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· Fachbeitrag · Betreuungsverfahren

Persönliche Anhörung: Was gilt, wenn sich der Betroffene im Anhörungstermin nicht äußert?

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Die persönliche Anhörung des Betroffenen ist ein ganz wesentliches Element des Betreuungsverfahrens. Der Gesetzgeber sieht in der Durchführung einer persönlichen Anhörung den Regelfall. Dies gilt gleichermaßen für das Betreuungs- und das Beschwerdegericht. Doch was bedeutet es für die Anhörungspflicht, wenn sich der Betroffene im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nicht zum Verfahrensgegenstand einlässt? Die Antwort liefert eine aktuelle Entscheidung des BGH. |

 

  • Leitsatz des Bearbeiters

Das Beschwerdegericht kann von der persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen, wenn die Anhörung im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Betroffene sich in dem vom Amtsgericht anberaumten Anhörungstermin auf ein persönliches Gespräch über den Verfahrensgegenstand nicht eingelassen hat.

 

Sachverhalt

Der Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsmedikation. Bei dem Betroffenen besteht eine langjährige paranoide Schizophrenie, die bei eigenmächtiger Absetzung der Medikation zur Eskalation seiner psychischen Verfassung mit Eigengefährdung sowie Bedrohungen und tätlichen Übergriffen auf Dritte führt.

 

Für den Betroffenen ist seit Langem eine Betreuung eingerichtet, die unter anderem die Aufgabenbereiche der Gesundheitssorge und der Aufenthaltsbestimmung umfasst. Bereits wiederholt ist die geschlossene Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung nebst Zwangsmedikation genehmigt worden.

 

Vorliegend hat der Betreuer beantragt, die Genehmigung der Einwilligung in die Zwangsmedikation abzuändern, weil ein Medikament in der genehmigten Dosierung nicht erhältlich war und ein bislang nicht gerichtlich genehmigtes Medikament im Rahmen einer notfallmäßigen Behandlung beim Betroffenen besser angeschlagen hatte.

 

Das Betreuungsgericht hat nach der Bestellung eines Verfahrenspflegers, der Einholung eines Sachverständigengutachtens und der persönlichen Anhörung des Betroffenen die Zwangsmedikation genehmigt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Der Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde weiter gegen die Zwangsmedikation.

Entscheidungsgründe

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen (BGH 24.3.21, XII ZB 445/20, Abruf-Nr. 222636). Das Beschwerdegericht habe zutreffend die Voraussetzungen der Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nebst Zwangsmedikation festgestellt.

 

Kein milderes Mittel verfügbar

Eine medikamentöse Behandlung sei unverzichtbar, weil der Betroffene sonst in seiner psychotischen Verkennung sich selbst und anderen gesundheitlichen Schaden zufügen werde. Der Betroffene lehne eine Medikation ab und habe sie bislang bei jeder sich bietenden Gelegenheit abgesetzt.

 

Beachten Sie | Eine Krankheits- oder Behandlungseinsicht bestehe nicht, da der Betroffene in unbehandeltem Zustand krankheitsbedingt zu keiner unabhängigen Willensbildung fähig sei. Die erforderliche Medikation könne daher nur im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung sichergestellt werden. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich.

 

Anhörung eingeräumt, Betroffener äußert sich nicht

Ein Verfahrensfehler sei nicht erkennbar. Insbesondere habe die erforderliche Anhörung durch das Beschwerdegericht ausnahmsweise unterbleiben können, da diese bereits im ersten Rechtszug rechtmäßig vorgenommen worden sei und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien.

 

Der Betroffene habe sich in dem vom AG anberaumten Anhörungstermin auf ein persönliches Gespräch über den Verfahrensgegenstand nicht eingelassen. Er habe indes die Möglichkeit dazu gehabt.

 

MERKE | Eine persönliche Anhörung erfordert nicht zwingend ein Gespräch mit dem Betroffenen über den Verfahrensgegenstand. Dazu kann der Betroffene nicht gezwungen werden.

 

Damit sei dem Anspruch auf rechtliches Gehör genügt. Da alle weiteren Erkenntnisquellen ausgeschöpft worden und von dem Betroffenen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien, habe das LG verfahrensfehlerfrei entschieden.

Relevanz für die Praxis

Ist Gegenstand der betreuungsgerichtlichen Entscheidung ein besonders weitreichender Eingriff in die Rechte des Betroffenen wie eine zwangsweise Unterbringung und Medikation, müssen die Grenzen solcher Ausnahmen umso enger gezogen werden. Dabei ist der gesetzliche Zweck der persönlichen Anhörung zu beachten. Sinn und Zweck der Anhörung ist es, dem Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren und dem Gericht zu ermöglichen, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen.

 

PRAXISTIPP | Soweit dies zum Schutz des Betroffenen erfolgt, liegt darin aber nur eine Äußerungsmöglichkeit des Betroffenen und keine entsprechende Verpflichtung. Äußert der Betroffene sich trotz einer dafür eröffneten Gelegenheit nicht, liegt darin eine ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung.

 

Dem Grundsatz der Amtsermittlung folgend muss das Gericht jedoch alle sonstigen Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen, um zu einer umfassenden Entscheidungsgrundlage zu kommen. Dies dürfte nahezu stets die Einholung eines Sachverständigengutachtens einschließen. Ist dies alles wie vorliegend erfolgt, liegt in der Verweigerung des Betroffenen zur Stellungnahme zum Verfahrensgegenstand eine ordnungsgemäße Anhörung.

Quelle: Ausgabe 07 / 2021 | Seite 113 | ID 47437071