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  • 02.04.2024 · IWW-Abrufnummer 240661

    Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 09.02.2024 – 1 MR 9/20

    1. Bei dem Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO und dem Verfahren über dessen Abänderung nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) handelt es sich trotz prozessualer Selbstständigkeit beider Verfahren gemäß § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 5 RVG kostenrechtlich um dieselbe Angelegenheit, sodass der Rechtsanwalt nur einmal Gebühren fordern kann.

    2. Bei Abänderung einer Entscheidung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) kann jeder Beteiligte aus der für ihn günstigen Kostengrundentscheidung nur die Verfahrenskosten erstattet verlangen, die im jeweiligen Verfahren angefallen sind.

    3. Jedenfalls in Verfahren, in denen sowohl im Ausgangs- als auch Abänderungsverfahren der gleiche Rechtsanwalt tätig war, ist eine Gebühr für eine anwaltliche Tätigkeit, die infolge der Kostengrundentscheidung im Abänderungsverfahren festgesetzt werden könnte, nicht entstanden. Die Gebühr für diese gebührenrechtlich einheitliche Angelegenheit entsteht vielmehr in diesem Fall mit der anwaltlichen Tätigkeit im zeitlich ersten Abschnitt, dem Ausgangsverfahren.


    Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein

    Beschluss vom 09.02.2024


    In der Verwaltungsrechtssache
    der ...
    - Antragstellerin -
    Proz.-Bev.: ...
    gegen
    die Gemeinde Westerrönfeld, vertr. d. d. Amt Jevenstedt,
    Meiereistraße 5, 24808 Jevenstedt
    - Antragsgegnerin -
    Proz.-Bev.: Rechtsanwälte ...

    Streitgegenstand: Bebauungsplan Nr. 35 "An der Jevenstedter Straße"
    Antrag gem. § 47 Abs. 6, § 80 Abs. 7 VwGO
    hier: Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss

    hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts am 9. Februar 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ... und den Richter am Verwaltungsgericht ... beschlossen:

    Tenor:

    Die Erinnerung der Antragsgegnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22. Januar 2024 wird zurückgewiesen.

    Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

    Gründe

    Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung (sog. Erinnerung, § 165 i.V.m. § 151 VwGO) vom 26. Januar 2024 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22. Januar 2024 ist unbegründet.

    Nach § 164 VwGO setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts (Rechtsanwaltsvergütung) sind zwar stets erstattungsfähig (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Das setzt jedoch voraus, dass sie auch gerade in dem Verfahren entstanden ist, für das die Kostenfestsetzung begehrt wird (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 8. November 2011 - 8 S 1247/11 -, juris Rn. 15).

    Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat nach diesem Maßstab den Kostenfestsetzungsantrag der Antragsgegnerin vom 10. Juli 2023 zu Recht zurückgewiesen. Die durch die Antragsgegnerin geltend gemachte Vergütung ihres Prozessbevollmächtigten für die Durchführung des Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) in Höhe einer Verfahrensgebühr von 1.187,20 Euro (KV 3300), einer Auslagenpauschale von 20,- Euro (KV 7002) sowie eines Umsatzsteuerbetrags von 229,37 Euro (KV 7008) ist bereits dem Grunde nach nicht erstattungsfähig. Dies deshalb, weil der Prozessbevollmächtigte für die Antragstellerin bereits im Ausgangsverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO tätig war und es sich bei dem Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) trotz prozessualer Selbstständigkeit beider Verfahren gemäß § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 5 RVG kostenrechtlich um dieselbe Angelegenheit handelt.

    Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat zu der sich letztlich auch hier stellenden Problematik das Folgende ausgeführt:

    "Gemäß § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Dieselbe Angelegenheit im kostenrechtlichen Sinne sind nach § 16 Nr. 5 RVG auch das Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO und jedes Verfahren über dessen Abänderung oder Aufhebung nach § 80 Abs. 7 VwGO. Die Anwaltsgebühren entstehen damit in allen Verfahren zur Regelung der Vollziehung - mögen diese für sich genommen auch voneinander getrennte, prozessual eigenständige Verfahren sein - nur einmal und zwar mit dem ersten die Gebühr auslösenden Tätigwerden des Rechtsanwalts. Ist dieser bereits im Ausgangsverfahren tätig geworden, können sie von ihm im Abänderungsverfahren nicht erneut geltend gemacht werden. Hintergrund der Regelung des § 16 Nr. 5 RVG ist die typisierende Erwägung des Gesetzgebers, dass der Rechtsanwalt, der bereits im Verfahren über einen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung tätig war, in einem Abänderungs- oder Aufhebungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO in der Regel keine besondere Einarbeitungszeit benötigt, sondern vielmehr ohne Weiteres auf seine frühere Arbeit zurückgreifen kann, mithin der Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts bereits im früheren Verfahrensabschnitt entstanden und damit durch die bereits angefallene Gebühr abgegolten ist. [...].

    Anderes folgt schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsteller im Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unterlegen waren und nach der durch das Verwaltungsgericht getroffenen Kostengrundentscheidung die Kosten des Ausgangsverfahrens selber zu tragen hatten, während ihr Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO erfolgreich war und ihnen für die Kosten des Abänderungsverfahrens ein Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin erwachsen ist. [...].

    Dabei ist im Ausgangspunkt unstreitig, dass die Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 80 Abs. 7 VwGO prozessual selbstständig mit unterschiedlichen Verfahrensgegenständen sind; Gegenstand des Abänderungsverfahrens ist nicht die Überprüfung der Ausgangsentscheidung, sondern eine Neuregelung der Vollziehung für die Zukunft in einem von dem ergangenen Beschluss abweichenden Sinn. Deshalb führt auch eine abweichende Entscheidung im Abänderungsverfahren nicht zu einer Kassation der im Ausgangsverfahren getroffenen Kostengrundentscheidung. Diese bleibt vielmehr auch bei abweichenden Entscheidung im Abänderungsverfahren mit der Folge bestehen, dass für das Ausgangsverfahren und das Abänderungsverfahren unterschiedliche Kostengrundentscheidungen zu beachten sind. Dies bedingt, dass jeder Beteiligte aus der ihm günstigen Kostengrundentscheidung vom Prozessgegner die Erstattung der ihm für das jeweilige Verfahren entstandenen Kosten verlangen kann, besagt aber für sich genommen nichts darüber, welche Kosten ihm für das jeweilige Verfahren entstanden sind und erst in Folge dessen auch Gegenstand eines prozessrechtlichen Erstattungsanspruchs sein können. Diese Frage ist allein kostenrechtlich nach den §§ 15 Abs. 2, 16 Nr. 5 RVG zu beantworten.

    Im Ergebnis führt dies auch nicht etwa dazu, dass der Prozessgegner bei einem ihm ungünstigen Ausgang des Abänderungsverfahrens von sämtlichen Kosten "freigestellt" und die zugunsten des obsiegenden Antragstellers für das Abänderungsverfahren getroffene Kostengrundentscheidung gleichsam ins Leere ginge. Von der Kostengrundentscheidung des Abänderungsverfahrens können vielmehr solche Kosten erfasst werden, die erstmals im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO entstanden sind, wie etwa die Kosten einer Beweisaufnahme, Fahrtkosten anlässlich eines Termins zur mündlichen Verhandlung oder mündlichen Erörterung oder eine evtl. angefallene Terminsgebühr. Soweit die Kosten hingegen bereits im Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO angefallen sind, können sie im Abänderungsverfahren nicht erneut geltend gemacht werden. Dies gilt für die hier allein in Ansatz gebrachte Verfahrensgebühr (KV 3100), die für eine Angelegenheit statthafte Auslagenpauschale (KV 7002) und für die diesbezüglich jeweils geltend gemachte Umsatzsteuer (KV 7008).

    Auch ein Wahlrecht des Rechtsanwalts, die nach § 15 Abs. 2 RVG nur einmal zu fordernde Vergütung nicht bereits im Ausgangsverfahren (dort gegenüber dem eigenen Mandanten), sondern erst im Abänderungsverfahren (dort im Namen des eigenen Mandaten gegenüber dem Prozessgegner) geltend zu machen, besteht in diesem Zusammenhang nicht. Eine Verlagerung oder Aufteilung der insgesamt nur einmal zu verlangenden Vergütung in das nachfolgende Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO ist weder nach den gesetzlichen Bestimmungen des Kostenrechts vorgesehen, noch wäre sie in der Sache gerechtfertigt. Anderenfalls würde die im Ausgangsverfahren ergangene Kostengrundentscheidung insofern unterlaufen, als die in diesem Verfahren angefallenen Kosten letztlich auf die - im Ausgangsverfahren obsiegende - Antragsgegnerin abgewälzt werden könnten. Dies wäre deshalb nicht gerechtfertigt, weil es sich beim Abänderungsverfahren gerade nicht um ein Beschwerdeverfahren handelt, das auf die Korrektur einer (vermeintlich) fehlerhaften Ausgangsentscheidung gerichtet wäre. Vielmehr gilt nach der gesetzlichen Intention von §§ 15 Abs. 2, 16 Nr. 5 RVG der im nachfolgenden Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO anfallende Arbeitsaufwand ungeachtet des Ausgangs dieses Verfahrens als mit der Vergütung für das Ausgangsverfahren abgegolten."

    (OVG NRW, Beschluss vom 13. Juli 2018 - 13 B 275/18.A -, juris Rn. 3 - 11 m. w. N.).

    Diese überzeugenden Ausführungen, denen sich der Senat insgesamt anschließt, sind auch im hiesigen Verfahren zutreffend. Der Senat macht sie sich insoweit für das hiesige Verfahren zu eigen (wie hier im Ergebnis auch: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 8. November 2011 - 8 S 1247/11 -, juris Rn. 16 ff. m. w. N.; BayVGH, Beschluss vom 26. Januar 2012 - 9 C 11.3040 -, juris Rn. 13 m. w. N.; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 29. Oktober 2020 - 7 B 11124/20.OVG -, BeckRS 2020, 49537 Rn. 4 f. m. w. N.).

    Das Vorbringen der Antragsgegnerin im Kostenfestsetzungsverfahren ist nicht geeignet, an den vorstehenden Ausführungen im vorliegenden Fall durchgreifende Zweifel zu wecken.

    So überzeugt insbesondere die von der Antragsgegnerin im Antrag auf gerichtliche Entscheidung zitierte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 13. Februar 2017 - 11 B 769/15.A -, juris; fortgeführt im Beschluss vom 12. Oktober 2018 - 11 B 1482/15.A -, juris) nicht. Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen berücksichtigt nicht - anders als der der 13. Senat desselben Gerichts (Beschluss vom 13. Juli 2018 - 13 B 275/18.A -, juris) -, dass die Gebühr für die anwaltliche Tätigkeit bereits im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO entstanden ist. Denn diese Gebühr entsteht, sobald der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausführt, die durch die Gebühr abgegolten wird, und somit mit dem Beginn der entsprechenden Tätigkeit (vgl. Walter Gierl, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, § 8 Rn. 1; v. Seltmann, in: v. Seltmann, BeckOK RVG, Stand: 1. September 2021, § 8 Rn. 1 f.; Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, § 8 RVG Rn. 1 m. w. N.). Die Gebühr für die nach § 16 Nr. 5 RVG gebührenrechtlich einheitliche Angelegenheit von Ausgangs- und Abänderungsverfahren entsteht also mit der anwaltlichen Tätigkeit im zeitlich ersten Abschnitt, dem Ausgangsverfahren. Der Abschluss der entsprechenden Sache begründet dann in einem zweiten Schritt nach § 8 Abs. 1 RVG die Fälligkeit der bereits entstandenen Gebühr. Diesen Umstand übersieht der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in seinen Entscheidungen soweit er ausführt, dass die Gebühr "auch im Abänderungsverfahren" entstanden sei (Beschluss vom 12. Oktober 2018 - 11 B 1482/15.A -, juris Rn. 23). Diese bereits in jenem Verfahren entstandene Gebühr kann nicht "aufgeschoben" werden, um dann in einem weiteren Verfahren, für das für sich genommen gerade keine (neue) Gebühr anfällt, doch noch geltend gemacht zu werden. Entsprechende Gebühren entstehen insbesondere nicht nochmals (vgl. Christian Rohn, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, § 16 Rn. 27 m. w. N.). Insofern ist jedenfalls in den Verfahren, in denen wie hier sowohl im Ausgangs- als auch Abänderungsverfahren der gleiche Rechtsanwalt tätig war, eine Gebühr für eine anwaltliche Tätigkeit, die infolge der Kostengrundentscheidung im Abänderungsverfahren festgesetzt werden könnte, schlichtweg nicht entstanden (so auch: Sächs. OVG, Beschluss vom 12. Februar 2018 - 5 B 19/17A -, juris Rn. 7 f.; diese vorstehenden Erwägungen berücksichtigen weder das VG Karlsruhe noch das VG München in ihren jeweils von der Antragsgegnerin im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zitierten Entscheidungen: VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Juli 2015 - A 1 K 13/15 -, juris Rn. 3 f.; VG München Beschluss vom 11. September 2015 - M 17 M 15.50729 -, juris Rn. 19 ff.). Aus diesem Grund ist auch - entgegen der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung des VG Stuttgart (Beschluss vom 29. April 2014 - A 7 K 226/14 -, juris Rn. 5 f. unter Bezugnahme auf u. a. Schl.-Holst. OLG, Beschluss vom 18. November 1994 - 9 W 167/94 -, juris Rn. 5 f. zu § 40 Abs. 2 BRAGO) keine anteilige Festsetzung vorzunehmen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

    RechtsgebieteKostenfestsetzung, AngelegenheitsbegriffVorschriften§ 47 Abs. 6 VwGO; § 80 Abs. 7 VwGO; § 15 Abs. 2 RVG; § 16 Nr. 5 RVG