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· Fachbeitrag · Pflegekosten

Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung ‒ Entlastung bei vollstationärer Pflege

von Alexander Schrehardt (Betriebswirt bAV [FH] und Versicherungsberater § 34d [2] GewO), Erlangen

| Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz und dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung hat der Gesetzgeber wichtige Neuerungen für die Pflege auf den Weg gebracht, die in dieser und der nächsten Ausgabe näher erläutert werden sollen. |

1. Eigenanteil an vollstationären Pflegekosten

Nachdem der Eigenanteil der Versicherten an den vollstationären Pflegekosten bis Ende 2016 in Abhängigkeit von der zuerkannten Pflegestufe ermittelt wurde, hat der Gesetzgeber mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil zum 1.1.17 eingeführt (Art. 2 Nr. 36 Zweites Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften, BGBl. I 2015, 2424).

 

Beachten Sie | Für Versicherte mit dem Pflegegrad 1 besteht kein Anspruch auf Leistungen der vollstationären Pflege.

 

MERKE | Danach wird der von den Versicherten der Pflegegrade 2 bis 5 zu tragende Anteil an den vollstationären Pflegekosten für jede Einrichtung ermittelt. Hierbei handelt es sich um keine Fix-, sondern vielmehr um eine variable Größe, d. h. der einrichtungseinheitliche Eigenanteil kann in Abhängigkeit von der Kostensituation der Einrichtung erhöht oder auch reduziert werden.

 
  • Beispiel zum Eigenanteil je nach Pflegeeinrichtung

Wie sich die Kosten einer Einrichtung auf den Eigenanteil auswirken können, zeigt das nachfolgende Zahlenbeispiel eines Angehörigen des Autors.

 

Bei Einführung des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils zum 1.1.17 bezifferte sich der Eigenanteil für die Bewohner einer vollstationären Pflegeeinrichtung in Nürnberg auf 479,59 EUR im Monat. Bis zum 1.8.21 erhöhte sich der von den Versicherten zu tragende Zuzahlungsbetrag auf 1.329,96 EUR/Monat, d. h. um 177,3 Prozent.

 

Zusätzlich zum Eigenanteil an den vollstationären Pflegekosten muss der Versicherte auch für die sog. Hotelkosten, d. h. für die Investitionskostenpauschale, Unterkunft, Verpflegung und die Ausbildungsumlage aufkommen. Im vorgenannten Beispiel saldieren die monatlichen Gesamtkosten damit auf 2.803,20 EUR. Eine Kostenbelastung, die für viele pflegebedürftige Versicherte eine nicht oder nur schwer lösbare finanzielle Herausforderung darstellt.

2. Personalschlüssel für die vollstationäre Pflege

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung hat der Gesetzgeber für Einrichtungen der vollstationären Pflege einen Personalschlüssel als Obergrenze festgelegt, § 113c Abs. 1 SGB XI n. F.

 

  • Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen in Vollzeitäquivalenten/Pflegebedürftigen
Pflegegrad 1
Pflegegrad 2
Pflegegrad 3
Pflegegrad 4
Pflegegrad 5

Hilfskraftpersonal ohne Ausbildung

0,0872

0,1202

0,1449

0,1627

0,1758

Hilfskraftpersonal mit Ausbildung

0,0564

0,0675

0,1074

0,1413

0,1102

Fachkraftpersonal

0,0770

0,1037

0,1551

0,2463

0,3842

 

Projiziert man diesen Personalschlüssel auf eine vollstationäre Pflegeeinrichtung mit jeweils 50 pflegebedürftigen Versicherten der Pflegegrade 2 bis 5, so würden sich folgende Belegschaftszahlen ergeben:

 

  • Belegschaftszahlen einer vollstationären Pflegeeinrichtung mit 200 pflegebedürftigen Versicherten
Pflegegrad 2
Pflegegrad 3
Pflegegrad 4
Pflegegrad 5
Gesamt

Hilfskraftpersonal ohne Ausbildung

6,010

7,245

8,135

8,790

30,180

Hilfskraftpersonal mit Ausbildung

3,375

5,370

7,065

5,510

21,320

Fachkraftpersonal

5,185

7,755

12,315

19,210

44,465

 

Die COVID-19-Pandemie hatte Ärzte und Pflegekräfte gleichermaßen vor sehr hohe Herausforderungen gestellt. Vor allem die Überlastung der Krankenhäuser, und hier vor allem der Intensivstationen, haben den Mangel an Pflegefachkräften deutlich aufgezeigt. Auch viele Pflegeheime kämpfen seit Jahren mit einem chronischen Personalmangel.

 

PRAXISTIPP | Der Vorstoß des Gesetzgebers mit einem Personalschlüssel für vollstationäre Pflegeeinrichtungen ist daher dem Grunde nach sehr zu begrüßen. Auf Rückfrage bei drei Pflegeeinrichtungen bewerteten die Geschäftsleitungen den vom Gesetzgeber als Obergrenze aufgegebenen Personalschlüssel als sehr positiv, führten aber gleichzeitig aus, dass ein Auffüllen ihrer Belegschaften bis zu dieser Obergrenze aufgrund des chronischen Mangels an Pflegefach- und -hilfskräften (Osterloh, Pflegemangel: 17.000 offene Stellen in Pflegeheimen, Deutsches Ärzteblatt, 2018, 115(12), 513) als reines Wunschdenken zu bewerten ist.

 

Tatsache ist, dass vor allem das Arbeiten in einem 24-Stunden-Schichtbetrieb, aber auch die physischen und psychischen Belastungen im Berufsalltag viele Bewerber abschrecken. Nachdem auf dem deutschen Arbeitsmarkt in den letzten Jahren immer weniger Pflegefach- und -hilfskräfte zur Verfügung standen, hatten viele Einrichtungen neue Mitarbeiter/-innen vor allem aus osteuropäischen Nachbarstaaten angeworben. Leider scheint auch diese Quelle zwischenzeitlich zu versiegen, sodass erste Pflegeheime versuchen, ihre vakanten Stellen mit Mitarbeitern/-innen von den Philippinen zu besetzen bzw. Pflegekräfte zur Ausbildung beispielsweise in Äthiopien und Madagaskar anzuwerben.

 

Beachten Sie | In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird die Gewinnung und Bindung von qualifizierten Arbeitnehmern, und dies gilt selbstverständlich auch für die pflegenden Berufe, zu einer immer größeren Herausforderung. Die demografischen Verwerfungen in der deutschen Gesellschaft, Folgen einer seit 1950 beständig steigenden Lebenserwartung und einem seit dem Jahr 1972 durchgängig dokumentierten Geburtenunterschuss, werden von den Belegschaften in den Unternehmen nachgezeichnet. Einer zunehmend kritischen Personalsituation stehen jedoch in unserer überalternden Gesellschaft kontinuierlich steigende Pflegefallzahlen gegenüber.

3. Tarifvertragliche Regelung für Pflegekräfte

Eine tarifvertragliche und damit transparente Regelung der Entlohnung von in der Pflege Beschäftigten wird schon seit längerer Zeit gefordert.

 

a) Erste Maßnahme des Gesetzgebers: Corona-Prämie

Im Mai 2020 hat der Gesetzgeber die verpflichtende Zahlung einer einmaligen Corona-Prämie von 100 EUR bis maximal 1.000 EUR als Sonderleistung an in der Pflege tätige Beschäftigte normiert (Art. 5 Nr. 5 Zweites Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BGBl. I 2020, 1018; § 150a SGB XI).

 

Beachten Sie | Die Höhe der zu gewährenden Corona-Prämie hat der Gesetzgeber von der Art des Beschäftigungsverhältnisses und der pflegerischen Tätigkeit abhängig gemacht.

 

Diese Maßnahme des Gesetzgebers ist dabei sowohl als monetäre Zuwendung als auch als ein Zeichen der Wertschätzung zu werten.

 

b) Zweite Maßnahme des Gesetzgebers: Tarifvertragliche Regelung

Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz hat der Gesetzgeber der Forderung nach einer tarifvertraglichen Regelung nunmehr Rechnung getragen und diese für Mitarbeiter/-innen der Pflege auf den Weg gebracht.

 

MERKE | Ab dem 1.9.22 dürfen Versorgungsverträge nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, die Mitarbeiter/-innen ein tarifvertraglich oder gemäß einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung vereinbartes Arbeitsentgelt bezahlen. Sofern Pflegeeinrichtungen keiner tarifvertraglichen Bindung und keiner kirchlichen Aufsichtsregelung unterstehen, dürfen Versorgungsverträge mit diesen Einrichtungen ab 1.9.22 nur dann geschlossen werden, wenn die Entlohnung die Höhe der in einer tarifvertraglichen oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung vereinbarten Vergütung nicht unterschreitet.

 

Für bereits bestehende und über den 31.8.22 hinausreichende Versorgungsverträge müssen bis spätestens 31.8.22 die vorgenannten Voraussetzungen umgesetzt werden.

 

Die erforderlichen Kontrollmechanismen hat der Gesetzgeber ebenfalls geregelt (Art. 2 Nr. 21 GVWG, BGBl. I 2021, 2754; § 72 Abs. 3a bis 3f SGB XI n. F.). Ab dem 1.9.22 müssen die Träger von Pflegeeinrichtungen bei der Vereinbarung der Pflegesätze die von ihnen zugrunde gelegten Gehälter ihrer Beschäftigten auf Verlangen nachweisen (Art. 2 Nr. 25 und 26 GVWG, BGBl. I 2021, 2754; § 82c Abs. 2 und 3 und § 84 SGB XI n. F.).

 

c) Kein Einwand der Unwirtschaftlichkeit

Die finanzielle Besserstellung von Beschäftigten der Pflege wirft die Frage nach einer Verweigerung einer tarifvertraglich geregelten Entlohnung der Beschäftigten durch den Arbeitgeber mit dem Einwand der Unwirtschaftlichkeit auf. Auch diese Frage hat der Gesetzgeber geklärt und normiert, dass ab dem 1.9.22 eine tarif- oder an eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung gebundene Entlohnung der Beschäftigten nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden kann (Art. 2 Nr. 25 GVWG, BGBl. I 2021, 2754; § 82c SGB XI n. F.).

 

Sofern der Träger einer Pflegeeinrichtung seinen Mitarbeitern eine im Vergleich zur tarifvertraglichen oder zur kirchlichen Aufsichtsregelung höhere Bezahlung gewährt, muss dies sachlich begründet werden.

4. Leistungszuschuss für Versicherte in vollstationärer Pflege

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (BGBl. I 2021, 2754) hatte der Gesetzgeber die hohen Kosten der vollstationären Pflege auf die Agenda genommen und einen Leistungszuschuss für Versicherte in vollstationärer Pflege normiert.

 

PRAXISTIPP | Versicherte der Pflegegrade 2 bis 5, die in einer vollstationären Einrichtung pflegerisch versorgt werden, haben ab dem 1.1.22 Anspruch auf einen Leistungszuschuss. Dieser berechnet sich prozentual aus dem einrichtungseinheitlichen Eigenanteil der jeweiligen Einrichtung und in Abhängigkeit von der Dauer der vollstationären Pflege:

  • In den ersten zwölf Monaten beträgt der Leistungszuschuss 5 Prozent.
  • Ab dem 13. Monat steigt der Leistungszuschuss auf 25 Prozent,
  • ab dem 25. Monat auf 45 Prozent und
  • ab dem 37. Monat auf 70 Prozent des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils an den vollstationären Pflegekosten (§ 43c SGB XI n. F.).
 

Vor allem für Versicherte, die über einen längeren Zeitraum Leistungen der vollstationären Pflege in Anspruch nehmen, sichert der Leistungszuschuss eine hohe Entlastung, im vorgenannten Beispiel i. H. v. 11.171,66 EUR/Jahr.

 

Weiterführender Hinweis

  • In der nächsten Ausgabe werden die weiteren Folgen dieses Leistungszuschusses sowie seine Finanzierung näher betrachtet.
Quelle: Ausgabe 01 / 2022 | Seite 15 | ID 47822439