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  • · Fachbeitrag · Wiedereinsetzung

    Wenn die sofortige Beschwerde gegen eine Kosten- und Auslagenentscheidung versäumt wird

    von Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Münster/Augsburg

    | Wiedereinsetzungsfragen spielen in der Praxis eine große Rolle. Das gilt auch, wenn es um die sofortige Beschwerde gegen eine Kosten- und Auslagenentscheidung geht. Einige damit zusammenhängende Probleme hat nun das OLG Celle gelöst. |

     

    Sachverhalt

    Das LG hatte die Angeklagten durch Urteil vom 21.4.16 freigesprochen. Denn der Nebenkläger - das mutmaßliche Tatopfer - hatte in der Hauptverhandlung eingeräumt, die gegen die Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe frei erfunden zu haben. Im Urteil hat das LG folgende auf § 469 Abs. 1 S. 1 StPO gestützte Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen: „Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten werden dem Nebenkläger auferlegt.“

     

    Eine Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO unterblieb jedoch. Der Verteidiger eines Angeklagten hat dann gegenüber der Staatskasse die Erstattung seiner Wahlverteidigergebühren als notwendige Auslagen des Angeklagten geltend gemacht. Dazu hat die Bezirksrevisorin darauf hingewiesen, die Strafkammer habe es versäumt, nach § 467 Abs. 1 StPO eine Auslagenentscheidung dahin gehend zu treffen, dass die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse auferlegt werden. Nachdem der Verteidiger die Stellungnahme der Bezirksrevisorin am 17.5.16 erhalten hatte, erhob er am 1.6.16 beim LG sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des LG und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sofern die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde versäumt worden sein sollte. Das OLG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen.

     

    • 1. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde kommt nicht in Betracht, wenn die verspätete Beschwerdeeinlegung darauf beruht, dass die rechtliche Tragweite der angefochtenen Entscheidung zunächst verkannt wurde.
    • 2. Im Verfahren über eine sofortige Beschwerde gegen eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist dem beschwerdeführenden Angeklagten Verschulden seines Verteidigers zuzurechnen.
    • 3. In einem freisprechenden Urteil ist eine Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO auch zu treffen, wenn ein Fall des § 469 Abs. 1 StPO vorliegt. Die Kostenentscheidung nach § 469 Abs. 1 StPO ergeht unabhängig von der Kosten- und Auslagenentscheidung des Urteils durch gesonderten Beschluss.
     

    Entscheidungsgründe

    Der Angeklagte hat die mit Bekanntmachung des Urteils am 21.4.16 beginnende (vgl. § 311 Abs. 2 StPO) und mit Ablauf des 28.4.16 endende Beschwerdefrist nicht genutzt. Eine Wiedereinsetzung kommt aber nicht in Betracht, da kein „Fristversäumnis“ vorliegt.

     

    MERKE | Eine Rechtsmittelfrist i. S. d. § 44 S. 1 StPO hat nur der versäumt, der das Rechtsmittel einlegen wollte, die dafür gesetzlich vorgesehene Frist jedoch nicht eingehalten hat. Wer dagegen einen Rechtsbehelf bewusst nicht gebraucht, war - unabhängig davon, ob ihm die Fristgebundenheit des Rechtsbehelfs bekannt war oder nicht - nicht im Sinne des § 44 S. 1 StPO „verhindert“, den Rechtsbehelf einzulegen.

     

    Hier hatte der Verteidiger des Angeklagten im Rahmen seiner Beschwerdebegründung erklärt, er sei bei der Urteilsverkündung davon ausgegangen, dass „die Kostenentscheidung im Sinne des § 467 StPO korrekt ergangen“ sei. Er hat daher von einer sofortigen Beschwerde innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO abgesehen, weil er irrig davon ausging, dass eine Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO getroffen worden war.

     

    Tatsächlich hätte das LG als notwendige Folge des Freispruchs im Urteilstenor, der alleinige Grundlage für das Kostenfestsetzungsverfahren ist, aber eine Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO treffen müssen. Daneben - nicht jedoch stattdessen - hätte das LG nach § 469 Abs. 1 StPO eine weitere Kosten- und Auslagenentscheidung dahin gehend treffen müssen, die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten dem Nebenkläger aufzuerlegen. Dieses fehlerhafte Vorgehen des LG hat der Verteidiger des Angeklagten (zunächst) nicht erkannt und daher davon abgesehen, die Kosten- und Auslagenentscheidung anzufechten.

     

    Folge: Es liegt ein „Verschulden“ des Verteidigers vor, das sich der Beschwerdeführer zurechnen lassen muss. Denn der Grundsatz, dass einem Angeklagten ein Verteidigerverschulden nicht zuzurechnen ist, gilt im Verfahren der Anfechtung einer Kostenentscheidung nicht (BGHSt 26, 126; OLG Düsseldorf 9.1.89, 2 Ws 1/89; OLG Koblenz 15.1.88, 1 Ws 37/88; OLG Celle NJW 59, 1932; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 44 Rn. 19 und § 464 Rn. 21).

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung ist (leider) richtig. Sie sollte jeden Anwalt/Verteidiger veranlassen, die im Strafverfahren ergehenden Kosten- und Auslagenentscheidungen rechtzeitig sorgfältig zu prüfen. In diesem Zusammenhang hilft auch nicht der Hinweis auf § 44 S. 2 StPO: Zwar wird in Strafverfahren häufig (rechtsfehlerhaft) nicht nach § 35a StPO über das Rechtsmittel der Kostenbeschwerde und die dafür vorgesehene Frist belehrt. Das führt jedoch nur dazu, dass nach § 44 S. 2 StPO eine Versäumung der Rechtsmittelfrist als unverschuldet anzusehen wäre (BGH NStZ 01, 45; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 44 Rn. 22). Darauf kommt es jedoch nicht an, wenn - wie hier - bereits keine Frist im Sinne des § 44 S. 1 StPO versäumt wurde, sodass die Frage eines etwaigen Verschuldens hinsichtlich einer Fristversäumung irrelevant ist.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2016 | Seite 195 | ID 44264420