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22.12.2010 · IWW-Abrufnummer 103311

Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 10.06.2010 – 18 U 154/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Hamm
18 U 154/09
Tenor: Die Berufung der Beklagten gegen das am 24. Juni 2009 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 24. Juni 2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert die Beklagte mit weniger als 20.000 €. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von einer Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
1.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Leistung von Schadensersatz wegen einer fehlerhaften Beratung im Rahmen des zwischen den Parteien geschlossenen Maklervertrages vom 22.12.2006.Das hat das Landgericht zutreffend gesehen. Es wird von der Beklagten auch mit der Berufung nicht in Frage gestellt. Denn sie hat die Berufung ausdrücklich auf die Frage des Mitverschuldens des Klägers beschränkt und die Feststellung der Haftung der Beklagten dem Grunde nach nicht angegriffen.
Danach ist davon auszugehen, dass die Beklagte dem Kläger auf Schadensersatz aus §§ 42 e, 42 c Abs. 1 VVG in der vom 22.05.2007 bis 31.12.2007 geltenden Fassung aufgrund einer fehlerhaften Beratung im Zusammenhang mit der Kündigung der bisherigen Krankenversicherung für Y, den Sohn des Klägers, am 31.07.2007 haftet. Denn die Pflichten des Versicherungsmaklers gehen weit (vgl. im Einzelnen BGH, VersR 2009, 1495, bei juris; NJW-RR 2007, 1503, bei juris; BGHZ 94, 356; Senat, Urteil vom 03.09.2007, 18 U 179/06, bei juris). Als treuhänderischer Sachwalter schuldet er dem Versicherungsinteressenten Beratung und Betreuung in Bezug auf den zu vermittelnden Vertrag (OLG Frankfurt, RuS 2009, 218, bei juris). Er muss auf Risiken besonders hinweisen, wobei sich diese Pflichten auch auf die Abwicklung etwaiger Vorverträge erstrecken.
Hier hätte der Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge Q, in dem am 25.07. oder 31.07.2007 geführten Gespräch mit der Ehefrau des Klägers ausdrücklich davon abraten müssen, die bestehende Versicherung bei der X-Versicherung zu kündigen, bevor gewährleistet war, dass der angestrebte Versicherungsvertrag mit dem neu gewählten Versicherer, der X2, zu den gewünschten Konditionen zustande kommt.
Der Zeuge Q wusste als Versicherungsmakler, dass das Zustandekommen dieses neuen Vertrages jedenfalls so lange nicht gesichert war, bis gegenüber der X2 sämtliche Gesundheitsfragen detailliert beantwortet wurden und diese das von ihr geforderte Gesundheitsheft eingesehen hat. Er wusste auch, dass die knappe Beantwortung der von ihm behaupteten allgemein gehaltenen Fragen nach der Gesundheit und etwaigen Vorerkrankungen des Y noch keine ausreichende Beurteilungsgrundlage darstellte, um mit Gewissheit vom Zustandekommen des Vertrages auszugehen. Dass ihm dies bekannt war, zeigt sich in dem von ihm behaupteten Drängen auf Vorlage des Untersuchungsheftes.
Vor diesem Hintergrund war er gehalten, dem Kläger nicht nur die Risiken einer Kündigung aufzuzeigen, sondern ausdrücklich davon abzuraten.
Durch die Kündigung und das nicht Zustandekommen des Folgevertrages ist dem Kläger insoweit ein Schaden entstanden, als dieser, um zu verhindern, dass sein Sohn Y ab dem 01.11.2007 ohne Versicherungsschutz dastand, einen neuen Versicherungsvertrag mit dem bisherigen Versicherer abgeschlossen hat, der gegenüber dem bisherigen Vertrag eine deutlich höhere Prämienbelastung und darüber hinaus Leistungsausschlüsse für Motopädie, Ergotherapie und Logopädie mit sich brachte.
Die Pflichtverletzung der Beklagten ist auch kausal für den eingetretenen Schaden. Es gilt die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens, d.h., es ist davon auszugehen, dass sich der Kläger so verhalten hätte, wie es die Beklagte richtigerweise empfohlen hätte (Senat, Urteil vom 8.10.2009, 18 U 26/08, bei juris; Palandt, BGB, 69. Aufl., § 280 Rn. 39 m.w.N..). Somit ist zugrunde zu legen, dass der Kläger im Falle einer ordnungsgemäßen Beratung den alten Vertrag nicht gekündigt hätte.
2.
Die so begründete Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz wird nicht eingeschränkt durch die von der Beklagten mit der Berufung geltend gemahten Einwände eines Mitverschuldens des Klägers bei der Entstehung des Schadens und eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht.
a.
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass ein Mitverschulden des Klägers bei der Entstehung des Schadens gem. § 254 Abs. 1 BGB nicht vorliegt.
aa.
Im Falle einer fehlerhaften Beratung in Bezug auf bestehende Risiken kann der Beratungspflichtige dem Geschädigten jedenfalls grundsätzlich nicht entgegenhalten, er habe die Risiken auch ohne entsprechenden Hinweis des Beratungspflichtigen selbst erkennen und seine Entscheidung danach ausrichten müssen. Die gegenteilige Annahme stünde im Widerspruch zum Grundgedanken der Aufklärungs- und Beratungspflicht (vgl. zum Einwand des Mitverschuldens bei der Erteilung unrichtiger Auskünfte BGH NJW-RR 1998, 16). Der Sinn einer Inanspruchnahme der Beratung besteht gerade darin, über bestehende Risiken aufgeklärt zu werden und eine Entscheidungshilfe bei deren Beurteilung zu erhalten. Der Beratungspflichtige hat als der in Anspruch genommene Experte überlegenes Wissen und kann beim Geschädigten nicht voraussetzen und von diesem verlangen, dass dieser insoweit eigene Erkenntnisse hat und einbringt.
bb.
Daher wäre ein Mitverschulden hier allenfalls dann denkbar, wenn die Beklagte den Kläger in aller Deutlichkeit und ausdrücklich über das Risiko aufgeklärt hätte, dass es möglich ist, dass die X2 nach Vorlage aller Gesundheitsangaben und Einsicht in das Untersuchungsheft doch noch vom Abschluss des anvisierten Vertrages Abstand nimmt und der Sohn des Klägers dadurch nach Ablauf der bisherigen Versicherung ohne Versicherungsschutz dastehen könnte.
Beweisbelastet dafür, dass dem Kläger hier diese vollständige und zutreffende Beurteilungs- und Bewertungsgrundlage vermittelt wurde, ist insoweit schon nach allgemeinen Grundsätzen die Beklagte, die sich auf das Mitwirken eines Verschuldens des Klägers im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB beruft. Daher kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte schon allein aufgrund der Nichterfüllung der Dokumentationspflicht in Bezug auf das Gespräch vom 25. oder 31.07.2007 nach §§ 42 c und 42 d VVG in der vom 22.05.2007 bis 31.12.2007 geltenden Fassung beweispflichtig wäre.
Den Beweis einer solchen Aufklärung konnte die Beklagte indes nicht führen. Der Zeuge Q hat auf ausdrückliche Nachfrage des Senats erklärt, er könne nicht bestätigen, die Ehefrau des Klägers ausdrücklich darauf hingewiesen zu haben, dass die Möglichkeit bestand, dass die X2 auch ohne neu auftretende Krankheiten den Versicherungsantrag ablehnen könnte.
Zwar habe er erläutert, dass eine Rücknahme der Kündigung nicht ohne Weiteres möglich sei sowie dass dann, wenn zwischenzeitlich etwas passieren würde, Lücken im Versicherungsschutz auftreten könnten. Das genügt jedoch nach den oben dargelegten Anforderungen nicht, um dem Kläger eine ausreichende und zutreffende Beurteilungsgrundlage zu verschaffen, die mit sich bringen würde, dass ihm für die Entscheidung zur Kündigung der Versicherung ein Mitverschulden angelastet werden könnte.
Auch wenn im Rahmen dieses Telefonats die Ehefrau des Klägers erneut erklärt haben sollte, Y sei gesund, würde dies vor dem Hintergrund der Kenntnisse der Beklagten von den umfangreichen Prüfungen der X2 vor Annahme des Vertrages nicht zur Annahme eines Mitverschuldens führen.
Die Vernehmung der übrigen von der Beklagten benannten Zeugen war insoweit nicht erforderlich, da diese zu dem Inhalt des Gespräche vom 25. oder 31.07.2007 keine Angaben machen konnten.
cc.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf ein etwaiges Mitverschulden des Klägers unter dem Gesichtspunkt berufen, dass dieser auf die von der Beklagten behaupteten Fragen zur Gesundheit des Y mehrfach erklärt habe, dieser sei gesund und habe in der Vergangenheit lediglich einen Armbruch erlitten und gelegentlich einen Schnupfen gehabt. Daher kommt es auch insoweit auf die benannten Zeugen nicht an.
Die Beklagte behauptet nämlich schon nicht, beim Kläger bzw. seiner Ehefrau die relevanten Gesundheitsfragen der X2 genau abgefragt zu haben. Vielmehr habe der Zeuge Q in den Vorgesprächen nach "gesundheitlichen Belastungen und Vorerkrankungen", der "gesundheitlichen Situation" und zuletzt danach gefragt "ob sich was geändert" habe. Bei derart allgemein gehaltenen Fragen, ohne weitergehende Erläuterungen, konnte die Beklagte nicht damit rechnen, aussagekräftige und belastbare Informationen zu erlangen. Insoweit gilt, dass die zu erwartenden Antworten um so genauer sein werden, je genauer auch die Frage gestellt wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Beklagte – wie von ihr behauptet – den Kläger darauf hingewiesen haben sollte, dass insbesondere Gesundheitsfragen im Zusammenhang mit Versicherungsanträgen äußerst sorgfältig beantwortet werden müssen.
Somit konnte die Beklagte schon nach ihrer eigenen Darstellung hier daher nicht davon ausgehen, dass sie bereits sämtliche relevanten Gesundheitsangaben kannte, zumal die X2 auch noch das Gesundheitsheft verlangt, dessen Inhalt der Beklagten noch nicht bekannt war. Es bestand für die Beklagte kein Anlass, auf die Vollständigkeit der bisher gegebenen Antworten zu vertrauen und auf dieser Grundlage davon abzusehen, den Kläger umfassend über die Risiken aufzuklären und von der Kündigung abzuraten.
dd.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg geltend machen, der Kläger habe schon aufgrund der Tatsache, dass er in der Vergangenheit bereits einen Versicherungsantrag gestellt habe, die bestehenden Risiken kennen müssen. Schon der Umfang der damaligen Fragestellungen des Versicherers ist nicht dargelegt. Auch ließe sich aus der Kenntnis der üblichen Gesundheitsfragen nicht auf die Kenntnis der Risiken hinsichtlich des Versicherungsschutzes in einer Konstellation wie der vorliegenden schließen.
b.
Auch eine Anspruchskürzung gem. § 254 Abs. 2 BGB hat das Landgericht zu Recht verneint. Nach § 254 Abs. 2 BGB kommt eine Kürzung in Betracht, wenn der Geschädigte Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensminderung ergreifen würde. Abgrenzungskriterium ist dabei der Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. Palandt, BGB, 69. Aufl., § 254 Rn. 36).
Danach wird der Kläger grundsätzlich verpflichtet sein, im Rahmen des Zumutbaren eine gleichwertige, günstigere Versicherung zu wählen, um den Schaden gering zu halten.
Insoweit obliegt es indes der Beklagten, entsprechende alternative Versicherungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die dem Kläger keine relevanten Nachteile bringen. Dies gilt im vorliegenden Fall insbesondere, weil es zum Hauptaufgabenbereich der Beklagten als Versicherungsmaklerin gehört, entsprechende Angebote zu analysieren und zu vergleichen. Für einen diesbezüglichen Laien ist es gerade auf dem Gebiet der Krankenversicherung schwierig, aussagekräftige Angebote zu erhalten und miteinander zu vergleichen, da es zahlreiche maßgebliche Faktoren für die Auswahl des Versicherers gibt, die sich nicht nur auf die Prämienhöhe beschränken, sondern auch den Leistungsumfang, das Regulierungsverhalten, die Altersstruktur der übrigen Versicherungsnehmer der Versicherung und vieles mehr umfassen.
Der Kläger ist nur dann gehalten, für Y den Versicherer zu wechseln, wenn sich für ihn zweifelsfrei ergibt, dass das Alternativangebot auf der Leistungsseite mindestens gleichwertig mit der laufenden Versicherung ist.
aa.
Soweit die Beklagte auf das von ihr schon im Jahre 2007 vorgelegte Angebot der X3 Versicherung verweist, bestand schon deshalb keine Pflicht des Klägers, dieses anzunehmen, weil – was unbestritten geblieben ist – die X3 Versicherung verlangt hat, dass neben Y auch der Kläger selbst zu dieser Versicherung wechselt. Ein solcher Wechsel des eigenen Versicherers kann – wenn überhaupt – für den Kläger allenfalls dann zumutbar sein, wenn feststeht, dass auch hinsichtlich seiner eigenen Versicherung durch den Wechsel keine Nachteile drohen. Das hat die Beklagte nicht dargelegt.
bb.
Andere Angebote, die keinen zumutbaren Nachteil für Y bringen würden, hat die Beklagte bislang nicht dargelegt, so dass derzeit ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht vorliegt.
3.
Die Beklagte hat dem Kläger gem. § 249 Abs. 1 BGB den Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass die Beklagte dem Kläger nicht von der Kündigung der bestehenden Versicherung bei der X-Versicherung abgeraten hat. Hätte sie von der Kündigung abgeraten, wäre der Sohn des Klägers noch zu den alten Konditionen bei der X-Versicherung versichert.
Das Landgericht hat den zu leistenden Schadensersatz zutreffend ermittelt.
Insbesondere hat die Beklagte auch für die Zukunft die Mehrkosten in Bezug auf die monatlich zu entrichtenden Versicherungsprämien zu ersetzen.
Diese kann der Kläger als künftig wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 258 ZPO geltend machen. Wiederkehrende Leistungen i. S. des § 258 ZPO sind solche einseitigen Verpflichtungen, die sich in ihrer Gesamtheit als Folge ein und desselben Rechtsverhältnisses ergeben, so dass die einzelne Leistung nur noch vom Zeitablauf abhängig ist, ohne dass aber der Umfang der Schuld von vornherein feststeht (vgl. BGH NJW 1986, 3142, bei beck-online). Da feststeht, dass der Kläger bis auf Weiteres jeden Monat durch die Prämienzahlungspflicht ein weiterer – der jeweiligen Höhe nach derzeit vorhersehbarer – Schaden entsteht, dessen Fälligkeit allein vom weiteren Zeitablauf abhängt, und die Beklagte diesen aufgrund der oben dargelegten Pflichtverletzung zu ersetzen hat, sind die Voraussetzungen des § 258 ZPO vorliegend erfüllt. Die monatliche Mehrbelastung für die Versicherungsprämie beläuft sich derzeit auf 173,78 €. Soweit das Landgericht ausgeurteilt hat, dass die Zahlungen bis zum 3. Werktag eines Monats zu erfolgen haben, ist das Urteil durch die Beklagte nicht angegriffen worden.
III.
Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
IV.
Der Senat hat die Frage der Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO geprüft und hiervon abgesehen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zum Zwecke der Rechtsfortbildung oder zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung veranlasst ist.

RechtsgebieteBGB, VVGVorschriften§§ 42c, 42e Abs. 1 VVG a.F., § 254 BGB

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