deshalb sind diese grundsätzlich auch werterhöhend zu berücksichtigen, es sei denn, es ergäben sich ausnahmsweise Anhaltspunkte für das Gegenteil.



d) Der Höhe nach ergeben die Bestandsschutzanträge zu 1 und zu 4 einen Gesamtstreitwert in Höhe von 6.400,00 EUR. Die erste ordentliche Kündigung vom 29.09.2015 zum 31.10.2015 wirkt sich als diejenige mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt mit dem vollen Quartalsverdienst aus (erkennende Kammer 27.11.2014 - 5 Ta 168/14 - [...] Rn. 15 - in Übereinstimmung mit I.20.3 des Streitwertkatalogs 2016). Die Folgekündigung vom 30.10.2015 zum 30.11.2015 erhöht den Streitwert um einen Bruttomonatsverdienst in Höhe von 1.600,00 EUR, da sie gegenüber der ersten ordentlichen Kündigung eine Verlängerung des Beendigungszeitpunkts um einen Monat begründete. Daraus resultiert ein Gesamtstreitwert von 6.400,00 EUR.



III.



Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs.3 Satz 1 GKG); Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Vorschriften§ 63 Abs. 2 GKG, §§ 9, 10 KSchG, § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 4 Satz 1 KSchG, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG, § 45 Abs. 4 GKG, § 32 Abs. 1 RVG, § 68 Abs.3 Satz 1 GKG, § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG

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