Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Versicherungsrecht

Müssen Kosten für ein arzneimittelrechtlich nicht zugelassenes Medikament übernommen werden?

| Das BSG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Krankenhaus eine Vergütung für ein Medikament beanspruchen konnte. Dieses war einem Patienten im Rahmen einer vollstationären Krankenhausbehandlung verabreicht worden. Das BSG hat hierbei die Frage geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Medikamentengabe von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist. |

 

Sachverhalt

Der 1929 geborene Patient, der an einer blasenbildenden Autoimmundermatose in Form eines Schleimhautpemphigoids leidet, wurde im Mai/Juni 2009 im Krankenhaus stationär behandelt. Hierfür verlangte das klagende Krankenhaus von der beklagten Krankenkasse einen Betrag von ca. 12.315 EUR. In dem Betrag enthalten war ein Zusatzentgelt ZE 82.14 von circa 6.707 EUR für die „Gabe von Rituximab, parenteral 1.850 mg bis unter 2.050 mg“.

 

Die Krankenkasse beglich die Rechnung zunächst vollständig, rechnete später aber mit unstreitigen Gegenforderungen i. H. v. ca. 6.707 EUR auf. Das Rituximab sei weder zur unspezifischen Immunmodulation noch zur Behandlung des Pemphigoids mit Antikörperbildung zugelassen. Die Voraussetzungen für einen zulässigen sog. Off-Lable-Use lägen nicht vor.

 

Streitgegenstand ist damit die Frage, ob der Patient zulasten der Krankenkasse mit Rituximab behandelt werden durfte. Nachdem das SG die Klage abgewiesen hat, hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung verurteilt (LSG Hamburg 3.5.18, L 1 KR 19/16). Zwar war das Medikament zum Zeitpunkt der Behandlung für die Erkrankung des Versicherten arzneimittelrechtlich nicht zugelassen. Zugelassen war es für die Behandlung anderer schwerer Krankheiten. Allerdings ist das LSG der Auffassung, dass die Behandlung mit Rituximab aufgrund verfassungskonformer Auslegung gerechtfertigt war.

 

Mit der Revision macht die Beklagte geltend, die Voraussetzungen eines grundrechtsorientierten Leistungsanspruchs seien nicht erfüllt. Der Umstand, dass der Versicherte eine abstrakt erhöhte Anfälligkeit für einen Infekt habe, begründe keine notstandsähnliche Situation mit konkreter unmittelbarer Lebensgefahr. Vielmehr seien die zugelassenen Therapieoptionen nicht ausgeschöpft gewesen. Auch liege kein sogenannter Seltenheitsfall vor.

 

Entscheidungsgründe

Das BSG hat das vorhergehende Urteil aufgehoben und das Verfahren an das LSG zurückverwiesen (19.3.20, B 1 KR 22/18 R, Abruf-Nr. 218331). Nach Auffassung des 1. Senats war wegen der vom LSG festgestellten Tatsachen eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich. Denn es sei noch zu klären, ob ein Leistungsanspruch aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung bestehe oder ein Seltenheitsfall vorliege.

 

Ein Leistungsanspruch des Versicherten nach den Grundsätzen des sog. Off-Label-Use besteht nach dem BSG nicht: Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat den Einsatz von Rituximab zur Behandlung des Schleimhautpemphigoids nicht empfohlen. Die Gabe erfolgte auch nicht im Rahmen einer klinischen Studie. Außerdem fehle es an einer im Zeitpunkt der Behandlung aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht in Form von bereits vorliegenden Forschungsergebnissen, die erwarten lassen würden, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne.

 

Ein Anspruch aufgrund einer grundrechtskonformen Auslegung des Leistungsrechts komme zwar in Betracht. Für eine Entscheidung reichen dem BSG aber die vom LSG getroffenen Feststellungen nicht aus. Zudem beruhe die Entscheidung des LSG im Ergebnis auf einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab. Denn das LSG ging davon aus, dass wegen einer erhöhten Infektanfälligkeit und einer daraus resultierenden Gefahr einer Sepsis (Blutvergiftung) eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt.

 

MERKE | Bei der Frage, ob eine wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbare Erkrankung vorliegt, komme es aber allein auf die Schwere und das Ausmaß der aus der Krankheit folgenden Beeinträchtigung an. Dabei werde der Gefahr des Todes der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gleichgestellt.

 

Die Anforderungen für die Annahme eines akuten Behandlungsbedarfs bei erheblichem Zeitdruck dürften aber nicht reduziert werden. Nach Ansicht des BSG senkt das LSG in seiner Entscheidung diese Anforderungen ab und verlässt den von der Rechtsprechung des erkennenden Senats vorgegebenen Maßstab für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Diese setze voraus, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit nach den konkreten Umständen des Falles verwirklichen wird. Das LSG nahm zwar an, dass der Zustand des Versicherten jederzeit in einen sich rasant entwickelnden und höchstwahrscheinlich unumkehrbaren, im Ergebnis tödlichen Prozess umschlagen könne. Das BSG sieht diese Feststellungen jedoch nicht als geeignet an, zu entscheiden, ob eine notstandsähnliche Situation vorliegt oder nicht.

 

Nach Ansicht des BSG muss vom LSG u. a. auch noch geklärt werden, ob vor der Gabe von Rituximab auch andere Arzneimittel bzw. anders dosierte Arzneimittel in Betracht gekommen wären. Zudem sei auch noch zu prüfen, ob sich der Leistungsanspruch wegen Vorliegens eines sog. Seltenheitsfalls begründen ließe. Hierfür bedürfe es aber eines Krankheitsbildes, welches aufgrund seiner Singularität nicht medizinisch erforschbar sein dürfe.

 

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidung ist sehr lesenswert bei Fragen zu einer Behandlung mit arzneimittelrechtlich nicht zugelassenen Medikamenten im Krankenhaus. Denn dazu prüft das BSG sämtliche in Betracht kommenden rechtlichen Möglichkeiten ausführlich und erläutert dabei die jeweiligen Voraussetzungen.

Quelle: Ausgabe 11 / 2020 | Seite 190 | ID 46923494