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24.05.2016 · IWW-Abrufnummer 186101

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 10.03.2016 – 15 Sa 451/15


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 11.02.2015 – 3 Ca 2127/14 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit dreier Arbeitgeberkündigungen und den Anspruch des Klägers auf seine Weiterbeschäftigung.



Der 57jährige Kläger ist bei dem Beklagten seit April 1992 als Diplom-Sozialarbeiter im Sozialpsychiatrischen Dienst bei einem monatlichen Bruttoentgelt von 4.016,00 € beschäftigt.Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme die tarifvertraglichen Regelungen des TVöD-VKA für den Bereich Verwaltung Anwendung. Hiernach ist das Arbeitsverhältnis des Klägers mittlerweile ordentlich unkündbar, § 34 Abs. 2 TVöD-VKA.



Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.



Im Jahr 2013 hatte der Kläger dienstlichen Kontakt zu der von ihm betreuten Klientin Q. Mit dieser führte er im April 2013 zwei Beratungsgespräche.



Bei dem Beklagten wird im Sozialpsychiatrischen Dienst eine Dokumentationssoftware ISGA eingesetzt, unter welcher Falldokumentationen bezogen auf die betreuten Klienten angelegt werden. Spätestens am 13.06.2013 legte der Kläger in dem EDV-Programm ISGA eine Falldokumentation der Klientin Q an. Die hierzu durch das Computerprogramm vergebene Personen-ID lautete für die Klientin Q 1234.



Es entwickelte sich im Laufe des Jahres 2013 eine partnerschaftliche Beziehung zwischen dem Kläger und der Q, die in der Zeit von Mitte/Ende Juni 2013 bis Mitte Dezember 2013 bestand. In dem Zeitraum 13.06.2013 bis 10.12.2013 veränderte der Kläger in der ISGA-Falldokumentation der Klientin Q verschiedene der eingegebenen Daten. So änderte er den Namen Q ab in S, veränderte deren Anschrift von Cstraße 12 in L Straße 12 und änderte die Telefonnummer der Frau Q ab. Zudem erfasste er einen anderen Namen der Schwester der Frau Q, über die der erste Kontakt zum Beklagten hergestellt worden war.



Am 06.01.2014 legte der Kläger den Fall Q erneut in ISGA an, diesmal mit der Personen-ID 2345.



Am 03.03.2014 ging bei dem Beklagten eine gegen den Kläger gerichtete Dienstaufsichtsbeschwerde der Q mit Anwaltsschreiben vom 27.02.2014 ein. Es wurde in dieser Dienstaufsichtsbeschwerde der Vorwurf erhoben, der Kläger habe aus seinem dienstlichen Kontakt als Sozialarbeiter heraus mit der ihm anvertrauten Klientin Q eine partnerschaftliche Beziehung aufgenommen. Dies sei äußerst bedenklich, da Frau Q insbesondere wegen ihrer erheblichen psychischen Beeinträchtigungen als Schutzbefohlene gegenüber dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten angesehen werden müsse.



Aufgrund dieser Dienstaufsichtsbeschwerde leitete der Beklagte Aufklärungsmaßnahmen ein und befragte u.a. den Kläger. Ein Anhörungsgespräch mit dem Kläger fand am 14.04.2014 statt. An diesem nahmen seitens des Beklagten der Personalleiter F, der Mitarbeiter aus dem Personalbereich P und der Personalratsvorsitzende L teil. Der Kläger gab im Verlauf der Anhörung u.a. an, er habe den Fall Q versehentlich unter einem anderen Namen angelegt. Am 06.01.2014 habe er den Fall „Q“ neu angelegt, weil ihm zu Jahresanfang bei der Durchsicht von Fällen der Fehler aufgefallen sei.



Am 15.04.2014 nahm der Kläger erneut Änderungen in dem Fall Q in dem EDV-System vor, indem er den Namen S in S1 und den Vornamen änderte.



Ebenfalls im April 2014 ließ der Beklagte über den EDV-Administrator die EDV-Daten in ISGA systematisch auswerten und die dortigen Falldaten überprüfen. Hierüber verhält sich ein Aktenvermerk des Beklagten vom 19.04.2014 (Bl. 118 bis 121 d. A., einschließlich der Anlagen Bl. 122 bis 163 d. A.). Es heißt in diesem Aktenvermerk (auszugsweise):

„… Das beweist eindeutig, dass der Fall Q in der Zeit zwischen dem 13.06.2013 (letzte Falländerung aufgrund der Datensicherung vom 02.12.2013) und dem 10.12.2013 (letzte Falländerung aufgrund der Falldarstellung am 14.04.2014) umbenannt worden ist. Da als Person der letzten Änderungen immer Herr T1 gespeichert wurde, ist auch gesichert, dass er diese Änderungen vorgenommen hat. … Diese Vielzahl der Veränderungen schließt ein fahrlässiges unbewusstes Vorgehen von Herrn T1 aus. Herr T1 hat somit vorsätzlich die dienstliche Falldokumentation, die der Aktenführung gleichkommt, verändert und damit gefälscht. …“



Zudem schaltete der Beklagte Mitte April 2014 die Kriminalpolizei ein, da der Kläger sich nach Einschätzung des Beklagten nicht bereit zeigte, an einer Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und da zudem der Beklagte sich nicht in der Lage sah, Ermittlungen im privaten Umfeld der Frau Q durchzuführen. In diesem Zusammenhang erfuhr der Beklagte, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat nach § 174 c StGB (sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses) eingeleitet war. Die Staatsanwaltschaft Hagen stellte in der Folgezeit die Ermittlungen gegen den Kläger wegen des Tatvorwurfs des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungsverhältnisses gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Auf den Inhalt der Einstellungsnachricht vom 12.09.2014 (Bl. 167 d. A.) wird verwiesen.



Mit Anklageschrift vom 12.09.2014 (Bl. 57, 58 d. A.) erhob die Staatsanwaltschaft Hagen Anklage gegen den Kläger vor dem Amtsgericht Schwelm wegen rechtswidriger Datenveränderung, strafbar gemäß § 303 a StGB. Der Beklagte erfuhr von der Anklageerhebung am Nachmittag des 16.09.2014. Bis zur Anklageerhebung hatte der Beklagte den Kläger unverändert weiterbeschäftigt.



Mit Schreiben vom 18.09.2014 hörte der Beklagte den Kläger zu der gegen ihn im Raum stehenden Vorwürfen an. Der Kläger ließ sich, vertreten durch seine jetzige Prozessbevollmächtigte, am 23.09.2014 hierzu ein.



Der Beklagte beantragte am 24.09.2014 bei dem LWL-Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Das LWL-Integrationsamt erteilte die Zustimmung am 07.10.2014, und zwar sowohl hinsichtlich einer außerordentlichen fristlosen Kündigung als auch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Der Kläger hat gegen diese Zustimmung Widerspruch eingelegt, über den im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung noch nicht entschieden war.



Mit Schreiben vom 07.10.2014 (Bl. 62 bis 66 d. A.) hörte der Beklagte den bei ihm gebildeten Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. In dem Anhörungsschreiben heißt es, dass sowohl die fristlose wie auch die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist jeweils beabsichtigt seien als Tatkündigung wegen rechtswidriger Datenveränderung, § 303 a StGB, hilfsweise als Verdachtskündigung aus demselben Grund.



Der Personalrat nahm zu der Anhörung unter dem 09.10.2014 (Bl. 249 bis 251 d. A.) schriftlich Stellung. Bezogen auf die hilfsweise beabsichtigte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist lehnte der Personalrat eine Zustimmung ab, wesentlich darauf gestützt, dass die Ausschlussfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt sei.



Mit Schreiben vom 09.10.2014 (Bl. 13 d. A.), dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos wegen rechtswidriger Datenveränderung, hilfsweise wegen des dahingehenden dringenden Verdachts. Das Kündigungsschreiben ist unterzeichnet mit dem Zusatz „Im Auftrage“. Eine Vollmachtsurkunde war dem Kündigungsschreiben nicht beigefügt. Als Auskunftsperson wird in dem Kündigungsschreiben Herr F benannt, der bei dem Beklagten der Leiter der „Servicestelle Personal und Organisation“ ist.



Mit Schreiben vom 10.10.2014 wies der Kläger gegenüber dem Beklagten die Kündigung gemäß § 174 BGB zurück, da mit dem Kündigungsschreiben keine Vollmacht vorgelegt wurde.



Mit Schreiben vom 13.10.2014, unterzeichnet durch die Kreisdirektorin Q1, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zu dem Kläger erneut fristlos. Die in diesem Schreiben angegebenen Kündigungsgründe sind identisch mit denen in dem Kündigungsschreiben vom 09.10.2014.



Mit beim Arbeitsgericht am 13.10.2014 eingereichter Klageschrift sowie mit klageerweiterndem Schriftsatz vom 22.10.2014, beim Arbeitsgericht am selben Tag eingegangen, hat sich der Kläger gegen die rechtliche Wirksamkeit beider Kündigungen gewandt.



Nachdem der Personalrat mit Schreiben vom 09.10.2014 seine Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist verweigert hatte, wurde die Zustimmung durch einstimmigen Beschluss der Einigungsstelle am 04.11.2014 ersetzt. Für die Einzelheiten wird auf das Protokoll der Sitzung der Einigungsstelle vom 04.11.2014 (Bl. 247 d. A.) verwiesen.



Mit Schreiben vom 04.11.2014 (Bl. 73 d. A.), dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, diesmal hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Quartalsende, mithin zum 30.06.2015. Das Kündigungsschreibenn trägt die Unterschrift der Kreisdirektorin Q1. Es werden zur Begründung der Kündigung dieselben Gründe angegeben, wie sie sich in den Kündigungsschreiben vom 09.10. und 13.10.2014 finden.



Gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigung vom 04.11.2014 hat sich der Kläger mit klageerweiterndem Schriftsatz, der am Arbeitsgericht am 10.11.2014 einging, gewandt.



Der Kläger hat gemeint, dass sämtliche drei Kündigungen mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes rechtsunwirksam seien. Zudem sei die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt, da der Kündigungssachverhalt, der Vorwurf der rechtswidrigen Datenveränderung, umfassend und vollständig bereits im April 2014 bekannt gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem Aktenvermerk vom 19.04.2014. Der Beklagte habe nicht die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Anklageerhebung abwarten dürfen. Denn was die Datenveränderung anbelange, sei durch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ein Erkenntnisfortschritt nicht zu erwarten gewesen. Vielmehr habe die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage den Sachverhalt anhand der durch den Beklagten vorgelegten Beweismittel festgestellt und rechtlich gewürdigt.



Auch liege keine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der angegriffenen Kündigungen vor. Der dem Personalrat mitgeteilte Sachverhalt zur Kündigungsbegründung sei hinsichtlich einzelner Angaben irreführend und falsch.



Die Kündigung vom 09.10.2014 sei zudem aus Gründen des § 174 Satz 1 BGB unwirksam. Die Kündigung sei zu Recht mangels Vorlage einer erforderlichen Vollmachtsurkunde unverzüglich zurückgewiesen worden.



Für die zweite Kündigung vom 13.10.2014 als Wiederholungskündigung fehle es an einer erforderlichen erneuten Beteiligung des Personalrats. Zudem sei die Kündigung nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt worden. Letzteres gelte auch für die weitere Kündigung vom 04.11.2014.



Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des beklagten Kreises vom 09.10.2014 nicht aufgelöst worden ist. 2. Der beklagte Kreis wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens arbeitsvertragsgerecht als Sozialarbeiter weiterzubeschäftigen. 3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere, fristlose Kündigung des beklagten Kreises vom 13.10.2014 aufgelöst worden ist. 4. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere, außerordentliche Kündigung des beklagten Kreises vom 04.11.2014 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2015 aufgelöst wird.



Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Er hat die Auffassung vertreten, es liege ein wichtiger Grund für die angegriffenen Kündigungen vor, der es ihm unzumutbar mache, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auch nur bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Der Kläger habe unstreitig rechtswidrige Datenveränderungen vorgenommen. Zu Lasten des Arbeitgebers begangene Straftaten rechtfertigten regelmäßig eine außerordentliche Kündigung. Der Vertrauensbruch wiege vorliegend besonders schwer, da der Kläger Eintragungen in einem EDV-System manipuliert habe, denen Außenwirkung zukomme. Im hochsensiblen Bereich der Sozialarbeit könne sich jederzeit die Situation ergeben, dass er – der Beklagte – sein Handeln durch Angabe zutreffender Daten gegenüber Dritten rechtfertigen müsse. Er müsse sich daher auf die Loyalität des Klägers verlassen können. Zudem sei der Gesichtspunkt der Rufschädigung zu berücksichtigen.



Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten. Sie bemesse sich ab dem Zeitpunkt seiner Kenntnis von der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft betreffend die rechtswidrigen Datenveränderungen. Er habe den Ausgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abwarten dürfen, zumal seine eigenen Ermittlungsmöglichkeiten in Bezug auf die Klientin Q begrenzt gewesen seien.



Der Personalrat sei zutreffend unter Beachtung des arbeitgeberseitigen Kenntnisstandes über den maßgeblichen Kündigungssachverhalt unterrichtet worden. Unterzeichner des Kündigungsschreibens vom 09.10.2014, so das Vorbringen des Beklagten, sei ihr Personalleiter F gewesen. Der Kläger sei über die Position des Herrn F informiert gewesen; die Zurückweisung einer Kündigung gegenüber einem Personalleiter einer öffentlichen Einrichtung gehe ins Leere.



Das Arbeitsgericht Hagen hat durch Urteil vom 11.02.2015 der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat seine Entscheidung wesentlich wie folgt begründet:



Sämtliche Kündigungen seien rechtsunwirksam; der Beklagte sei dementsprechend zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen.



Die Kündigungen vom 09.10., 13.10. und 04.11.2014 seien bereits deshalb rechtsunwirksam, da die Frist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB seit Kenntnis des Beklagten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen nicht gewahrt sei. Dies gelte sowohl, soweit die Kündigungen als Tatkündigungen ausgesprochen, wie auch, soweit sie als Verdachtskündigungen ausgesprochen seien. Der Tatsache der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Hagen am 12.09.2014 gegen den Kläger wegen rechtswidriger Datenveränderung komme kein derartiges Gewicht zu, dass hierdurch die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB neu zu laufen begonnen hätte. Den Sachverhalt der rechtswidrigen Datenveränderung hätte der Beklagte bereits Mitte April 2014 selbst intern umfassend ausermittelt, wie sich aus dem Aktenvermerk vom 19.04.2014 ergebe. Der Einigungsstelle, die die Frage der Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB am 04.11.2014 anders bewertet habe, hätte offenbar der Aktenvermerk vom 19.04.2014 nicht vorgelegen.



Eine Umdeutung der Kündigungen gemäß § 140 BGB in jeweils eine ordentliche Kündigung scheide aus, da das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß § 34 Abs. 2 TVöD ordentlich unkündbar sei.



Der Weiterbeschäftigungsantrag sei unter Berücksichtigung der Entscheidung BAG GS 1/84 begründet. Es seien keine besonderen Umstände vorgetragen, welche ausdrücklich für ein überwiegendes Interesse des Beklagten gegen eine Weiterbeschäftigung des Klägers sprächen.



Der Beklagte hat gegen das ihm am 26.02.2015 zugestellte erstinstanzliche Urteil mit am 26.03.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese in demselben Schriftsatz begründet.



Unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens trägt der Beklagte vor, dass er aufgrund des Widerspruchs in der Einlassung des Klägers zu den Erkenntnissen aus der EDV und der weiteren Tatsache, dass der Kläger am 15.04.2014 erneut Daten in ISGA verändert hätte, Mitte April 2014 die Kriminalpolizei eingeschaltet habe. In einem Gespräch mit dem Kriminalpolizisten V am 24.04.2014 habe er von der beabsichtigten Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger erfahren und deshalb beschlossen, der Ermittlungsbehörde die weitere Aufklärung zu überlassen und seine Entscheidung über die gegenüber dem Kläger einzuleitenden arbeitsrechtlichen Schritte vom Ausgang des Ermittlungsverfahrens abhängig zu machen. Von der Anklageerhebung habe er am Nachmittag des 16.09.2014 erfahren. Der Kläger habe sich sodann am 23.09.2014 durch seine jetzige Prozessbevollmächtigte eingelassen und die Datenmanipulationen erstmals eingeräumt. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 10.10.2014 die durch den Personalleiter unterzeichnete Kündigung vom 09.10.2014 mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen hätte, habe er mit Schreiben vom 13.10.2014 auf Grundlage der durchgeführten Personalratsbeteiligung vorsorglich eine erneute außerordentliche fristlose Tat- und Verdachtskündigung ausgesprochen, unterzeichnet von der Kreisdirektorin Q1.



Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB seien nicht haltbar. Er sei berechtigt gewesen, den Ausgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zunächst abzuwarten. Es habe sich für ihn am 14.04.2014 die Situation ergeben, dass das einzige vom Kläger zugestandene Fehlverhalten darin bestanden habe, eine Falldokumentation zunächst versehentlich falsch angelegt zu haben. Eine vorsätzliche Datenmanipulation habe der Kläger erst im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens mit Stellungnahme seiner Rechtsanwältin vom 02.07.2014 eingestanden. Das Geständnis des Klägers sei als ein relevanter Erkenntnisfortschritt anzusehen, welcher alleine ihn dazu berechtigt hätte, die Kündigung erst nach Kenntnis von der Einlassung des Klägers auszusprechen. Er habe erst nach Eingang der Strafakte von dem Geständnis des Klägers Kenntnis erlangt. Ausweislich der Strafakte habe das Ermittlungsverfahren auch neben der Einlassung des Klägers zu weiteren Erkenntnisgewinnen geführt, so etwa durch einen vorläufigen Entlassungsbrief der Katholischen Kliniken S1 mit Ausführungen zum dortigen Aufenthalt der Frau Q im Zeitraum 13.12.2013 bis 21.01.2014 und den Ursachen ihrer Erkrankung. Auch in dem Protokoll über die am 13.06.2014 seitens der Kreispolizeibehörde durchgeführte ausführliche Vernehmung der Frau Q fänden sich Hinweise über die Beweggründe des Klägers, die Datenmanipulationen vorgenommen zu haben. Es könne nicht angehen, dass das Arbeitsgericht der alleine auf objektiven Tatsachen beruhenden Einschätzung eines ihrer Mitarbeiter, der Kläger habe eine vorsätzliche Datenmanipulation begangen, dasselbe Gewicht beimesse wie der Entscheidung einer mit den Möglichkeiten der Amtsermittlung ausgestatteten Strafverfolgungsbehörde. Ihm – dem Beklagten – erschließe sich nicht ansatzweise, dass die Einschätzung eines juristisch nicht vorgebildeten Mitarbeiters aus dem EDV-Bereich für ihn eine verbindliche Grundlage darstellen sollte, dem Kläger als Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz (tarifliche Unkündbarkeit und Schwerbehinderung) außerordentlich zu kündigen. Da der Ausspruch einer Verdachtskündigung vom Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts verlange, hätten hierzu zwingend auch Ermittlungen im Umfeld der Frau Q gehört, zu denen er sich jedoch nicht in der Lage gesehen habe. Der Ausspruch einer Kündigung im April 2014 hätte für ihn bedeutet, einen in sich zusammenhängenden und nicht abschließend geklärten Sachverhalt, bezüglich dessen mehrere Straftatbestände im Raum gestanden hätten, künstlich aufzuspalten.



Zum Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers macht der Beklagte vorsorglich geltend, dass er völlig unabhängig vom Ausgang des Berufungsverfahrens dessen Weiterbeschäftigung im Sozialpsychiatrischen Dienst ablehne.



Hinsichtlich der von dem Kläger gerügten Beteiligung des Personalrats und der weiteren Rüge, das Kündigungsschreiben vom 09.10.2014 sei formunwirksam, da der Personalleiter nicht zeichnungsbefugt gewesen sei, verweist der Beklagte auf seinen hierzu erfolgten erstinstanzlichen Vortrag.



Der Beklagte beantragt:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 11.02.2015 – 3 Ca 2127/14 – abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.



Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung als zutreffend. Das Strafverfahren gegen ihn wegen Datenveränderung gemäß § 303 a StGB sei am 11.03.2015 gegen Zahlung einer Geldbuße von 500 € eingestellt worden. Die Datenveränderung stelle er nicht in Abrede, bestreite allerdings, dass ein Straftatbestand im Sinne von § 303 a StGB vorgelegen habe, da es sich nicht um „fremde“ Daten gehandelt habe; übrig bleibe eine Pflichtverletzung.



Eine „Verquickung“ dienstlicher Aufgaben mit der partnerschaftlichen Beziehung zu der Frau Q habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Die dienstliche Beziehung zu dieser Frau habe im April 2013 geendet. Die private Liebesbeziehung habe erst Juni 2013 begonnen und im Dezember 2013 geendet. Die Veränderung in der Dokumentationssoftware ISGA habe er im Dezember 2013 vorgenommen, als die Beziehung zerbrochen sei. Die ehemalige Klientin habe wahnhafte Züge gezeigt und ihn mit extremer Eifersucht verfolgt. Er habe befürchten müssen, dass seine Kollegen mitbekommen könnten, dass er eine Beziehung zu einer psychisch erkrankten Person geführt habe. Er habe Gerede und Lästereien im Kollegenkontext vermeiden wollen. Zu der Zeit sei die Klientin nicht mehr von ihm betreut worden.



Das Ermittlungsverfahren sei eingeleitet worden durch die Strafanzeige der Q vom 11.04.2014. Auch er – der Kläger – habe am 16.04.2014 wegen Bedrohung und Sachbeschädigung Strafanzeige gegen Frau Q erstattet. Eine weitere Strafanzeige sei am 24.04.2014, diesmal wegen Datenveränderung nach § 303 a StGB und Fälschung beweiserheblicher Daten nach § 269 StGB, erfolgt. Die Strafanzeige vom 24.04.2014 habe letztlich basiert auf der Dokumentation vom 19.04.2014. Der Beklagte sei über die Datenveränderungen spätestens ab Kenntnis des Aktenvermerks vom 19.04.2014 bestens unterrichtet gewesen. Dass dem Beklagten die strafrechtliche Einlassung des Klägers vom 02.07.2014 erst am 23.09.2014 bekannt gewesen sei, bestreitet der Kläger vorsorglich mit Nichtwissen.



Der Beklagte habe die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Er sei nicht berechtigt gewesen, den Ausgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abzuwarten. Ein Erkenntnisgewinn habe hieraus nicht erwachsen können. Der Beklagte habe auch seine Aufklärungspflichten erheblich verletzt, da er bereits mit Aktenvermerk vom 19.12.2013 um den Sachverhalt gewusst habe. Selbst als am 19.04.2014 ausrecherchiert gewesen sei, dass er - der Kläger - zumindest eine Datenveränderung vorgenommen hatte, habe der Beklagte nicht gehandelt. Es hätte diesem nun oblegen, ihn unverzüglich erneut zu dem Vorgang anzuhören und nachfolgend das Kündigungsverfahren einzuleiten. Allein die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens stelle keine Zäsur für einen Kündigungsberechtigten dar, welche die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erneut in Gang setze. In der Einlassung des Kläger vom 02.07.2014 hätten allenfalls zur Motivation des Klägers, die Datenveränderungen vorzunehmen, Erkenntnisse gewonnen werden können, nicht aber nicht zu dem Datenveränderungsverhalten an sich.



Der Beklagte sei wegen des Tatvorwurfs des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungsverhältnisses davon ausgegangen, dass die Staatsanwaltschaft insoweit Anklage erheben bzw. hierzu Erkenntnisse sammeln würde, welche eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnten. Hierzu passe auch, dass die Kreisdirektorin Q1 den Kläger unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung mitgeteilt hätte, dass er wegen seines Verhältnisses zu der Frau Q gekündigt werde, nicht wegen der Datenveränderung.



Die erste Kündigung sei zu Recht zurückgewiesen worden gemäß § 174 BGB; die zweite Kündigung sei wegen Nichtbeteiligung des Personalrats unwirksam. Alle drei Kündigungen seien auch deshalb unwirksam, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Zudem sei der Kläger zuvor nicht einschlägig abgemahnt worden. Die Kündigungen seien deshalb unverhältnismäßig, was auch der Beklagte durch sein Verhalten, ihn nach Kenntnis der Datenveränderungen über Monate hinweg weiterarbeiten zu lassen, deutlich gemacht habe.



Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird verwiesen auf deren wechselseitige Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzung in erster und zweiter Instanz, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe



I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig.



Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit. c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.



II. In der Sache muss das Rechtsmittel ohne Erfolg bleiben. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Kündigungen vom 09.10., 13.10. und 04.11.2014 das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht aufgelöst haben und dass der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf seine Weiterbeschäftigung als Sozialarbeiter hat.



Für die Kündigungen vom 09.10. und 04.11.2014 fehlt es am Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Umdeutungen gemäß § 140 BGB jeweils in eine ordentliche Kündigung scheitern an der tariflichen ordentlichen Unkündbarkeit des Arbeitsverhältnisses des Klägers gemäß § 34 Abs. 2 TVöD.



Die Kündigung vom 13.10.2014 ist rechtsunwirksam, da in ihrem Vorfeld eine Beteiligung des Personalrats nicht erfolgte.



1. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wurde durch die mit Schreiben des Beklagten unter dem 09.10.2014 erklärte außerordentliche fristlose Kündigung nicht aufgelöst.



a) Die Kündigung vom 09.10.2014 ist nicht bereits gemäß § 174 Satz 1 BGB unwirksam.



Nach § 174 Satz 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Das Zurückweisungsrecht ist nach § 174 Satz 2 BGB nur dann ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber dem Erklärungsempfänger die Bevollmächtigung vorher mitgeteilt hat.



aa) Der Kündigungserklärung des Beklagten im Schreiben vom 09.10.2014 war keine auf den Erklärenden lautende Vollmachtsurkunde beigefügt. Der Kläger hat die ihm am 09.10.2014 zugegangene Kündigung aus diesem Grunde mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.10.2014 und damit unverzüglich im Sinne des § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen.



bb) Die Zurückweisung war jedoch nach § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen.



§ 174 BGB dient dazu, klare Verhältnisse zu schaffen. Der Erklärungsempfänger ist berechtigt, die Kündigung zurückzuweisen, wenn er keine Gewissheit hat, dass der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und sich der Arbeitgeber dessen Erklärung tatsächlich zurechnen lassen muss (BAG 29.10.1992 – 2 AZR 460/92, EzA BGB § 174 Nr. 10). Der Empfänger einer einseitigen Willenserklärung soll nicht nachforschen müssen, welche Stellung der Erklärende hat und ob damit das Recht zur Kündigung verbunden ist. Er soll vor der Ungewissheit geschützt werden, ob eine bestimmte Person bevollmächtigt ist, das Rechtsgeschäft vorzunehmen (BAG 20.09.2006 – 6 AZR 62/06, BAGE 119, 311). Das Inkenntnissetzen nach § 174 Satz 2 BGB muss daher ein gleichwertiger Ersatz für die fehlende Vorlage der Vollmachtsurkunde sein (BAG, 14.04.2011 – 6 AZR 727/09, NZA 2011, 683).



Ein Inkenntnissetzen im Sinne des § 174 Satz 2 BGB liegt vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter zum Beispiel durch die Bestellung zum Prokuristen, Generalbevollmächtigten oder Leiter der Personalabteilung in eine Stelle berufen hat, die üblicherweise mit dem Kündigungsrecht verbunden ist (BAG seit 30.05.1972 – 2 AZR 298/71, BAGE 24, 273; BAG 9, 09.09.2010 – 2 AZR 582/09, ZTR 2011, 113; BAG, 14.04.2011, a.a.O.). Dabei reicht die bloße Übertragung einer solchen Funktion nicht aus, wenn diese Funktionsübertragung aufgrund der Stellung des Bevollmächtigten im Betrieb nicht ersichtlich ist und auch sonst keine Bekanntmachung erfolgt (BAG 20.08.1997 – 2 AZR 518/96, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11). Es vielmehr erforderlich, dass der Erklärungsempfänger auch in Kenntnis gesetzt wird, dass der Erklärende diese Stellung tatsächlich innehat.



Vorliegend war der Kläger in diesem Sinne in Kenntnis gesetzt.



Für das Inkenntnissetzen nach § 174 Satz 2 BGB ist keine Form vorgeschrieben (Staudinger/Schilken (2014) § 174 Rn. 11). Es genügt eine Mitteilung des Vollmachtgebers, die sich zumindest auch an den späteren Empfänger der einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung richtet.



Diese Mitteilung ist jedenfalls in der Hausmitteilung vom 27.06.2008 zu sehen, durch die die Mitarbeiterschaft des Beklagten – per E-Mail – darüber unterrichtet wurde, dass die Servicestellen Personal und Organisation zu einer gemeinsamen Servicestelle Personal und Organisation zusammengefasst wurden und dass zu deren Leiter Herr F mit Wirkung vom 01.07.2008 bestellt wurde. Dass Herr F diese Leitungsfunktion innehatte, wusste der Kläger auch. Sein Bestreiten mit Nichtwissen, dass es die Hausmitteilung vom 27.06.2008 gegeben habe, geht ins Leere. Der Kläger hat nicht zuletzt nicht mehr bestritten, dass Hausmitteilungen an alle Beschäftigten des Beklagten per E-Mail versandt werden. Er wusste nach seiner eigenen Aussage im Termin der Berufungsverhandlung vom 20.08.2015 zudem und konkret, dass Herr F Personalleiter des Beklagten ist. Es war insoweit ausreichend, dass der Beklagte gegenüber seinen Arbeitnehmern publiziert hatte, dass Herr F eine Stellung bekleidet, mit der üblicherweise Vollmacht zur Erklärung von Kündigungen umfasst ist (BAG, 20.09.2006 – 6 AZR 82/06, NZA 2007, 377; LAG Baden-Württemberg, 25.04.2012 – 13 Sa 135/11, Juris).



Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass es sich bei der Unterschrift unter der Kündigungserklärung des Beklagten in dem Schreiben vom 09.10.2014 um die des Personalleiters F handelt. Dies verdeutlichen Vergleiche der Unterzeichnung im Schreiben vom 09.10.2014 mit Unterschriften, die ebenfalls dem Personalleiter F zugeordnet sind, etwa betreffend den Beschluss der Einigungsstelle vom 04.11.2014, Bl. 220 d. A. und betreffend den Vermerk über ein Gespräch mit dem Kläger vom 14.04.2014, Bl. 227 d. A. Sie enthalten sämtlich die Charakteristik der Unterschriftsausformung des Personalleiters des Beklagten und vermögen zur Überzeugung des Berufungsgerichts Zweifel an der Tatsache der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens vom 09.10.2014 durch den Personalleiter F nicht mehr zu begründen.



b) Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 09.10.2014 ist nicht unwirksam wegen einer fehlerhaften Beteiligung des bei dem Beklagten gebildeten Personalrats.



aa) Der nordrhein-westfälische öffentliche Arbeitgeber hat grundsätzlich für jede Kündigung ein Mitwirkungs- oder Anhörungsverfahren nach § 74 LPVG NW durchzuführen. Eine ohne Beteiligung des Personalrats erklärte Kündigung ist unwirksam, § 74 Abs. 3 Satz 1 LPVG NW. Für den Fall der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung ist der Personalrat (lediglich) im Wege der Anhörung zu beteiligen (vgl. für das schwächere Anhörungsrecht BAG, 29.06.1988 – 7 AZR 459/87, ZTR 1989, 199). Hierzu hat ihm der Arbeitgeber die Gründe, auf die sich die beabsichtigte Kündigung stützen soll, vollständig anzugeben, § 74 Abs. 2 Satz 2 LPVG NW.



bb) Der Beklagte hat die Personalratsanhörung im Einzelnen dargelegt und sich hierfür insbesondere bezogen auf die schriftliche Anhörung vom 07.10.2014 (Bl. 62 bis 66 d. A.), die den Kündigungssachverhalt im Einzelnen schildert.



Mit seiner Rüge, die Angaben in der schriftlichen Personalratsanhörung seien irreführend und falsch, und der Personalrat sei, was die Datenänderungen angehe, nicht widerspruchsfrei und zutreffend informiert worden, habe vielmehr zunächst eine eigene Recherche anstellen müssen, dringt der Kläger nicht durch.



Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, alle Gründe zu nennen, auf die er eine Kündigung stützen könnte. Er hat vielmehr lediglich die Gründe zu benennen, auf die er seinen Kündigungsentschluss tatsächlich stützt (BAG, 16.09.2004 – 2 AZR 511/13, AP Nr. 142 zu § 102 BetrVG 1972, folgend LAG Köln, 26.03.2007 – 14 Sa 1332/06, Juris).



Es erschließt sich nicht, inwieweit die Angaben des Beklagten gegenüber dem Personalrat irreführend und falsch sein sollen. Soweit der Beklagte gegenüber dem Personalrat angibt, von dem Kläger sei der Fall Q nicht vor dem 05.11.2013 in der Dokumentationssoftware ISGA angelegt worden und der Kläger hierzu im Gespräch mit dem Personalrat angegeben haben soll, die letzte Datenerfassung sei am 13.06.2013 erfolgt, so ist es unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten nicht zu beanstanden, dass in dem Anhörungsschreiben formuliert ist, die von dem Beklagten veranlasste systematische Überprüfung habe zunächst ergeben, der Kläger könne den Fall Q nicht vor dem 05.11.2013 angelegt haben. Der Beklagte konnte in diesem Zusammenhang unbestritten vortragen, dass erst nach dem mit dem Kläger am 14.04.2014 geführten Gespräch und aufgrund weiterer interner Ermittlungen sich herausstellte, dass am 02.12.2013 unter einer anderen ID-Nr. eine Eintragung zu dem Fall Q existierte. All dies ist Inhalt der Personalratsanhörung, dort S. 2, 3.



Die Anhörung des Personalrats ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der Beklagte nicht über den Vermerk vom 20.12.2013, Fachbereich „Gesundheit und Soziales“, informiert hat. Denn dieser Vermerk war nach Darstellung des Beklagten der schriftlichen Personalratsbeteiligung als Anlage 3 (vgl. auch die schriftliche Anhörung des Personalrats, dort S. 4 a. E., Blatt 65 d. A.) beigefügt. Diesem Vorbringen ist der Kläger anschließend nicht mehr entgegengetreten.



c) Entgegen der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts ist die Kündigung vom 09.10.2014 nicht bereits rechtsunwirksam wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB.



Der Beklagte hat die gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten.



aa) Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung wirksam nur innerhalb von zwei Wochen erklärt werden. Diese Frist beginnt gemäß § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand, der das Ziel verfolgt, dem betroffenen Arbeitnehmer möglichst rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen bestimmten Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung heranzieht (BAG, 01.02.2007 – 2 AZR 333/06 m.w.N., NZA 2013, 744).



Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist (Bundesarbeitsgericht in st. Rspr., vgl. etwa BAG, 01.02.2007, a.a.O., m. w. N.). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören alle für wie auch gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Denn ohne eine umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten von dem Kündigungssachverhalt kann das Kündigungsrecht nicht verwirken. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, darf zunächst Ermittlungen anstellen und den betroffenen Arbeitnehmer anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Auch kann es zu den vom Kündigungsberechtigten zu ergründenden maßgeblichen Umständen gehören, mögliche Beweismittel für eine ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen oder zu sichern. Dabei sollen die zeitlichen Grenzen des § 626 Abs. 2 BGB den Arbeitgeber weder zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben, noch ihn veranlassen, ohne eine genügende Prüfung des Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen. Solange der Kündigungsberechtigte die nach pflichtgemäßem Ermessen zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Sind die Ermittlungen indes abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte hinreichende Kenntnisse vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Für weitere Ermittlungen besteht kein Anlass, wenn der Sachverhalt bereits geklärt oder der betroffene Arbeitnehmer ihn gar zugestanden hat (BAG, 01.02.2007, a.a.O., m.w.N. zur Rechtsprechung insbesondere des Bundesarbeitsgerichts).



(1) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Fort- und Ausgang des Ermittlungsverfahrens und des Strafverfahrens abwarten und abhängig hiervon zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt die Kündigung erklären. Für die Wahl des Zeitpunkts bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen neuen, ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen. Dabei kann der Arbeitgeber sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren. Die dort gewonnenen Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können bei dem Arbeitgeber die Annahme verstärken, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen. Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben. Denn sie bedeutet einen Einschnitt, der in der Lage ist, die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken. Daher ist es gerechtfertigt, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, das Kündigungsverfahren einzuleiten (BAG, 27.01.2011 – 2 AZR 825/09 m.w.N, NZA 2011, 798 [BAG 27.01.2011 - 2 AZR 825/09] ; BAG, 05.06.2008 – 2 AZR 234/07, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44).



(2) Es gibt insbesondere nicht nur zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt, nämlich einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Vielmehr kann es im Laufe des Aufklärungszeitraums mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zur Seite (BAG, 27.01.2011, a.a.O.; BAG, 05.06.2008, a.a.O.). Die Frist des § 626 Abs.2 BGB beginnt somit erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine solche kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Die Möglichkeit, die Kündigung an neue Erkenntnisse im Strafverfahren zu knüpfen, trägt den mit der Aufklärung strafbarer Handlungen des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber verbundenen Schwierigkeiten und dessen eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten Rechnung (BAG, 22.11.2012 – 2 AZR 732/11, NZA 2013, 655; BAG, 26.09.2013 – 2 AZR 741/12, NZA 2014, 529).



bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, denen sich die Berufungskammer anschließt, hat die Kündigung vom 09.10.2014 die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 1 Satz 1 BGB eingehalten. Darlegungs- und beweispflichtig für die Einhaltung der Ausschlussfrist ist der Kündigungsberechtigte (st. Rspr. des Bundesarbeitsgerichts, vgl. etwa BAG, 01.02.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2013, 744). Derjenige, der eine Kündigung aus wichtigem Grund ausspricht, muss dartun und gegebenenfalls beweisen, dass er von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen innerhalb der letzten zwei Wochen vor ihrem Ausspruch Kenntnis erlangt hat. Der Kündigende muss die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat. Hat er noch Ermittlungen durchgeführt, muss er hierzu weiter darlegen, welche Tatsachenbehauptungen unklar und daher ermittlungsbedürftig waren, und welche weiteren Ermittlungen zur Klärung der Zweifel er angestellt hat.



Hiernach begann die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB, hier in der Ausformung der für den unter den Anwendungsbereich der §§ 85 ff. SGB IX fallenden schwerbehinderten Kläger maßgeblichen Bestimmung des § 91 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX, frühestens mit Kenntnis des Beklagten von der Anklageerhebung am 16.09.2014, spätestens jedoch mit der Einlassung des Klägers vom 23.09.2014 zu den gegen ihn durch Anhörungsschreiben vom 18.09.2014 erhobenen Vorwürfe zu laufen. Mit seinem am 24.09.2014 an das LWL-Integrationsamt gestellten Antrag auf Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers hat der Beklagte die § 626 Abs. 2 BGB für den Bereich des Schwerbehindertenrechts nachgebildete Ausschlussfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX eingehalten.



Die Berufungskammer teilt nicht die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der Beklagte den Sachverhalt der rechtswidrigen Datenveränderung bereits Mitte April 2014 intern umfassend ausermittelt hatte. Dies folgt zur Überzeugung der Kammer auch nicht aus dem Aktenvermerk vom 19.04.2014. Zwar ist zu sehen, dass bereits durch die bei dem Beklagten am 03.03.2014 eingegangene, gegen den Kläger gerichtete Dienstaufsichtsbeschwerde Aufklärungsmaßnahmen seitens des Beklagten eingeleitet wurden, im Rahmen derer der Kläger am 14.04.2014 in einem Gespräch zu den im Raum stehenden, ihn betreffenden Vorwürfen angehört wurde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte im April 2014 durch den EDV-Administrator die EDV-Daten in dem System ISGA auswerten und die ihm bekannten Falldaten überprüfen ließ. In dem Aktenvermerk heißt es auch, dass eindeutig bewiesen und gesichert sei, dass der Kläger die fraglichen Datenveränderungen vorgenommen hätte.



Gleichwohl war es wegen der eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten des Beklagten sowie aufgrund der von dem Kläger am 15.04.2014, also einen Tag nach dem von Widersprüchen nicht freien Anhörungsgespräch, erneut vorgenommenen Datenveränderung in dem System ISGA durchaus sachgerecht und vertretbar, Mitte April 2014 die Kriminalpolizei zwecks weiterer Ermittlungen einzuschalten. Ebenso durfte der Beklagte sich nach dem Gespräch mit dem Kriminalpolizisten V vom 24.04.2014 dazu entschließen, den Ermittlungsbehörden die weitere Aufklärung des Sachverhalts zu überlassen und gegenüber dem Kläger einzuleitende arbeitsrechtliche Maßnahmen vom Ausgang des Ermittlungsverfahrens abhängig zu machen. Dabei kann es dahinstehen, ob – wie der Kläger behauptet – der Beklagte dem Kriminalpolizisten V das bisherige Ermittlungsergebnis, nämlich den Aktenvermerk vom 19.04.2014, zur Verfügung stellte. Unstreitig wurde auf der Grundlage dieses Aktenvermerks das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger erweitert auf den Tatbestand der Datenveränderung im Sinne des § 303 a StGB. Allein die Tatsache der Erweiterung des Ermittlungsverfahrens berechtigte den Beklagten, dessen Ausgang abzuwarten, umso dann zu einem allerdings nicht willkürlich gewählten späteren Zeitpunkt die Kündigung zu erklären. Nach erfolgter Anklageerhebung mit Anklageschrift vom 12.09.2014 erhielt der Verdacht des Beklagten eine andere Qualität, zumal die Erhebung der öffentlichen Klage nach der Strafprozessordnung an das Bestehen eines hinreichenden Verdachts gebunden ist. Es war daher gerechtfertigt, dass der Beklagte mit Kenntnis der öffentlichen Klageerhebung am Nachmittag des 16.09.2014 einen Umstand annahm, welcher für ihn den sachlichen Grund darstellte, nunmehr das Kündigungsverfahren gegen den Kläger einzuleiten.



Damit verbleibt es dabei, dass die Kündigung des Beklagten vom 09.10.2014 nicht wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB resp. des § 91 Abs. 2 SGB IX rechtsunwirksam ist.



d) Es fehlt für die Kündigung vom 09.10.2014 an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.



aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., zuletzt noch BAG, 16.07.2015 – 2 AZR 485/15, NZA 2016, 161 [BAG 16.07.2015 - 2 AZR 85/15] ; BAG, 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258).



Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG, 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, NZA 2014, 1258; BAG, 27.01.2011 - 2 AZR 825/09 , NZA 2011, 798 [BAG 27.01.2011 - 2 AZR 825/09] ). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG, 28.10.2010 - 2 AZR 293/09, NZA 2011, 112).



Das Löschen betrieblicher Dateien auf einem betrieblichen Server/Rechner stellt ein Verhalten dar, das grundsätzlich als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist (LAG Hamburg, 24.02.2015 – 2 TaBV 10/14, Juris; LAG Hessen, 05.08.2013 – 7 Sa 1060/10, ZD 2014, 377 sowie bei Juris). Ebenso an sich geeignet, einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des Gesetzes darzustellen, ist die unterlassene Deaktivierung eines zuvor aktivierten Sicherungsprogramms bei Verlassen des Arbeitsplatzes, um so dem Arbeitgeber als Eigentümer des PC die Zugriffsmöglichkeit zumindest zeitweilig unmöglich zu machen. Ein solches arbeitsvertragswidriges Verhalten ist überdies geeignet, aus Sicht eines objektiven Dritten einen Straftatbestand im Sinne des § 303 a StGB darstellen zu können (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 18.07.2006 – 3 Sa 474/05, Juris).



Nichts anderes gilt vorliegend für den Fall vorsätzlicher Datenveränderungen. Der Kläger hat unstreitig in dem im Bereich des Sozialpsychiatrischen Dienstes von dem Beklagten verwendeten Dokumentationssystem ISGA Kontaktdaten über eine Klientin verändert, und zwar mehrfach in dem Zeitraum zwischen dem 13.06.2013 und 15.04.2014. Dabei kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob und in welchem Umfang der Arbeitgeber diese Daten zukünftig tatsächlich benötigt. Es gehört vielmehr zu den vertraglichen Nebenpflichten eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, dass der Arbeitnehmer rechtswidrige Datenveränderungen auf betrieblichen Dateien nicht vornimmt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine vorsätzliche Datenveränderung im Sinne von § 303 a StGB strafbewehrt ist. § 303 a StGB schützt Daten, an denen eine andere Person als der Täter ein unmittelbares rechtlich schutzwürdiges Interesse in Form einer eigentümerähnlichen Verfügungsbefugnis hat, u. a. gegen Veränderungen.



Vorliegend änderte der Kläger von ihm gespeicherte Daten in der Dokumentationssoftware ISGA, indem er in dem EDV-System die Falldaten einer Klientin mehrfach hinsichtlich Name, Vorname und Adresse abänderte. Dieses Verhalten ist an sich als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB geeignet.



Es kann dahinstehen, ob es sich bei den von dem Kläger vorsätzlich vorgenommenen Datenveränderungen um eine Straftat gehandelt hat. In jedem Fall verletzt der Arbeitnehmer mit solchen Handlungen in erheblichem Maße seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen seines Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist die strafrechtliche Bewertung nicht von Belang. Entscheidend ist allein der Verstoß des Arbeitnehmers gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG, 19.04.2007 – 2 AZR 78/06, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann deshalb einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen.



bb) Trotz Vorliegens eines an sich geeigneten Grundes, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, führt die gemäß § 626 Abs. 1 BGB stets vorzunehmende Interessenabwägung zur Verneinung einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.



(1) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. etwa BAG, 08.05.2014 – 2 AZR 249/14, NZA 2014, 1258 [BAG 08.05.2014 - 2 AZR 249/13] ; BAG, 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes oder ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG, 08.05.2014, a.a.O.; BAG, 21. 11.2013, a.a.O.). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10, NZA 2011, 1342; BAG, 16. 12.2010 - 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen, wenn sie schon geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG, 10.06.2010 - 2 AZR 541/09, BAGE 134, 349).



(2) Bei Würdigung der beiderseitigen Interessen war es dem Beklagten zuzumuten, dauerhaft an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten. Das Interesse des Klägers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes überwiegt das Beendigungsinteresse des Beklagten.



Zugunsten des Klägers war zu berücksichtigen dessen erhebliche, im Wesentlichen reibungslose, jedoch insgesamt beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit von deutlich mehr als zwei Jahrzehnten sowie sein Lebensalter von 57 Jahren, das eine Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt signifikant erschwert. Erschwerend in diesem Sinne tritt hinzu die Schwerbehinderung des Klägers mit einem GdB von 50. Nicht zu berücksichtigen war insoweit das Vorbringen des Beklagten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Klägers vom Psychosozialen Fachdienst in den Sozialpsychiatrischen Dienst im Jahr 2008, da sich die Umstände der Umsetzung bereits damals nicht aufklären ließen.



Für das Beendigungsinteresse des Beklagten spricht dessen rechtlich geschütztes Interesse, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammen zu arbeiten, die nicht in schwerwiegender Weise ihre vertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzen. Die rechtswidrig und schuldhaft von dem Kläger mehrfach vorgenommenen Datenveränderungen in dem System ISGA sind zwar letztlich nicht zweifelsfrei als Straftaten zu qualifizieren, stellen aber gleichwohl erhebliche Pflichtwidrigkeiten dar. Sie stehen auf einer Stufe und sind somit vergleichbar mit der Manipulation von Krankenakten. Auch war zu sehen die Verantwortung des Beklagten für seine Klienten und gegenüber der Öffentlichkeit. Ob darüber hinaus zusätzlich dem Eintritt einer Rufschädigung des Beklagten durch die Aufnahme von Ermittlungen im Hinblick auf den Straftatbestand des § 174 c StGB bzw. durch die Presseberichterstattung über das erstinstanzliche Kündigungsschutzverfahren zusätzliches Gewicht zuzumessen war, ist hingegen zweifelhaft. Zum einen stellte die Staatanwaltschaft Hagen die Ermittlungen wegen des Tatvorwurfs des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungsverhältnisses am 12.09.2014 ein. Das Arbeitsverhältnis war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekündigt; eine Presseberichterstattung ersichtlich noch nicht erfolgt. Zum anderen ist der (öffentliche) Arbeitgeber zu keinem Zeitpunkt vor Anzeigeerstattungen dritter, nicht dem Betrieb oder der Dienstelle angehöriger Personen geschützt.



Insgesamt reichen diese Interessen des Beklagten jedoch nicht aus, um dem Beendigungsinteresse des Beklagten vorliegend den Vorrang einzuräumen. Hier sind vielmehr erhebliche Umstände gegeben, die einer Schutzbedürftigkeit des Klägers Vorrang zukommen lassen. Insbesondere ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er die rechtswidrigen Datenveränderungen im System ISGA allein deshalb vorgenommen hat, um seine Privatbeziehung zu seiner ehemaligen Klientin Q im Kollegenkreis zu vertuschen. Nach Beendigung der partnerschaftlichen Beziehung zu der ehemaligen Klientin war dem Kläger die vormalige Beziehung ersichtlich unangenehm, da er Lästereien in der Kollegenschaft befürchtete. Dies erklärt auch die mehrmaligen Datenveränderungen, die ausschließlich Namen (einschließlich Personen-ID-Nummer), Adresse und Telefonnummer betrafen. Zugunsten des Klägers war in diesem Zusammenhang zu werten, dass die Motivation des Klägers für die Datenveränderungen rein privater Natur waren; er wollte das partnerschaftliche Verhältnis zu der ehemaligen Klientin in dem Datensystem ISGA verwischen, quasi unsichtbar machen. Eine Schädigungsabsicht seinem Dienstgeber gegenüber war dem Kläger nicht zu unterstellen; dem Beklagten ist umgekehrt kein materieller oder sonstiger Schaden durch die Datenmanipulationen entstanden. Des Weiteren war zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass diesem zeitlich deutlich vor Ausspruch der ersten Kündigung mit der Erklärung gegenüber dem Beklagten, er habe mit Hilfe der Datenveränderungen Gerede und Lästereien im Kollegenkontext vermeiden wollen, sein Fehlverhalten sehr bewusst war und dass er es bereute. Eine Wiederholungsgefahr ist zur vollen Überzeugung der Berufungskammer bei dem Kläger nicht gegeben. Auch war im Rahmen der umfassend vorzunehmenden Interessenabwägung zu sehen, dass nicht nur das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung nach § 174 c StGB vor Ausspruch der ersten Kündigung eingestellt war, sondern ebenso, dass eine Strafbarkeit des Klägers nach § 303 a StGB wegen rechtswidriger Datenveränderung letztlich nicht anzunehmen sein dürfte. Das Verhalten des Klägers hat den Straftatbestand des § 303 a StGB nicht verwirklicht. Denn mit der von dem Kläger angezogenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg (1 Ws 445/12) ist davon auszugehen, dass der objektive Tatbestand des § 303 a StGB nun fremde Daten erfasst, nämlich solche, an denen ein unmittelbares Recht einer anderen Person auf Verarbeitung, Löschung oder Nutzung besteht. Das bedeutet, dass hinsichtlich der Datenverfügungsbefugnis auf die Urheberschaft der Daten als maßgebliches Zuordnungskriterium abzustellen sein wird. Die Datenverfügungsbefugnis steht demnach grundsätzlich demjenigen zu, der die Speicherung der Daten unmittelbar selbst bewirkt hat, hier der Kläger. Letztlich ist zu sehen und zu bewerten, dass auch das Strafverfahren wegen Datenveränderung am 11.03.2015 gegen Zahlung einer Geldbuße von 500,00 Euro eingestellt wurde.



Es bleibt somit zu Lasten des Klägers bei einer, wenngleich erheblichen Pflichtverletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten. Durch diese ist zur Überzeugung des Berufungsgerichts das Vertrauensverhältnis zu dem Kläger jedoch noch nicht in so gravierender Weise verletzt, dass dem Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der - hier fiktiv anzunehmenden - Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre. Von Bedeutung ist hierbei vor allem, dass der Beklagte den Kläger über einen erheblichen Zeitraum nach Kenntnis von den wesentlichen Vorgängen um die Datenveränderungen weiterbeschäftigt hat, nämlich in der Zeit von Mitte April 2014 bis zur Erhebung der öffentlichen Klage im September 2014. Zwar war dem Beklagten - wie ausgeführt - zuzugestehen, die (weiteren) Ermittlungen der Kriminalpolizei und den sonstigen Ermittlungsbehörden zu überlassen. Es erschließt sich aber nicht, dass der Beklagte nach Abschluss der eigenen, zunächst intern durchgeführten Nachforschungen bezogen auf den Kündigungssachverhalt den Kläger bis zum Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die zur Anklageerhebung führten, gleichwohl weiterbeschäftigte. Insbesondere erschließt sich nicht, dass der Beklagte, ohne auch nur eine Suspendierung des Klägers von der Leistungspflicht für die Zeit von Mitte April 2014 bis zur Kündigung vom 09.10.2014 zu erwägen, den Kläger ohne Zumutbarkeitsbedenken weiterbeschäftigte. Es kann daher eine Unzumutbarkeit der - nun dauerhaften - Weiterbeschäftigung nicht angenommen werden, wenn sich durch die Anklageerhebung jedenfalls inhaltlich kein neuer Erkenntnisgewinn ergab. Denn es war dem Beklagten durchaus möglich, die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt auszusprechen, um gegebenenfalls nach erfolgter Erhebung der öffentlichen Anklage eine erneute, weitere Kündigung zu erklären. Die dennoch durchgeführte Weiterbeschäftigung des Klägers nach Mitte April 2014 ist indes starkes Indiz für eine Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers.



(3) Zudem ist nach Auffassung der Berufungskammer in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor Ausspruch der im Streit stehenden außerordentlichen Kündigung der Ausspruch einer arbeitsrechtlichen Abmahnung erforderlich gewesen.



Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG, 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, NZA 2013, 319; BAG, 19.04. 2012 - 2 AZR 186/11, NJW 2013, 104; BAG, 09. 06.2011 – 2 AZR 284/10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG 19.04.2012, a.a.O.; BAG, 09.06.2011,a.a.O.). DieAbmahnung ist immer dann alternatives Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23.10.2014 - 2 AZR 865/13, NZA 2015, 353; BAG, 25.10.2012, a.a.O. m.w.N.).



Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen war der vorherige Ausspruch einer Abmahnung nicht entbehrlich. Aufgrund der persönlichen Situation des Klägers, der zu der ehemaligen Klientin über einen eher kürzeren Zeitraum ein partnerschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte, bestand, was die vorgeworfenen rechtswidrigen Datenveränderungen betrifft, zu keinem Zeitpunkt eine Wiederholungsgefahr. Die Abmahnung ist zur Überzeugung der Berufungskammer geeignet und hinreichend, das künftige Verhalten des Klägers positiv zu beeinflussen. Zwar konnte der Kläger bei der Begehung seiner Pflichtverletzungen ohne weiteres erkennen, dass ein Akzeptieren seines Verhaltens durch den Beklagten nicht erfolgen konnte und würde. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass der Kläger sich in einer persönlichen Ausnahmesituation befand. Es ging ihm nicht darum, bestimmte Gesundheitsdaten der Klägerin aus dem Dokumentationssystem ISGA zu entfernen, sondern es war allein sein - allerdings intensiv umgesetztes - Ansinnen zu verschleiern, dass er mit einer ehemaligen Klientin ein partnerschaftliches Verhältnis aufgenommen hatte, um nicht Subjekt von Gerede und Lästereien seiner Arbeitskollegen zu werden. In Anbetracht dieses zeitweiligen Ausnahmezustandes wiegt die Pflichtverletzung nicht so erheblich, als dass sie der Beklagte nicht mit einer arbeitsrechtlichen Abmahnung hätte hinreichend belegen können. Der Kläger bereute sein Verhalten auch bereits weit vor Ausspruch der Kündigung vom 09.10.2014 und bemühte sich, die Dokumentation wieder in einen ordnungsgemäßen Zustand zu verbringen. Auch unter diesem Gesichtspunkt war eine Wiederholungsgefahr zu keinem Zeitpunkt gegeben.



Mangels Verhältnismäßigkeit der außerordentlichen Kündigung vom 09.10.2014 konnte die Kündigung als Tatkündigung keinen Bestand haben.



(4) Auch für die von dem Beklagten hilfsweise erklärte außerordentliche Verdachtskündigung gilt das zuvor Gesagte. Hier führt die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der einzelfallbezogenen Interessenabwägung gleichfalls zur Unwirksamkeit der Kündigung.



2. Eine Umdeutung der Kündigung vom 09.10.2014 in eine ordentliche Kündigung (§ 140 BGB) kommt rechtlich nicht in Betracht, da das Arbeitsverhältnis des Klägers – insoweit unstreitig – gemäß § 34 Abs. 2 TVöD ordentlich unkündbar ist. Der Kläger hat das 40. Lebensjahr vollendet und ist seit mehr als 15 Jahren bei dem Beklagten beschäftigt. Die Kündigungsmöglichkeit des Beklagten beschränkte sich somit auf die Kündigung aus wichtigem Grund.



3. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 13.10.2014, unterzeichnet von der Kreisdirektorin Q1, ist mangels Beteiligung des Personalrats rechtsunwirksam.



Eine ohne Beteiligung des Personalrats erklärte Kündigung ist unwirksam, § 72 Abs. 3 Alt. 1 LPVG NW.



a) Der öffentliche Arbeitgeber hat grundsätzlich für jede - ebenso wie bei dem Mitbestimmungsverfahren des § 102 BetrVG für den Bereich der Betriebsverfassung - Kündigung das gesetzlich vorgeschriebene Mitwirkungs- oder Anhörungsverfahren gemäß § 74 LPVG NW durchzuführen. Es bedarf daher einer erneuten Beteiligung des Personalrats immer dann, wenn der Arbeitgeber nach Anhörung bzw. Mitwirkung des Personalrats bereits eine Kündigung erklärt hat und nunmehr eine weitere Kündigung aussprechen will. Das gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber die (weitere) Kündigung auf den gleichen Sachverhalt stützt. Ist die erste Kündigung dem Arbeitnehmer bereits zugegangen mit der Folge, dass der Arbeitgeber damit seinen Kündigungswillen verwirklicht hat, ist das Gestaltungsrecht und die mit diesem in Zusammenhang stehende Beteiligung des Personalrats verbraucht (BAG, 12.01.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980; BAG, 10.11.2005 – 2 AZR 623/04, NZA 2006, 491; BAG, 16.09.1993 – 2 AZR 267/93, BAGE 74, 185).



Etwas anderes kann nur in den Ausnahmefällen in Betracht kommen, in denen der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht verwirklicht hat. In solchem Fall kann eine erneute Beteiligung des Personalrats entbehrlich sein, wenn das frühere Beteiligungsverfahren ordnungsgemäß war, der Personalrat der Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat und die Wiederholungskündigung angemessen zeitnah erklärt und auf den nämlichen Sachverhalt gestützt wird (BAG, 12.01.2006, a.a.O.; BAG, 10.11.2005, a.a.O.).



b) Ausgerichtet an diesem Maßstab, den auch die Berufungskammer ihrer Entscheidung zugrunde legt, erweist sich die Kündigung vom 13.10.2014 als rechtsunwirksam. Eine erneute Personalratsbeteiligung, die rechtlich geboten war, erfolgte unstreitig nicht. Die Voraussetzungen eines von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts skizzierten Ausnahmefalles lagen ersichtlich nicht vor. Zum einen war die (erste) Kündigung vom 09.10.2014 dem Kläger bereits am 09.10.2014 zugegangen. Der Beklagte hatte insoweit seinen Kündigungsentschluss bereits verwirklicht. Zum anderen hatte der Personalrat der Kündigung vom 09.10.2014 nicht vorbehaltlos zugestimmt.



4. Schließlich hat die weitere außerordentliche Kündigung vom 04.11.2014 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2015 das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht aufgelöst.



a) Es kann dahinstehen, ob die Kündigung vom 04.11.2014 mangels Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB rechtsunwirksam ist. Gleichwohl dürfte nach der Rechtsauffassung der Berufungskammer auch für diese Kündigung gelten, was bereits zur identischen Problematik im Zusammenhang mit der Kündigung vom 09.10.2014 im Einzelnen ausgeführt wurde - s. o. unter I. 1. c) - und was ebenso und ersichtlich den rechtlichen Überlegungen der bei dem Beklagten eingerichteten Einigungsstelle im Rahmen des am 04.11.2014 einstimmig gefassten Beschluss zugrunde lag.



b) Bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers lässt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur in Ausnahmefällen zu.



Zum einen kommt eine solche nur dann in Betracht, wenn der wichtige Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darin liegt, dass der Arbeitgeber wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung andernfalls gezwungen wäre, für Jahre an einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis festzuhalten (BAG, 15.11.2001 – 2 AZR 605/00, ZTR 2002, 339; BAG, 20.03.2014 – 2 AZR 288/13, NZA-RR 2015, 16).



Diese Konstellation ist vorliegend nicht gegeben. Der Beklagte hat sich ausdrücklich im Hinblick auf die von dem Kläger vorgenommenen Datenveränderungen auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des Gesetzes berufen. Nicht dagegen hat er geltend gemacht, dass der wichtige Grund für ihn darin liege, dass er wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung gezwungen wäre, für Jahre an dem Arbeitsverhältnis zu dem Kläger festhalten zu müssen.



Zum anderen müsste die Pflichtverletzung so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte, es dem Arbeitgeber jedoch aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar gewesen ist, dennoch die – hier fiktive – ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten (BAG, 13.05.2015 – 2 AZR 531/14, Juris).



Vorliegend fehlt es – wie ausgeführt – bereits an einer derart gravierenden Pflichtverletzung des Klägers, dass sie auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Zudem sind im Streitfall keine besonderen Umstände ersichtlich, die gerade deshalb eine außerordentliche Kündigung mit insofern notwendiger Auslauffrist rechtfertigen könnten, weil die ordentliche Kündigung für den Beklagten aus tariflichen Gründen ausgeschlossen war. So könnte ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist bestünde, wenn etwa die Gefahr einer Wiederholung des Pflichtverstoßes zwar für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist, nicht aber darüber hinaus auszuschließen wäre (vgl. BAG, 09.06.2011 – 2 AZR 284/10, Juris). Einen derartigen Umstand, aber auch anderweitige besondere Umstände in diesem Sinne hat der Beklagte ersichtlich nicht dargelegt.



5. Der Kläger hat gegen den Beklagten Anspruch auf seine arbeitsvertragsgemäße Weiterbeschäftigung als Sozialarbeiter auf der Grundlage seines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 02.03.1992.



a) Mit dem Arbeitsgericht folgt der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch für die Dauer des Rechtsstreit aus der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, 27.02.1985 – GS 1/84, BAGE 48, 122).



Danach begründet, außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung, die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Es müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände hinzutreten, aus denen sich im konkreten Fall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.



b) Vorliegend sind keine zusätzlichen Umstände erkennbar, aus denen sich ein in diesem Sinne überwiegendes Interesse des Beklagten ergibt, den Kläger nicht zu beschäftigen.



Der Beklagte ist zwar der Ansicht, dass es ihm unzumutbar ist, den Kläger im Sozialpsychiatrischen Dienst, in dem der Kläger zuletzt eingesetzt war, weiter zu beschäftigen und bezieht sich hierfür insbesondere auch darauf, dass den Sachbearbeitern im Sozialpsychiatrischen Dienst eine immense Verantwortung obliege, die uneingeschränktes Vertrauen in ihre Person bedinge. Die von den Sachbearbeitern vorgenommenen Eintragungen in dem System ISGA stellten die einzige Möglichkeit einer Verlaufskontrolle für den Beklagten dar.



Der Beklagte verkennt, dass der Kläger seinen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht bezogen auf eine Sachbearbeitung im Sozialpsychiatrischen Dienst verfolgt, sondern weniger konkret bezogen auf den Tätigkeitsbereich eines Sozialarbeiters. Unstreitig ist der Kläger seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses bei dem Beklagten als Sozialarbeiter beschäftigt worden. Es dürfte daher jedenfalls Vieles dafür sprechen, dass sich seine Tätigkeit – auch in Ansehung des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 02.03.1992 (Bl. 641 d. A.) – auf die Aufgaben eines Sozialarbeiters konkretisiert hat.



Darüber hinaus lässt sich eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bereits nicht annehmen unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beklagte dem Kläger auch nach den intern getroffenen Feststellungen der Datenveränderungen (s. Vermerk vom 19.04.2014) und nach der Anhörung des Klägers vom 14.04.2014 bis zur Kenntnis von der Anklageerhebung am 16.09.2014 unverändert weiterbeschäftigt hat.



Dass dem Beklagten eine Weiterbeschäftigung außerhalb des Sozialpsychiatrischen Dienstes in einem anderen Bereich nicht zumutbar ist, vermochte dieser allein mit einem behaupteten Vertrauensverlust nicht darzutun. Die Unzumutbarkeit einer Beschäftigung als Sozialarbeiter erschließt sich vor allem deshalb nicht, weil der Kläger außerhalb des Bereichs des Sozialpsychiatrischen Dienstes von der Notwendigkeit vorzunehmender Dateneingaben in das System ISGA entbunden wäre.



III. Die Kostenentscheidung zu Lasten des mit dem Rechtsmittel unterlegenen Beklagten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



Gründe gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht gegeben.

Vorschriften§ 34 Abs. 2 TVöD, § 174 c StGB, § 170 Abs. 2 StPO, § 303 a StGB, § 626 Abs. 2 BGB, § 174 BGB, § 174 Satz 1 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX, § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 140 BGB, § 269 StGB, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit. c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 626 Abs. 1 BGB, § 174 Satz 2 BGB, BGB § 620, § 286 Abs. 1 ZPO, § 74 LPVG NW, § 74 Abs. 3 Satz 1 LPVG NW, § 74 Abs. 2 Satz 2 LPVG NW, § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 626 Abs.2 BGB, § 626 Abs. 1 Satz 1 BGB, §§ 85 ff. SGB IX, § 91 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB IX, § 91 Abs. 2 SGB IX, § 241 Abs. 2 BGB, § 323 Abs. 2 BGB, § 72 Abs. 3 Alt. 1 LPVG NW, § 102 BetrVG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG

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