26.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133683
Bundesgerichtshof: Urteil vom 24.10.2013 – III ZR 403/12
Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, verliert eine im Berufungsverfahren erhobene Widerklage entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung.
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Wöstmann, Tombrink, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Beklagten gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. November 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs tragen die Beklagten zu 1 und 3 zu je ein Viertel und der Beklagte zu 2 zur Hälfte.
Tatbestand
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Die Klägerin hat die mit ihr durch einen Treuhandvertrag verbundenen Beklagten auf quotale Zahlung wegen Darlehensforderungen der B. bank AG und der A. GmbH in Anspruch genommen, denen sich die Klägerin als persönlich haftende Gesellschafterin der A. OHG (geschlossener Immobilienfonds, an dem sich die Beklagten beteiligt haben) ausgesetzt sieht. Die Beklagten haben hilfsweise mit Schadensersatzansprüchen gegen die Klägerin wegen Verletzung von Aufklärungspflichten aufgerechnet.
2
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagten haben gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt und für den Fall, dass die von ihnen hilfsweise erklärte Aufrechnung unzulässig sein sollte, Hilfswiderklage erhoben. Die Klägerin hat gegen das Urteil des Landgerichts Anschlussberufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit einstimmigem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. In demselben Beschluss hat es die Anschlussberufung der Klägerin und die Hilfswiderklagen der Beklagten für wirkungslos erklärt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihre Hilfswiderklage weiter.
Entscheidungsgründe
3
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
I.
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Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht die von den Beklagten erhobene Hilfswiderklage einem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Ohne die Hilfswiderklage sei eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ohne weiteres möglich. Die Beklagten könnten diesen Weg nicht dadurch verhindern und eine mündliche Verhandlung erzwingen, dass sie erstmals in der Berufungsinstanz ihre Gegenansprüche nicht mehr im Wege einer unzulässigen Aufrechnung, sondern im Wege der Widerklage geltend machten. Die Bestimmung des § 533 ZPO habe keinen Vorrang gegenüber § 522 Abs. 2 ZPO. Auch eine erst in zweiter Instanz erhobene, gemäß § 533 ZPO zulässige Widerklage zwinge das Berufungsgericht daher nicht, von dem als Regelfall vorgesehenen Beschlussverfahren für - ungeachtet der Widerklage - offensichtlich erfolglose Berufungen gemäß § 522 Abs. 2 ZPO abzusehen. Es sei daher im Rahmen des durch § 522 Abs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens - trotz der damit für die Beklagten begründeten Notwendigkeit, einen neuen Aktivprozess anzustrengen - nicht geboten, von einer Zurückweisung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO abzusehen.
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Die Hilfswiderklage verliere mit der Zurückweisung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung. Die diesbezügliche Feststellung im Tenor des Zurückweisungsbeschlusses sei rein deklaratorischer Natur.
II.
6
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
7
1. Die Frage, ob über eine in zweiter Instanz erhobene Widerklage vom Berufungsgericht zu entscheiden ist oder ob die Widerklage entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verliert, wenn im Übrigen die Voraussetzungen für einen einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen, wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur uneinheitlich beantwortet:
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a) Nach der überwiegend vertretenen Auffassung, der das Berufungsgericht folgt, werden mit dem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO eine zweitinstanzlich erhobene Widerklage, eine zweitinstanzliche Klageerweiterung und ein zweitinstanzlicher Hilfsantrag entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos (OLG Rostock, NJW 2003, 3211 [OLG Rostock 12.06.2003 - 3 U 96/03] [Klageerweiterung und Widerklage]; OLG Frankfurt am Main, NJW 2004, 165, 167 f [Widerklage] sowie OLGR 2004, 48 [Klageerweiterung]; KG, NJW 2006, 3505 [Hilfsantrag]; OLG Düsseldorf, OLGR 2007, 465 [Hilfsantrag]; OLG Nürnberg [2. Zs.], MDR 2007, 171 f [Klageerweiterung]; MüKoZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 522 Rn. 35; Musielak/Ball, ZPO, 10. Aufl., § 522 Rn. 28a; Wulf in BeckOK, ZPO, § 522 [01.04.2013] Rn. 16; Vossler, MDR 2008, 722, 724; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 522 Rn. 37 [für nach § 533 ZPO nicht zuzulassende Änderungen im Prozessverhalten]).
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aa) Die Zivilprozessordnung enthalte für diese Verfahrenssituation keine ausdrückliche Regelung. Auch bestehe kein Vorrang der §§ 263, 533 ZPO beziehungsweise des § 264 Abs. 2 ZPO vor der Verfahrensregelung des § 522 ZPO (OLG Nürnberg aaO). Klageerweiterung und Hilfswiderklage seien in zweiter Instanz in gleicher Weise von einer zulässigen und erfolgversprechenden Berufung abhängig wie die Anschlussberufung, so dass sich die Regelung des § 524 Abs. 4 ZPO auf diese beiden Konstellationen übertragen lasse (OLG Rostock aaO; OLG Frankfurt am Main, NJW 2004, 165, 167 f).
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bb) Die Systematik des § 522 Abs. 2 ZPO lasse keinen Raum für die Wahrung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer Entscheidung über einen nach den §§ 263, 533 ZPO beziehungsweise nach § 264 Abs. 2 ZPO geänderten Streitgegenstand (OLG Nürnberg aaO). Prozesshandlungen, die nach diesen Vorschiften zu einer Änderung des Streitgegenstands führten, bedürften gemäß § 297 ZPO einer Antragstellung in der mündlichen Verhandlung. Die Bestimmung des § 522 Abs. 2 ZPO sehe dagegen vollständig vom Mündlichkeitsgrundsatz ab. Eine Verhandlung sei ausgeschlossen. Damit sei in diesem Verfahren der Zugang zu solchen Prozesshandlungen versperrt, die vor der Entscheidung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedürften (OLG Nürnberg aaO; OLG Frankfurt am Main, NJW 2004, 165, 168; Vossler aaO).
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cc) Es werde zudem der Normzweck des § 522 Abs. 2 ZPO einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits sowohl im öffentlichen wie im Interesse des Berufungsbeklagten unterlaufen, wenn in die Prüfung der Erfolgsaussicht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch die Frage einbezogen werde, ob eine Widerklage nach § 533 ZPO zulässig und - bejahendenfalls - begründet sei (OLG Nürnberg aaO; MüKoZPO/Rimmelspacher aaO Rn. 21). Nach der Zivilprozessrechtsreform sei die Berufung im Wesentlichen als Instrument der Fehlerkontrolle ausgestaltet. Der Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO beschränke sich daher auf die Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils, soweit es vom Berufungskläger angegriffen werde (OLG Rostock aaO). Der Normzweck des § 522 Abs. 2 ZPO werde erst recht verfehlt, wenn der Berufungskläger im Wege einer - gegebenenfalls geringfügigen - Klageerweiterung oder Hilfswiderklage eine mündliche Verhandlung (auch) über seine (Haupt-)Berufung erzwingen könne, obwohl diese keine Erfolgsaussicht biete (OLG Rostock aaO; KG aaO; OLG Düsseldorf aaO; OLG Frankfurt am Main, OLGR 2004, 48, 51; MüKoZPO/ Rimmelspacher aaO; Zöller/Heßler aaO; Wulf aaO; Vossler aaO).
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dd) Eine Weiterverhandlung nach abschließender Erledigung des erstinstanzlichen Streitstoffs durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO könne nicht Zweck der Berufungsverhandlung sein, denn diese setze eine fortbestehende Beschwer des Rechtsmittelführers voraus (OLG Rostock aaO S. 3212; OLG Frankfurt am Main, OLGR 2004, 48, 51; Vossler aaO).
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Allein sachgerecht sei es daher, eine erweiterte Klage oder Hilfswiderklage des Berufungsklägers als wirkungslos zu betrachten, wenn die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückgewiesen werde. Dem Berufungskläger bleibe es unbenommen, die mit der Hilfswiderklage begehrte Feststellung zum Gegenstand eines gesonderten Prozesses zu machen (OLG Rostock aaO; KG aaO; Vossler aaO).
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b) Ein Teil der Rechtsprechung und der Literatur sieht demgegenüber eine erst in zweiter Instanz erhobene Widerklage und eine zweitinstanzliche Klageerweiterung im Fall einer Beschlusszurückweisung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht als wirkungslos an (OLG Köln, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - 2 U 108/03, [...] Rn. 16; OLG Nürnberg [13. Zs.], MDR 2003, 770 [OLG Nürnberg 24.02.2003 - 13 U 3187/02] f; OLG Koblenz, OLGR 2004, 17, 18 und OLGR 2008, 837, 838; Bub, MDR 2011, 84, 85 ff).
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aa) Eine entsprechende Anwendung von § 524 Abs. 4 ZPO komme schon deshalb nicht in Betracht, weil eine planwidrige Lücke fehle. Die Berufung im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO, die durch Beschluss zurückgewiesen werden könne, beziehe sich auf den durch die Berufungsanträge bestimmten Berufungsgegenstand. Danach sei auch über die erweiterte Klage oder die neue Widerklage zu entscheiden. Dagegen könne eine Beschränkung des Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO auf die Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils weder dem Wortlaut der Bestimmung noch der Begründung des Gesetzentwurfs zur Zivilprozessreform entnommen werden (Bub aaO).
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Zudem fehle es für eine entsprechende Anwendung von § 524 Abs. 4 ZPO auf zweitinstanzliche Klageerweiterungen und Widerklagen an einer Vergleichbarkeit der geregelten Prozesslage. Während die Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung in ihrem unselbständigen, akzessorischen Charakter begründet sei, handele es sich bei Erweiterungen der Klage und bei Widerklagen um selbständige und unbedingte Angriffe (Bub aaO).
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bb) Der Berufungskläger habe es auch nicht in der Hand, durch eine Klageerweiterung oder eine neue Widerklage eine mündliche Verhandlung und damit das Urteilsverfahren zu erzwingen, jedenfalls nicht ohne anerkennenswerten Grund. Lägen die Voraussetzungen des § 533