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20.01.2010 · IWW-Abrufnummer 100057

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 03.11.2009 – 4 StR 373/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


BGH,

Beschl. v. 3. 11. 2009 - 4 StR 373/09

I. Sachverhalt
Das LG hat den Angeklagten wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 StGB verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen stellte der Angeklagte der Nebenklägerin, seiner früheren Lebensgefährtin, wiederholt nach, nachdem sie die Beziehung zu ihm beendet hatte. Als die Nebenklägerin am Vorfallstag gegen 14.30 Uhr mit ihrem Pkw ihre Arbeitsstätte in S. verlassen hatte, um nach Hause zu fahren, kam ihr noch innerorts der Angeklagte mit seinem Pkw entgegen. Der Angeklagte erkannte die Nebenklägerin in ihrem Pkw und lenkte seinen Pkw bewusst auf die Gegenfahrbahn. Dies entsprach seiner früheren Ankündigung: „Wenn ich Dich fahren sehe, fahre ich drauf zu, auch wenn wir beide in den Himmel kommen“. Der Angeklagte beschleunigte seinen Pkw. Ihm war auf Grund seiner gemachten Äußerung und dem Beschleunigen seines Fahrzeuges klar, dass zumindest die Möglichkeit eines Frontalzusammenstoßes der Kraftfahrzeuge mit der Gefahr der Lebensgefährdung für die [Nebenklägerin] bestand, jedoch wollte er keinen konkreten Unfall mit schwerwiegenden Folgen für den Unfallgegner herbeiführen. Die Nebenklägerin, die mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h fuhr, sah den auf sie zufahrenden Pkw des Angeklagten und lenkte ihren Pkw nach rechts, um einen Unfall zu vermeiden. Auch der Angeklagte lenkte seinen Pkw nach rechts. Beide Fahrzeuge fuhren aneinander vorbei. Wäre auch nur – so das LG - ein Kraftfahrzeug nicht nach rechts ausgewichen, wäre es zu einem Zusammenstoß der Kraftfahrzeuge gekommen. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

II. Entscheidung
Nach Auffassung des BGH reichen die vom LG getroffenen Feststellungen nicht für die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB aus. Nach gefestigter Rechtsprechung müsse die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt worden, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH NJW 1995, 3131 f. zu § 315c StGB und NJW 1996, 329 f. zu § 315b StGB). Nach den dazu entwickelten Maßstäben haben dem BGH die Feststellungen des Landgerichts zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht ausgereicht. Ein Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem „Beinahe-Unfall“ gekommen wäre – also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (BGH, a.a.O.) –, lasse sich dem landgerichtlichen Urteil nicht entnehmen. Dass sich beide Fahrzeuge beim Gegenverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genüge für sich allein nicht. Insbesondere sei durch die getroffenen Feststellungen nicht belegt, dass es dem Angeklagten und der Nebenklägerin etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Reaktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen sei, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen. Vielmehr liege es nach den Feststellungen nahe, dass die Nebenklägerin noch ohne Weiteres nach rechts ausweichen konnte, bevor eine kritische Situation im Sinne des „Beinahe-Unfalls“ entstanden war. Verhielte es sich so, fehle es an einer bereits eingetretenen konkreten Gefahr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB und es käme deshalb nur eine Strafbarkeit wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach Absatz 2 der Vorschrift in Betracht (vgl. BGH NJW 1995, 3131 f.).

Bedeutung für die Praxis
Verurteilungen wegen Verstoßes gegen § 315b StGB bzw. § 315c StGB kranken immer wieder daran, dass zu dem nach h.M. in der Rechtsprechung vorausgesetzten „Beinahe-Unfall“ nicht ausreichende Feststellungen getroffen werden. Die vorliegende Entscheidung ist dafür ein gutes Beispiel, zumal der BGH der beim LG neu entscheidenden Strafkammer immer einzelnen aufgibt, was noch festgestellt werden muss bzw. worauf zu achten ist.:
- Zunächst Feststellung der Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, tunlichst unter Hinzuziehung eines Sachverständigen für Verkehrsunfallrekonstruktion, wobei allerdings an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH NJW 1995, 3131). Zumindest muss sich der Tatrichter aber um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander unmittelbar vor der Einleitung der Ausweichbewegungen, zur Breite der Fahrbahn und der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten bemühen und das Ergebnis so im Urteil darlegen, dass dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist, ob eine konkrete Gefahr im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ bereits vorlag.
- Können solche Feststellungen nicht getroffen werden, so kommt die Strafbarkeit wegen eines Versuchs nach § 315b Abs. 2 StGB in Betracht. Insoweit ist dann aber darauf zu achten, dass für die subjektive Tatseite ein bloßer Gefährdungsvorsatz nicht genügt, vielmehr der Täter mit – mindestens bedingtem – Schädigungsvorsatz handeln muss (BGHSt 48, 233, 237 f.).
- Schließlich ist in vergleichbaren Fällen immer auch zu prüfen, ob der Angeklagte von einem Versuch nach § 315b Abs. 2 StGB mit strafbefreiender Wirkung gemäß § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten ist, indem er seinerseits nach rechts ausgewichen ist und dadurch eine Kollision beider Fahrzeuge verhindert hat.
- Und: Unabhängig von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 315b StGB kommt aber eine Verurteilung des Angeklagten jedenfalls wegen vollendeter Nötigung (§ 240 Abs. 1 und 2 StGB) in Betracht (zur Konkurrenz mit § 315b StGB – Tateinheit – BGHSt 48, 233, 237 f.; König in: LK-StGB 12. Aufl. § 315b Rn. 93). Denn der Angeklagte hat durch sein Verhalten die Nebenklägerin mit Gewalt zum Ausweichen gezwungen.
„Verteidigungsansätze“ sind also genügend vorhanden.

RechtsgebietStGBVorschriften§ 315b StGB

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