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· Fachbeitrag · Lebensstandard

Elternunterhalt: Das Ende für Lebensträume?

von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Berlin-Brandenburg

| Elternunterhalt trifft die Kinder oft erst im fortgeschrittenen Alter. In dieser Lebensphase haben sie häufig schon feste Planungen für die Zukunft, insbesondere für die Zeit als Rentner. Ein unterhaltsrechtlichen Bedarf eines Elternteils kann die eigene Lebensplanung über den Haufen werfen, wenn das unterhaltspflichtige Kind einen relevanten Teil seines Vermögens für den Elternunterhalt aufbringen müsste - aber das muss nicht sein. |

1. Grundproblematik

Zwar muss ein Unterhaltspflichtiger auf der einen Seite grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass ein unterhaltspflichtiges Kind seine Vermögensdispositionen regelmäßig in Zeiten getroffen hat, in denen Elternunterhalt nicht geschuldet wurde. Deswegen hat es auch seine Lebensverhältnisse auf die vorhandenen Einkünfte und Vermögenswerte eingerichtet und seinen gesamten Lebensplan auf diese Beträge eingestellt.

 

  • Beispiel

Die Eheleute M (62 J.) und F (61 J.), die beide berufstätig sind, planen für die Zeit nach Rentenbeginn viele Veränderungen. Sie wollen zunächst einen langjährigen Traum verwirklichen und gemeinsam eine dreimonatige Weltreise unternehmen. Anschließend wollen sie ihren Wohnsitz in Berlin aufgeben und in das Umland von München ziehen, wo ihre erwachsene Tochter mit ihrem Ehemann und den Enkelkindern lebt. Der M bezieht ein monatliches Bruttoeinkommen von 5.000 EUR. Er hat auf seinen Namen ein Vermögen von 380.000 EUR (in Form von Bargeld und Wertpapieren) angespart, das er für die Realisierung der gemeinsamen Lebenspläne einsetzen will. Etwa 30.000 EUR sind für die Kosten der Weltreise eingeplant. Mit den weiteren 350.000 EUR wollen M und F bei München eine 3-Zimmer-Eigentumswohnung kaufen und diese altersgerecht umbauen lassen.

 

Nachdem die hilfsbedürftige 85-jährige Mutter des M in einem Pflegeheim untergebracht worden ist, vertritt der zuständige Mitarbeiter des Sozialamts die Auffassung, dass M nicht nur aus seinem Erwerbseinkommen, sondern auch durch Einsatz seines Vermögens bis zur Höhe von mindestens 33.000 EUR zu den ungedeckten Heimkosten seiner Mutter beizutragen habe. Frage: Zu Recht?

 

2. Keine Rückstellungsverpflichtung des Kindes

Das Risiko der Pflegebedürftigkeit und Heimunterbringung eines Elternteils ist nicht kalkulierbar. Deshalb muss sich niemand darauf einstellen und finanzielle Vorsorge dafür treffen, später Unterhalt für die Eltern zahlen zu müssen. Die Gefahr, zum Elternunterhalt herangezogen zu werden, entsteht häufig auch ohne Ankündigung, z. B. weil ein Elternteil einen plötzlichen Schlaganfall erleidet oder einen Unfall. Anders als im Fall des Unterhalts für die eigenen Kinder ist eine vorsorgende Planung weder möglich noch zumutbar. Das gilt auch bei guten Einkünften.

3. Keine Vermögensselbstbehalte

Nach wie vor besteht in der Praxis Klärungsbedarf, wie beim Elternunterhalt bei einer tatsächlich erfolgten Rücklagenbildung mit einem vorhandenen Vermögen umzugehen ist. Anders als für die Höhe der Leistungsfähigkeit beim Erwerbseinkommen hat die Rechtsprechung bislang keine festen Vermögensselbstbehalte entwickelt bzw. sie lehnt Höchstgrenzen ausdrücklich ab. Die Höhe des Schonvermögens des unterhaltspflichtigen Kindes ist dementsprechend individuell nach den Umständen und Besonderheiten des Einzelfalls zu bestimmen (BGH 30.8.06, XII ZR 98/04). Dieser Teilbereich gehört gegenwärtig zu den schwierigsten Kapiteln im Bereich des Elternunterhalts.

4. Altersvorsorgevermögen

Dem unterhaltspflichtigen Kind steht es grundsätzlich frei, in welcher Weise es neben der gesetzlichen Rentenversicherung Vorsorge für sein Alter trifft. Dies kann z. B. durch Sparvermögen, Kapitalanlagen oder auch durch einen Immobilienerwerb erfolgen. Bezüglich der Höhe ist nach der Art der Tätigkeit zu differenzieren. Die Rechtsprechung erkennt an, dass das Kind

  • 5 Prozent seines sozialversicherungspflichtigen und
  • 25 Prozent seines nicht sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommens für eine zusätzliche Altersversorgung ansparen darf.

 

Das daraus gebildete (Altersvorsorge-) Vermögen ist im Rahmen des Elternunterhalts vor einem Zugriff der Unterhaltsgläubiger geschützt. Es ist auch nicht etwa bis zu einem bestimmten Teilbetrag für den Elternunterhalt einzusetzen. Dazu, wie im Einzelnen das geschützte Altersvorsorgevermögen zu bestimmen ist, hat der BGH in seinen Entscheidungen Vorgaben gemacht, die die praktische Handhabung der Berechnung im Einzelfall erleichtern.

 

Beachten Sie | Von den Sozialämtern nach wie vor zu niedrige Freibeträge im Hinblick auf das Altersvorsorgeschonvermögen angenommen. Hier empfiehlt es sich, stets eigene (Kontroll-) Berechnungen durchzuführen.

5. Überschießende Vermögenswerte

Ohne dass es vorliegend auf den Berechnungsweg im Einzelnen ankommt, lässt sich im Beispielsfall (unter Heranziehung von im Internet und in der Literatur vorhandenen Tabellen) ein anrechnungsfreies Altersvorsorgeschonvermögen des 62-jährigen M von etwa 347.000 EUR (für sich allein) bestimmen.

 

Es schließt sich die Frage an, ob der darüber hinausgehende Vermögensbetrag von (380.000 EUR - 347.000 EUR =) 33.000 EUR von M für die ungedeckten Heimkosten seiner Mutter eingesetzt werden muss.

 

a) Notbedarfsvermögen

Dem Kind ist auch ein verwertungsfreier „Notgroschen“ zu belassen. Dieses Notbedarfsvermögen dient dazu, ein jederzeit einsetzbares Vermögen zur Behebung einer akuten Notlage zu schaffen.

 

Dazu, welche „Notfälle“ unterhaltsrechtlich im Einzelnen anzuerkennen sind, existiert - soweit erkennbar - noch keine Rechtsprechung. Die Auffassungen zur Höhe des Notgroschens differieren. Teilweise wird zugebilligt, das Dreifache des monatlichen Nettoeinkommens für Notfälle zu reservieren. Bei niedrigeren Erwerbseinkünften des unterhaltspflichtigen Kindes (z. B. 1.500 EUR monatlich) wird ein deutlich oberhalb dieser 3-Monats-Regel liegender Festbetrag - häufig 10.000 EUR - angenommen. In jedem Fall ist auch hier die Höhe des Notbedarfsvermögens nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen.

 

PRAXISHINWEIS | Als Notgroschen kommt von vornherein nur ein bei Eintritt des Elternunterhalts bereits vorhandenes Notbedarfsvermögen in Betracht. Der Unterhaltspflichtige kann es nicht erst aus unterhaltsrechtlich geltend gemachten Abzügen von seinem Erwerbseinkommen aufbauen. Eine solche Position wäre bei der Leistungsfähigkeit nicht abziehbar.

 

Im Beispielsfall kann dem M jedenfalls kein über die Grenze von 10.000 EUR hinausgehendes Notbedarfsvermögen für sich (und die F) zugebilligt werden. Es bleibt also trotz dieses weiteren Freibetrags neben dem Altersvorsorgevermögen rechnerisch nach wie vor ein für den Unterhalt der Mutter des M einsetzbarer Vermögensbetrag, aus dem sich die Obliegenheit zum teilweisen Einsatz des vorhandenen Vermögensstammes ergeben könnte.

 

b) Individuelle Lebensplanungen

Hat das unterhaltspflichtige Kind eine konkrete Lebensplanung für die Zukunft getroffen und dafür über Jahre gespart fragt sich, ob es diese Zukunftspläne und Investitionsplanungen aufgeben, ändern oder zurückstellen muss, wenn ein unterhaltsrechtlicher Bedarf der Eltern entsteht.

 

Im Elternunterhalt gilt für das unterhaltspflichtige Kind die Lebensstandardgarantie. Es braucht eine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Lebensstandards jedenfalls insoweit nicht hinzunehmen, als es nicht einen nach den Verhältnissen unangemessenen Aufwand betreibt oder ein Leben im Luxus führt bzw. plant. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Inanspruchnahme für den Unterhalt von Eltern in der Regel erst stattfindet, wenn das Kind sich selbst bereits in einem höheren Lebensalter befindet. Die Lebensstandardgarantie umfasst auch das Recht der eigenen Lebensplanung im Alter. Die Inanspruchnahme für den Elternunterhalt darf folglich nicht zu einer Aufgabe der eigenen einkommensangemessenen Vermögens- und Lebensplanung zwingen.

 

Nach der Rechtsprechung besteht in derartigen Fällen keine Obliegenheit des unterhaltspflichtigen Kindes, seinen Vermögensstamm zur Bestreitung des Elternunterhalts einzusetzen.

 

Hat sich das Kind mit seiner Lebensplanung darauf eingestellt, sein Vermögen zu einem späteren Zeitpunkt für den Erwerb von Grundeigentum zu verwenden, das seiner Absicherung im Alter dienen soll, oder einen Lebenstraum zu verwirklichen, bleiben solche Vermögensdispositionen dem Zugriff des Unterhaltsgläubigers entzogen. Vorausgesetzt der Unterhaltsschuldner betreibt mit seinen Plänen keinen unangemessenen Aufwand oder plant ein Leben in Luxus. Auch hier ist also unter Berücksichtigung der konkreten Lebensstellung und Einkünfte des unterhaltspflichtigen Kindes das ihm zu belassende Vermögen im Einzelfall individuell zu bestimmen.

 

  • Unter Berücksichtigung der laufenden Einkünfte des M stellen im Beispielsfall die veranschlagten Kosten von 30.000 EUR für zwei Personen für eine mehrmonatige Weltreise am Ende einer jahrzehntelangen Lebensarbeitszeit keine überzogene Luxusaufwendungen dar.

 

  • Auch die gemeinsame Planung von M und F, nach dem Renteneintritt für etwa 350.000 EUR (erstmals) Immobilieneigentum zu erwerben, um in einem eigenen altersgerecht umgebauten Familienheim zu leben, kann nicht als unangemessene Vermögensdisposition beurteilt werden. Das gilt umso mehr, als auch das spätere mietfreie Wohnen eine Absicherung im Alter darstellt. Wäre die Unterhaltsbedürftigkeit der Mutter des M erst nach einer Umsetzung der Lebensplanung von M und F (also nach Durchführung der gemeinsamen Weltreise und der Anschaffung einer selbstgenutzten angemessenen 3-Zimmer-Eigentumswohnung in der Umgebung von München) eingetreten, so könnte eine Verwertung des dann (ohnehin nur noch) vorhandenen Immobilienvermögens von dem unterhaltspflichtigen M nicht verlangt werden.

 

Das aber macht deutlich, dass auch die zufällig zeitlich früher eingetretene Heimunterbringung und Unterhaltsbedürftigkeit seiner Mutter nicht dazu führen kann, dass die Vermögenseinsparung, die die Lebensverhältnisse des unterhaltspflichtigen M und der nicht unterhaltspflichtigen F bereits lange Zeit geprägt hat, unterhaltsrechtlich nicht anzuerkennen ist. Das Ansinnen einer Änderung der bisherigen Lebensplanung ist für M unzumutbar.

 

Im Ergebnis hat der unterhaltspflichtige M keine unangemessene Lebensplanung (zusammen mit seiner Ehefrau) vorgenommen, so dass die vorhandenen 380.000 EUR als gebundenes Vermögen vollständig dem Zugriff des Sozialamts entzogen sind.

 

PRAXISHINWEIS | Soweit das von M angesammelte Vermögen laufende Erträge abwirft (z. B. Zinseinnahmen), muss er diese - anders als den Vermögensstamm - neben seinen anrechenbaren Arbeitseinkünften als sonstiges Einkommen grundsätzlich für den Elternunterhalt einsetzen.

 

Weiterführender Hinweis

  • Zum Eigenheim als Schonvermögen lesen Sie ausführlich in der nächsten Ausgabe
Quelle: Ausgabe 04 / 2017 | Seite 60 | ID 44595254