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25.10.2013 · IWW-Abrufnummer 133325

Oberlandesgericht München: Urteil vom 17.03.2011 – 1 U 5245/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht München
Urt. v. 17.03.2011

Az.: 1 U 5245/10

OLG München, 17.03.2011 - 1 U 5245/10

In dem Rechtsstreit
...
erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München
durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 03.02.2011
folgendes ENDURTEIL
Tenor:

I.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.11.2010, Az. 9 O 24807/09, wird zurückgewiesen.
II.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
1

Die Klägerin, die Witwe des am 07.10.2006 verstorbenen, gesetzlich krankenversicherten Patienten Alfred B., verlangt vom Beklagten die Rückzahlung bereits beglichener Arztrechnungen, den Ersatz von Zahlungen an (vom Beklagten eingeschaltete) Arztpraxen sowie die Feststellung, dass kein weiteres Honorar geschuldet werde.
2

Am 07.07.2004 wurde beim Patienten ein Rektumkarzinom diagnostiziert. Nachdem sämtliche klassischen therapeutischen Behandlungsmethoden erschöpft waren und aus schuldmedizinischer Sicht nur noch eine palliative Versorgung in Betracht kam, begab sich der Patient am 30.08.2006 in die Praxis des Beklagten, um sich über Möglichkeiten und Chancen alternativer Behandlungsmethoden zu erkundigen. Das Rektumkarzinom befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Endstadium und hatte eine Lymphknotenbeteiligung sowie eine Metastasierung in Leber und Lunge nach sich gezogen.
3

Dem Patienten wurden vom Beklagten und den von ihm hinzugezogenen Ärzten für den Zeitraum vom 30.08.06 bis 15.09.06 für Leistungen ein Gesamtbetrag von 6.906,44 EUR in Rechnung gestellt (Anlagen K 3 a - 3 g). Abgesehen von der Liquidation von 26.09.2006 (Anlage K 3 c) in Höhe von 1.234,94 EUR übernahm die Klägerin die Begleichung der Rechnungen. Die Krankenkasse des Patienten lehnte mit Schreiben vom 20.10.06 und 31.10.06 eine Rückerstattung der verauslagten Beträge ab.
4

Zwischen den Parteien wurde im Jahr 2008 ein Vorprozess über die Herausgabe der Patientendokumentation geführt. Der Beklagte wurde mit rechtskräftigem Senatsurteil vom 09.10.2008 zur Offenbarung der Dokumentation gegenüber der Klägerin verurteilt (Az. 1 U 2500/08).
5

Die Klägerin, die die Klage auf eigenes und auf abgetretenes Recht der Erbengemeinschaft stützt, hat geltend gemacht, der Beklagte habe ihrem Ehemann eine Besserung seiner Beschwerden bis hin zur möglichen Genesung durch eine von ihm entwickelte Eigenblutbehandlung in Aussicht gestellt. Er habe dem Patienten, der nur noch eine kurze Lebenserwartung gehabt habe, unter Hinweis auf wissenschaftliche Studien unrealistische Hoffnungen auf Heilungschancen gemacht. Tatsächlich handele es sich bei dem vom Beklagten angewendeten Verfahren um eine umstrittene, wissenschaftlich nicht anerkannte Methode, von der nach derzeitigen Erkenntnissen keinerlei therapeutische Wirkung zu erwarten sei. Eine Besserung oder gar Genesung des Patienten sei durch die Therapie ausgeschlossen oder zumindest gänzlich unwahrscheinlich. Die Behandlung, deren Durchführung abgesehen von der Erstuntersuchung mit Nichtwissen bestritten werde, sei gänzlich unbrauchbar und nicht indiziert gewesen. Der Beklagte müsse deshalb die verauslagten Kosten tragen und könne kein weiteres Honorar beanspruchen.
6

Die Klage werde zudem auf den Vorwurf mangelnder wirtschaftlicher Aufklärung gestützt. Der Beklagte habe den Patienten bzw. seine Angehörigen pflichtwidrig nicht darauf aufmerksam gemacht, dass die Behandlungskosten nicht von der Krankenkasse übernommen würden. Vielmehr habe der Beklagte versichert, dass eine Kostenübernahme seitens der Krankenkasse erfolge, obwohl er gewusst habe, dass diese aller Voraussicht nach eine Kostenerstattung ablehnen werde.
7

Wäre der Patient ordnungsgemäß vom Beklagten informiert worden, hätte er von einer Behandlung durch den Beklagten Abstand genommen.
8

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 5.671,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz aus einem Betrag in Höhe von 4.849,73 EUR seit dem 04.12.06, im Übrigen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die angefallenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Nebenforderung in Höhe von 827,05 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung jener Leistungen hat, die im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung von Alfred B. in der Zeit von 30.08.2006 bis zum 27.09.2006 von ihm erbracht und mit Liquidation vom 26.09.06 in Rechnung gestellt wurden.

9

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.
10

Der Beklagte hat erstinstanzlich eingewandt, der Klägerin komme es nicht auf die Erstattung der gezahlten Behandlungskosten an, sondern nur auf den Inhalt der Patientenunterlagen. Der Beklagte werde sich zu Erkrankungsdetails des Patienten im Hinblick auf dessen zu Lebzeiten geäußerten Wunsch, hierüber Dritten nichts zu offenbaren, nicht äußern. Im Übrigen habe der Beklagte beim Erstgespräch gegenüber dem Patienten und seinen Familienangehörigen keine Genesung, sondern eine Besserung der Beschwerden im Sinne einer palliativen Versorgung versprochen. Eine Symptomlinderung sei nicht nur mit einer tumorspezifischen Zytokintherapie aus Eigenblut, sondern kombiniert mit diversen schulmedizinischen Behandlungsmethoden angestrebt worden. Unzutreffend sei, dass mit den vom Beklagten eingesetzten Behandlungsmethoden - diese seien andere als die von der Klägerin beschriebenen Verfahren - kein positives Ergebnis erzielt werden könnten. Abgesehen davon würden ärztliche Studien die Wirksamkeit von Verfahren des Beklagten belegen.
11

Die gesetzliche Krankenkasse sei zur Übernahme der Kosten für die Therapie des Beklagten verpflichtet. Auf diesen Rechtsanspruch habe der Beklagte hingewiesen, auch habe er Hilfe bei der Durchsetzung angeboten. Eine Zusicherung, dass die Krankenkasse die Behandlungskosten übernehmen werde, habe der Beklagte dagegen nicht abgegeben. Letztlich sei die Kostenfrage für den Patienten auch nicht wichtig gewesen. Er habe für seine verbleibende Lebenszeit menschenwürdig behandelt werden wollen, was ihm der Beklagte ermöglicht habe.
12

Soweit die Klägerin eine völlig unbrauchbare Leistung des Beklagten behaupte, belege sie dies nicht. Gleiches gelte für ihre Behauptung, der Patient sei nur einmal vom Beklagten behandelt worden.
13

Die in Rechnung gestellten Gebühren seien ortsüblich und angemessen.
14

Das Landgericht hat der Klage ohne Durchführung einer Beweisaufnahme mit Urteil vom 03.11.2010 vollumfänglich stattgegeben. Die Kammer beurteilte die Weigerung des Beklagten, die Patientendokumentation herauszugeben als Beweisvereitelung gegenüber der Klägerin mit der Folge, dass mangels Indikation für die Behandlung die an den Beklagten bzw. Dritte gezahlte Vergütung nach § 280 Abs. 1 BGB erstattet werden müsse und auch kein weiteres Honorar geschuldet sei. Ergänzend wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil (Bl. 53 /64 d.A.).
15

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er weiterhin eine Abweisung der Klage anstrebt.
16

Der Beklagte rügt, das Landgericht habe zu Unrecht von einer Beweisaufnahme abgesehen. Der Beklagte habe mit Schriftsatz vom 02.11.2010 erklärt, er könne die Krankenunterlagen in allgemeine Behandlungsunterlagen und ihm anvertraute, höchstpersönliche Angaben des Patienten unterteilen und sei bereit, einem Gutachter diese allgemeinen Behandlungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Das Landgericht hätte das Beweisangebot berücksichtigen müssen und mittels Sachverständigengutachten das Fehlen einer medizinischen Indikation klären müssen. Nur ein Sachverständiger könne beurteilen, ob ihm die vom Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen ausreichten. Erst dann stelle sich das Problem der Beweisvereitelung.
17

Weiterhin sei daran festzuhalten, dass es der Klägerin nicht darum gehe, ob der Verstorbene fachgerecht behandelt worden sei, ihr Ziel sei die unzulässige Einsicht in die Patientendokumentation.
18

Der Beklagte beantragt,

das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
19

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
20

Die Klägerin ist der Auffassung, die erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung erklärte Bereitschaft zur Vorlage ausgewählter Teile der Behandlungsunterlagen sei verspätet. Zudem genüge eine lediglich selektive Vorlage einzelner Dokumente, wie sie der Beklagte beabsichtige, nicht. Das Beweisangebot sei untauglich, denn eine vom Urheber zensierte Dokumentation sei schlechthin unbrauchbar.
21

Im Termin vom 03.02.2011 hat der Senat dem Beklagten eine Frist zur Vorlage der Behandlungsunterlagen gesetzt. Mit Schriftsatz vom 17.02.2011 hat der Beklagte mehrere Dokumente vorgelegt.
Entscheidungsgründe
22

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Es kann dahinstehen, ob das Landgericht gehalten gewesen wäre, die mündliche Verhandlung im Hinblick auf den Schriftsatz des Beklagten vom 02.11.2010 (der dem Kammervorsitzenden erst nach Verkündung des Urteils vom 03.11.2010 vorgelegt wurde) nochmals zu eröffnen. Der Senat hat dem Beklagten ungeachtet etwaiger Verspätungseinwände die Möglichkeit gegeben, die Unterlagen vorzulegen, zu deren Offenbarung er bereit war. Das Vorbringen des Beklagten einschließlich der zuletzt vorgelegten Dokumente geben weder Veranlassung zur Erholung eines Sachverständigengutachtens, noch zu einer für den Beklagten günstigeren rechtlichen Beurteilung.
23

Im Einzelnen:
24

I.

1.

Der Senat beurteilt die Weigerung des Beklagten, sich zu der Behandlung des verstorbenen Patienten näher zu äußern und die Behandlungsdokumentation zu offenbaren, in Übereinstimmung mit dem Landgericht als beweisrechtlich relevant. Es blieb bis zuletzt weitestgehend im Dunkeln, ob und welche Behandlung konkret stattgefunden hat. Eine hinreichende Grundlage für die Erholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Indikation und Eignung etwaiger Behandlungsmaßnahmen ist nicht gegeben. Dies geht beweisrechtlich zu Lasten des Beklagten mit der Folge, dass - soweit eine Behandlung überhaupt angenommen werden kann - von einer fehlenden Indikation und Werthaltigkeit der Behandlung auszugehen ist. Rechtsfolge dieser Feststellung ist die Begründung eines Anspruchs auf Ersatz des aufgewendeten Honorars, § 280 Abs. 1 BGB. Ein Anspruch auf Zahlung der noch offenen Honorarrechnung besteht nicht.
25

a)

Die ärztliche Dokumentation dient zwar primär dem therapeutischen Interesse des Patienten und der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung bzw. Behandlungsfortführung hinsichtlich der Diagnose und Therapie. Sie bezweckt die Information sowohl des behandelnden Arztes, als auch dessen Vertreters im Verhinderungsfall, ebenso sonstiger Ärzte oder des Pflegepersonals. Für alle kann die Kenntnis vom Zustand des Patienten, der erstellten Diagnose, dem Verlauf der Behandlung und den durchgeführten oder anstehenden Maßnahmen und Medikation relevant sein, um eine fachgerechte Behandlung des Patienten sicherzustellen. Zu dokumentieren sind deshalb die Umstände, die für die Diagnose und Therapie nach medizinischem Standard wesentlich sind und deren Aufzeichnung und -7- Aufbewahrung für die weitere Behandlung des Patienten medizinisch erforderlich sind (BGH NJW 1999, 3408 [BGH 06.07.1999 - VI ZR 290/98]). Die ärztliche Dokumentation hat nicht die Funktion, dem Patienten Beweise für Schadensersatzansprüche in einem späteren Arzthaftungsprozess zu verschaffen (BGH NJW 1993, 2375 [BGH 23.03.1993 - VI ZR 26/92]).
26

Ungeachtet der medizinischen Funktion der ärztlichen Pflicht zur Dokumentation des Behandlungsgeschehens knüpft die Rechtsprechung jedoch an festgestellte Mängel oder Lücken der Behandlungsunterlagen im Arzthaftungsprozess auch beweisrechtliche Folgen. Zum einen gilt eine nicht dokumentierte, aber dokumentationsbedürftige Maßnahme bis zum Beweis des Gegenteils durch den Behandler als nicht durchgeführt (BGH VersR 1999, 190 [BGH 29.09.1998 - VI ZR 268/97]). Zum anderen kann eine fehlende oder mangelhafte Dokumentation den Patienten in derartige Beweisnot bringen, dass eine Beweislastumkehr gerechtfertigt ist (BGH MDR 1996, 261 [BGH 21.11.1995 - VI ZR 341/94]). Zum dritten gilt auch im Arzthaftungsprozess das Verbot der schuldhaften Beweisvereitelung mit der Folge, dass der Beweis für die benachteiligte Partei als geführt anzusehen ist (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., Rn. 17 ff zu§ 286 ZPO).
27

b)

Vorliegend hat die Klägerin das Behandlungsgeschehen betreffend ihren verstorbenen Ehemann - abgesehen von der ersten Konsultation, bei der sie unstreitig anwesend war - in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten. Der Beklagte hat sich bis zuletzt nicht dazu geäußert, wie die in Rechnung gestellten Termine mit dem Patienten verlaufen sind. Zu den Terminen vom 31.08.2006, 01.09.2006, 05.09.2006, 06.09.2006, 07.09.2006, 08.09.2006, 14.09.2006 und 15.09.2006 wurde überhaupt keine Dokumentation vorgelegt. Es besteht auch ohne sachverständige Beratung für den in Arzthaftungssachen spezialisierten Senat keinerlei Zweifel, dass die vom Beklagten in den Rechnungen aufgelisteten Maßnahmen (Infusionen, Tests u.a.) aus medizinischer Sicht dokumentationsbedürftig sind. Eine Rechnungsstellung ersetzt weder die gebotene Dokumentation noch die Darlegung im Prozess. Da eine entsprechende Dokumentation nicht vorgelegt wurde und der Beklagte auch nicht anderweitig die Durchführung dieser Maßnahmen dargetan und nachgewiesen hat, ist zugunsten der Klägerin davon auszugehen, dass die fraglichen Behandlungen nicht stattgefunden haben mit der Folge, dass die Klägerin das dafür gezahlte Honorar gemäß § 280 Abs. 1 BGB zurückverlangen kann.
28

Die einzigen Dokumente, die der Beklagte vorgelegt hat und die seine Konsultation durch den Patienten betreffen, sind Kopien von handschriftlichen Notizen vom 30.08.2010 und vom 13.09.2010, wobei für den 13.09.2010 Zeilen verdeckt geblieben sind. Alle anderen Dokumente betreffen nicht die fragliche Behandlung des Beklagten, sondern Gespräche des Beklagten mit der Klägerin oder Behandlungen und Feststellungen anderer Ärzte. Den vorgelegten Unterlagen kann nur entnommen werden, welche Angaben der Patient am 30.08.2010 gegenüber dem -8- Beklagten zu seinem bisherigen Krankheitsverlauf, der Behandlung bei anderen Ärzten, den dort gestellten Diagnosen und der aktuellen Medikation und den Beschwerden gemacht hat. Demnach handelte es sich bei dem Patienten um einen schwer krebskranken Mann, bei dem die konsultierten Ärzte die Möglichkeiten der schulmedizinische Behandlungen als erschöpft beurteilten und nur noch palliative Maßnahmen empfahlen.
29

Der Dokumentation kann nicht entnommen werden, welche medizinische Beurteilung der Beklagte am 30.08.2010 getroffen hat und welche Behandlung er - sei es am 30.08. oder in der Folgezeit - angesichts des Zustandes des Patienten für medizinisch sinnvoll erachtet und durchgeführt hat. Ein Vermerk über die in Rechnung gestellten Maßnahmen findet sich, abgesehen von der Position "Erhebung der Erstanamnese" nicht in den vorgelegten Unterlagen. Gleiches gilt für den 13.09.2010. Auch hier besagen die (im Übrigen unvollständigen) handschriftlichen Notizen nur, dass dem Patienten zur Aszites Punktion eine Lavage empfohlen wurde. Desweiteren sind zwei Medikamente (für Candida Infekt und für Blähungen) genannt. Ob und welche Behandlung erfolgt ist, kann der Dokumentation nicht entnommen werden.
30

Eine Dokumentation der in Rechnung gestellten Maßnahmen kann damit nichtfestgestellt werden. Es ist mangels Beweises des Gegenteils durch den Beklagtendavon auszugehen, dass eine Dokumentation von Maßnahmen nicht erfolgt istund die Maßnahmen auch nicht stattgefunden haben. Im Übrigen ermöglichenweder der Vortrag des Beklagten noch die vorgelegten Unterlagen, das Behandlungsgeschehen konkret nachzuvollziehen. Der Beklagte hat seine individuelleBehandlungsmethode im Verfahren auch nicht näher erläutert. Zum Vorbringender Klägerin hat er erklärt, dass dies nicht die Behandlung gewesen sei, die er beideren Ehemann eingesetzt habe. Hinsichtlich der Stellungnahmen der C. aus den Jahren 1998/1999 lässt sich ebenfalls nicht feststellen, ob der Patient in der dort beschriebenen oder in anderer Weise behandelt wurde.
31

Damit fehlt es in jeder Hinsicht an den notwendigen Grundlagen für die Erholung eines Sachverständigengutachtens. Es ist Aufgabe des Gerichts, dem Sachverständigen die maßgeblichen Anknüpfungstatsachen zum tatsächlichen Verlauf der Behandlung vorzugeben. Auf der Grundlage dieser Vorgaben beurteilt dann der Gutachter, ob eine Behandlung fachgerecht ist oder nicht. Vorliegend können Feststellungen zum konkreten Behandlungsgeschehen, zu dem der Sachverständige befragt werden könnte, mangels Kooperation des Beklagten nicht getroffen werden. Eine Beauftragung eines Sachverständigen scheidet damit aus.
32

c)

Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass er im Hinblick auf Äußerungen des verstorbenen Patienten daran gehindert sei, nähere Angaben zur Behandlung zu -9- machen bzw. Behandlungsunterlagen vorzulegen, folgt der Senat diesem Einwand nicht. Gleiches gilt für die Behauptung des Beklagten, die Klägerin sei nicht an der fachgerechten Behandlung ihres verstorbenen Ehemannes, sondern nur daran interessiert, unzulässigerweise Informationen aus der Patientendokumentation zu erlangen. Der Senat hat sich mit den Argumenten des Beklagten bereits in seinerEntscheidung vom 09.10.2008, Az. 1 U 2500/08 auseinander gesetzt und eine Rechtfertigung der Verweigerung der Herausgabe der Behandlungsunterlagen verneint. Auf die Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Neue Argumente, die Veranlassung zu einer Revision dieser Rechtsauffassung geben würden, bringt der Beklagte nicht vor. Soweit der Beklagte auf eine Entscheidung des EuGH zur unzulässigen Offenbarung personenbezogener Daten im internet hinsichtlich erhaltener Agrarsubventionen verweist (EuGH vom 9.11.2010, Az. C-92/09 und C 93/09), vermag der Senat in der Entscheidung des EuGH keine der Beurteilung des Senats widersprechenden Aussagen zu erkennen. Der Senat hält daran fest, dass es dem Beklagten möglich und zumutbar war und ist, sich zur Behandlung des Patienten im Einzelnen zu äußern und die darüber gefertigte Dokumentation vollständig vorzulegen.
33

d)

Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass der Beklagte seine prozessuale Obliegenheit zur Darlegung des Behandlungsgeschehens und zur Vorlage der Patientendokumentation schuldhaft verletzt und dadurch in vorwerfbarer Weise die Sachaufklärung und Beweisführung der Klägerin in unzumutbarer Weise erschwert hat. Dies hat zur Folge, dass deren Behauptung, die gesamte Behandlung des Beklagten sei nicht indiziert und gänzlich nutzlos gewesen, prozessual als zutreffend zu unterstellen ist.
34

e)

Daraus folgt, dass der Klageanspruch begründet ist. Da der Arztvertrag ein Dienst- und kein Werkvertrag ist, wird der Vergütungsanspruch des Arztes zwar grundsätzlich nicht berührt, wenn die Behandlung keine Besserung des Patienten bewirkt. Unterläuft dem Arzt ein Behandlungsfehler, ist umstritten, ob der Honoraranspruch des Arztes dadurch entfällt. Mit der überwiegenden Rechtsprechung (vgl. Nachweise bei Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Auflage, Stichwort "Rückerstattung von Honorar", R 9) bejaht der Senat eine Berechtigung zur Zahlungsverweigerung bzw. einen Wegfall des Vergütungsanspruchs (entsprechend § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB analog oder § 242 BGB) bei nicht indizierten und gänzlich wertlosen, unbrauchbaren oder nutzlosen fehlerhaften Behandlungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arzt Behandlungen selbst vorgenommen hat oder ob er andere Ärzte (Laborärzte) zu Leistungen im Rahmen einer nicht indizierten und für den Patienten nutzlosen Behandlung veranlasst hat. Auch hinsichtlich dieser Honorarforderungen hat der Patient einen Anspruch auf Freistellung bzw. Erstattung gegenüber dem Behandler nach § 280 BGB, den die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit für diesen Schaden trifft.
35

2.

Ob der Beklagte darüber hinaus seine Verpflichtung zur wirtschaftlichen Aufklärung des Patienten verletzt hat (vgl. hierzu BGH vom 09.05.2000, Az. VI ZR 173/99, Rn. 33 zitiert nach [...]) kann dahinstehen. Einer Beweisaufnahme über den Inhalt des strittigen Gesprächs bedurfte es nicht.
36

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
37

Die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach den §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.
38

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch besteht das Erfordernis, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen. Dass für den Patienten Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr in Betracht kommen, wenn die Behandlerseite Krankenunterlagen nicht vorlegt und die Nichtverfügbarkeit der Unterlagen vom Arzt zu verantworten ist, ist höchstrichterlich geklärt (vgl. u.a. BGH MDR 1996, 261). Die Frage, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die unstreitig nach wie vor in seinem Besitz befindlichen Behandlungsunterlagen zu offenbaren, hat der Senat mit rechtskräftigem Urteil vom 09.10.2008 (Az. 1 U 2500/08) entschieden.

RechtsgebietBGBVorschriften§ 280 Abs. 1 BGB

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