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· Fachbeitrag · Erbschaft- und Schenkungsteuer

Pflegefreibetrag für Kinder bei Pflege der Eltern

von RA Notar a.D. Jürgen Gemmer, Fachanwalt Steuerrecht, Magdeburg

| Hat ein Kind einen pflegebedürftigen Elternteil gepflegt, kann es nach dessen Tod bei der Erbschaftsteuer den sog. Pflegefreibetrag beanspruchen. Dies hat der BFH entgegen der Verwaltungsansicht entschieden. |

Sachverhalt

Die Klägerin (T) ist Miterbin ihrer Mutter (M). Diese war ca. zehn Jahre vor ihrem Tod pflegebedürftig geworden (Pflegestufe III). Die T hatte M auf eigene Kosten gepflegt. Das Finanzamt (FA) gewährte den Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht. Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt. Die Revision war erfolglos (BFH 10.5.17, II R 37/15, Abruf-Nr. 194937).

Entscheidungsgründe

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG bleibt ein steuerpflichtiger Erwerb bis zu 20.000 EUR steuerfrei, der bei Personen anfällt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist. Die Vorschrift regelt nicht den Abzug eines Pauschbetrags, sondern die Berücksichtigung eines Freibetrags, wobei die mögliche Steuerbefreiung auf maximal 20.000 EUR begrenzt ist (BFH ZEV 13, 690).

 

Der Begriff „Pflege gewähren“ ist weit auszulegen

„Pflege gewähren“ in § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden eines Hilfsbedürftigen. Dies setzt begrifflich eine wegen Krankheit, Behinderung, Alter oder eines sonstigen Grundes bestehende Hilfsbedürftigkeit des Pflegeempfängers voraus. Dabei reicht es für die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG aus, dass die Pflege des Erblassers durch seine Hilfsbedürftigkeit veranlasst war. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig i. S. d. § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. in der für das Streitjahr geltenden Fassung und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB XI a.F. zugeordnet war.

 

Zu den Pflegeleistungen zählen ‒ in Anlehnung an die in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. angeführten Hilfeleistungen ‒ die Unterstützung und Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege (z. B. Waschen, Duschen), der Ernährung (z. B. Zubereiten und Aufnahme der Nahrung), der Mobilität (z. B. selbstständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) und der hauswirtschaftlichen Versorgung (z. B. Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung). Voraussetzung ist dabei stets, dass die Leistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht worden sind. Die erbrachten Leistungen müssen im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben (BFH, a.a.O.).

 

Pflege muss unentgeltlich oder unzureichend vergütet sein

Eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist nur zu gewähren, wenn die Pflege unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt geleistet worden ist. Unentgeltlich i. d. S. bedeutet, dass die Pflegeleistungen vom Erwerber erbracht werden, ohne hierfür eine Vergütung zu erhalten (BFH ZEV 95, 384). Der Abzug eines Pflegefreibetrags (§ 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG) kommt zudem nur in Betracht, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt für die gewährte Pflege anzusehen ist. Ein angemessenes Entgelt ist die Zuwendung nur, soweit sie dem Betrag entspricht, den der Erblasser durch die Inanspruchnahme der Pflegeleistungen erspart hat. Der Wert der Pflegeleistungen ist im konkreten Einzelfall am Maßstab der objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt der Pflegeleistung zu ermitteln. Der anzusetzende Freibetrag hängt insbesondere von Art, Dauer und Umfang der erbrachten Hilfeleistungen ab (BFH ZEV 13, 690).

 

Die Zuwendung kann auch ein angemessenes Entgelt für die gewährte Pflege sein, wenn der Erwerber dem Erblasser zivilrechtlich unterhaltspflichtig ist. Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. In gerader Linie verwandt sind nach § 1589 S. 1 BGB Personen, deren eine von der anderen abstammt, wie etwa Kinder von ihren Eltern. Eine aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses nach den §§ 1601 ff., § 1589 S. 1 BGB bestehende gesetzliche Unterhaltspflicht schließt die Gewährung einer Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht aus (a.A. Kobor in: Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 6. Aufl., § 13 Rn. 56; Meincke, ErbStG, 16. Aufl., § 13 Rn. 40; differenzierend nach konkreter Unterhaltspflicht Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher ErbStG, Stand: Januar 2017, § 13 Rn. 102).

 

Sorge für einen Hilfsbedürftigen auch bei gesetzlicher Unterhaltspflicht

Dafür, den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG auf Erwerber, die mit dem Erblasser nicht in gerader Linie verwandt sind, zu beschränken, bietet der Wortlaut keine Grundlage. Weder aus der Pflicht, Unterhalt gegenüber Verwandten in gerader Linie (§§ 1601 ff., § 1589 S. 1 BGB) zu leisten, noch aus der Beistands- und Rücksichtnahmepflicht zwischen Kindern und Eltern (§ 1618a BGB) folgt eine generelle Pflicht zur persönlichen Pflege, die dazu führen kann, dass die Zuwendung des Erblassers an den Pflegenden aufgrund eines gesetzlichen Anspruchs auf Pflege nicht als angemessenes Entgelt angesehen werden kann. Der Verwandtenunterhalt (§§ 1601 ff. BGB) verpflichtet Kinder nicht dazu, ihre Eltern persönlich zu pflegen. Denn gem. § 1612 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Unterhalt in Geld zu erbringen. Auf die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten (§ 1602 BGB) bzw. die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (§ 1603 BGB) im Einzelfall kommt es daher nicht an.

 

Die Beistands- und Rücksichtnahmepflicht nach § 1618a BGB steht dem Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ebenfalls nicht entgegen. Nach § 1618a BGB sind Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig. Diese Vorschrift verpflichtet die Familienmitglieder in allen Lebenslagen, sich wechselseitig zu unterstützen und zu helfen. Im Bereich von Pflegeleistungen lässt sich aus § 1618a BGB kein klagbarer Anspruch herleiten. Aufgrund des höchstpersönlichen Charakters von Pflegeleistungen ist eine Vollstreckung in diesem Bereich ausgeschlossen (vgl. Staudinger/Hilbig-Lugani, 2015, § 1618a Rn. 40; a.A. MüKo/v. Sachsen Gessaphe, BGB, 7. Aufl., § 1618a Rn. 14).

 

Diese weite Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG entspricht dem Sinn und Zweck der Norm, die ein freiwilliges Opfer der pflegenden Person honorieren bzw. Pflegeleistungen außerhalb vertraglicher oder gesetzlicher Bestimmungen begünstigen soll.

 

Der Freibetrag wurde auf 20.000 EUR begrenzt, damit die Befreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht ausgenutzt wird, indem überhöhte Beträge für oft nur bedingt nachprüfbare Pflegeleistungen beantragt werden (BT-Drucksache 16/11107, 9). Nahe Angehörige vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift durch eine restriktive Auslegung auszuschließen, ist dafür nicht geboten.

 

Der Abzug des Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG erfordert zudem, dass der Erwerber die Hilfsbedürftigkeit des Erblassers sowie Art, Dauer, Umfang und Wert der tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen schlüssig darlegt und glaubhaft macht. Er trägt hierfür die Feststellungslast. Im Hinblick auf Sinn und Zweck der Steuerbefreiung und die damit verbundenen Nachweisschwierigkeiten sind jedoch keine übersteigerten Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung zu stellen. Vielmehr ist bei der Frage, ob und inwieweit die tatsächlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt sind, ein großzügiger Maßstab anzulegen (BFH ZEV 13, 690).

 

Die Höhe des anzusetzenden Freibetrags bestimmt sich nach den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalls. Zur Ermittlung des Werts der vom Erwerber erbrachten Pflegeleistungen können die jeweils für vergleichbare Leistungen zu zahlenden, üblichen Vergütungssätze entsprechender Berufsgruppen oder gemeinnütziger Vereine herangezogen werden. Dem Erwerber steht es aber stets frei, einen höheren Wert seiner Leistungen nachzuweisen. Wer langjährig, intensiv und umfassend Pflegeleistungen erbringt, dem kann der Freibetrag auch in voller Höhe zu gewähren sein, ohne dass es eines Einzelnachweises zum Wert der Pflegeleistungen bedarf (BFH, a.a.O.).

Relevanz für die Praxis

Der Entscheidung des BFH kommt im Erbfall wie auch bei Schenkungen große Praxisrelevanz zu. Die Finanzverwaltung hat bislang den Freibetrag nicht gewährt, wenn der Erbe dem Erblasser gegenüber gesetzlich zur Pflege oder zum Unterhalt verpflichtet war (Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 R E 13.5 Abs. 1 S. 2). Auf dieser Grundlage hatte das FA die Gewährung des Freibetrags auch im Streitfall verwehrt. Dem ist der BFH entgegengetreten. Bedeutsam ist dabei, dass der Erbe den Pflegefreibetrag nach dem BFH auch in Anspruch nehmen kann, wenn der Erblasser zwar pflegebedürftig, aber z. B. aufgrund eigenen Vermögens im Einzelfall nicht unterhaltsberechtigt war.

 

Weiterführende Hinweise

  • Zu mittelbaren Grundstücksschenkungen: Das sollten Sie zum steuerlichen Erwerb wissen, SR 17, 105
  • Elternunterhalt: Zur Rolle der Immobilie beim Schonvermögen, SR 17, 83
  • Zum Grundstücksverkauf: Privatschriftliche Vorsorgevollmacht genügt nicht, SR 16, 133
Quelle: Ausgabe 10 / 2017 | Seite 168 | ID 44927192