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  • 27.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113165

    Oberlandesgericht Nürnberg: Urteil vom 26.07.2010 – 14 U 220/10

    Entwirft ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten ein Mahnschreiben, ohne selbst nach außen in Erscheinung zu treten, so löst diese Tätigkeit keine Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nr. 2300, sondern allenfalls eine Beratungsgebühr nach § 34 RVG aus.


    14 U 220/10

    In dem Rechtsstreit

    wegen Forderung

    erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 14. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rebhan, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Holzberger und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Wißmann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2010 folgendes Endurteil:

    Tenor:
    I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. Dezember 2009 in Nr. II des Tenors abgeändert und insoweit die Klage abgewiesen.

    II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Kostenentscheidung des Landgerichts.

    III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

    IV. Die Revision wird zugelassen.

    Beschluss: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.023,16 Euro festgesetzt.

    Gründe
    A. Der Kläger machte erstinstanzlich gegen den Beklagten einen Darlehensrückzahlungsanspruch sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.

    Mit Darlehensvertrag vom 19.6.2008 verpflichtete sich der Beklagte, dem Kläger ein Darlehen in Höhe von 20.000 Euro, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens am 31.12.2008 in voller Höhe zurückzuzahlen. Nachdem eine fristgemäße Zahlung nicht erfolgte, forderte der Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 16.2.2009 (Anl. K 2) und vom 17.3.2009 (Anl. K 3) vergeblich zur Rückzahlung auf. Daraufhin hat der Kläger einen Mahnbescheid über eine Hauptforderung von 20.000 Euro sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.023,16 Euro erwirkt, gegen den der Beklagte Widerspruch eingelegt hat.

    Mit der Anspruchsbegründung vom 20.10.2008 hat der Kläger erstinstanzlich einen Darlehensrückzahlungsanspruch in Höhe von lediglich 10.000 Euro sowie die Erstattung der genannten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß Kostenrechnung vom 24.7.2009 (Anl. K 4) - jeweils nebst Zinsen - verfolgt. Zu letzteren hat er vorgetragen, dass seine spätere Prozessbevollmächtigte bereits am 16.2.2009 das Mandat übernommen und außergerichtlich für ihn tätig gewesen sei. Auch die am 17.3.2009 versandte Mahnung sei nach entsprechender Beratung durch sie erfolgt.

    Wegen des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der dortigen Anträge wird im Übrigen auf den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.12.2009, auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 16.11.2009 und vom 14.12.2009 sowie auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

    Mit dem genannten Urteil ist der Beklagte verurteilt worden, an den Kläger 10.000 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.3.2009 sowie 1.023,16 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2.7.2009 zu zahlen.

    Die Zuerkennung von 1.023,16 Euro hat das Landgericht damit begründet, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 fachen Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 20.000 Euro zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer aus Verzugsgesichtspunkten zustehe. Zwar sei die Klägervertreterin nicht selbst gegenüber dem Beklagten aufgetreten. Sie habe jedoch für den Kläger ein Mahnschreiben entworfen, das dieser zur Vorbereitung des vorliegenden Rechtsstreits anschließend an den Beklagten versandt habe. Die Tätigkeit der Klägervertreterin habe sich somit nicht darin erschöpft, dem Kläger einen Rat oder eine Auskunft zu erteilen, sondern sie habe darüber hinaus gehende Tätigkeiten entfaltet, die die Auseinandersetzung voranbringen und ein anschließendes gerichtliches Verfahren vorbereiten sollten.

    Nur wegen der Verurteilung zur Zahlung von 1.023,16 Euro (nebst Zinsen) hat der Beklagte Berufung eingelegt.

    Er bestreitet, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen vorgerichtlich beraten oder gar die Zahlungserinnerung vom 16.2.2009 (Anl. K 2) und die Mahnung vom 17.3.2009 (Anl. K 3) entworfen habe. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, sei damit keine Tätigkeit "nach außen" erfolgt, so dass allenfalls eine Beratungsgebühr angefallen wäre, die jedoch auf die Verfahrensgebühr anzurechnen sei. Im Übrigen habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers keine Rechnung gestellt und kein Geld erhalten, so dass diesem auch kein entsprechender Verzugsschaden entstanden sei.

    Der Beklagte beantragt:

    Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 3 O 8452/09 - wird in Ziffer II. aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen.

    Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

    Er verteidigt das Ersturteil als zutreffend. Er trägt vor, die Beratung habe über die bloße Formulierung des Zahlungsaufforderungsschreibens hinaus auch eine Auskunft über die rechtliche Durchsetzbarkeit des Anspruchs sowie über die Möglichkeiten einer zunächst außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung umfasst. Er habe seiner Rechtsanwältin den Auftrag erteilt, ein außergerichtliches Zahlungsaufforderungsschreiben (vom 16.2.2009, Anl. K 2) zu entwerfen, welches er mit eigenem Briefkopf dem Beklagten habe zukommen lassen. Ebenso habe es sich mit dem Mahnschreiben vom 17.3.2009 (Anl. K 3) verhalten. Durch Verwendung des eigenen Briefkopfes sollte zunächst versucht werden, den Beklagten zur Zahlung zu bewegen, ohne ihn unnötig dazu zu verleiten, seinerseits einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Darüber hinaus sei mit Schreiben seiner Rechtsanwältin vom 7.5.2009 die Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung erfolgt. Schließlich habe nochmals eine Abklärung mit seiner Rechtsanwältin stattgefunden, nachdem der Beklagte durch seinen Rechtsanwalt mit Schreiben vom 6.4.2009 hatte erklären lassen, dass er keine 20.000 Euro erhalten habe, den Darlehensvertrag anfechte und keine Zahlung erfolgen werde. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren seien daher entstanden. Hierbei sei ohne Belang, ob sie bereits geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen wurden.

    Der Senat hat keinen Beweis erhoben. Wegen des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 19.7.2010 und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.

    B. Die nach §§ 511, 519, 520 ZPO zulässige Berufung des Beklagten ist begründet und führt hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zur Klageabweisung.

    1. Zwar steht dem Kläger aus § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten zu. Aufgrund des insoweit teilrechtskräftigen Endurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.12.2009 steht fest, dass er aus dem Darlehensvertrag vom 19.6.2008 einen Anspruch auf Rückzahlung von 10.000 Euro hat und dieser Anspruch spätestens am 31.12.2008 fällig war. Zwischenzeitlich ist der Beklagte - wie die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19.7.2010 mitgeteilt hat - auch hinsichtlich der weiteren Teilforderung von 10.000 Euro rechtskräftig verurteilt worden.

    Der Beklagte befand sich also im Zeitpunkt der Abfassung der Schreiben vom 16.2.2009 und vom 17.3.2009 mit der Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehensgesamtbetrags von 20.000 Euro in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Auf dieser Pflichtverletzung beruhte die Einschaltung der Rechtsanwältin.

    2. Der Senat hat auch davon auszugehen, dass die Klägervertreterin die beiden genannten Schreiben entworfen hat.

    Allerdings hat der Beklagte in der Klageerwiderung (dort Seite 2) ein außergerichtliches Tätigwerden der Prozessbevollmächtigten des Klägers bestritten. Hierauf hat diese mit Schriftsatz vom 9.12.2009 entgegnet, die Mandatsübernahme sei bereits am 16.2.2009 erfolgt; sie sei "sehr wohl außergerichtlich für den Kläger tätig" gewesen. Auch die am 17.3.2009 durch den Kläger an den Beklagten versandte Mahnung sei nach entsprechender anwaltlicher Beratung durch die Klägervertreterin erfolgt.

    In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 14.12.2009 hat die Klägervertreterin erklärt, sie sei am 16.2.2009 vom Kläger beauftragt worden, dessen Ansprüche zu prüfen. Der Kläger sei wegen seiner streitgegenständlichen Forderung zu ihr gekommen. Sie habe ihn rechtlich beraten und für ihn ein Mahnschreiben vorformuliert, das er dann allerdings unter seinem eigenen Namen abgeschickt habe. Bei diesem Schreiben handele es sich um Anlage K 3.

    Diesen konkreten Sachvortrag hat der Beklagte in der ersten Instanz nicht mehr bestritten, so dass der klägerische Vortrag insoweit als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 2 ZPO). Dementsprechend geht auch das Ersturteil im unstreitigen Tatbestand davon aus, dass die Klägervertreterin für den Kläger ein Forderungsschreiben entwarf.

    Dies bestreitet zwar der Beklagte in der Berufungsbegründung. Ein derartiges erneutes Bestreiten einer mittlerweile unstreitigen Tatsache stellt ein neues Verteidigungsmittel dar, das gemäߧ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen ist. Der Beklagte hätte bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht das dort von der Klägervertreterin mündlich konkretisierte Vorbringen zum Entwurf der genannten Schreiben bestreiten können und müssen. Der Beklagte hat nicht dargelegt, weshalb dies erstinstanzlich nicht geschehen ist.

    3. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung von 1.023,16 Euro dennoch nicht zu, da die außergerichtliche Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr ausgelöst hat.

    Die Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nr. 2300 entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags (Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 zum RVG-VV). Sie entsteht nicht, soweit sich die Tätigkeit des Anwalts auf die Erteilung eines Rats oder einer Auskunft beschränkt (§ 34 RVG; vgl. Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., VV 2300 Rdn. 10). § 34 genießt insoweit gegenüber RVG-VV Nr. 2300 Vorrang (Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., VV 2300, 2301 Rdn. 2). Letzteres ist der Fall, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß nur im Innenverhältnis zum Mandanten beratend tätig wird, also kein anderes Geschäft, vor allem keine Vertretung des Mandanten mit der Beratung verbunden ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.6.2009 - 24 U 136/08, MDR 2009, 1420, Rdn. 15 nach juris). In der Formulierung "für das Betreiben des Geschäfts" kommt demgegenüber zum Ausdruck, dass es sich um die Gebühr handelt, nach der grundsätzlich die außergerichtliche Vertretung abzurechnen ist (s. hierzu auch BGH, Urteil vom 14.3.2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050, Rdn. 10 nach juris); man spricht insoweit auch generell von der "Betriebsgebühr" (Mayer, aaO., VV 2300, 2301 Rdn. 13; Schneider, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., VV Teil 2 Rdn. 25; Göttlich/Mümmler/Rehberg, RVG 3. Aufl., "Geschäftsgebühr" Anm. 2). Es kommt somit darauf an, ob der Rechtsanwalt auftragsgemäß auch nach außen wirken soll (OLG Düsseldorf, aaO., Rdn. 15; AG Hamburg-Altona, Urteil vom 6.11.2007 - 316 S 85/07, AGS 2008, 166, Rdn. 28 nach juris).

    Ein solches Wirken nach Außen oder gar eine Vertretung liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß lediglich ein vom Auftraggeber selbst zu unterzeichnendes Schreiben oder eine sonstige einseitige Erklärung entwirft. RVG VV Nr. 2300 fordert nach einhelliger Meinung ein Mehr gegenüber der Ratserteilung. Ein solches Mehr liegt nicht bereits dann vor, wenn der Rechtsanwalt - wie hier - ein Schreiben des Mandanten "vorformuliert". Dies stellt lediglich einen Rat an den Mandanten dar, ein Schreiben zu verfassen und welchen Inhalt dieses haben soll.

    Eine solche Anwaltstätigkeit ist nicht - wie typischerweise bei einer Vertretung - nach außen gerichtet.

    So liegt es hier, zumal der Auftrag des Klägers zunächst gerade nicht dahin ging, dass seine Rechtsanwältin nach außen tätig werden sollte. Die behauptete Einholung der Rechtsschutzzusage ändert hieran nichts.

    Allerdings wird in der Kommentarliteratur und teilweise auch in der Rechtsprechung vertreten, RVG VV Nr. 2300 erfordere nicht, dass der Rechtsanwalt nach außen hervortritt (Mayer, aaO., VV 2300, 2301 Rdn. 13; ders., § 34 RVG Rdn. 14) oder der Auftrag dahin geht, nach außen tätig zu werden (Schneider, aaO., VV Teil 2 Rdn. 27). Sobald es also zu einer Tätigkeit komme, die über einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft hinausgehe, entstehe eine Gebühr nach RVG VV Nr. 2300 (Hartmann, aaO., VV 2300 Rdn. 7; Schneider, aaO., VV Teil 2 Rdn. 27). Eine solche über einen bloßen Rat hinausgehende Tätigkeit liege bereits dann vor, wenn der Rechtsanwalt ein Schreiben des Mandanten an den Gegner entworfen hat, ohne selbst schon nach außen hervorzutreten (so auch LG Mönchengladbach, Urteil vom 3.12.2008 - 4 S 222/07, AGS 2009, 163, Rdn. 5; Mayer, aaO., VV 2300, 2301 Rdn. 13; Teubel, Mayer/Kroiß, RVG, 3. Aufl., Vorbem. 2.3. Rdn. 8; Schneider, aaO., VV Teil 2 Rdn. 27; wohl auch Göttlich/Mümmler/Rehberg, aaO., "Geschäftsgebühr" Anm. 4.1., 5.2).

    Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Sie entspricht allerdings der Rechtslage vor Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 1. Juli 2004. Nach der vorher geltenden Regelung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO erhielt der Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, des Einreichens, Fertigens oder Unterzeichnens von Schriftsätzen oder Schreiben und des Entwerfens von Urkunden. Im Gegensatz hierzu enthält die Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 zum RVG VV das Entwerfen einer Urkunde nicht mehr, sondern lässt die Geschäftsgebühr über das Betreiben des Geschäfts (einschließlich der Information) hinaus nur noch für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags entstehen. Um eine solche Tätigkeit handelt es sich beim Entwerfen eines Schriftsatzes zweifellos nicht.

    Gleichwohl bejaht die Kommentarliteratur auch für diesen Fall das Entstehen der Geschäftsgebühr. Sie stützt sich teilweise darauf, dass der Gesetzesbegründung kein Hinweis zu entnehmen sei, dass nur dann RVG VV Nr. 2300 (in der früheren Fassung Nr. 2400) anwendbar sein soll, wenn die herzustellende Urkunde ein Vertrag ist, nicht aber eine einseitige Willenserklärung (so Mayer, aaO., VV 2300, 2301 Rdn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drucks. 15/1971, S. 206 f.).

    Diese Ansicht, wonach die alte Gesetzesfassung "stillschweigend" weitergelten soll, steht weder im Einklang mit dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes noch mit den gesetzgeberischen Motiven. Der Vorschrift des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO ließ sich entnehmen, dass das Entwerten von Urkunden zum Betreiben des Geschäfts gehörte ("einschließlich ... des Entwerfens von Urkunden"). Eine solche Formulierung enthält die an deren Stelle tretende Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 zum RVG VV nicht mehr. Die dort enthaltene Tatbestandsalternative "und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags" ist enger als die frühere Regelung "einschließlich des Entwerfens von Urkunden". Dass die Mitwirkung bei der Vertragsgestaltung zusätzlich ("Betreiben ... und ... Mitwirken ...") aufgenommen worden ist, liegt offenbar dann begründet, dass für diese Art der Tätigkeit ausnahmsweise eine Geschäftsgebühr anfallen soll, obgleich der Anwalt hierbei nicht unbedingt nach außen tätig werden muss. Sollte das "Betreiben des Geschäfts" nach wie vor auch das Entwerfen von Urkunden umfassen, hätte es der gesonderten Aufnahme der engeren Tatbestandsalternative "für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags" nicht bedurft. Deren grammatikalische Anfügung durch das Wort "und" an die Tätigkeitsbeschreibung "Betreiben des Geschäfts" spricht vielmehr dafür, dass es sich um etwas anderes, zusätzliches handelt. Andernfalls hätte sich eine Verknüpfung wie bei den Tätigkeitsbeispielen des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO mittels des Wortes "einschließlich" angeboten (vgl. auch AG Hamburg-Altona, aaO., Rdn. 29 nach juris).

    Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass § 118 Abs. 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz BRAGO in negativer Abgrenzung bestimmte, dass der Anwalt die Geschäftsgebühr nicht für einen Rat oder eine Auskunft erhält. Alles andere unterfiel dem Begriff "Betreiben des Geschäfts". Die Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 zum RVG VV enthält eine solche Negativabgrenzung nicht. Auch hieraus ist zu schließen, dass das RVG den Anfall einer Geschäftsgebühr nach W Nr. 2300 nur noch für diejenigen Fälle vorsieht, in denen der Anwalt nach außen tätig wird (so auch AG Hamburg-Altona, aaO., Rdn. 28 nach juris).

    Diese Auslegung kann sich systematisch darauf stützen, dass die Geschäftsgebühr ausdrücklich unter der Überschrift "Vertretung" in Abschnitt 3 des RVG VV geregelt ist. Sie wird schließlich historisch durch die Begründung des Regierungsentwurfs zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestätigt. Dort wird zur früheren Nr. 2400 RVG VV, die der Nr. 2300 RVG VV in der seit 1.7.2006 geltenden (durch Art. 5 Abs. 1 KostRMoG vom 5.5.2004, BGBl I, 718, geänderten) Fassung entspricht, ausgeführt: "Die vorgeschlagene Regelung soll an die Stelle des § 118 BRAGO treten, soweit dieser für die außergerichtliche Vertretung anwendbar ist." (BT-Drucks. 15/1971, S. 206; Hervorhebungen durch Senat). Demgemäß heißt es in der Gesetzesbegründung zu Teil 2, (damaliger) Abschnitt 4 des Vergütungsverzeichnisses: "In diesem Abschnitt sollen nahezu alle Fälle der außergerichtlichen Vertretung ... zusammengefasst werden." (BT-Drucks. 15/1971, S. 206). Die Gesetzesbegründung stellt damit ausdrücklich auf die außergerichtliche Vertretung ab. Eine solche liegt gerade dann nicht vor, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß nicht nach außen auftreten soll, um die Gegenseite nicht dazu zu verleiten, ihrerseits einen Rechtsanwalt zu beauftragen.

    Diese Auslegung steht im Einklang mit der Neuordnung des Vergütungsrechts durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, die unter anderem zum Wegfall der Besprechungsgebühr führte. Der Gesetzgeber sah diese als hinderlich für eine außergerichtliche Erledigung einer Angelegenheit an, da die Anspruchsgegner häufig den Griff zum Telefon scheuten, weil durch ein Telefonat mit dem Anwalt des Gegners die Gebühr ausgelöst wurde (BT-Drucks. 15/1971, S. 207). Das Entfallen der Besprechungsgebühr sollte durch die Geschäftsgebühr ausgeglichen werden: "Die künftig allein anfallende Gebühr soll das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und der Teilnahme an Besprechungen sowie das Mitwirken bei der Gestaltung eines Vertrags abgelten. Eine Besprechungsgebühr ist nicht mehr vorgesehen ... Der erweiterte Abgeltungsbereich der Geschäftsgebühr erfordert eine andere Einordnung der unterschiedlichen außergerichtlichen Vertretungsfälle in den zur Verfügung stehenden größeren Gebührenrahmen." (BT-Drucks. 15/1971, S. 207; Hervorhebungen durch Senat).

    Schließlich wird in der Gesetzesbegründung die Geschäftsgebühr als außergerichtliche Verfahrensgebühr bezeichnet (BT-Drucks. 15/1971, S. 147, li. Sp. unten), was ebenfalls dafür spricht, dass der gebührenauslösende Auftrag an den Rechtsanwalt dahin gehen muss, dass dieser nach außen tätig wird. Dies stellt auch keine unbillige Beeinträchtigung des Vergütungsinteresses des Rechtsanwalts dar. Wenn dessen Tätigkeit auftragsgemäß intern bleibt, dennoch aber einen einer externen Tätigkeit vergleichbaren Aufwand erfordert (wie es beim Entwurf eines Schreibens für den Mandanten der Fall sein kann), bleibt - entsprechend der gesetzgeberischen Intention (vgl. BT-Drucks. 15/1971, 5.147, re.Sp.) - dem Rechtsanwalt die Möglichkeit, hierfür mit dem Mandanten eine angemessene Gebühr gemäߧ 34 Abs. 1 Satz 1 RVG zu vereinbaren.

    Nach alledem steht der Klägervertreterin somit keine Geschäftsgebühr zu, sondern allenfalls eine Beratungsgebühr nach § 34 RVG zu, die gemäߧ 34 Abs. 2 RVG auf die sonstigen, im Verfahren entstandenen Gebühren anzurechnen ist und die im vorliegenden Verfahren (nach ausdrücklicher - wenn auch nicht protokollierter -Erklärung der Klägervertreterin) auch nicht geltend gemacht wird.

    C. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.

    Die Revision wird zugelassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

    RechtsgebietRVGVorschriftenNr. 2300 VV RVG