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21.05.2010 · IWW-Abrufnummer 101011

Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 11.03.2010 – 9 U 77/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Karlsruhe
9. Zivilsenat in Freiburg
Im Namen des Volkes
Urteil
Im Rechtsstreit XXX
wegen Forderung u.a.
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2010 unter Mitwirkung von XXX
für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 12. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
I.
Die Parteien streiten um den Fortbestand einer Krankenversicherung und einer Krankentagegeldversicherung.
Der Kläger beantragte am 5. Juni 2006 auf einem einheitlichen Formular der Beklagten, eine Krankenversicherung nach dem Tarif „GS 4200“ nebst Pflegeversicherung nach Tarif PVN bei der Beklagten und eine Krankentagegeldversicherung bei der E. Krankenversicherung AG abzuschließen. Die Beklagte nahm den Versicherungsantrag – für die Krankentagegeldversicherung im Auftrag der E. Krankenversicherung AG – mit Schreiben vom 14. Juni 2006 an. Mit Schreiben vom 17. Juli 2008 trat die Beklagte – für die Krankentagegeldversicherung im Namen der E. Krankenversicherung AG – von den geschlossenen Verträgen zurück, weil der Kläger vorvertragliche Anzeigepflichten verletzt habe; ausgenommen vom Rücktritt war nur die Pflegeversicherung.
Hinsichtlich der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 12. Mai 2009 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Zu ergänzen ist, dass der Kläger im Mai 2008 für die Krankenversicherung, Versicherungsnummer 370.........5, vom bisherigen Tarif „GS“ zum Tarif „Economy“ wechselte. Hierzu füllte der Kläger am 5. Mai 2008 ein Formular der Beklagten für einen Versicherungsantrag aus. Für den Tarif „GS“ belief sich der Monatsbeitrag auf 96,91 € zuzüglich eines Zuschlags von 9,69 €. Der Monatsbeitrag des Tarifs „Economy“ betrug einschließlich des Zuschlags 157,08 €. Zudem wurde dem Kläger im Mai 2008 die Option eingeräumt, nach 4 oder 12 Jahren ohne erneute Risikoprüfung in eine Krankheitskostenversicherung mit höheren Leistungen zu wechseln („AV-P“ für einen monatlichen Beitrag von weiteren 4,50 €). Der bisherige Tarif sah eine „absolute Selbstbeteiligung“ von 4.200 € im Jahr vor; der neue Tarif sah keinen jährlichen Selbstbehalt vor. Die Beklagte führte die Versicherung des Klägers auch nach dem Antrag vom Mai 2008 unter der alten Versicherungsnummer. Als Versicherungsbedingungen waren nunmehr die MB/KK 2008 vereinbart.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger macht geltend, es handele sich bei der Vertragsänderung vom Mai 2008 um einen Neuabschluss im Sinne des Art. 1 EGVVG. Mithin richte sich der Rücktritt nach § 19 VVG n.F. Dessen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Der Kläger habe sich bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen nicht grob fahrlässig verhalten. Bei der „Gastritis“ habe es sich um eine leichte Magenverstimmung gehandelt, für die der Kläger noch nicht einmal Medikamente erhalten habe. Auch die „Zervikalneuralgie“ sei eine Bagatellerkrankung gewesen, weil der Kläger nur aufgrund eines im Volksmund als „Hexenschuss“ bezeichneten Vorfalls in Behandlung war. Die psychotherapeutischen Sitzungen schließlich seien nicht wegen einer Depression erfolgt. Der Kläger habe lediglich aufgrund der Trennung von seiner Freundin unter Gefühlsschwankungen gelitten; insoweit sei er nur bei drei Sitzungen in fünf Tagen psychiatrisch beraten worden. Insgesamt handele es sich bei diesen Behandlungen daher um Beschwerden, die von selbst vergehen, so dass der Kläger schon nicht verpflichtet gewesen sei, sie anzugeben.
Im übrigen sei das Rücktrittsrecht der Beklagten gemäß § 19 Abs. 4 VVG n.F. ausgeschlossen, weil sie den Vertrag nach ihrer eigenen Einlassung in erster Instanz auch in Kenntnis der verschwiegenen Umstände abgeschlossen hätte. Eine Gastritis führe nur zu einem Risikozuschlag von 30%, ein Zervikalsyndrom zu einem Zuschlag von 40%. Schließlich sei die gemäß § 19 Abs. 5 VVG n.F. erforderliche Belehrung über die Folgen einer unzureichenden Antwort auf die Gesundheitsfragen nicht zutreffend und hinreichend, so dass die Beklagte auch deshalb kein Rücktrittsrecht habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 12. Mai 2009 wie folgt abzuändern:
1) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 544,39 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13. September 2008 zu bezahlen;
2) festzustellen, dass die bei der Beklagten bestehenden Versicherungsverträge mit den Versicherungsnummern 370........5 und 370........8 unverändert fortbestehen und dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger vertragsgemäße Leistungen aus diesen Versicherungsverträgen zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie meint, der Rücktritt richte sich nach dem bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Recht, weil lediglich ein Tarifwechsel vorliege. Dieser stelle gemäß § 178 f VVG a.F. keinen neuen Vertrag dar. Entscheidend sei zudem, dass der Kläger bereits im Rahmen des Erstantrags im Jahr 2006 seine Anzeigepflicht verletzt habe. Auch die Alterungsrückstellungen aus dem Vertrag von 2006 seien dem Kläger beim Tarifwechsel anerkannt worden.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
1) Die Klage ist hinsichtlich der Krankheitskostenversicherung, Versicherungsnummer 370........5, unbegründet. Die Beklagte ist von diesem Vertrag mit Erklärung vom 17. Juli 2008 (Anlage B 7) wirksam zurückgetreten.
a) Auf den Rücktritt der Beklagten ist das VVG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung anzuwenden. Es handelt sich um einen Vertrag, der ein Versicherungsverhältnis zum Gegenstand hat, das bis zum Inkrafttreten des neuen VVG am 1. Januar 2008 entstanden ist (Art. 1 Abs. 1 EGVVG). Art. 2 Nr. 2 EGVVG ändert daran nichts.
Das Übergangsrecht stellt darauf ab, zu welchem Zeitpunkt das „Versicherungsverhältnis“ entstanden ist. Zur Auslegung dieses Begriffs kann auf Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB zurückgegriffen werden (Schneider, VersR 2008, 859). Auch hier hat der Gesetzgeber für Dauerschuldverhältnisse Altrecht für einen befristeten Zeitraum fortgelten lassen. Insoweit ist bereits zu Art. 229 § 5 EGBGB anerkannt, dass es grundsätzlich auch dann bei der Anwendung des alten Rechts bleibt, wenn ein Altvertrag nach dem maßgeblichen Stichtag geändert wird (BGH, NJW-RR 2007, 668, 669 Tz. 16; MünchKomm-BGB/Krüger, 4. Aufl. 2006, Art. 229 EGBGB Rn. 10). Gleiches gilt für Art. 1 Abs. 1 EGVVG. Der Gesetzgeber hat die vertraglichen Beziehungen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen zwar grundsätzlich dem neuen Recht unterwerfen wollen; zum Schutz der Parteien und ihres Vertrauens auf die bisherige Rechtslage verbleibt es aber für Versicherungsverhältnisse, die vor dem 1. Januar 2008 entstanden sind, für einen Übergangszeitraum bei der bisherigen Rechtslage. Diese gesetzgeberische Wertung rechtfertigt es, Versicherungsverhältnisse grundsätzlich auch dann bis zum 31. Dezember 2008 dem bisherigen VVG zu unterwerfen, wenn die Parteien nach Inkrafttreten des neuen VVG das bereits entstandene und sie bindende Versicherungsverhältnis auf vertraglichem Weg ändern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das bisherige Versicherungsverhältnis durch die vertraglichen Änderungen nicht wesentlich umgestaltet wird. Ausschlaggebend ist, ob der Versicherungsvertrag unter Wahrung seiner Identität lediglich modifiziert werden sollte (Bach/Moser/Staudinger, MB/KK, 4. Aufl. 2009, Einl. Rn. 58). Dies ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarungen, ihrer Wirkungen und einer Gesamtwürdigung der Umstände zu entscheiden.
Im Streitfall haben die Parteien Mitte 2006 einen Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. Damit war das Versicherungsverhältnis entstanden; beide Seiten waren daran gebunden. Insbesondere konnte sich die Beklagte nicht einseitig vom Versicherungsverhältnis lösen (§ 178a Abs. 4 VVG a.F.). Der im Mai 2008 vereinbarte Tarifwechsel führt nicht dazu, dass dies ein im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EGVVG neues Versicherungsverhältnis begründet. Vielmehr ist ein Tarifwechsel im Rahmen der privaten Krankenversicherung gemäß § 178f VVG a.F. (bzw. § 204 VVG i.d. bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung) grundsätzlich nicht als Abschluss eines neuen Vertrags zu verstehen, sondern lediglich als eine Fortsetzung des alten Vertrags zu geänderten Bedingungen (vgl. Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, § 204 Rn. 2; BVerwG, VersR 1999, 743; vgl. auch BVerwG, VersR 2007, 1253). So ist es auch im Streitfall.
Der Kläger erhielt nach wie vor Versicherungsschutz in vollem Umfang für den Krankheits- und Pflegefall. Beide Tarife betrafen eine Krankheitskostenvollversicherung. Die durch den Tarifwechsel herbeigeführten inhaltlichen Änderungen beschränkten sich auf die Frage, ob den Kläger eine jährliche Selbstbeteiligung von 4.200 € traf (bisheriger Tarif) oder nicht (neuer Tarif) und ob der Kläger ein Optionsrecht auf eine Krankheitskostenversicherung mit noch höheren Leistungen besaß (neuer Tarif) oder nicht (bisheriger Tarif). Die Leistungen aus der Pflegeversicherung blieben unverändert; die Altersrückstellungen wurden in vollem Umfang übertragen. Eine Wartezeit im neuen Tarif bestand nicht. Damit betrafen die Änderungen durch den Tarifwechsel keine wesentlichen Bestandteile des bisherigen Versicherungsverhältnisses. Die Beklagte hat das Versicherungsverhältnis auch unter der bisherigen Versicherungsnummer weitergeführt.
Hingegen sind angesichts der nur geringfügigen inhaltlichen Änderungen im Streitfall die Abreden im Mai 2008 nicht schon deshalb als neues Versicherungsverhältnis einzuordnen, weil die Beklagte das Formular, welches der Kläger für die Änderungen ausfüllte, nach den Erfordernissen des VVG n.F. ausgestaltet hat. Denn das VVG n.F. ist zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten und galt mithin bereits zum Zeitpunkt der Vertragsänderung. Ebensowenig ist ausschlaggebend, dass für das geänderte Versicherungsverhältnis aufgrund der vertraglichen Abreden nunmehr die MB/KK 2008 vereinbart waren. Zum einen hätte für die Beklagte grundsätzlich gemäß Art. 2 Nr. 2 EGVVG die Möglichkeit bestanden, neue Versicherungsbedingungen bereits zum 1. Januar 2008 für das alte Versicherungsverhältnis einzuführen. Zum anderen hat der Kläger trotz Hinweis des Senats nicht aufgezeigt, dass die MB/KK 2008 sich in relevanter Weise von den zuvor für das Versicherungsverhältnis geltenden Bedingungen unterschieden. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das Versicherungsverhältnis durch die Einbeziehung der MB/KK 2008 in erheblicher Weise umgestaltet wurde.
b) Der Rücktritt der Beklagten ist gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. wirksam. Der Kläger hat die gestellten Gesundheitsfragen falsch beantwortet.
Der Kläger hat die – sowohl im Antrag vom 5. Juni 2006 (Anlage K) als auch im Antrag vom 5. Mai 2008 (Anlage B 2) – unter Buchstabe C) gestellte Gesundheitsfrage („Wurde in den letzten 5 Jahren eine psychotherapeutische Behandlung angeraten oder durchgeführt?“) falsch mit „Nein“ beantwortet. Tatsächlich hat der Kläger vom 15. bis 19. November 2004 drei Sitzungen bei einem Psychiater wahrgenommen. Ob dem tatsächliche eine depressive Erkrankung zugrunde lag oder der Kläger lediglich „psychiatrische Beratung“ aufgrund der Trennung von seiner Freundin suchte, ist ohne Belang. Denn die Frage zielte zweifelsfrei auf jede psychotherapeutische Behandlung, ohne dass die Frage danach eingeschränkt wurde, ob dieser Behandlung auch tatsächlich eine Erkrankung zugrunde lag. Da die Beklagte diese Frage ausdrücklich und schriftlich stellte, wird die Gefahrerheblichkeit des Umstandes vermutet (§ 16 Abs. 1 Satz 3 VVG a.F.). Der Kläger hat nichts vorgebracht, was den gegenteiligen Schluss rechtfertigen würde.
Auch die übrigen Rücktrittsvoraussetzungen liegen vor. Der Rücktritt war nicht gemäß § 16 Abs. 3 VVG a.F. ausgeschlossen; der Kläger hat den erforderlichen Entlastungsbeweis nicht geführt. Allein die Behauptung des Klägers, er habe angenommen, die psychiatrische Beratung beruhe auf unerheblichen, von selbst vorübergehenden Beschwerden und sei daher nicht erwähnungsbedürftig, genügt den Anforderungen an den Entlastungsbeweis nicht. Die Frage C) ist vielmehr klar formuliert. Die Beklagte hat den Rücktritt binnen der Frist des § 20 VVG a.F. ausgeübt.
2) Die Klage ist hinsichtlich des Versicherungsvertrags mit der Versicherungsnummer 370..........8 (Krankentagegeldversicherung) schon nach dem unstreitigen Vortrag unbegründet.
a) Dieser Versicherungsvertrag beinhaltet eine Krankentagegeldversicherung, die der Kläger unstreitig nicht bei der Beklagten, sondern bei der E. Krankenversicherung AG abgeschlossen hat (vgl. Versicherungsschein Anlage B 10). Die insoweit begehrte Feststellung, der „Versicherungsvertrag Nr. 370..........8“ bestehe bei der Beklagten unverändert fort und diese habe hieraus vertragsgemäße Leistungen zu erbringen, ist daher unbegründet. Die Beklagte ist dem Kläger aus der Krankentagegeldversicherung zu nichts verpflichtet. Es spielt keine Rolle, dass beide Versicherungen auf dem gleichen Antragsformular beantragt worden sind und dass – vermutlich – die Beklagte und die E. Krankenversicherung AG miteinander verbunden sind. Beide Gesellschaften sind rechtlich selbständig; sowohl aus dem Versicherungsantrag vom 5. Juni 2006 als auch aus dem Versicherungsschein geht klar und deutlich hervor, dass Vertragspartner der Krankentagegeldversicherung nur die E. Krankenversicherung AG ist.
b) Im übrigen richtet sich der Rücktritt hinsichtlich dieser Versicherung in jedem Fall nach § 16 VVG a.F., weil die vertraglichen Abreden im Mai 2008 die Krankentagegeldversicherung überhaupt nicht berührten. Eine irgendwie geartete Änderung der Krankentagegeldversicherung im Mai 2008 ist nicht ersichtlich. Der Rücktritt ist aus den oben (Ziff. 1. b) dargelegten Gründen ebenfalls wirksam.
3) Schließlich ist auch die auf Zahlung von Versicherungsleistungen gerichtete Klage unbegründet.
Die Rechnung vom 19. August 2008 ist schon deshalb nicht erstattungsfähig, weil sie Behandlungen vom 29. Juli 2008 betrifft und somit der Versicherungsfall erst nach dem von der Beklagten mit Schreiben vom 17. Juli 2008 erklärten Rücktritt eingetreten ist. Ein Anspruch auf Leistungen für Versicherungsfälle nach einem wirksamen Rücktritt besteht nicht. Auf die Voraussetzungen des § 21 VVG a.F. kommt es daher nicht an.
4) Die Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1 ZPO und §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

RechtsgebieteVVG, EGVVGVorschriftenArt. 1 Abs. 1 EGVVG

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