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29.11.2005 · IWW-Abrufnummer 053392

Bundesgerichtshof: Beschluss vom 27.10.2005 – III ZB 66/05

a) Die Zulassung der (Rechts-)Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG an den Bundesgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage ist dem Spruchkörper in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung vorbehalten; eine Zulassung durch den Einzelrichter unterliegt wegen fehlerhafter Besetzung der Aufhebung von Amts wegen (Fortführung von BGHZ 154, 200).



b) Nimmt ein Kläger mehrere Beklagte als einfache Streitgenossen auf Schadensersatz in Anspruch und erklärt das Landgericht den beschrittenen Rechtsweg unter Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht für unzulässig, so kann ein Beklagter mit der von ihm allein eingelegten Beschwerde nicht erreichen, dass die angefochtene Entscheidung auch in Bezug auf die anderen Streitgenossen rechtlich überprüft wird.


BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

III ZB 66/05

vom
27. Oktober 2005

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Dr. Herrmann

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2 wird der Beschluss des 1. Zivilsenats (Einzelrichterin) des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. Mai 2005 - 1 W 23/05 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichterin) zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren und für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 ¤ festgesetzt.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Der Kläger, ein Leiharbeitnehmer der Firma P. , verlangt wegen eines Arbeitsunfalls vom 14. Juli 2003 von den Beklagten Schmerzensgeld und Feststellung seiner materiellen Schadensersatzansprüche. Der Beklagte zu 1, der ein Maler- und Lackiergeschäft betreibt, hatte ihn auf einer Baustelle auf dem Gelände der Beklagten zu 2 eingesetzt. Der Kläger hatte auf einem Hallendach der Betriebsgebäude der Beklagten zu 2 eine zu lackierende Fläche mit einem Dampfstrahlgerät zu bearbeiten. Nach seinem Vortrag stolperte er dort über eine Plastiklichtkuppel, die seinem Gewicht nicht standhielt, so dass er ca. 5 m tief in die darunter liegende Halle auf einen Betonboden stürzte und sich erhebliche Verletzungen zuzog. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagten hätten es schuldhaft unterlassen, geeignete Maßnahmen des Arbeitsschutzes für ihn zu treffen. Nachdem sich der Kläger vorsorglich mit einer Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht einverstanden erklärt und auch der Beklagte zu 1 eine solche Verweisung beantragt hatte, erklärte das Landgericht durch Beschluss des Einzelrichters vom 5. April 2005 den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht U. . Soweit der Kläger den Beklagten zu 1 in Anspruch nehme, sei der Rechtsweg zum Arbeitsgericht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG begründet, weil der Beklagte zu 1 im Rahmen der von ihm wahrzunehmenden Fürsorgepflicht als Arbeitgeber anzusehen sei. Wegen des unmittelbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs mit dieser Klage sei für die Inanspruchnahme der Beklagten zu 2 der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nach § 2 Abs. 3 ArbGG eröffnet. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2 wies das Oberlandesgericht durch Beschluss der Einzelrichterin zurück, die die Rechtsbeschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zuließ.

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (Einzelrichterin).

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 GVG statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil die Einzelrichterin entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat. Die angefochtene Einzelrichterentscheidung unterliegt jedoch der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist. Die Einzelrichterin durfte nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der von ihr bejahten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO dem mit drei Richtern besetzten Senat übertragen müssen. Mit ihrer Entscheidung hat sie die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlich zuständigen Richter entzogen. Diesen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters hat der Senat, wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt entschieden hat (vgl. BGHZ 154, 200, 202 f; Beschlüsse vom 11. September 2003 - XII ZB 188/02 - NJW 2003, 3712; vom 18. September 2003 - V ZB 53/02 - NJW 2004, 223), von Amts wegen zu beachten. Für eine Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Rechtsbeschwerde zu behandeln ist (vgl. BGHZ 152, 213, 214 f; Beschlüsse vom 12. November 2002 - XI ZB 5/02 - NJW 2003, 433, 434; vom 26. November 2002 - VI ZB 41/02 - NJW 2003, 1192 f; Senatsbeschluss BGHZ 155, 365, 368 f; vgl. auch BAG NJW 2002, 3725; BAG NJW 2003, 1069), kann nichts Anderes gelten.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Die Rechtsbeschwerde, die wie das Rubrum des angefochtenen Beschlusses neben dem Kläger auch den Beklagten zu 1 als Beschwerdegegner bezeichnet, geht offenbar davon aus, dass die Entscheidung des Landgerichts auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2 in vollem Umfang abgeändert werden kann, also auch in der Prozessrechtsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. Dem entspricht auch die Hauptzielrichtung ihres Beschwerdeangriffs, mit dem sie geltend macht, zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1 bestehe kein Arbeitsverhältnis. Der Leiharbeitnehmer sei ein Arbeitnehmer des Verleihers. Das ergebe sich auch aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG, der ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer nur für den Fall fingiere, dass der Vertrag zwischen dem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam sei.

Diese Frage ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu entscheiden, weil nur die Beklagte zu 2 und nicht auch der Beklagte zu 1 gegen den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Beschwerde eingelegt hat. Auch wenn die Rechtsbeschwerde Recht hätte (für eine arbeitsgerichtliche Zuständigkeit in Fällen, in denen der Entleiher wegen einer Verletzung von Fürsorgepflichten in Anspruch genommen wird, Matthes, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl. 2004, § 2 Rn. 52; Walker, in: Schwab/Weth, ArbGG, 2004, § 2 Rn. 78; Hauck/Helml, ArbGG, 2. Aufl. 2003, § 2 Rn. 20; wohl auch Krasshöfer, in: Düwell/Lipke, ArbGG, 2. Aufl. 2005, § 2 Rn. 29), würde dies einen Eingriff in das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1 bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht rechtfertigen. Die als Gesamtschuldner in Anspruch genommenen Beklagten zu 1 und 2 sind einfache Streitgenossen im Sinn des § 60 ZPO, der auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren entsprechend gilt (§ 46 Abs. 2 ArbGG). Die Streitgenossen stehen, soweit nicht aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder der Zivilprozessordnung sich ein anderes ergibt, dem Gegner dergestalt als Einzelne gegenüber, dass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen. Die Sache liegt auch nicht so, dass das streitige Rechtsverhältnis - etwa in Bezug auf die Rechtswegbestimmung - allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden könnte (vgl. § 62 ZPO). Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil die mögliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage auf § 2 Abs. 3 ArbGG beruht und damit auf einer Bestimmung, die es schon nach ihrem Wortlaut ermöglicht, eine an sich in die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehörende Sache unter den in § 2 Abs. 3 ArbGG genannten Voraussetzungen vor die Arbeitsgerichte zu bringen (vgl. Walker aaO Rn. 178 f). Auch materiellrechtlich sind die miteinander verbundenen Klagen auf unterschiedliche rechtliche Gesichtspunkte gestützt, die jeweils ihrer eigenen Beurteilung unterliegen. Eine Änderung der landgerichtlichen Entscheidung in Bezug auf das zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1 bestehende Prozessrechtsverhältnis kommt damit nicht mehr in Betracht. Die Frage, ob der Entleiher unter den hier gegebenen Umständen als Arbeitgeber anzusehen und eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG gegeben ist, ist daher nicht entscheidungserheblich.

IV.

Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an die Einzelrichterin, die den angefochtenen Beschluss erlassen hat.

Den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren bestimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung nach einem Bruchteil des Hauptsachewertes, wobei Schwankungen in einer Größenordnung von etwa 1/3 bis 1/5 denkbar sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Dezember 1996 - III ZB 105/96 - NJW 1998, 909, 910; vom 30. Januar 1997 - III ZB 110/96 - NJW 1997, 1636, 1637; Beschluss vom 30. September 1999 - V ZB 24/99 - NJW 1999, 3785, 3786). Da der Kläger ein Schmerzensgeld von etwa 25.000 ¤ für angemessen hält und die Größenordnung seines materiellen Schadens nicht näher angegeben hat, setzt der Senat den Wert des Beschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf 8.000 ¤ fest.

Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 GKG Gebrauch.

RechtsgebieteGVG, ZPOVorschriftenGVG § 17a Abs. 4 ZPO § 60 ZPO § 568 Satz 2 Nr. 2

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