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31.03.2011 · IWW-Abrufnummer 111053

Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 11.01.2011 – 10 W 56/10

1. Die Prüfung, ob der Dritte die Duldung der Begutachtung seines Gegenstandes (hier: seines Gebäudes) zu Recht wegen Unzumutbarkeit verweigert, ist gemäß §§ 144 Abs. 2 S. 2, 387 ZPO in einem Zwischenstreit mit förmlicher Beteiligung des Dritten vorzunehmen.



2. Wurde ohne förmliche Beteiligung des Dritten entschieden, dass er eine Maßnahme nach § 144 Abs. 1 ZPO zu dulden hat, steht dem Dritten als materiell Betroffenen das verfahrensrechtlich gegen die Entscheidung vorgesehene Rechtsmittel zu.


10 W 56/10

In Sachen

- Kläger -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte

gegen

- Beklagter -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte

Beteiligte:

- Dritte / Beschwerdeführerin -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte

wegen Forderung; hier: Maßnahme nach § 144 I 3 ZPO

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Kober

Richter am Oberlandesgericht Müller-Deppisch

Richter am Oberlandesgericht Rast

beschlossen:

Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 17.11.2010. AZ: 15 O 322/08,

a u f g e h o b e n ,

soweit der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen wurde, und das Verfahren zur Verhandlung und erneuten Entscheidung an das Landgericht

z u r ü c k v e r w i e s e n .

2. Über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat das Landgericht im durchzuführenden Zwischenstreit zu entscheiden.

Streitwert des Beschwerdeverfahrens: 13.226,47 €

Gründe
I. Die Parteien streiten um die Abrechnung eines nicht vollständig durchgeführten Werkvertrags, den die Klägerin und die Beklagten für Leistungen am Gebäude der Beschwerdeführerin abgeschlossen hatten.

Nachdem sich im Rahmen der Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen herausgestellt hatte, dass für eine Prüfung des Kündigungsgrundes der Klägerin eine Bauteilöffnung an der Fassade des Gebäudes der Beschwerdeführerin erforderlich wird, hat die Klägerin beantragt anzuordnen, dass die Beschwerdeführerin die vom Sachverständigen angekündigten Untersuchungsmaßnahmen an der Fassade ihres Gebäudes zu dulden hat. Nachdem die Beschwerdeführerin nicht bereit war, die Fassade ihres Gebäudes für Untersuchungen des Sachverständigen zur Verfügung zu stellen, hat das Landgericht Stuttgart mit Beschluss vom 16.6.2010 die Beschwerdeführerin verpflichtet, die angekündigten Untersuchungsmaßnahmen zu dulden und hat der Klägerin für eventuelle Schäden und Beeinträchtigungen durch die Untersuchungen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,-- € auferlegt.

Dagegen hat die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde eingelegt und zuletzt beantragt, den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 16.6.2010 (15 O 322/08) aufzuheben, hilfsweise, eine Sicherheit in Höhe von 20.000,-- € von der Klägerin abzuverlangen. Die Beschwerdeführerin sei zur Duldung der vom Sachverständigen angekündigten Untersuchungsmaßnahmen nicht verpflichtet, weil sie unzumutbar seien. Einem relativ niedrigen Streitwert des Rechtsstreits stünde auf Seiten der Beschwerdeführerin, die an dem Rechtsstreit nicht beteiligt sei, eine Substanzverletzung mit einem hohen Schadensrisiko gegenüber. Den geplanten Untersuchungen des Sachverständigen wohne ein Gefahrenpotential inne, weil dieser im Hinblick auf die vorzunehmenden Bohrungen von Prämissen ausgehe, deren Vorliegen ungewiss sei. Eingriffe seien schon immer dann unzumutbar, wenn sie bleibende Schäden, seien sie auch ästhetischer Natur, zurücklassen könnten. Die Beschwerdeführerin habe am Ergebnis der Begutachtung kein eigenes Interesse. Eventuelle Gewährleistungsansprüche der Beschwerdeführerin seien durch die Untersuchungsmaßnahmen gefährdet, weil die Beschwerdeführerin gegebenenfalls nachzuweisen habe, dass ein Mangel nicht von den Untersuchungsmaßnahmen des Sachverständigen herrühre. Die Beklagte sei zu einer Erklärung, wonach mögliche Gewährleistungsansprüche durch die Untersuchungsmaßnahmen des Sachverständigen nicht berührt werden sollten, nicht bereit. Die vom Landgericht verlangte Sicherheit für mögliche Schäden und Beeinträchtigungen sei unzureichend.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass der Eingriff des Sachverständigen in die Bausubstanz der Fassade des Gebäudes der Beschwerdeführerin im tatsächlich erforderlichen Umfang zumutbar sei. Es gehe um lediglich maximal 42 Bohrungen, wobei die Bohrlöcher wieder fachgerecht verschlossen würden. Durch die Untersuchungen des Sachverständigen könne die Beschwerdeführerin erfahren, ob die streitbefangene Fassade ordnungsgemäß und vertragsgerecht gedämmt worden sei.

Mit Beschluss vom 17.11.2010 hat das Landgericht Stuttgart der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen und die zu leistende Sicherheit auf insgesamt 20.000,-- € festgesetzt. Im Übrigen hat es der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und klargestellt, dass sich die Duldungspflicht der Beschwerdeführerin auf insgesamt 55 Bohrungen an der Westfassade ihres Gebäudes in einer Höhe von 5,50 Meter erstreckt.

Mit Verfügung vom 8.12.2010 hat der Senat Bedenken gegen die Verfahrensweise des Landgerichts geäußert und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Beschluss vom 7.1.2011 hat der Einzelrichter gemäß § 568 Satz 2 ZPO das Beschwerdeverfahren dem Senat zur Entscheidung übertragen.

II. Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin war der Beschluss des Landgerichts vom 17.11.2010 aufzuheben, soweit der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen wurde, und das Verfahren zur Durchführung eines Zwischenstreits an das Landgericht zurückzuverweisen.

1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin ist statthaft. Sie ist zwar eine am Verfahren bislang formal nicht beteiligte Dritte. Ausweislich des Rubrums der Beschlüsse des Landgerichts wurde die Beschwerdeführerin nicht als Beteiligte des Verfahrens behandelt, obwohl der Beschwerdeführerin vom Landgericht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war. Die Beschwerdeführerin ist als Dritte, in deren Eigentum durch die Beschlüsse des Landgerichts vom 16.6.2010 und 17.11.2010 eingegriffen werden soll, jedoch materiell tatsächlich betroffen. Deshalb steht ihr auch als am Verfahren nicht beteiligter Dritten ein Beschwerderecht zu (vgl. Zöller-Heßler, ZPO 27. Aufl. § 567 RN 6).

Die Beschwerde ist ordnungsgemäß eingelegt worden.

2. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Anordnung der Duldung einer Sachverständigenbegutachtung der Fassade ihres Gebäudes mit der Begründung, dass diese Duldung nicht zumutbar sei (§ 144 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3, Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Prüfung, ob die Beschwerdeführerin die Duldung zu Recht wegen Unzumutbarkeit verweigert, ist gemäß §§ 144 Abs. 2 S. 2, 387 ZPO in einem Zwischenstreit mit förmlicher Beteiligung der Beschwerdeführerin vorzunehmen.

Gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 ZPO gelten für die Duldung einer Maßnahme durch Dritte die §§ 386 -390 ZPO entsprechend. § 144 Abs. 2 S. 2 ZPO bezieht sich auf den gesamten Satz 1 des § 144 Abs. 2 ZPO und damit auch auf die Unzumutbarkeit. Dies ergibt sich zum einen aus Wortlaut des § 144 Abs. 2 S. 2 ZPO, der sich nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht in § 144 Abs. 2 S. 1 2. Var. ZPO beschränkt. Zum anderen entspricht ein solches Verständnis den Gesetzesmaterialien, wonach der Verweis auf die Vorschriften der §§ 386 - 390 ZPO die Verhängung entsprechender Ordnungs- und Zwangsmittel bei unberechtigter Nichtbefolgung der gerichtlichen Anordnung ermöglichen soll (BT-Drucks. 14/4722, S. 79). Dieser Zweck gilt unabhängig davon, ob der Dritte sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht oder auf Unzumutbarkeit beruft.

Die Anwendung der §§ 386 ff. ZPO bei der Berufung eines Dritten auf Unzumutbarkeit gemäß § 144 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist auch sachgerecht. Die Durchführung eines Zwischenstreits über die Frage der Zumutbarkeit in entsprechender Anwendung des § 387 ZPO i.V.m. § 144 Abs. 2 Satz 2 ZPO wahrt die Rechte des belasteten Dritten, weil er durch den Zwischenstreit förmlich beteiligt wird. Er ist neben dem Beweisführer Partei des Zwischenstreits. In einem Zwischenstreit ergeht mit dem Zwischenurteil eine Kostenentscheidung über die zusätzliche Kosten des Zwischenstreits, so dass der Dritte, falls seine Verweigerung der Mitwirkung wegen Unzumutbarkeit berechtigt war, die Erstattung seiner Kosten für die Geltendmachung der Unzumutbarkeit nach Maßgabe des § 91 ZPO verlangen kann. Darüber hinaus ermöglicht nur ein Zwischenstreit durch eine Kostenentscheidung im Zwischenurteil, dem Dritten die durch den Zwischenstreit entstandenen zusätzlichen Kosten des Beweisführers aufzuerlegen, soweit dessen Verweigerung der Duldung wegen Unzumutbarkeit unberechtigt war. Als Partei eines Zwischenstreits hat der Dritte ein Rechtsmittel gegen die ihn belastende Entscheidung, die ihn zur Duldung zwingt (§ 387 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 144 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Die Vorgehensweise des Landgerichts, nur durch eine im Gesetz nicht vorgesehene informatorische Anhörung des Dritten ohne förmliche Beteiligung am Gerichtsverfahren dessen Duldungspflicht nach Verweigerung der Mitwirkung durch Beschluss festzustellen, bietet diese Teilhabe des Dritten am Gerichtsverfahren mit einem für ihn möglicherweise belastenden Ausgang nicht.

Eine Beschränkung der Verweisung des § 144 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur für Fälle der Zeugnisverweigerung würde, wenn sich der Dritte neben einem Zeugnisverweigerungsrecht auf die Unzumutbarkeit der Duldung beruft, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Aufspaltung des Gerichtsverfahrens - Zwischenstreit über das Zeugnisverweigerungsrecht mit Beteiligung des Dritten und Beschlussfassung über die Zumutbarkeit ohne förmliche Beteiligung des Dritten - führen.

3. Danach hätte die sofortige Beschwerde nicht als solche behandelt werden dürfen, sondern allein als Verweigerung der Duldung durch die Dritte angesehen werden müssen. Mit Schriftsatz vom 22.7.2010 hat die Klägerin die Duldungsverweigerung gerügt. Dies hätte gemäß § 397 ZPO zu einem Zwischenstreit führen müssen, dessen Parteien die Klägerin und die Dritte sind. Nach mündlicher Verhandlung oder Anordnung des schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO hätte ein Zwischenurteil ergehen müssen, das eine Kostenentscheidung betreffend die Parteien des Zwischenstreits beinhaltet. Daran fehlt es hier. Dies ist vom Landgericht nachzuholen. Erst dieses Zwischenurteil ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

Angesichts des wesentlichen Verfahrensfehlers des Landgerichts ohne förmliche Beteiligung der Beschwerdeführerin, ohne Durchführung der erforderlichen Verhandlung und ohne Erlass eines Zwischenurteils samt Nebenentscheidungen sieht sich der Senat nicht in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden. Das Verfahren wird deshalb an das Landgericht zur Nachholung des Zwischenstreits und der Entscheidung durch Zwischenurteil zurückverwiesen.

4. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei (Nr. 1812 KV/GKG). Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem Landgericht übertragen, da der Ausgang des Zwischenstreits und damit das Maß des Obsiegens und Unterliegens noch offen ist.

Der Streitwert des Zwischenstreits orientiert sich am Interesse der beweisführenden Partei an der Beweisaufnahme und deren Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits (Schneider/Herget Streitwertkommentar 12. Aufl. RN 6363f). Die Beweisaufnahme mit den Bauteilöffnungen an der Westfassade des betroffenen Gebäudes dient der Klärung des Anfechtungs- bzw. Kündigungsgrundes der Klägerin nach § 9 VOB/B, für den diese beweisbelastet ist, und betrifft sowohl die Frage der Erstattungsfähigkeit der abgerechneten Wartestunden von 14.000,- € als auch die Abwehr der Gegenforderungen wegen Mehrkosten der Ersatzvornahme in Höhe von 12.452,94 €. Wegen offener Fragen bei der Höhe der jeweiligen Ansprüche, die durch die streitgegenständliche Beweisaufnahme nicht geklärt werden, bemisst der Senat den Streitwert des Beschwerdeverfahrens mit der Hälfte dieser Forderungen, insgesamt also mit 13.226,47 €.

RechtsgebietVerfahrensrechtVorschriften§ 144 Abs. 1 S. 3 ZPO § 144 Abs. 2 ZPO § 387 ZPO

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