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14.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093259

Europäischer Gerichtshof: Beschluss vom 09.07.2009 – C-445/08

Weder Erklärungen und Informationen des Inhabers eins ausländischen EU-Führerscheins im Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren noch Ermittlungen Deutschlands im Ausstellerstaat berechtigen Deutschland, die Anerkennung des Führerscheins mit Wohnsitzeintrag im Ausstellerstaat abzulehnen.


Der Europäische Gerichtshof (Beschluss vom 09.07.2009 - C-445/08) hat entschieden:

Die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung einer Person anzuerkennen, die sich aus einem später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf diese Person zuvor im Aufnahmemitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr angewendet worden ist und wenn dieser zweite Führerschein außerhalb einer Sperrzeit für die Erteilung eines neuen Führerscheins erteilt wurde, falls sich herausstellt,

· dass auf der Grundlage der Erklärungen und Informationen, die der Inhaber dieses Führerscheins im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer ihm nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats auferlegten Mitwirkungspflicht gegeben hat, die Wohnsitzvoraussetzung vom Mitgliedstaat der Ausstellung dieses Führerscheins nicht beachtet worden ist
oder
· dass die Informationen, die bei Ermittlungen der nationalen Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats im Ausstellermitgliedstaat gewonnen wurden, keine von diesem Mitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen sind, die beweisen, dass der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung eines Führerscheins durch den Ausstellermitgliedstaat seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in dessen Hoheitsgebiet hatte.

Beschluss des Gerichtshofs (Dritte Kammer)

9. Juli 2009

„Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung – Führerschein − Richtlinie 91/439/EWG − Entziehung der inländischen Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr − Nichtvorlage eines für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat erforderlichen medizinisch-psychologischen Gutachtens – In einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein – Überprüfung der Voraussetzung des Wohnsitzes durch den Aufnahmemitgliedstaat – Möglichkeit, sich auf die Informationen zu stützen, die der Führerscheininhaber aufgrund einer ihm nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats auferlegten Mitwirkungspflicht angegeben hat – Möglichkeit, im Ausstellungsmitgliedstaat Nachforschungen anzustellen “

In der Rechtssache C-445/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. September 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Oktober 2008, in dem Verfahren

Kurt Wierer

gegen

Land Baden-Württemberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas (Berichterstatter), der Richter A. Ó Caoimh und U. Lõhmus, der Richterin P. Lindh und des Richters A. Arabadjiev,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: R. Grass,

gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden Beschluss

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Wierer und dem Land Baden-Württemberg wegen der Anerkennung der Fahrerlaubnis, die er nach der Entziehung seiner deutschen Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr in Polen erworben hat, durch die deutschen Behörden.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht 3 Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439, mit der mit Wirkung ab 1. Juli 1996 die Erste Richtlinie 80/1263/EWG des Rates vom 4. Dezember 1980 zur Einführung eines EG-Führerscheins (ABl. L 375, S. 1) aufgehoben worden ist, lautet:
„Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein einzelstaatlicher Führerschein nach EG-Muster wünschenswert, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht werden muss.“
Im vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:
„Aus Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr sind Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festzulegen.“
Im letzten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 wird ausgeführt:
„Außerdem sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat.“
Art. 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. …

(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.

(3) Begründet der Inhaber eines gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der den Führerschein ausgestellt hat, so kann der Aufnahmemitgliedstaat seine einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Führerscheins, der ärztlichen Kontrolle und der steuerlichen Bestimmungen auf den Führerscheininhaber anwenden und auf dem Führerschein die für die Verwaltung unerlässlichen Angaben eintragen.“
Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 hängt die Ausstellung des Führerscheins von den folgenden Voraussetzungen ab:
a. vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III;
b. vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student − während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten − im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats.
Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 lautet:
„Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein.“
Art. 8 Abs. 2 und 4 Unterabs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.



(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.“
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie führt aus, dass als
„ordentlicher Wohnsitz“ „der Ort [gilt], an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder − im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen − wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt“.
Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten unterstützen einander bei der Durchführung dieser Richtlinie und tauschen im Bedarfsfall Informationen über die von ihnen registrierten Führerscheine aus.“
Nach Punkt 14 des Anhangs III der Richtlinie 91/439 − „Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeugs“ − ist Alkoholgenuss eine große Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr, und da es sich um ein schwerwiegendes Problem handelt, ist große Wachsamkeit geboten. In Punkt 14.1 Abs. 1 dieses Anhangs heißt es:
„Bewerbern oder Fahrzeugführern, die alkoholabhängig sind oder das Führen eines Fahrzeugs und Alkoholgenuss nicht trennen können, darf eine Fahrerlaubnis weder erteilt noch erneuert werden.“ Punkt 14.1 Abs. 2 lautet: „Bewerbern oder Fahrzeugführern, die alkoholabhängig waren, kann nach einem nachgewiesenen Zeitraum der Abstinenz vorbehaltlich des Gutachtens einer zuständigen ärztlichen Stelle und eine regelmäßigen ärztlichen Kontrolle eine Fahrerlaubnis erteilt oder erneuert werden.“
Nach Punkt 5 dieses Anhangs können die Mitgliedstaaten bei der Erteilung oder bei jeder Erneuerung einer Fahrerlaubnis strengere als die in diesem Anhang genannten ärztlichen Untersuchungen vorschreiben.

Nationales Recht

Die Vorschriften über die Anerkennung der von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine

§ 28 Abs. 1, 4 und 5 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) vom 18. August 1998 (BGBl. 1998 I S. 2214, im Folgenden: FeV) bestimmt:
„(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.



(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,


3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,


(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nr. 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. …“
Die Vorschriften über den Entzug der Fahrerlaubnis

Nach § 69 des Strafgesetzbuchs (StGB) entzieht das Strafgericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Nach § 69a StGB darf für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden (Sperre); unter bestimmten Umständen kann diese Sperre auf Lebenszeit angeordnet werden.

Nach § 46 FeV, der § 3 des Straßenverkehrsgesetzes ausführt, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 5 FeV erlischt die Fahrerlaubnis mit der Entziehung. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.

Die Vorschriften über die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs

Art. 11 FeV („Eignung“) sieht vor:
„(1) Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. …

(2) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen. …

(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 2 angeordnet werden,


4. bei erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen …

oder

5. bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, wenn


b) der Entzug der Fahrerlaubnis auf einem Grund nach Nummer 4 beruhte.


(8) Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. …“

§ 13 FeV („Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik“) ermächtigt die zuständige Behörde, unter bestimmten Umständen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, um Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen vorzubereiten. Das ist insbesondere der Fall, wenn nach einem ärztlichen Gutachten oder aufgrund von Tatsachen Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden.

Nach § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung. Nach § 20 Abs. 2 FeV kann die zuständige Behörde zwar auf eine Fahrerlaubnisprüfung verzichten, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt; nach Abs. 3 bleibt jedoch die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV unberührt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

1989 wurde der 1966 geborene Herr Wierer wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung verurteilt. Im Urteil wurde eine Sperrfrist von vier Jahren für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis festgesetzt.

Eine deutsche Fahrerlaubnis wurde ihm am 6. Oktober 1994 nach Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens erteilt.

Am 5. Juni 1997 verurteilte das Amtsgericht Leonberg Herrn Wierer, der sich am 14. Januar 1997 erneut der Trunkenheit im Verkehr schuldig gemacht hatte, wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von dreizehn Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis angeordnet.

In der Folgezeit bemühte Herr Wierer sich in Deutschland erfolglos um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.

Mit Schreiben vom 26. September 2005 teilte der Polizeiposten Bad Wimpfen (Deutschland) der Führerscheinstelle des Landratsamtes Heilbronn mit, dass Herr Wierer im Besitz eines polnischen Führerscheins der Klasse B sei, der ihm am 26. April 2005 von einer polnischen Behörde ausgestellt worden sei.

Auf dieses Schreiben hin stellte das Landratsamt Heilbronn fest, dass Herr Wierer vom 1. Mai 2005 bis 1. August 2005 im Melderegister von Bad Friedrichshall (Deutschland) und seitdem in Bad Wimpfen polizeilich gemeldet war, während in seinem Führerschein eine Anschrift in Polen eingetragen war.

Das Landratsamt forderte Herrn Wierer daraufhin auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zum Nachweis seiner Fahreignung beizubringen. Da der Betroffene dieser Aufforderung nicht nachkam und das verlangte Gutachten auch nicht beibrachte, erkannte ihm das Landratsamt Heilbronn mit Bescheid vom 30. November 2005 das Recht ab, von seiner polnischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, ordnete die Vorlage seines Führerscheins zur Eintragung dieser Entscheidung an und drohte ihm die Wegnahme des Führerscheins an, falls er diesen nicht fristgerecht vorlege.

Am 20. Dezember 2005 erhob Herr Wierer Widerspruch gegen diesen Aberkennungsbescheid.

Am 18. Januar 2006 erhielt das Landratsamt Heilbronn von der zuständigen polnischen Fahrerlaubnisbehörde die Angaben, die es angefordert hatte. Die Behörde führt darin aus, dass Herr Wierer bei der Einreichung seines Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis versichert habe, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung gegen ihn kein rechtskräftiges Urteil über das Verbot des Führens von Kraftfahrzeugen vorgelegen habe. Sie habe ihn, bevor sie ihm die Fahrerlaubnis erteilt habe, angewiesen, ein ärztliches Gutachten beizubringen, an einer Fahrschulung teilzunehmen, die Prüfung mit Erfolg abzulegen und eine Aufenthaltsbescheinigung vorzulegen. An dem Tag, an dem Herr Wierer die Fahrerlaubnis erhalten habe, sei ein Nachweis über einen Mindestaufenthalt von 185 Tagen in Polen nicht erforderlich gewesen.

Laut dem Vorlagebeschluss erklärte die Behörde, sie habe die Wohnsitzvoraussetzung nicht nachgeprüft.

Am 18. Juli 2006 erhob Herr Wierer eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Stuttgart, das mit Urteil vom 21. März 2007 den Bescheid des Landratsamtes Heilbronn vom 30. November 2005 aufhob.

Am 26. April 2007 legte das Land Baden-Württemberg beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Berufung gegen dieses Urteil ein.

In der mündlichen Verhandlung vor diesem Gericht legte Herr Wierer ein Schreiben vom 12. September 2008 vor, das ihm an eine polnische Adresse geschickt worden sei. Dieses Schreiben bestätige, dass er in der Zeit von Juni bis November 2004 in Polen unter einer näher bezeichneten Anschrift gewohnt habe.

Auf die Fragen, die ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem vorlegenden Gericht gestellt wurden, erklärte Herr Wierer u. a., dass er sich noch bis August 2005 regelmäßig in Polen aufgehalten habe. Er könne dies im Übrigen auch nachweisen, es sei ihm jedoch nicht gelungen, sich die entsprechenden Belege rechtzeitig zu beschaffen. Nachdem er seine Tätigkeiten in Polen wegen der Entscheidung über die Aberkennung der Fahrerlaubnis habe aufgeben müssen und bei der Firma E. in Sinsheim (Deutschland) eingestellt worden sei, habe er geplant, für diese in Polen zu arbeiten. Er habe zu keinem Zeitpunkt nach Polen „auswandern“ wollen. Er habe mit seiner Familie in Bad Wimpfen und sodann in Bad Friedrichshall gelebt.

Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht den vom Europäischen Gerichtshof in den Urteilen vom 26. Juni 2008, Wiedemann und Funk (C 329/06 und C 343/06, Slg. 2008, I 4635) und Zerche u. a. (C 334/06 bis C 336/06, Slg. 2008, I 4691), entwickelten Grundsätzen entgegen, dass die nationalen Fahrerlaubnisbehörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats sich bei der Prüfung der Beachtung des Wohnsitzerfordernisses nach Art. 9 der Richtlinie 91/439 durch den Ausstellermitgliedstaat zum Zeitpunkt der Ausstellung der Fahrerlaubnis zum Nachteil des Führerscheininhabers auf dessen Erklärungen und Informationen stützen, die dieser im Verwaltungsverfahren oder gerichtlichen Verfahren gemacht hat und zu deren Abgabe er im Rahmen einer durch das nationale Verfahrensrecht ihm auferlegten Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verpflichtet war?

Für den Fall, dass die erste Frage verneint werden sollte:
2. Steht den vom Europäischen Gerichtshof in den Urteilen vom 26. Juni 2008, Wiedemann und Funk sowie Zerche u. a., entwickelten Grundsätzen entgegen, dass die nationalen Fahrerlaubnisbehörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats bei der Prüfung der Beachtung des Wohnsitzerfordernisses nach Art. 9 der Richtlinie 91/439 durch den Ausstellermitgliedstaat dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieses zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht erfüllt war, ausschließlich im Ausstellermitgliedstaat etwa bei Meldebehörden, Vermietern oder Arbeitgebern weitere Ermittlungen anstellen und die hierbei ermittelten Tatsachen, sofern sie beweiskräftig festgestellt wurden, allein oder zusammen mit bereits vorliegenden Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat oder vom Fahrerlaubnisinhaber selbst stammenden Informationen verwerten?

Zu den Vorabentscheidungsfragen

Nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden.

Diese Vorschrift der Verfahrensordnung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

Vorbemerkungen

Dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 ist zu entnehmen, dass der allgemeine Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie aufgestellt wurde, um insbesondere die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben (Urteil vom 19. Februar 2009, Schwarz, C 321/07, Slg. 2009, I 0000, Randnr. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach gefestigter Rechtsprechung sieht dieser Art. 1 Abs. 2 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (Urteil Schwarz, Randnr. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats, zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung − gegebenenfalls die Neuerteilung − einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist (Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 52, sowie Zerche u. a., Randnr. 49).

Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten somit nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen erfüllte (Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 53, sowie Zerche u. a., Randnr. 50).

Daher verwehrt es der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung einem Aufnahmemitgliedstaat, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins mit der Begründung abzulehnen, dass der Inhaber dieses Führerscheins nach vom Aufnahmemitgliedstaat herrührenden Informationen zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet dieses Mitgliedstaats und nicht im Gebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte (Beschluss vom 11. Dezember 2003, Da Silva Carvalho, C 408/02, Randnr. 22, und Urteil vom 29. April 2004, Kapper, C 476/01, Slg. 2004, I 5205, Randnr. 47; vgl. auch Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 55, sowie Zerche u. a., Randnr. 52).

Da die Richtlinie 91/439 dem Ausstellermitgliedstaat die ausschließliche Zuständigkeit verleiht, sich zu vergewissern, dass die von ihm ausgestellten Führerscheine unter Beachtung der in den Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und 9 dieser Richtlinie vorgesehenen Wohnsitzvoraussetzung erteilt werden, ist es nämlich allein Sache dieses Mitgliedstaats, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber diese Voraussetzung nicht erfüllten (Beschluss Da Silva Carvalho, Randnr. 23; Urteile Kapper, Randnr. 48, Wiedemann und Funk, Randnr. 56, sowie Zerche u. a., Randnr. 53).

Der Gerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Aufnahmemitgliedstaat, wenn er triftige Gründe hat, die Ordnungsmäßigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu bezweifeln, dem anderen Mitgliedstaat dies im Rahmen der gegenseitigen Unterstützung und des Informationsaustauschs nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439 mitzuteilen hat. Falls der Ausstellermitgliedstaat nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift, kann der Aufnahmemitgliedstaat gegen diesen Staat ein Verfahren nach Art. 227 EG einleiten, um durch den Gerichtshof einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/439 feststellen zu lassen (Beschluss Da Silva Carvalho, Randnr. 23, Urteile Kapper, Randnr. 48, Wiedemann und Funk, Randnr. 57, sowie Zerche u. a., Randnr. 54).

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen sind die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zu prüfen.

Mit seinen Fragen, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die sich aus einem später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergebende Fahrberechtigung anzuerkennen, wenn die Fahrerlaubnis einer Person erteilt wurde, auf die zuvor im Aufnahmemitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr angewendet worden ist und dieser zweite Führerschein außerhalb einer Sperrzeit für die Erteilung eines neuen Führerscheins erteilt wurde, falls sich herausstellt,
· dass auf der Grundlage der Erklärungen und Informationen, die der Inhaber dieses Führerscheins im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer ihm nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats auferlegten Mitwirkungspflicht gegeben hat, die Wohnsitzvoraussetzung vom Mitgliedstaat der Ausstellung dieses Führerscheins nicht beachtet worden ist

oder
· dass die Informationen, die bei Ermittlungen der nationalen Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats im Ausstellermitgliedstaat gewonnen wurden, beweiskräftig sind und bestätigen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht erfüllt war?

Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen

Nach Auffassung von Herrn Wierer sind, wenn im Führerschein ein Wohnsitz angegeben sei, keine weiteren als die in den Urteilen Wiedemann und Funk sowie Zerche u. a. aufgezählten Erkenntnisquellen zu berücksichtigen. Es liefe nämlich dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zuwider, wenn dem Mitgliedstaat gestattet würde, erneut die Feststellungen zu prüfen, die vom Ausstellungsmitgliedstaat zu treffen seien. Darüber hinaus sei es zum Zeitpunkt der Erteilung des zweiten Führerscheins nicht erforderlich gewesen, den Nachweis eines Aufenthalts von mindestens 185 Tagen in Polen zu erbringen.

Die deutsche Regierung macht dagegen geltend, dass die Urteile Wiedemann und Funk sowie Zerche u. a. dahin zu verstehen seien, dass der Aufnahmemitgliedstaat weitere als die in diesen Urteilen aufgezählten Angaben heranziehen könne, solange der Gebrauch, den er von ihnen mache, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht in Frage stelle. Das Gemeinschaftsrecht verwehre es dem nationalen Gericht somit nicht, sich auf die Angaben und Erklärungen zu stützen, die der Führerscheininhaber aufgrund einer Verpflichtung gemacht habe, die ihm von diesem Mitgliedstaat auferlegt werde. Erst recht könnten die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats zusätzliche Informationen der Behörden des Ausstellermitgliedstaats verwenden, wenn die Ausstellungsbehörde selbst erklärt habe, die Wohnsitzvoraussetzung nicht geprüft zu haben.

Die polnische Regierung macht geltend, dass die Überprüfung der Voraussetzungen für die Ausstellung des in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Führerscheins eine Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 sei, die daher eng auszulegen sei. Dem Aufnahmemitgliedstaat zu gestatten, eine eigenständige Kontrolle der Einhaltung der Wohnsitzvoraussetzung durchzuführen, liefe diesem Grundsatz zuwider.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften weist darauf hin, dass in den Urteilen Wiedemann und Funk sowie Zerche u. a. die Präzisierung hinsichtlich der Überprüfung der Wohnsitzvoraussetzung nicht darauf gerichtet gewesen sei, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung einzuschränken oder die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Ausstellermitgliedstaat und dem Aufnahmemitgliedstaat zu ändern. Weder die Erklärungen des Betroffenen im Verwaltungsverfahren noch die Informationen aus einer im Ausstellermitgliedstaat durchgeführten eigenen Untersuchung des Aufnahmemitgliedstaats fielen unter den in den angeführten Urteilen geprägten Begriff der „vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen“.

Antwort des Gerichtshofs

Aus den Urteilen Wiedemann und Funk sowie Zerche u. a. ergibt sich, dass die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht in jedem Fall verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt.

Wenn sich zwar nicht anhand von vom Aufnahmemitgliedstaat stammenden Informationen, aber auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststellen lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war, kann der Aufnahmemitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet auf den Inhaber dieses Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, es nämlich ablehnen, die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus dem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat außerhalb einer Sperrzeit ausgestellten Führerschein ergibt (Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 72, sowie Zerche u. a., Randnr. 69).

Diese Ausnahme, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung mit dem Grundsatz der Sicherheit im Straßenverkehr in Ausgleich bringt, kann nicht weit verstanden werden, ohne diesen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung völlig auszuhöhlen.

Die Aufzählung der Erkenntnisquellen in den Urteilen Wiedemann und Funk sowie Zerche u. a., auf die der Aufnahmemitgliedstaat sich stützen kann, um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, ohne die gegenseitige Unterstützung oder das Verfahren des Informationsaustauschs nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439 in Anspruch zu nehmen, ist daher abschließend und erschöpfend.

Insoweit können die Erklärungen und Informationen, die der Inhaber dieses Führerscheins im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer Mitwirkungspflicht erteilt hat, die ihm nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats auferlegt ist, nicht als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen qualifiziert werden, die beweisen, dass der Inhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung seines Führerscheins seinen Wohnsitz nicht in diesem Mitgliedstaat hatte.

Dies gilt auch für die Erklärung der nationalen Behörden des Ausstellermitgliedstaats, dass sie die Wohnsitzvoraussetzung nicht geprüft hätten, da eine solche Erklärung nicht beweist, dass der Inhaber seinen Wohnsitz nicht im Gebiet dieses Mitgliedstaats hatte. Im Übrigen ist ein Mitgliedstaat nur dann berechtigt, einen Führerschein nicht anzuerkennen, wenn er dies ohne Eingriff in die Zuständigkeiten des Ausstellermitgliedstaats, wie insbesondere dessen ausschließliche und unumschränkte Zuständigkeit, den Wohnsitz des Inhabers in seinem Hoheitsgebiet zu prüfen, tun kann.

Daher kann der Aufnahmemitgliedstaat sich nicht auf die in den vorstehenden Randnummern genannten Erklärungen und Informationen stützen, um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen.

Nichts spricht jedoch dagegen, den Umstand, dass die nationalen Behörden des Ausstellermitgliedstaats erklärt haben, die Wohnsitzvoraussetzung nicht geprüft zu haben, in einem nach den Art. 226 EG oder 227 EG eingeleiteten Verfahren zu beurteilen, um festzustellen, ob möglicherweise eine Verletzung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/439 vorliegt.

Was die Informationen angeht, die die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats infolge einer von ihr selbst im Ausstellermitgliedstaat geführten Untersuchung erlangt hat, so verwehrt es die Richtlinie selbst den zuständigen nationalen Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats zwar nicht, Informationen von einem anderen Mitgliedstaat einzuholen.

Aus der in den Randnrn. 50 und 51 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung ergibt sich jedoch, dass der Aufnahmemitgliedstaat unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nur dann ablehnen kann, wenn er über unbestreitbare Informationen verfügt, die vom Ausstellermitgliedstaat stammen und die beweisen, dass der Führerscheininhaber seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis durch diesen Mitgliedstaat nicht in dessen Gebiet hatte. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung steht einer auf irgendeine andere Information gestützten Ablehnung entgegen.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die unter diesen besonderen Umständen erlangte Information als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Information zu qualifizieren ist, die beweist, dass der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Gebiet dieses Mitgliedstaats hatte.

Insoweit ist nicht ausgeschlossen, dass die bei den Einwohnermeldebehörden des Ausstellermitgliedstaats erlangten Informationen als solche Informationen angesehen werden können. Bei Privatpersonen, wie Vermietern oder Arbeitgebern, eingeholte Informationen, sind dagegen keine Informationen, die das in Randnr. 59 des vorliegenden Beschlusses in Erinnerung gerufene doppelte Kriterium erfüllen.

Auf jeden Fall ist schließlich klarzustellen, dass nichts dagegen spricht, dass der Aufnahmemitgliedstaat dem Ausstellermitgliedstaat im Rahmen des in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Verfahrens des Informationsaustauschs Informationen übermittelt.

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung einer Person anzuerkennen, die sich aus einem später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf diese Person zuvor im Aufnahmemitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr angewendet worden ist und wenn dieser zweite Führerschein außerhalb einer Sperrzeit für die Erteilung eines neuen Führerscheins erteilt wurde, falls sich herausstellt,
· dass auf der Grundlage der Erklärungen und Informationen, die der Inhaber dieses Führerscheins im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer ihm nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats auferlegten Mitwirkungspflicht gegeben hat, die Wohnsitzvoraussetzung vom Mitgliedstaat der Ausstellung dieses Führerscheins nicht beachtet worden ist

oder
· dass die Informationen, die bei Ermittlungen der nationalen Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats im Ausstellermitgliedstaat gewonnen wurden, keine von diesem Mitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen sind, die beweisen, dass der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung eines Führerscheins durch den Ausstellermitgliedstaat seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in dessen Hoheitsgebiet hatte.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung einer Person anzuerkennen, die sich aus einem später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf diese Person zuvor im Aufnahmemitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr angewendet worden ist und wenn dieser zweite Führerschein außerhalb einer Sperrzeit für die Erteilung eines neuen Führerscheins erteilt wurde, falls sich herausstellt,
· dass auf der Grundlage der Erklärungen und Informationen, die der Inhaber dieses Führerscheins im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer ihm nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats auferlegten Mitwirkungspflicht gegeben hat, die Wohnsitzvoraussetzung vom Mitgliedstaat der Ausstellung dieses Führerscheins nicht beachtet worden ist

oder
· dass die Informationen, die bei Ermittlungen der nationalen Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats im Ausstellermitgliedstaat gewonnen wurden, keine von diesem Mitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen sind, die beweisen, dass der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung eines Führerscheins durch den Ausstellermitgliedstaat seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in dessen Hoheitsgebiet hatte.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

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