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· Fachbeitrag · Medizinische Sachverständigengutachten

Befangenheit: In diesen Fällen kann ein Gutachter abgelehnt werden

| Gibt es berechtigte Gründe, kann ein Sachverständiger wegen Befangenheit abgelehnt werden. Allerdings ist zwischen gerichtlich eingeholten Gutachten und Privatgutachten zu unterscheiden. Denn Privatgutachter können unter Druck geraten, auf frühere Auftraggeber Rücksicht zu nehmen. Das hat jetzt der BGH entschieden ( 10.1.17, VI ZB 31/16, Abruf-Nr. 191678 ). |

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt Schadenersatz. Bei einer ihm eingesetzten Hüftgelenkprothese sei es zu einem übermäßigen Metallabrieb gekommen. Es sei zu einer Fehlstellung gekommen, dann habe sich die Prothese gelockert. Das LG ordnete ein schriftliches Gutachten zu der Beweisfrage eines erhöhten Metallabriebs und der Lebensdauer einer üblichen Hüftendoprothese an. Die Beklagte lehnte den benannten Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieser hatte in einem gleichgelagerten anderen Rechtsstreit gegen die Beklagte für den dortigen Kläger ein entgeltliches Privatgutachten über eine Prothese gleichen Typs erstellt. Sowohl das LG als auch das OLG sahen keinen ausreichenden Grund dafür, den Sachverständigen wegen Befangenheit abzulehnen. Der BGH hingegen schon und wies die Sache an das Beschwerdegericht zurück, damit es neu entscheidet.

 

Ein Sachverständiger kann wegen Besorgnis der Befangenheit auch dann abgelehnt werden, wenn er für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einer gleichartigen Fragestellung in einem gleichartigen Sachverhalt erstattet hat und wenn die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren (Abruf-Nr. 191678).

 

Entscheidungsgründe

Neu ist es nicht: Geeignete Gründe dafür, dass ein Gutachter nicht unparteiisch bzw. voreingenommen ist, können zu einer Ablehnung wegen möglicher Befangenheit führen (§ 406 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. mit § 42 Abs. 2 ZPO, BGH 11.4.13, VII ZB 32/12). Dies ist der Fall, wenn der Gutachter in gleicher Sache für eine Prozesspartei oder deren Versicherer bereits ein Privatgutachten erstellt hat (BGH 1.2.72, VI ZR 134/70, OLG Hamm 26.3.14, 32 W 6/14). Anders sieht es aus, wenn der Sachverständige ein Privatgutachten in einem anderen Rechtsstreit erstellt hat, das sich mit demselben Sachverhalt beschäftigt hat: in diesem Fall die Prüfung, ob ein medizintechnisches Produkt einen behaupteten Mangel hat bzw. fehlerhaft konstruiert ist (hier: Hüftgelenksprothese). Die überwiegende Meinung bejaht dann einen Ablehnungsgrund.

 

Der BGH folgt dieser Meinung, da der Gutachter möglicherweise in einen Konflikt gerät, der sich auf sein Gutachten auswirkt. Damit allerdings wirklich die Gefahr einer Befangenheit besteht, müssen die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen - also in dem vergangenen wie auch dem jetzigen Rechtsstreit - in gleicher Weise kollidieren. Die Parteien waren sich jedoch uneinig, dass die Beweisfrage bezogen auf die Hüftprothese vergleichbar war.

 

Daher hätte das Beschwerdegericht genauer hinzuschauen und die erforderlichen Feststellungen treffen müssen. Ergeben diese dann, dass der Sachverhalt vergleichbar ist, wäre die Besorgnis der Befangenheit begründet. Daran ändert sich auch nichts, dass ggf. nicht viele Gutachter für das betroffene Sachgebiet zur Verfügung stehen und das Verhalten der Beklagten für den erhöhten Bedarf an Gutachten womöglich mitursächlich war.

 

Relevanz für die Praxis

Gerade die Expertise eines erfahrenen Gutachters ist für den Mandanten wertvoll.

 

Medizintechnische Produkte bzw. Haftungsfälle führen häufig zu einer hohen

Zahl von Anspruchstellern. Die Gefahr, dass spezialisierte Gutachter bereits zuvor zu Privatgutachten zu den gleichen strittigen Fragen erstellt haben, ist ggf. hoch. Hieraus resultieren zwei Vorgehensweisen:

 

  • Es ist genau zu prüfen, ob sich Ansatzpunkte ergeben, die eine Vergleichbarkeit anzweifeln lassen.
  • Lässt sich die Beweisfrage ggf. erweitern und auf eine Ebene bringen, die nicht mit der vorherigen vergleichbar ist?

 

Kommen sich die Beweisfragen sehr nahe, sollte genau vorgetragen werden, dass der Gutachter die nötige Objektivität besitzt und hierzu auch eine Stellungnahme seinerseits beantragt werden, die ggf. genauer erklärt, warum sich die Beweisfragen unterscheiden. Eine weitere, unterstützende Argumentation kann sein, dass der Gutachter bereits von anderen Gerichten akzeptiert wurde, obwohl er zu denselben Beweisfragen bereits früher Privatgutachten erstellt hat.

 

PRAXISHINWEIS | Viele Sachverständige stehen in Austausch oder engem beruflichen Austausch. Eine Sorge der Befangenheit ist nicht begründet, wenn ein gerichtlicher Gutachter im Rahmen eines Kompetenzzirkels einen allgemeinen fachlichen Austausch mit einem Privatsachverständigen pflegt (LG Stuttgart 16.6.16, 27 O 73/13).

 

Weiterführende Hinweise

  • Bei Begutachtung sollten Dritte draußen bleiben, SR 16, 206
  • Gutachten in Sozialgerichtssachen: Wichtige Grundsätze für die Mandatsbearbeitung, SR 14, 26
Quelle: Ausgabe 03 / 2017 | Seite 41 | ID 44530219