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· Fachbeitrag · Sozialhilfebezug

Ehegatte pflegebedürftig: Was muss der andere von seinem Einkommen und Vermögen einsetzen?

von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Berlin

| Wird ein Ehegatte pflegebedürftig und vollstationär untergebracht, reichen häufig die eigenen (Alters-)Einkünfte und die Leistungen der Pflegekasse nicht aus, um die Heimkosten zu decken. Es entsteht ein sog. Ergänzungs- oder Aufstockungsbedarf. Wegen der Subsidiarität der Sozialhilfe, taucht dann die Frage auf, ob und wie viel der andere Ehepartner an Einkommen und Vermögen für die ungedeckten Heimkosten einzusetzen hat und welche Rolle dabei der zivilrechtliche Güterstand der Eheleute spielt. |

1. Ausgangsbeispiel

Wegen des allgemeinen Nachranggrundsatzes in § 2 SGB XII für Leistungen der Sozialhilfe prüfen die Sozialhilfeträger genau, ob Bedürftigkeit besteht.

 

  • Beispiel

Der 70-jährige verheiratete M, der an fortgeschrittener Demenz leidet, lebt seit dem 1.6.17 in einer Pflegeeinrichtung. Die monatlichen Heimkosten belaufen sich auf ca. 3.500 EUR. M bezieht eine monatliche Altersrente von 1.300 EUR. Zusätzlich erhält er durch die Pflegekasse seit dem Aufnahmetag Leistungen der vollstationären Pflege entsprechend seinem Pflegegrad 3. Am 3.10.17 beantragt die Ehefrau F für M beim Sozialhilfeträger S Hilfe zur Pflege in Einrichtungen als Zuschuss nach dem 7. Kapitel des SGB XII, weil die Heimkosten seit dem 1.10.17 mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr vollständig gedeckt werden können.

 

F bezieht eine eigene Altersrente in Höhe von monatlich 800 EUR. Die Eheleute sind gemeinsame Inhaber eines Sparbuchs, das bis zum 15.6.17 noch ein Guthaben von 16.000 EUR aufwies. Bis zum 25.9.17 erfolgten mehrere Abhebungen. Ein Teil hiervon (insgesamt 5.500 EUR) wurde für die Pflegekosten des M verwendet; 8.000 EUR hob die F für eigene Zwecke ab. Der Rest von 2.500 EUR soll nach Darstellung der F dem M allein zustehen. Daneben ist F Inhaberin eines nur auf ihren Namen lautenden Sparbuchs. Dieses wies am 1.5.16 noch ein Guthaben von 35.000 EUR auf. In der Folgezeit erfolgten durch F zahlreiche Barabhebungen in Höhe von insgesamt 33.000 EUR, sodass am 1.6.17 (dem Tag der Heimunterbringung von M) nur noch 2.000 EUR vorhanden waren.

 

S lehnt den Antrag des M auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten ab. Als Begründung gibt er an, am 15.6.17 hätten die Eheleute über ein gemeinsames Sparvermögen in Höhe von 16.000 EUR verfügen. Zudem sei weder nachvollziehbar dargelegt noch nachgewiesen, wofür die F die von ihr in zeitlicher Nähe zur Heimunterbringung des M abgehobenen 33.000 EUR verwendet habe.

 

Frage: Reicht der Status der bestehenden Ehe aus, um daraus eine sozialhilferechtliche Einstandspflicht der F herzuleiten, die nicht nur das gemeinsame Vermögen der Eheleute umfasst, sondern auch ihr eigenes Sparvermögen?

 

2. Einsatzgemeinschaft

§ 61 SGB XII regelt den Personenkreis der Leistungsberechtigten. Soweit neben der Pflegebedürftigkeit das Vorliegen von Bedürftigkeit formuliert wird, wiederholt die Vorschrift ‒ fast wortgleich und ohne materiell-rechtliche Abweichungen ‒ den Regelungsgehalt von § 19 Abs. 3 SGB XII. Danach ist der Leistungsanspruch bzw. dessen Umfang nicht nur vom Einsatz des eigenen Einkommens und Vermögens (hier des M) abhängig. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern wird auch das Einkommen und Vermögen des Partners berücksichtigt.

 

Nach § 61 S. 1, § 19 Abs. 3 SGB XII wird Hilfe zur Pflege in Form von darlehensfreier Sozialhilfe geleistet, soweit den Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, die für die Pflege benötigten Mittel aus ihren Einkommen und Vermögen aufbringen. Hilfe zur Pflege setzt neben der Pflegebedürftigkeit eine finanzielle Bedürftigkeit voraus, auch bei Heimunterbringung.

 

Zunächst ist zu klären, ob die Eheleute infolge des Umzugs des M ins Heim als getrenntlebend i. S. d. Normen zu beurteilen sind. Das gilt umso mehr, als eine Rückkehr des M in die frühere Ehewohnung so gut wie ausgeschlossen ist. Ob Ehepartner und Lebenspartner dauernd getrennt leben, richtet sich nicht nach Familienrecht (§ 1567 Abs. 1 BGB). Der sozialhilferechtliche Begriff des (Nicht-)Getrenntlebens (z. B. in §§ 19, 27, 61 SGB XII) bestimmt sich eigenständig nach Sinn und Zweck sozialhilferechtlicher Vorschriften und Maßstäbe. Für ein Getrenntleben ist erforderlich, dass mindestens ein Ehepartner den Willen hat, sich von dem anderen Ehegatten unter Aufgabe der bisherigen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft auf Dauer zu trennen. Der Wille, füreinander einzustehen, darf nicht mehr bestehen.

 

MERKE | Für ein sozialhilferechtliches Getrenntleben ist nicht erforderlich, dass die Eheleute keinerlei Kontakt mehr zueinander haben und eine „totale Trennung“ vollziehen. Jedoch wird man eine Schutzbehauptung eines oder sogar beider Ehegatten/Lebenspartner, ihre bisherige Lebensgemeinschaft sei beendet, zur Verhinderung eines Rechtsmissbrauchs nicht ausreichen lassen. Vielmehr muss der Trennungswille eines oder beider Partner schlüssig nach den vorgetragenen tatsächlichen Verhältnissen nachvollziehbar sein und sich nach außen deutlich erkennbar manifestiert haben.

 

Nach allgemeiner Auffassung reicht die Tatsache der Unterbringung eines Ehegatten in einem Pflegeheim allein für die Annahme eines Getrenntlebens nicht aus. Das gilt selbst, wenn wegen des gesundheitlichen Zustands des Pflegebedürftigen die Heimunterbringung voraussichtlich dauerhaft sein wird.

 

Auch beim Familienunterhalt (§§ 1360, 1360a BGB) geht der BGH davon aus, dass die räumliche Trennung durch den Umzug eines Ehegatten in ein Pflegeheim nicht zu einem „Getrenntleben“ i. S. v. § 1567 BGB führt (27.4.16, XII ZB 485/14, Abruf-Nr. 186320). Nach § 1567 BGB sei von einem Getrenntleben nur auszugehen, wenn keine häusliche Gemeinschaft mehr bestehe und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen wolle, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehne. Fehlt es daran, lebten die Eheleute auch nicht getrennt, wenn sie zwei eigenständige Haushalte unterhielten. Hier liegen keine Anhaltspunkte für eine Trennung vor. Damit muss F, ihr Einkommen und Vermögen auch für M einsetzen. Allerdings nur soweit sie diese Mittel nicht für ihren eigenen Bedarf benötigt. Letzteres kann im Hinblick auf ihre geringe Altersrente von monatlich 800 EUR ohne Weiteres angenommen werden.

3. Einsatz des überschießenden Einkommens und Vermögens

§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII schützt bestimmte Vermögenswerte. Danach darf Sozialhilfe nicht von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder Geldwerte abhängig gemacht werden. Ab 1.4.17 beträgt der Vermögensfreibetrag für jede volljährige Person der Einsatzgemeinschaft 5.000 EUR. Dabei wird die Freibetragsregelung nicht für jeden Vermögensinhaber gesondert angewendet. Vielmehr ist für den Freibetrag auf das gesamte in der Einsatzgemeinschaft vorhandene Vermögen abzustellen, egal wer dessen Inhaber ist.

 

Der aus M und F bestehenden Einsatzgemeinschaft ist danach ein Vermögensfreibetrag in Höhe von insgesamt 10.000 EUR zuzubilligen. Bei der anschließenden Gegenüberstellung ist das hohe Eigenvermögen der F in voller Höhe mitzuberücksichtigen. Das über den geschützten Grenzbetrag von 10.000 EUR hinausgehende Vermögen ist für die Heimkosten des M zu verwenden. Wem die überschießenden Vermögensbeträge im Innenverhältnis der Eheleute zivilrechtlich zuzuordnen ist, spielt sozialhilferechtlich keine Rolle.

4. Vermögensverbrauch

Hier bestand zunächst ein Sparvermögen von M und F von 16.000 EUR auf dem gemeinsamen Sparbuch. Überdies war gut ein Jahr vor der Heimunterbringung von M ein weiteres Sparguthaben der F von 35.000 EUR vorhanden. Auf dieses zusammenzurechnende Gesamtvermögen beider Ehegatten von 51.000 EUR ist der ungeteilte Vermögensschonbetrag für die aus M und F bestehende Einsatzgemeinschaft von 10.000 EUR anzurechnen. Der anzuerkennende Verbrauch der von F abgehobenen 5.500 EUR für die Pflegekosten des M ist ebenfalls abzusetzen. Es verbleibt damit ein erklärungsbedürftiger Geldverbrauch von (51.000 EUR - 5.500 EUR - 10.000 EUR =) 36.000 EUR.

 

Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen ist die Hilfsbedürftigkeit des M eine anspruchsbegründende Tatsache. Hierfür trägt er als Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast. Sind unstreitig Sparguthaben und damit Vermögenswerte vorhanden gewesen, trägt der um Sozialhilfe Nachsuchende als Teil der Einsatzgemeinschaft die Beweislast auch für den Verbleib des Vermögens. Ein ungeklärter Geldverbrauch geht zu seinen Lasten. Allerdings dürfen nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen Umstände aus der Vergangenheit nur soweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen. Es sind deshalb nur solche Barabhebungen von gemeinsamen Konten oder von einem Konto des Ehegatten zu berücksichtigen, die zeitnah zu der Heimaufnahme erfolgt sind. Hier spielen die Umstände des Einzelfalls eine entscheidende Rolle. Im Ausgangsfall dürfte im Hinblick auf die Geldabhebungen durch F, die gut ein Jahr vor der Heimunterbringung begonnen haben, die erforderliche Zeitnähe noch ohne Bedenken zu bejahen sein. Denn gerade bei Demenz kann ohne Weiteres angenommen werden, dass für M, vor allem aber für F bereits zu Beginn 2016 der Umzug des M in ein Pflegeheim in absehbarer Zukunft realistischerweise vorhersehbar war.

 

Sofern M und insbesondere F keine plausible Erklärung abgeben und ggf. Belege vorlegen können, für welche Zwecke F die von ihr seit dem 1.5.16 für eigene Zwecke abgehobenen erheblichen Geldbeträge von insgesamt 41.000 EUR verwendet hat, geht die Nichterweislichkeit eines anzuerkennenden Verbrauchs zulasten des beweisbelasteten M. Im Ergebnis hat er in dieser Situation wegen einzusetzenden Vermögens keinen Anspruch auf Sozialhilfe in Form des geltend gemachten (verlorenen) Zuschusses.

 

MERKE | Ob F durch die erheblichen Barabhebungen das vorhandene Vermögen vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers in Sicherheit bringen wollte oder sonstige (zwingende oder verschwenderische) Ausgaben damit bestritten hat, kann dahinstehen. Entscheidend ist allein der ungeklärte Verbleib des unstreitig abgehobenen und bis zur Vermögensfreigrenze von 10.000 EUR an sich für die ungedeckten Heimkosten einzusetzenden Vermögens beider Eheleute.

 

Im Übrigen würde auch der Einwand ins Leere gehen, dass die Verwendung des Sparvermögens der F eine unzumutbare Härte für sie bedeuten würde, weil sie das Geld für ihre eigene angemessene Altersversorgung benötige. Dass die ursprünglich vorhandenen 35.000 EUR auf dem eigenen Sparkonto der F weder ganz noch teilweise ihrer eigenen Altersvorsorge dienen, zeigt gerade der ungeklärte Verbrauch der Geldbeträge. Die fiktive Anrechnung eines weiteren Schonbetrags im Hinblick auf die eigene Alterssicherung der F scheidet aus.

 
  • Abwandlungen des Ausgangsbeispiels

Abwandlung 1

M und F schon bei Eheschließung Gütertrennung vereinbart. An dem Anspruchsausschluss wegen einzusetzenden Vermögens des M bzw. seiner Ehefrau ändert sich nichts. Auf den zivilrechtlichen Güterstand kommt es für die sozialhilferechtliche Einstandspflicht nicht an.

 

Abwandlung 2

F ist mit M in zweiter Ehe verheiratet. Aus erster Ehe hat M zwei inzwischen volljährige Kinder. Ferner ist F Alleineigentümerin eines Grundstücks, das mit einem Zweifamilienhaus bebaut ist. In der einen Wohnung befindet sich die von F weiter allein bewohnte frühere Ehewohnung, die eine Wohnfläche von 100 qm aufweist. Die andere Wohnung ist vermietet. Dieses Hausgrundstück stand schon vor der Eheschließung von F und M im Alleineigentum der F. Gleichwohl verlangt S auch insoweit eine Vermögensberücksichtigung.

 

Während im Familien-, Unterhalts- und Erbrecht ein vor der Eheschließung erworbenes Vermögen gegenüber Ansprüchen des Ehegatten und der Kinder aus erster Ehe einen höheren („privilegierten“) Schutz genießt, wird das Sozialhilferecht vom Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII beherrscht. § 90 SGB XII regelt im Einzelnen das einzusetzende Vermögen, ohne dass danach unterschieden wird, ob es sich bei dem Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten um vor oder nach der Eheschließung erworbenes Vermögen handelt. Daraus wird deutlich, dass das im Alleineigentum der Ehefrau des M stehende Hausgrundstück keinen weiteren als den in § 90 SGB XII beschriebenen Einschränkungen unterliegt.

 

Selbst wenn man mit Blick auf die (unterstellt für eine marktübliche Miete) vermietete Einliegerwohnung nur auf die von F nach Umzug des M nur noch allein bewohnten Wohnfläche von 100 qm abstellt, handelt es sich dabei nach nicht mehr um ein angemessenes Hausgrundstück i. S. v. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII. (siehe Teil 1 des Beitrags in SR 18, 30) Der Wohnflächenbedarf der F allein von an sich 80 qm wird um 25 Prozent überschritten. Die Immobilie der F ist folglich kein Schonvermögen i. S. v. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII.

 

Der Grundbesitz von F ist auch nicht unter Härtegesichtspunkten gemäß § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII als geschütztes Vermögen zur berücksichtigen. Der Umstand, dass durch einen Einsatz dieses Vermögens das (eventuelle spätere) Erbe der beiden Kinder der F aus ihrer ersten Ehe geschmälert würde, bedeuten zwar eine Härte, die nach § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII einem Einsatz oder einer Verwertung der Immobilie entgegenstehen könnte. Aber: Vermögen, das möglicherweise familienrechtlich geschützt ist, bildet nicht allein deshalb auch sozialhilferechtliches Schonvermögen.

 

PRAXISHINWEIS | Da das Vermögen der F einzusetzen ist, „haften“ letztlich mittelbar auch ihre Erben für die Verbindlichkeiten des M, obwohl sie mit ihm nicht verwandt sind. Sie sind ihm auch nicht in sonstiger Weise verpflichtet.

 

Der Gesetzgeber hat den Umstand gesehen, dass die Verpflichtungen eines Ehepartners im Sozialrecht weiter gehen können als die familienrechtlichen Verpflichtungen der Eheleute untereinander. Trotz der „Patchwork-Familien“, die seit vielen Jahren zum gesellschaftlichen Alltag gehören, hat der Gesetzgeber diese sozialhilferechtlichen Regelungen nicht geändert, obwohl er in vielen anderen Rechtsbereichen die Gesetze diesen Veränderungen angepasst hat.

 

Im Ergebnis ist weiteres Vermögen (Grundbesitz) der F vorhanden, das sie zur Deckung der Heimkosten und Vermeidung/Minderung der Sozialhilfebedürftigkeit des M einzusetzen hat.

5. Fazit

Das Sozialhilferecht schützt nicht das Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten und der (Stief-)Kinder eines Antragstellers. Vielmehr sollen die Bedürftigkeit eines Leistungsberechtigten und sein Anspruch auf die steuerfinanzierte Sozialhilfe so gering wie möglich ausfallen. Diesem in § 2 SGB II allgemein verankerten Nachranggrundsatz trägt die unmittelbare Einstandspflicht des nicht getrennt lebenden Ehegatten und ggf. mittelbar auch seiner nicht aus der Ehe mit dem Hilfsbedürftigen stammenden Kinder Rechnung. Dagegen bestehen verfassungsrechtlich keinen Bedenken.

Quelle: Ausgabe 03 / 2018 | Seite 50 | ID 45152793