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23.09.2009 · IWW-Abrufnummer 093115

Landgericht Paderborn: Urteil vom 08.05.2009 – 2 O 399/08

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Paderborn

2 O 399/08

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu Händen des Notars ..., – ..., auf sein Notaranderkonto bei der ... AG, BLZ …, Konto-Nr.: ..., 20.507,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2008 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von den Rechnungen des Steuerberaters ...vom 16.11.2007 in Höhe von 1.292,00 Euro sowie der Rechtsanwälte ... (Geschäftsgebühr) in Höhe von 859,80 Euro freizustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar hinsichtlich des Zahlungsanspruchs in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche aus Steuerberaterhaftung geltend.

Die Beklagte ist Steuerberaterin und war für die Ehefrau des Klägers, Frau ..., von 1995 bis 2007 oder 2008 tätig. Die Ehefrau betrieb unter der Firma "…" sogenannte Spielhallen und Aufstellplätze, in denen Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit aufgestellt waren. Die Beklagte erstellte die Jahresabschlüsse und Umsatzsteuererklärungen und prüfte die Steuerbescheide.

Gewinne aus dem Betrieb von Geldspielautomaten wurden bis zum Jahr 2005 nach dem allgemeinen Umsatzsteuer-Tatbestand gem. § 1 I Nr. 1 UStG versteuert. Gem. § 4 Nr. 9 b) UStG a.F. waren nur Umsätze aus öffentlichen Spielbanken von der Umsatzsteuer befreit.

Am 11.06.1998 urteilte der EuGH (DStRE 1998, 490 - Fischer), dass auch unerlaubtes Glückspiel in den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/388/EWG der Europäischen Gemeinschaft vom 01.05.1977 fällt und nicht besteuert werden darf, wenn das gleiche Glückspiel in einer öffentlichen Spielbank steuerfrei ist.

In einem Beschluss vom 30.11.2000 befand der BFH (DStR 2001, 126), dass die Besteuerung von Geldspielautomatenumsätzen ernstlich zweifelhaft und nach einer summarischen Prüfung nicht ausgeschlossen sei, dass sich der Unternehmer auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 B der Richtlinie berufen kann. Allerdings hatte der BFH auch Zweifel und entschied, dass eine endgültige Klärung der Rechtslage dem folgenden Hauptsacheverfahren vorbehalten sein sollte.

Am 06.11.2002 erließ der BFH einen Vorlagebeschluss zum EuGH (DStRE 2003, 179) mit der Frage nach der Auslegung der Richtlinie hinsichtlich der Besteuerung von privaten Glückspielumsätzen und der Ungleichbehandlung mit öffentlichen Spielbanken.

Am 17.02.2005 urteilte der EuGH (DStR 2005, 371 - Linneweber), dass die Umsätze aus Geldspielautomaten generell gleich behandelt werden müssen; wenn sie für Spielbanken steuerfrei seien, so müsse dies auch für private Aufsteller gelten. Die Richtlinie entfalte für Betreiber von Glücksspielautomaten unmittelbare Wirkung.

Auch nach dem folgenden BFH-Urteil (Urteil v. 12.05.2005, DStR 2005, 1407) konnte sich ein Aufsteller von Geldspielautomaten direkt auf die Steuerfreiheit gemäß der Richtlinie berufen.

Für das Jahr 1998 wurde Frau ... auf Grundlage des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UstG a.F. zur Zahlung von Umsatzsteuer auf Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten in Anspruch genommen.

Die Beklagte fertigte die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1998 und reichte sie im Jahr 2000 ein. Sie legte gegen die streitgegenständliche Festsetzung zunächst keinen Einspruch ein und stellte keinen Änderungsantrag. Über die Umsatzsteuer 1998 wurde mit Bescheid des Finanzamtes Lippstadt durch Bescheid vom 31.08.2000 abgerechnet. Es ergab sich ein Abrechnungsbetrag für 1998 in Höhe von 41.750,60 DM zuungunsten der Frau .... Mit Schreiben an das Finanzamt Lippstadt vom 28.09.2005 legte die Beklagte für Frau ... Einspruch gegen alle noch offenen Umsatzsteuerbescheide ein. Die Festsetzung für 1998 wurde nicht rückwirkend geändert.

Mit dem Antrag zu 1) begehrt der Kläger Ersatz des Schadens aus der zu viel gezahlten Umsatzsteuer des Jahres 1998 nebst Zinsen. Der Anspruch wurde dem Kläger von der ursprünglichen Anspruchsinhaberin Frau ... abgetreten.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Abtretungsurkunde im Original vorgelegt.

Der Kläger behauptet, für das Jahr 1998 liege der Schaden der Firma seiner Ehefrau bei 15.263,05 Euro an zu viel gezahlten Steuern und 5.244,00 Euro an Zinsen, die gem. § 233a AO vom Finanzamt erstattet worden wären, also insgesamt bei 20.507,05 Euro.

Er meint, die Beklagte hätte bis Ende 2004 noch gegen die Steuerfestsetzung für das Jahr 1998 vorgehen können und dies auch tun müssen. Er behauptet, dass seiner Ehefrau dadurch, dass die Beklagte die Festsetzung hat bestandskräftig werden lassen und sie nachträglich nicht mehr abgeändert werden konnte, ein Schaden entstanden sei, der in der zu viel gezahlten Umsatzsteuer liege.

Der Kläger meint, bis zur Bestandskraft der Festsetzung habe die Beklagte aus den ergangenen und veröffentlichten Urteilen genügend Anlass gehabt, einen Abänderungsantrag beim Finanzamt zu stellen. In dem Unterlassen dieses Antrags bzw. in dem Unterlassen eines entsprechenden Hinweises an die Ehefrau des Klägers läge eine Pflichtverletzung. Die Festsetzungsfrist sei am 31.12.2004 abgelaufen.

Der Kläger beantragt,
1) die Beklagte zu verurteilen, an ihn zu Händen des Notars ..., …, auf sein Notaranderkonto bei der … AG, BLZ ..., Konto-Nr.: ..., 20.507,05 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2008 zu zahlen,
2) die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Rechnung des Steuerberaters ...vom 16.11.2007 in Höhe von 1.292,00 € freizustellen,
3) die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Rechnung der Rechtsanwälte ... in Höhe von 859,80 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie habe sich ordnungsgemäß über den Stand der Rechtsprechung informiert. Außerdem würde sich aus dem Schreiben des AG Lippstadt vom 05.10.2005 (Bl. 89 dA) ergeben, dass sämtliche Bescheide berichtigt oder abgeändert worden seien.

Des Weiteren bestreitet die Beklagte den geltend gemachten Schaden. Sie meint, es fehle eine substantiierte Darlegung des Schadens unter Berücksichtigung einer ordnungsgemäßen Schadensberechnung unter Einbeziehung einer Schadenskompensation. Es fehle außerdem an ausreichenden Darlegungen und Nachweisen.

Sie erhebt die Einrede der Verjährung.

Sie ist ferner der Ansicht, der Bescheid für den Zeitraum 1998 sei am 31.09.2000 bestandskräftig geworden und damit vor der Veröffentlichung des BFH-Beschlusses in DstRE 2003, 179.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz aus gem. § 398 BGB übergegangenem Recht gem. §§ 280 Abs. 1 i.V.m. 675 BGB in Höhe von 20.507,05 Euro

1.)
Zwischen der Beklagten und Frau ... bestand ein Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 BGB. Der Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Steuerberater ist grundsätzlich ein Geschäftsbesorgungsvertrag, wenn sich nicht aus der konkreten Vertragsgestaltung im Einzelfall Besonderheiten ergeben. Vorliegend werden keine Besonderheiten des Vertragsverhältnisses vorgetragen, so dass von einem Geschäftsbesorgungsvertrag auszugehen ist.

2.)
Die Beklagte hat ihre vertraglichen Pflichten dadurch verletzt, dass sie innerhalb der Einspruchs- bzw. Festsetzungsfrist, also bis Ende des Jahres 2004, keinen Abänderungsantrag hinsichtlich der Vorbehaltsfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 1998 stellte und die Klägerin auch nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen hat, obwohl sich eine für die Klägerin entscheidende Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Besteuerung von Geldspielautomatenumsätzen spätestens mit dem Vorlagebeschluss des BFH vom 06.11.2002, veröffentlicht u.a. in DStRE 2003, 179, abzeichnete.

Die Beklagte hatte bis Ablauf des Jahres 2004 noch die Möglichkeit, gegen die Steuerfestsetzung vorzugehen, und das Finanzamt hätte einen von ihr gestellten Antrag auch beachten müssen.

Die Beklagte hat die Steueranmeldung für das Jahr 1998 im Jahr 2000 eingereicht. Diese stand gem. § 168 S. 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt gleich. Innerhalb der Festsetzungsfrist hätte die Steuerfestsetzung, auch auf Antrag der Steuerpflichtigen, gem. §§ 169 Abs. 1, 164 Abs. 2 u. 4 AO abgeändert werden können. Die Festsetzungsfrist lief gem. §§ 170 Abs. 1 u. 2, 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO am 31.12.2004 ab.

Bei § 164 Abs. 2 S. 1 AO handelt es sich trotz des Wortlauts nicht um eine Ermessensvorschrift. Wenn die Finanzbehörde die Fehlerhaftigkeit einer Festsetzung erkannt hat, dann muss sie einen abgeänderten Bescheid erlassen (Cöster in: Pahlke/König, Abgabenordnung, § 164 Rn. 47). Gegen die Entscheidung der Finanzbehörde über den Antrag, ist außerdem wiederum der Einspruch gem. §§ 347 ff. AO statthaft. Nach Erlass des BFH Urteils vom 12.05.2005 (DStR 2005, 1407) wäre der Abrechnungsbescheid somit geändert worden.

Die Beklagte war bis Ende 2004 als Steuerberaterin der Frau ... auch gehalten, einen Antrag auf Änderung der Vorbehaltsfestsetzung zu stellen.

Das Verhalten eines Steuerberaters im Rahmen seines Mandats ist dann pflichtwidrig, wenn es von den anerkannten Leistungsmaßstäben gewissenhafter Angehöriger seiner Berufsgruppe abweicht. Es ist für die Feststellung einer Pflichtverletzung auf die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzustellen, nach denen davon auszugehen ist, dass der Steuerberater im Rahmen seines Auftrages verpflichtet ist, seinen Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Er hat seinen Mandanten möglichst vor Schaden zu schützen. Hierzu hat er den relativ sichersten Weg zu dem angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwendigen Schritte vorzuschlagen (BGH NJW 2004, 3487 m.w.N.). Dabei hat der Steuerberater für die Kenntnis des Steuerrechts einzustehen. Die mandatsbezogen erheblichen Gesetzes- und Rechtskenntnisse muss er besitzen oder sich ungesäumt verschaffen. Neue oder geänderte Rechtsnormen hat er in diesem Rahmen zu ermitteln (BGH NJW 2004, 3487 m.w.N.) Insbesondere kann von einem Steuerberater erwartet werden, dass er die im Einzelfall einschlägigen Steuergesetze, Verordnungen und Erlasse, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in gleich gelagerten Fällen und die ständige Verwaltungspraxis der Finanzämter kennt (OLG Köln MDR 2008, 176; LG Frankfurt GI 2006, 62; Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Aufl. 2006, Rn. 234 ff.).

Daraus und aus der Dauerhaftigkeit des Mandats folgt, dass der Steuerberater im Einzelfall auch nachträglich noch über Rechtsmittel gegen Steuerbescheide informieren oder die entsprechenden Maßnahmen selber ergreifen muss, wenn sich die tatsächliche Lage oder die Rechtslage geändert hat.

Dies gilt jedoch nicht unbeschränkt. Der Steuerberater ist nur verpflichtet, die Anfechtung eines Bescheides in Betracht zu ziehen, wenn der Sachverhalt Anlass hierzu gibt, wenn also Grund zu der Annahme besteht, ein Bescheid könnte gesetzes- oder rechtswidrig sein und den Mandanten in seinen Rechten verletzen. Gesetzes- oder rechtswidrig ist ein Bescheid dann, wenn er gegen geltendes Recht, eine ständige höchstrichterliche Rechtssprechung oder eine ständige Verwaltungspraxis verstößt. Dann muss ein Steuerberater Einspruch für den Mandanten einlegen. Problematischer ist es in Fällen, in denen der Steuerberater auf die Gesetzeslage oder die Fortsetzung einer bestimmten höchstrichterlichen Rechtsprechung vertraut, obwohl eine Gesetzesänderung, Änderung der Rechtsprechung oder die Unvereinbarkeit einer Norm mir höherrangigem Recht festgestellt werden (vgl. OLG Köln DStR 2008, 474). Er darf sich nicht blind auf die Fortdauer einer höchstrichterlichen Rechtsprechung verlassen, sondern muss Entwicklungen in der Rechtsprechung und insbesondere Hinweise eines obersten Gerichts auf die Möglichkeit einer Rechtsprechungsänderung berücksichtigen (KG Berlin DStR 2007, 410; OLG Köln DStR 2008, 474; vgl. BGH NJW-RR 2006, 273). Bei hinreichend deutlichen Anzeichen im Beratungszeitpunkt ist der Steuerberater verpflichtet auf eine bereits absehbare bestimmte Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinzuweisen (BGH NJW-RR 2006, 273; KG Berlin DStR 2007, 410).

Die Beklagte hat keinen Änderungsantrag zu der Steuerfestsetzung von 1998 gestellt und erst im Jahr 2005 Einspruch gegen alle noch offenen Umsatzsteuerbescheide eingelegt. Für den streitgegenständlichen Zeitraum war die Festsetzungsfrist jedoch bereits abgelaufen, so dass das Finanzamt den Einspruch für den Veranlagungszeitraum 1998 nicht berücksichtigt hat.

Die Beklagte war aus dem Vertragsverhältnis verpflichtet, die Klägerin auf Möglichkeiten hinzuweisen, wie sie Steuern sparen kann oder sie darauf hinzuweisen, wenn sich die Möglichkeit einer Steuererstattung bietet. Da für das streitgegenständliche Jahr kein Umsatzsteuerbescheid erging, musste die Beklagte die Klägerin grundsätzlich über die Möglichkeit von Änderungsanträgen innerhalb der Festsetzungsfrist belehren bzw., weil sie mindestens bis 2007 noch für Frau ... tätig war, selbständig einen solchen Antrag stellen und ggf. Einspruch einlegen.

Es konnte von der Beklagten erwartet werden, dass sie die einschlägige Rechtsprechung des BFH zur Umsatzsteuer kannte. Als es im Jahr 2003, nach Veröffentlichung des Vorlagebeschlusses des BFH vom 06.11.2002 Anlass gab, gegen die Steuerfestsetzung von 1998 vorzugehen, und sich die Anzeichen verdichteten, dass sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Steuerfreiheit von Umsätzen aus Geldspielautomaten ändern würde, war die Beklagte aus dem Beratungsverhältnis verpflichtet, einen Änderungsantrag zu stellen oder die Klägerin über diese Möglichkeit zu belehren.

Eine erste richtungsweisende Entscheidung des EuGH zur Richtlinie 77/388/EWG erging bereits im Jahr 1998. Als daraufhin der BFH in den Beschlüssen aus den Jahren 2000 und 2002 ebenfalls an der richtigen Umsetzung der Richtlinie zweifelte und auf die Möglichkeit der Steuerfreiheit hinwies, waren dies deutliche Anzeichen einer Rechtsprechungsänderung. Der Vorlagebeschluss des BFH wurde zu Beginn des Jahres 2003 in diversen steuerrechtlichen Zeitschriften, u.a. in der Beilage zur Zeitschrift Deutsches Steuerrecht – dem Organ der Bundessteuerberaterkammer -, veröffentlicht. Von der Beklagten konnte verlangt werden, dass sie in dieser Zeitschrift von der Entscheidung Kenntnis nimmt, die ein ernst zu nehmendes Indiz für eine Änderung der Besteuerung war.

3.)
Die Pflichtverletzung der Beklagten war kausal für die Entstehung des Steuerschadens. Es besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Unterlassen eines Änderungsantrags. Die Beklagte hat diese Vermutung nicht entkräftet.

Im Steuerberatervertragsrecht gilt bei Verstößen gegen die Beratungspflicht zugunsten des Mandanten die tatsächliche Vermutung, dieser hätte sich bei vertragsgerechtem Verhalten des Steuerberaters beratungsgemäß verhalten, sofern bei sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Menschen eindeutig eine bestimmte Reaktion nahegelegen hätte (vgl. BGH NJW 1993, 3259; BGH NJW 1994, 3295).

Die Grundsätze des Anscheinsbeweises kommen vorliegend zur Anwendung. Die Klägerin hat genügend Umstände vorgetragen, die typischerweise auf einen bestimmten Geschehensablauf schließen lassen. Die Beklagte musste ihre Mandantin Frau ... zumindest über die Möglichkeit und Aussichten eines Änderungsantrags belehren. Wenn sie dies getan hätte, dann hätte eine objektive Person einen Änderungsantrag stellen, bzw. Einspruch einlegen können, um sich die nicht fernliegende Möglichkeit einer Steuererstattung zu erhalten. Dies wäre auch die einzige vernünftige Reaktion gewesen.

Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, um den Anscheinsbeweis zu erschüttern.

4.)
Die Beklagte hat sich nicht gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpiert.

Die Beklagte trägt zu ihrer Entlastung lediglich vor, sie habe im September 2005 gegen alle noch offenen Umsatzsteuerbescheide der Klägerin Einspruch eingelegt. Aus dem Schreiben des Finanzamtes Lippstadt vom 05.10.2005 würde sich ergeben, dass sämtliche "Bescheide" berichtigt bzw. abgeändert worden seien.

Dies ist jedoch nicht zutreffend. Das Finanzamt teilt in diesem Schreiben lediglich mit, dass die Einspruchsverfahren wegen der Veranlagungszeiträume bis 1998 ruhten. Für berichtigungsfähig befindet das Finanzamt lediglich die Bescheide ab 1999.

Ein Vorgehen gegen die Festsetzungen erst im Jahr 2005 war nach obigen Ausführungen, auf Grund der Ende 2006 eingetretenen materiellen Bestandskraft, ohnehin zu spät.

5.)
Der Ehefrau des Klägers ist insgesamt ein Steuerschaden in Höhe von 20.507,05 Euro entstanden. Dieser setzt sich zusammen aus dem Betrag, der ihr nach Abänderung der Steuerfestsetzung erstattet worden wäre (15.263,05 Euro) und der Verzinsung dieses Betrages gem. § 233a Abs. 2 S. 1, Abs. 3, Abs. 5 AO (5.244,00 Euro).

Der ersatzfähige Schaden ist nach der Differenzmethode zu ermitteln. Er besteht in dem rechnerischen Unterschied zwischen der realen Vermögenslage und derjenigen, die ohne die Vertragsverletzung des Beraters eingetreten wäre (BGH NJW-RR 2004, 1210). Wenn die Beklagte einen Abänderungsantrag bezüglich der Steuerfestsetzung für 1998 eingereicht hätte, dann hätte das Finanzamt nach Erlass des BFH-Urteils vom 12.05.2005 eine Steuererstattung wegen der zu viel gezahlten Umsatzsteuer vorgenommen. In dieser Differenz liegt der Schaden der Klägerin.

Das einfache Bestreiten der Beklagten zur Schadenshöhe und der Hinweis auf nicht ausreichenden klägerischen Vortrag genügt den allgemeinen Anforderungen an die Darlegungslast nicht.

Grundsätzlich darf eine Klage ohnehin nicht wegen eines lückenhaften Vortrags zur Schadensentstehung und Schadenshöhe abgewiesen werden, solange greifbare Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung vorhanden sind (BGH NJW-RR 1987, 210).

Der Kläger legt zum einen eine Berechnung des Schadens durch den Steuerberater ... vor und zum anderen den Jahresabschluss für das Jahr 1998. Die Beklagte ist als Steuerberaterin in der Materie sachkundig, so dass ihr gem. § 139 Abs. 2 u. 3 ZPO angesichts des hinreichend substantiierten Vortrags des Klägers eine Pflicht zum qualifizierten Bestreiten hinsichtlich der Schadenshöhe obliegt. Anhand der vorgelegten Dokumente könnte sie die Steuerdifferenz zumindest überschlägig berechnen und aufzeigen, inwiefern die Berechnung des Klägers fehlerhaft sein soll.

Eine Hinweispflicht des Gerichts gem. § 139 Abs. 2 ZPO hinsichtlich dieses Gesichtspunktes bestand nicht. Auf den Umstand, dass ein einfaches Bestreiten nicht zulässig ist, hatte bereits der Kläger auf Seite 27 f. des Schriftsatzes vom 18.11.2008 hingewiesen.

6.)
Der Anspruch des Klägers ist nicht verjährt.

Die Verjährung des Anspruchs richtet sich vorliegend gem. Art. 229 § 12 Abs. 1, § 6 Abs. 1 EGBGB nach §§ 194 ff. BGB. Die Verjährungsfrist begann gem. §§ 199 Abs. 1 BGB am 01.01.2006. Der Anspruch ist erst im Jahr 2005 entstanden.

Grundsätzlich ist ein Anspruch entstanden, wenn er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann (Palandt/Heinrichs, BGB § 199, Rn. 3). Bei einem Schadensersatzanspruch also mit der Entstehung des Schadens. Für die Entstehung des Schadens muss eine konkrete Verschlechterung der Vermögenslage eingetreten sein. Das Setzen der Schadensursache oder eine bloße risikobehaftete Situation, in der noch offen ist, ob das Verhalten zu einem Schaden führt, genügen noch nicht (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB § 199, Rn. 15; BGHZ 100, 228; BGH NJW 1994, 323).

Für den Zeitpunkt des Schadenseintritts ist daher auf den Erlass des EuGH-Urteils, in welchem festgestellt wurde, dass private Unternehmer sich direkt auf die Richtlinie berufen können, abzustellen. Erst nach Erlass dieses Urteils stand fest, dass die Klägerin eine Steuererstattung für 1998 hätte erhalten können. Zuvor lag eine risikobehaftete Situation vor, weil die Rechtslage mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung unklar war. Es war aber noch offen, ob das Unterlassen der Einspruchseinlegung zu einem Schaden in Höhe der fehlenden Steuererstattung führen würde.

II.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Erstellung eines Gutachtens zur Schadensberechnung gem. §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB. Die Ermittlung der Schadenshöhe durch einen weiteren Steuerberater war hier mangels eigener Sachkunde des Klägers notwendig zur Bezifferung des Schadens und damit für die Stellung eines bestimmten Antrags.

III.

Der Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten ergibt sich ebenfalls aus §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 u. 2 ZPO.

RechtsgebietBürgerliches Gesetzbuch - Schadenersatz Vorschriften§ 398 BGB

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