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  • · Fachbeitrag · PKH-/VKH-Festsetzungspraxis

    Aufforderung der Staatskasse zum Verzicht auf die PKH-/VKH-Vergütung

    von Wolf Schulenburg, geprüfter Rechts- und Notarfachwirt, Berlin

    | Hat die PKH-/VKH-Partei obsiegt und macht ihr Rechtsanwalt seine Wahlanwaltsvergütung gegen den erstattungspflichtigen Gegner vollständig im Namen der Partei nach § 103 ZPO oder gemäß § 126 Abs. 1 ZPO im eigenen Namen geltend, ohne zuvor oder gleichzeitig seine PKH-Vergütung gegenüber der Staatskasse zu fordern, kommt es immer wieder zu folgender Situation: Das Gericht fordert die obsiegende Partei vor einer Entscheidung über den Festsetzungsantrag auf, einen Kostenverzicht auf die PKH-/VKH-Vergütung aus der Staatskasse zu erklären. Der folgende Beitrag zeigt, was der Rechtsanwalt in diesen Fällen beachten muss. |

    1. Wahlrecht der Reihenfolge der Ansprüche

    Grundsätzlich stehen das Beitreibungsrecht der Partei bzw. des Rechtsanwalts und dessen Anspruch gegenüber der Staatskasse gleichberechtigt nebeneinander. Folge: Der Rechtsanwalt kann wählen, welchen Anspruch er zuerst geltend machen möchte. Zu beachten ist dabei: Der Rechtsanwalt verliert mit der Geltendmachung des einen Anspruchs grundsätzlich nicht das Recht, den jeweils anderen Anspruch später noch geltend zu machen.

     

    MERKE | Indem der Anwalt seinen Anspruch gegenüber der Staatskasse vorerst zurückstellt und den vollen Erstattungsanspruch zunächst gegenüber dem Gegner geltend macht, entlastet er die Justiz und Staatskasse: Denn nimmt er sie vorrangig oder zeitgleich in Anspruch, geht der Erstattungsanspruch gegenüber dem Gegner gemäß § 59 Abs. 1 RVG in Höhe der gezahlten PKH-/VKH-Vergütung auf die Staatskasse über. Die Staatskasse müsste diesen übergegangenen Anspruch dann ihrerseits beim erstattungspflichtigen Gegner beitreiben. Das Risiko, in Höhe dieser Vergütung auszufallen, würde so auf die Staatskasse übergehen.

     

    2. Spätere Festsetzung: Betrag verringert sich nachträglich

    Der vom Gericht geforderte Verzicht bezweckt in erster Linie eine Arbeitserleichterung.

     

    Denn wird zunächst die vollständige Wahlanwaltsvergütung nach §§ 103, 126 ZPO festgesetzt und macht der Rechtsanwalt anschließend seine PKH-/VKH-Vergütung gegenüber der Staatskasse geltend, muss der Rechtspfleger die bereits erteilte vollstreckbare Ausfertigung des ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses vom Obsiegenden zurückfordern, um auf ihr die Verringerung des festgesetzten Betrags in Höhe der PKH-/VKH-Vergütung zu vermerken bzw. eine erläuternde Berechnung nachträglich beifügen (vgl. Teil A Nr. 2.3.2 VwV Vergütungsfestsetzung vom 3.4.17; BAnz AT 18.4.17 B5).

     

    MERKE | Aus diesen Gründen ist die Aufforderung zum Verzicht durch das Gericht zwar grundsätzlich zulässig. Der Verzicht darf aber aufgrund des Gleichrangs der unterschiedlichen Ansprüche des Rechtsanwalts nicht zur Voraussetzung der Entscheidung über den Festsetzungsantrag gegenüber dem erstattungspflichtigen Gegner gemacht werden.

     

    Der Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses darf also nicht von der Verzichtserklärung abhängig gemacht werden (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 126 Rn. 12).

     

    3. Vorsicht bei übereilter Verzichtserklärung

    Der gegenüber dem Gericht erklärte Verzicht des Rechtsanwalts (§ 397 BGB) auf die PKH-/VKH-Vergütung bewirkt ein Erlöschen seines Anspruchs gegenüber der Staatskasse.

     

    PRAXISHINWEIS | Deshalb sollten Sie vorsichtig sein. Sie sollten den Verzicht nur erklären, wenn seine vollständige Befriedigung gesichert ist. Das ist der Fall, wenn eindeutig feststeht, dass der erstattungspflichtige Gegner liquide ist und keine Zweifel über dessen Leistungsfähigkeit bestehen. Denn das Risiko, die Zahlungsfähigkeit möglicherweise falsch eingeschätzt zu haben, tragen Sie!

     

    4. Freiwillige (Voll-)Zahlungen: Verzichtserklärung unschädlich

    Denkbar ist auch, dass der Rechtsanwalt zwischenzeitlich durch freiwillige Zahlungen der Partei oder durch Dritte vollständig befriedigt ist und nun nur noch die Erfüllung des Erstattungsanspruchs gegenüber dem Gegner erreichen will.

     

    Hier scheidet ein Anspruch gegenüber der Staatskasse aus, soweit die erhaltenen Zahlungen die Differenzvergütung (= weitere Vergütung; vgl. § 50 RVG) übersteigt und damit die PKH-/VKH-Vergütung teilweise oder vollständig mindert (§ 58 Abs. 2 RVG).

     

    Im letzteren Fall wäre ein Anspruch des Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse nicht mehr gegeben, weshalb die Verzichtserklärung allenfalls noch deklaratorische Wirkung entfalten würde. Denn auf einen Anspruch, der nicht (mehr) existiert, kann der Anspruchsinhaber auch nicht (mehr) verzichten.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Verhältnis PKH-/VKH-Prüfungsverfahren zum Hauptsacheverfahren: Probleme vermeiden, RVG prof. 17, 109
    • PKH-Prüfungsverfahren: So können Sie Gebührenvorteile erzielen. RVG prof. 17, 75
    • Wer trägt die Kosten der Vollstreckung bei PKH-Bewilligung und Vergleichsabschluss?, RVG prof. 16, 147
    Quelle: Ausgabe 09 / 2017 | Seite 165 | ID 44737174