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17.05.2016 · IWW-Abrufnummer 185890

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 27.08.2015 – 7 Sa 342/15

Trifft der spätere Insolvenzschuldner mit der Gerichtsvollzieherin zur Abwendung einer sonst drohenden Mobiliarpfändung eine Ratenzahlungsvereinbarung, so handelt es sich bei den innerhalb des Zeitraums des § 131 I Nr.2 InsO tatsächlich gezahlten Raten um anfechtbare inkongruente Zahlungen, auch wenn der Zwangsvollstreckungsauftrag und die Ratenzahlungsvereinbarung lange vor Beginn dieses Zeitraums erfolgt waren.


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.10.2014 in Sachen3 Ca 1622/14 h wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten um einen Rückzahlungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten nach erfolgter Insolvenzanfechtung.



Der Beklagte war im Jahr 2010 Arbeitnehmer des späteren Insolvenzschuldners. Für die Zeit vom 01.03. bis 03.05.2010 hatte er offenen Lohn in Höhe von 3.071,42 € zu beanspruchen, die in dem rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 11.01.2011, 3 Ca 1750/10 h, tituliert wurden.



Am 23.09.2011 beauftragte der Beklagte die zuständige Gerichtsvollzieherin mit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel vom 11.01.2011. Zur Abwendung der angedrohten Mobiliarzwangsvollstreckung sagte der Schuldner der Gerichtsvollzieherin zu, Ratenzahlungen auf die titulierte Geldsumme zu erbringen. Dementsprechend zahlte er sodann am 29.11.2011 295,00 €, am 27.12.2011 596,40 €, am 22.02.2012 1.196,40 €, am 29.05.2012 1.719,55 € und am 04.06.2012 17,89 €.



Im Zahlungszeitpunkt vom 29.05.2012 bestanden offene Forderungen gegen den Schuldner in Höhe von 12.559,56 €. Zugleich befand sich das einzige Konto des Schuldners bei einem Kreditlimit von 19.000,00 € mit 18.612,94 € im Minus.



Am 30.07.2012 beantragte der Schuldner selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 16.10.2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter ernannt.



Der Kläger hat in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter die Zahlungen des Schuldners an den Beklagten vom 29.05.2012 über 1.719,55 € und vom 04.06.2012 in Höhe von 17,89 € gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten und von dem Beklagten die Rückzahlung dieser 1.737,44 € verlangt. Hierüber streiten die Parteien.



Das Arbeitsgericht Aachen hat mit Urteil vom 21.10.2014 der Klage des Insolvenzverwalters stattgegeben. Es hat den Anspruch aus § 143 Abs. 1 S.1 InsO für begründet erachtet. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen.



Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Beklagten am 18.02.2015 zugestellt. Der Beklagte hat hiergegen am 17.03.2015 Berufung eingelegt und diese am 17.04.2015 begründet.



Der Beklagte und Berufungskläger ist der Auffassung, es habe keine inkongruente Deckung im Sinne von § 131 Abs. 1 InsO vorgelegen. Entscheidend sei nach Auffassung des Beklagten darauf abzustellen, dass der Zwangsvollstreckungsauftrag bereits am 21.09.2011 ausgebracht worden sei, also lange vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der in § 131 Abs. 1 InsO genannten Fristen. Die von der Gerichtsvollzieherin herbeigeführte Ratenzahlungsvereinbarung sei an die Stelle der Ausbringung einer Pfändung getreten. Zwischen der Zwangsvollstreckung vom 21.09.2011 und allen geleisteten Ratenzahlungen, auch den streitgegenständlichen vom 29.05.2012 und 04.06.2012, habe demnach Kongruenz bestanden. Im Zeitpunkt des Zwangsvollstreckungsauftrags am 21.09.2011 sei der Schuldner auch noch zahlungsfähig gewesen.



Der Beklagte und Berufungskläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.10.2014, 3 Ca 162/14 h, die Klage abzuweisen.



Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Der Kläger und Berufungsbeklagte beruft sich darauf, dass sich nach herrschender Meinung Zahlungen, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder unter Androhung derselben an den Gerichtsvollzieher geleistet werden, inkongruente Deckungen im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO darstellten.



Entscheidungsgründe



I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.10.2014 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen formgerecht eingelegt und begründet.



II. Die Berufung des Beklagten konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Berufungsgericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch auf der Basis des § 143 Abs. 1 S. 1 InsO begründet ist.



1. Gemäß § 143 Abs. 1 S. 1 InsO kann der Insolvenzverwalter verlangen, dass zur Insolvenzmasse zurückgewährt wird, was durch eine anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist. So liegt der Fall hier. Bei den Zahlungen, die der Insolvenzschuldner am 29.05.2012 in Höhe von 1.719,55 € und am 04.06.2012 in Höhe von 17,89 € an den Beklagten erbracht hat, handelt es sich um anfechtbare Handlungen im Sinne von § 143 Abs. 1 S. 1 InsO.



2. Gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewähren oder ermöglicht haben, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.



a. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverwalters wurde am 30.07.2012 gestellt. Die Zahlung vom 29.05.2012 lag innerhalb des Dreimonatsbereichs, diejenige vom 04.06.2012 innerhalb des Zweimonatsbereichs vor Stellen des Insolvenzantrags.



b. Der Insolvenzschuldner nahm die Zahlungen vom 29.05. und 04.06.2012 an den Beklagten auch vor, weil der Beklagte ihn unmittelbar mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 11.01.2011 bedroht hatte. Unter dem 23.09.2011 hatte der Beklagte bereits die zuständige Gerichtsvollzieherin mit der Zwangsvollstreckung beauftragt. Die Zwangsvollstreckung in Form der Mobiliarpfändung wäre unmittelbar erfolgt, wenn der Schuldner der Gerichtsvollzieherin nicht zugesagt hätte, die titulierte Summe in Raten abzutragen. Die Gerichtsvollzieherin hat die Ratenzahlungen quasi beigetrieben. Sie sind Bestandteil des Erledigungsprotokolls der Gerichtsvollzieherin (Bl. 12 d. A.).



c. Zahlungen des späteren Insolvenzschuldners an einen Gläubiger, die innerhalb des in § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO definierten kritischen Zeitraums an einen Gläubiger unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung und zur Abwendung derselben erfolgen, sind inkongruente Zahlungen im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO. Dies entspricht der ganz herrschenden höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur des Bundesgerichtshofs, sondern auch des Bundesarbeitsgerichts. So führt das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 24.10.2013, 6 AZR 466/12 u. a. Folgendes aus:



Das Berufungsgericht schließt sich dieser Rechtsprechung an.



d. Der ehemalige Arbeitgeber und spätere Insolvenzschuldner des Beklagten war im Zeitpunkt der hier streitigen Zahlungen vom 29.05. und 04.06.2012 auch bereits zahlungsunfähig. Dies ergibt sich daraus, dass nach der letztlich unwidersprochen gebliebenen Auskunft des Klägers im Zahlungszeitpunkt offene Forderungen gegen den Schuldner in Höhe von 12.595,56 € bestanden, der Schuldner aber zugleich sein Kreditlimit von 19.000,00 € bereits mit einem Minusbetrag auf seinem Konto in Höhe von 18.612,94 € nahezu lückenlos ausgeschöpft hatte. Auf die Kenntnis des Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kommt es nicht an.



3. Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Anspruch des Klägers auf Rückerstattung der in der kritischen Dreimonatszeit vor dem Insolvenzeröffnungsantrag geleisteten Zahlungen auch nicht entgegen, dass der Beklagte den Zwangsvollstreckungsauftrag bereits im September 2011, also lange vor Beginn des gesetzlich definierten kritischen Zeitraums gestellt hatte und die gegenüber der Gerichtsvollzieherin abgegebene Zusage des Schuldners, den titulierten Betrag ratenweise abzutragen, ebenfalls bereits im Jahr 2011 erfolgt ist, wie der Umstand belegt, dass die erste - hier nicht streitgegenständliche - Zahlung des Schuldners bereits am 29.11.2011 erfolgte.



a. Als anfechtbare Rechtshandlung im Sinne von § 131 Abs. 1 InsO ist hier nicht das gegenüber der Gerichtsvollzieherin bereits im Herbst 2011 abgegebene Versprechen des späteren Insolvenzschuldners zu sehen, die titulierte Summe, derentwegen die Gerichtsvollzieherin beauftragt war, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, in Raten abzutragen. Gemäß § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung nämlich als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Die durch das Ratenzahlungsversprechen bezweckte rechtliche Wirkung, den titulierten Anspruch des Beklagten zu erfüllen und dadurch die unmittelbar drohende Zwangsvollstreckung zu vermeiden, konnte nämlich erst in dem Zeitpunkt eintreten, in welchem der Beklagte tatsächlich gezahlt hat.



b. Der durch den Zwangsvollstreckungsauftrag vom 23.09.2011 und das Tätigwerden der Gerichtsvollzieherin erzeugte Druck auf den Schuldner bestand bei den einzelnen Zahlungszeitpunkten fort und aktualisierte sich in jedem Ratenzahlungszeitpunkt aufs Neue; denn selbst nachdem der Schuldner mit der Aufnahme von Ratenzahlungen bereits begonnen hatte, hätte die Gerichtsvollzieherin für den jeweils noch offenen Restbetrag jeweils jederzeit die bereits avisierte Pfändungsvollstreckung durchführen können. Dies gilt umso mehr, als zwischen dem Schuldner und der Gerichtsvollzieherin offensichtlich auch kein hinsichtlich Zeitpunkt und Höhe der Ratenzahlung gleichmäßiger Ratenplan vereinbart war, sondern der Schuldner in unregelmäßigen Abständen Zahlungen in unregelmäßiger Höhe erbrachte, offenbar so, wie es ihm gerade möglich war.



c. Die Zahlungen, die der Schuldner am 29.05. und 04.06.2012, also in der kritischen Zeit vor Stellen des Insolvenzantrags, unter dem fortbestehenden Druck der unmittelbar drohenden Durchführung der Zwangsvollstreckung erbracht hat, waren somit anfechtbar im Sinne von § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO.



III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.



Nach Auffassung des Berufungsgerichts war für den Beklagten gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zuzulassen, im Hinblick auf die genauere Klärung der Reichweite des § 140 Abs. 1 InsO.

Vorschriften§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, § 143 Abs. 1 S.1 InsO, § 131 Abs. 1 InsO, § 64 Abs. 2 b) ArbGG, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 143 Abs. 1 S. 1 InsO, § 140 Abs. 1 InsO, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG

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